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Eine Liste guter Vorsätze, die wir gerne hätten

Artikel-Nr.: DE20111231-Art.70-2011

Eine Liste guter Vorsätze, die wir gerne hätten

Oder: Keine großen Erwartungen für 2012

Nur im Web – Wie das so ist mit guten Vorsätzen: Sie sind schneller vergessen als gefasst; man erinnert sich dann im Januar 2013 wieder daran. 2012 wird wohl, realistisch besehen, ein Krisenjahr sein. Mit dem Denken und Handeln – und einigen der Handelnden – welche die Welt in diese Krise geführt haben, wird man mit der Krise nicht fertig werden. Von Oliver Schmidt.

Finanzminister Schäuble äußert sich vorsichtig optimistisch, dass der ultimative Euro-Gau ausbleiben werde. Seine Regierung hat gute Vorsätze für das neue Jahr: Mit leicht gesteigerter Handlungsfähigkeit der Bundes-FDP nach deren Euro-Referendum wird mit dem Euro-Schutz-Mechanismus (ESM) erstmals das Krisenmanagement institutionalisiert. Aber vor allem, wenn alles gut läuft, wird es im Laufe des ersten Quartals 2012 einen neuen Europäischen Vertrag geben, welcher den Euro-Mitgliedern und einigen anderen erstmals eine verbindlich koordinierte Fiskalpolitik verordnen wird. Diese könnte Gestalt annehmen in einer einheitlicheren Unternehmensbesteuerung und, endlich, einer Finanztransaktionssteuer; und in einer wesentlich konsistenteren, Auswüchse klar beschneidenden Finanzmarktregulierung.

* Damit der Wilde Westen auch 2012…

Freilich wissen die Profiteure der derzeitigen Zustände auf den Finanzmärkten um diese Aussichten; es ist anzunehmen, dass sie auch in 2012 jedes geschlossene und entschlossene Handeln der Euro(päischen)-Regierungen hintertreiben werden. Das spricht für weitere spekulative Attacken und vielleicht eine gewisse Umleitung der Finanzströme nach Großbritannien, welche durch steigende Zinsen dort unterstützt würde. Zugleich werden eine Reihe europäischer Länder in die Rezession gleiten, weil ihre Regierungen versuchen, sich durch Sparpolitik einen Stand gegenüber eben jenen Finanzmarktattacken, deren Speerspitze die Abstufungsdrohungen der US-basierten Rating-Agenturen sind, zu verschaffen.

Damit der Wilde Westen auf den Finanzmärkten auch in 2012 Bestand hat, werden dessen Profiteure weiterhin die Story von der bösen, verantwortungslosen (Schulden-)Politik und der guten, verantwortungsvollen schwäbischen Hausfrau spinnen. Ob sie damit durchkommen, wird im Wesentlichen abhängen von der deutschen Bundesregierung und der Deutschen Bundesbank, und von dem Ökonomie-Weltbild, dem diese anhängen.

Werden sich Bundesregierung und Bundesbank 2012 auch vornehmen, sich von dieser Story zu lösen und das Agieren der Finanzmarktprofiteure als Er- und Auspressungsmanöver vom 21.-Jahrhundert-Pendant selbstgefälliger Viehbarone zu entlarven? Der angeblichen Marktwirtschafts-Kraft FDP dürfte der gute Vorsatz nicht fehlen, der Oligarchie auf den Finanzmärkten den Wettbewerb anzusagen, und den privaten Monopolen der Rating-Agenturen nicht länger zu erlauben, die allgemeine Wohlfahrt auszubeuten.

* Frisches Denken täte not

Frisches Denken gehört auf die Liste der guten Vorsätze für Bundesregierung und Bundesbank und die gesamte deutsche Ökonomenzunft: Sie könnten 2012 damit beginnen, ihre Politik an dem auszurichten, was Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman in seinem Buch über Depression Economics (s. Hinweis) bereits 1999 klar dargelegt hat: In einer Depression werden die Instrumente der Zentralbank wirkungslos; darum ist es zwingend erforderlich, um jeden Preis eine Depression zu vermeiden. Dieser Preis ist das Risiko einer erhöhten Inflation – die sich niemand wünscht, die aber wesentlich besser zu ertragen ist als eine Depression, im schlimmsten Szenario in Verbindung mit einer Deflation.

Wenn die Zeit für das Lesen eines Buches nicht ausreicht – selbst für ein kurz, knapp und genial geschriebenes – dann kann man sich vornehmen, 2012 aus der Welt des Bloggens ein paar Denkanstöße mitzunehmen:

* Der Financial-Times- und Spiegel-online-Kolumnist Wolfgang Münchau hat jüngst darauf hingewiesen, dass diese Sicht der Dinge nicht spezifisch keynesianisch ist, sondern ebenso von einem Monetaristen geteilt würde. Münchau zeigt außerdem numerisch auf, dass die Liquiditätsmaßnahmen der EZB – Aufkauf von Staatsschuldverschreibungen von Euroraum-Regierungen direkt oder, jüngst, indirekt über die Privatbanken – rein volumenmäßig um mindestens 2/3 unter dem liegt, was im Verhältnis zur gesamten Euroraum-Geldmenge Inflation auslösen könnte.

* Paul Krugman hat in seinem New-York-Times-Blog gerade gezeigt, dass die Gesamtverschuldung der europäischen Krisenländer (GIPSI: Griechenland, Italien, Portugal, Spanien, Irland) im Verhältnis zum GDP zwischen 1999 und 2007 durchgehend gefallen ist. Sie stieg dann massiv durch die Banken- und Konjunkturstützen zur Abwehr der globalen Krise, welche dieselben Finanzmarktakteure verursacht hatten, die diese Regierungen heute vor sich hertreiben.

Möglicherweise ist Wolfgang Schäubles vorsichtiger Optimismus ja auch genährt von dem beleidigten Rückzug einiger deutscher Ökonomie-Zeloten mitten in der Krise, namentlich der Herren Stark und Weber. Die Wortführer deutscher Geldtheorie und –politik haben ihrer Nemesis Oskar Lafontaine schon immer in der selbstgefälligen Besserwisser-Pose geähnelt, jetzt haben sie auch im Umgang mit öffentlichen Ämtern mit ihm gleichgezogen.

* Neu-Positionierung der politischen Ökonomie?

Wird das zu einem neuen Nachdenken an den deutschen Ökonomie-Fakultäten führen? Gibt es dort ein paar gute Vorsätze für 2012? Top of the list wäre eine Neu-Positionierung der politischen Ökonomie, mit einem grundsätzlich veränderten Bemühen, politische Prozesse differenziert zu verstehen. Aber bevor man sich an eine neue Interdisziplinarität macht, könnte man sich erst einmal für die – ergebnisoffenen – Debatten öffnen, die es rund um die Geldtheorie und -politik gibt (siehe beispielhaft der Economist). Ein guter Ausgangspunkt wäre wohl die Empirie. Betrachten wir etwa die Inflationsentwicklung in 2011: Sie ist in Euroland, Großbritannien, den USA und in China gestiegen, aber recht moderat. Und in den USA und in China verläuft sie flacher (sogar rückläufig im letzten Quartal 2011), obwohl beispielsweise die USA niedrigere Zinsen haben als Euroland und Großbritannien. Es gibt also durchaus ein wenig Spielraum für Wachstumsimpulse, und nur im Gleichklang mit Wachstum wird Austeritätspolitik erfolgreich sein.

Das lenkt den Blick auf die guten Vorsätze der mehr oder weniger links-progressiven Kräfte in Deutschland und anderswo: Nummer 1 auf ihrer Liste bleibt der Kampf um die politische und publizistische Deutungshoheit über die Krise und andererseits um die Hoheit über den Handel mit Finanzprodukten. Bei ersterem hat die Linke – im Verhältnis zur neoliberalen Hegemonie der 1990er und frühen 2000er Jahre – Boden gutgemacht. Aber für die Schlacht um den wirklichen Handel mit Finanzprodukten gibt es noch nicht einmal Gefechtsstellung.

* Hoffen auf Steinbrücks Mea Culpa

Die Oligarchen in den sog. Investmentbanken, vor allem, aber nicht nur an der Wall Street und in der City of London (wo z.B. die Deutsche Bank auch schwer aktiv ist!) bestimmen weiterhin, wohin die spekulativen Wellen in Form von Derivaten und Swaps und ähnlichen Wetten als nächstes schwappen, und dass jedesmal ein guter Teil als sog. Boni in ihren eigenen Taschen verbleibt. Dem stünde theoretisch die Hoheit von mit Mehrheit gewählten Regierungen, oder von solchen kontrollierten Agenturen wie dem IWF oder der EU-Kommission, gegenüber. Aber das Schlagwort, dass ‚jedes Finanzunternehmen, jedes seiner Produkte und jede seiner Transaktionen‘ reguliert werden müsse, ist bisher nur lauwarme Luft. Vor allem von den Steinbrücks dieser Welt würde man hoffen, dass sie sich für 2012 ein lauteres „Mea Culpa“ vornehmen, und daraus die Glaubwürdigkeit schöpfen, entschlossene Regulierungseingriffe in die tatsächlichen Finanzströme zu popularisieren.

Auf die Liste der links-progressiven Vorsätze für 2012 gehört auch, die Euro(pa)politik dem Souverän vorzulegen. Warum dürfen die Spanier oder die Dänen oder FDP-Mitglieder, aber nicht der gemeine deutsche Wähler das Mandat vergeben, den Euro aus der Krise zu führen – oder der Euro-Raum-Souverän insgesamt, wenn wir schon dabei sind? Warum kommen deutsche Kommentatoren damit weg, die Nicht-Auflösung der ‚schlechtesten Bundesregierung seit 1949‘ für ein Zeichen von irgendeiner Form von Führungsstärke oder Stabilität darzustellen?

* Und die ökologische Seite?

Ein weiterer links-progressiver Vorsatz könnte sein, die ökologischen Ursachen für diese Schuldenkrise und damit auch die globale Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007-09 aufzuarbeiten. Etwa die schuldenfinanzierten Immobilienblasen in Spanien, Großbritannien, Irland und den USA – Spiegelbild nicht zuletzt deutscher Exportüberschüsse – sind dafür ein Anhaltspunkt. Wenn man aufzeigen kann, dass diese Krise auch auf den Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen zurückgeführt werden kann, dann nährt das Skepsis an der keynesianisch motivierten Wachstumslösung. Entsprechend würde es die links-progressiven Kräfte vor die Aufgabe stellen, Mehrheiten zu gewinnen für weniger Konsum, teurere Mobilität, weniger Bequemlichkeiten für alle – das dürfte wesentlich schwieriger sein als Banker- und Reichen-Bashing. Es sei ehrlicherweise vermerkt, dass dieser Vorsatz nicht des Autors eigene Idee ist, sondern von einem britischen Freund und Diskussionspartner stammt.

Hinweis:
* Paul Krugman, The Return of Depression Economics and the crisis of 2008, W. W. Norton 2009. Bezug: Buchhandel. Als deutsche Fassung gibt es: Die neue Weltwirtschaftskrise, Campus 2011. Bezug: Buchhandel.

Veröffentlicht: 31.12.2011

Empfohlene Zitierweise: Oliver Schmidt, Eine Liste guter Vorsätze, die wir gerne hätten, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 31. Dezember 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)