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Eine alternative Agenda für den G20-Gipfel

Artikel-Nr.: DE20120619-Art.31-2012

Eine alternative Agenda für den G20-Gipfel

Selbstmörderischer Austeritätspakt Europas

Wenn die Weltwirtschaft so schlecht läuft wie im Moment, besteht die zentrale Frage an die G20-Agenda darin, wie das Wachstum wiederbelebt werden kann. In einer global integrierten Ökonomie haben die Fehler eines großen Landes oder einer Region globale Konsequenzen. Das Treffen in Los Cabos muss deshalb versuchen, den selbstmörderischen Austeritätspakt Europas zu beenden, schreibt Joseph E. Stiglitz.

Es gibt massive Externalitäten, die mit den makroökonomischen Entscheidungen in Europa, Amerika oder anderswo verbunden sind. Doch es ist evident, dass diese von den Entscheidungsträgern typischerweise nicht in Rechnung gestellt werden. Die G20 bietet einen Rahmen, in dem die führenden Politiker an diese wachsende Interdependenz erinnert werden können und sollten.

Von besonderer Bedeutung ist derzeit die Eurokrise. Die Fehler, die Europa bei der Bearbeitung der Krise macht, sind keineswegs nur eine innere Angelegenheit Europas. Sie sind von Belang für die ganze Welt.

Mehrere einfache ökonomische Voraussetzungen sollten die Diskussion der G20 leiten:

* Das Schlüsselproblem, dem sich die Welt heute gegenüber sieht, ist der Mangel an aggregierter Nachfrage. Der Schwerpunkt sollte entsprechend auf der Wiederherstellung aggregierter Nachfrage liegen. Angebotsseitige Reformen sind wichtig für langfristiges Wachstum; aber schlecht gestaltete und getimte Maßnahmen auf der Angebotsseite – vor allem solche, die zu niedrigeren Löhnen führen – können die Wirtschaft kurzfristig schwächen.

* Belehrungen über fiskalische Verantwortung werden nicht helfen – egal wie gut sie gemeint sind. Und einige dieser Belehrungen sind fehl am Platze: Spanien und Irland hatten vor der Krise Haushaltsüberschüssen und einen niedrigen Schuldenstand.

* Keine große Volkswirtschaft hat sich jemals durch Sparen erholt. Es gibt einige Fälle kleiner Volkswirtschaften, bei denen Exporte die reduzierten Regierungsausgaben kompensierten – aber dazu braucht es starkes Wachstum bei den Exportpartnern, und dies ist unwahrscheinlich, wenn die Weltwirtschaft in der Flaute ist.

* Der ökonomische Rahmen der Eurozone war von Beginn an fehlerhaft. Bei freiem Kapitalverkehr macht es wenig Sinn, seine Anlagen in einer schwachen spanischen Bank zu halten, in dem Wissen, dass die Regierung wenig Kapazitäten hat, diese zu retten, wenn sie in Schwierigkeiten ist, und dass sie unter Druck steht, risikoreiche spanische Staatsanleihen zu kaufen. Doch die Kapitalflucht aus spanischen Banken wird deren Kreditvergabekapazitäten schwächen und den Abschwung verschärfen. Das ist nur einer von mehreren Teufelskreisen, der in das System der Eurozone eingebaut ist.

* Es ist Voodoo-Ökonomie zu meinen, dass die spanischen Banken die spanische Regierung finanzieren und die spanische Regierung die Banken retten kann. Solche sich selbsterzeugenden Kreisläufe sind zum Scheitern verurteilt.

* Es gibt ein praktikables Wachstums- und Stabilitätsprogramm – doch dieses beruht nicht auf Austerität, und es kann sich auch nicht einfach auf Strukturreformen stützen. Es umfasst eine europaweites Bankensystem und einen europaweiten Haushaltsrahmen – aber damit meine ich nicht den selbstmörderischen Austeritätspakt.

* Eurobonds (oder EZB-Kredite und ihre Weiterleitung an die Peripherie) würde diesen Ländern mit ihren Haushaltszwängen mehr Spielraum verschaffen, um mehr Geld zur Stimulierung ihrer Ökonomien auszugeben und die Grundlagen für künftiges Wirtschaftswachstum zu schaffen.

* Sowohl die UN-Kommission zur Untersuchung der Ursachen der Finanzkrise als auch der IWF haben die wachsende Ungleichheit als eines der grundlegenden Probleme hinter der Krise identifiziert. Doch die Art und Weise, in der viele Länder die Krise gemanagt haben, hat die Ungleichheit erhöht und die Erholung geschwächt. So haben Austeritätsprogramme, die die wie die meisten die Ungleichheit verschärfen, gegenteilige Effekte.

* In einer Welt der Globalisierung funktioniert Währungspolitik deutlich anders als in eine geschlossenen Ökonomie. Die Liquidität kann überall hinfließen auf der Suche nach den höchsten Erträgen – oftmals in Länder, die bereits in einem Boom sind. So fließt das Geld dahin, wo es nicht gebraucht wird, und nicht dorthin, wo es gebraucht würde. Das bedeutet, dass auch mit der Währungspolitik – ebenso wie mit den Budgetentscheidungen – große Externalitäten verbunden sind.

* Die zweite Phase der Politik des lockeren Geldes („quantitative easing - QEII“) wurde verschiedentlich als kompetitive Abwertung betrachtet; sie löste einen Währungskrieg aus und führte am Ende zu einer Reihe von Interventionen, die genau die gegenteiligen Konsequenzen hatten, wofür die Amerikaner so lange gearbeitet haben. Sie unterminierte die global integrierten Finanzmärkte.

* Doch bei allen potentiellen negativen Effekten in den Schwellenländern, bei allen Risiken der Blasenbildung und bei aller Bedrohung der Preisstabilität, die der Rohstoffboom mit sich bringt, hat QEII wenig zur Wiederbelebung des Wachstums in den USA beigetragen, wenigstens nicht zu einem nachhaltigen Wachstum. QEIII wird wahrscheinlich nicht erfolgreicher sein, und der Glaube, dass es den Druck auf die Regierungen zu einer effektiven Fiskalpolitik reduziert, wird auch nicht aufgehen.

***

Dies sind die Prinzipien, die die Diskussionen (der G20) leiten sollten. Stattdessen werden die G20-Führer sich auf ihre eigenen Länder und (sofern es sich um Demokratien handelt) auf ihre Wähler fokussieren. Politische Standpunkte und Ideologien werden die Oberhand behalten. Deutschland sieht seine Überschüsse als tugendhaft an, versteht nicht, warum andere seinem Kurs nicht folgen wollen (aber natürlich können per definitionem nicht alle Länder Handelsüberschüsse haben), und wird nicht zugeben, dass Überschüsse zum Mangel an aggregierter globaler Nachfrage beitragen. Großbritannien und Deutschland werden nicht anerkennen, dass die Austeritätspolitik die zentrale Ursache der Double-dip-Rezession in Europa ist. Amerika wird nicht zugeben, dass seine Währungspolitik – bzw. sein unverantwortlicher Mangel an Regulierung – anderen Kosten auferlegt. In einer von konservativen Politikern dominierten Welt wird niemand das Konzept eines ausgeglichenen Budgetmultiplikators auch nur ansprechen, bei dem die Regierungen die Steuern erhöht und durch Geldausgeben die Wirtschaftstätitgkeit stimuliert, und dies oft um eine Vielfaches der zusätzlichen Steuereinnahmen.

So werden die G20-Politiker ihr Treffen mit Sicherheit mit inbrünstigen Verpflichtungen zur Wiederherstellung des globalen Wachstum und zum Haushaltsausgleich beenden, am inbrünstigsten ergeben der Idee, dass die Tugend (die fiskalische Konsolidierung) auf wundersame Weise zu wirtschaftlichem Wachstum führt. Sie – und die Welt – werden schmerzlich enttäuscht werden.

Joseph E. Stiglitz ist Träger des Wirtschaftsnobelpreises und war Chefökonom der Weltbank. Sein neues Buch The Price of Inequality: How Today's Divided Society Endangers our Future erscheint in diesem Monat. Der vorliegende Text wurde der Zeitschrift "Emerging Economies" entnommen.

Veröffentlicht: 19.6.2012

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Stiglitz, Eine alternative Agenda für den G20-Gipfel , in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 19. Juni 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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