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Erfolgsgeschichte gegen die Ökonomen-Logik

Artikel-Nr.: DE20120325-Art.13-2012

Erfolgsgeschichte gegen die Ökonomen-Logik

20 Jahre Fairtrade-Bewegung

Nur im Web – Die Geschichte des fairen Handels („Fairtrade“) ist eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte. Das deutsche Fairtrade-Siegel (vormals: Transfair) wird in diesen Tagen 20 Jahre alt. Die Bewegung begann mit kleinen Initiativen in den 1980er Jahren als Form des Protestes gegen ungerechte Strukturen des Welthandels. Heute fehlen Fairtrade-Produkte in kaum einem Supermarkt. Aus britischer Perspektive kommentiert Robert Skidelsky.

Historisch betrachtet hatte der Begriff “fairer Handel” schon viele Bedeutungen. 1881 wurde in Großbritannien die Liga für fairen Handel gegründet, um Importe aus dem Ausland zu begrenzen. In den Vereinigten Staaten werden Gesetze für “fairen Handel” von Unternehmen und Gewerkschaften dazu verwendet, um, wie es der Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz ausdrückt, “Importe mit Stacheldrahtzäunen abzuwehren”. Mit diesen sog. “Anti-Dumping”-Gesetzen können Unternehmen, die ausländische Rivalen verdächtigen, ein Produkt unter den Herstellungskosten zu verkaufen, beantragen, dass die Regierung gegen diese “unfairen” Wettbewerber spezielle Abgaben verhängt.

* Wie Fairtrade funktioniert

Solche finsteren protektionistischen Gedanken haben die wohlmeinenden Organisatoren der jährlichen britischen “Fairtrade Fortnight” sicher nicht. Dort habe ich gerade zwei Tafeln fair gehandelter Schokolade und ein Glas fair gehandelte Erdnussbutter gekauft. Sie streben an, die Einkünfte der Bauern in den Entwicklungsländern für ihre Produkte zu erhöhen, indem sie die übertriebenen Profite der Zwischenhändler vermeiden, die ihre Güter zu weit entfernten Märkten bringen. Fair gehandelte Produkte wie Kakao, Kaffee, Tee und Bananen stehen nicht in Konkurrenz mit in Europa hergestellten Waren, also steht dahinter kein protektionistisches Motiv.

Es funktioniert so: Landwirtschaftliche Kooperativen in armen Ländern, die “vereinbarte Arbeits- und Umweltstandards” einhalten (Mindestlöhne, keine Pestizide), erhalten für ihre Produkte ein Fairtrade-Siegel, das von einer Kontrollorganisation ausgestellt wird. Diese Zertifizierung ermöglicht es Supermärkten und anderen Einzelhändlern, für die Produkte einen höheren Preis zu erzielen. Bauern in der dritten Welt verdienen mehr, und Konsumenten der ersten Welt fühlen sich gut: eine perfekte Kombination.

Die Fairtrade-Bewegung wurde in den 1980ern gegründet und ist seitdem schnell gewachsen. Einen Durchbruch erzielte sie 1997, als das britische Unterhaus entschied, nur noch fair gehandelten Kaffee zu verwenden. Ende 2007 verkauften über 600 Produzenten und Organisationen fair gehandelte Produkte, die ihre Waren von 1,4 Millionen Bauern aus 58 Ländern bezogen. Heute haben ein Viertel aller in Großbritanniens Supermärkten verkauften Bananen ein Fairtrade-Siegel. Aber solche Produkte haben insgesamt immer noch einen sehr kleinen Marktanteil – meist weniger als 1% – des globalen Umsatzes von Kakao, Tee, Kaffee usw.

* Terms of Trade und Einkommensfluktuation

Der wirtschaftliche Zweck von Garantiepreisen ist bekannt: Eine Stabilisierung der Preise für Grundnahrungsmittel, die sonst stark schwanken würden, sorgt für ein sicheres Einkommen der Erzeuger. Deshalb wurde beispielsweise 1942 von John Maynard Keynes vorgeschlagen, für die Grundnahrungsmittel Ausgleichslager, sog. buffer stocks, anzulegen, die bei fallenden Preisen Nachfrage vom Markt nehmen und bei steigenden Preisen das Angebot erhöhen können. Keynes’ Vorschlag wurde nicht in das Bretton-Woods-Abkommen von 1944 aufgenommen, und auch, als solche Pläne in den 1970er Jahren wieder aufgenommen wurden, konnten sie sich nicht durchsetzen.

Linke Ökonomen wie Raúl Prebisch haben später die Theorie der “fallenden Terms of Trade” für Primärprodukte entwickelt. Sie besagt, dass deren Preise langfristig gegenüber den Preisen von Industrieerzeugnissen fallen. Mitte der 1980er Jahre, als sich die Erzeuger einem ständigen Preisverfall ausgesetzt sahen, schien dieser Trend überdeutlich. Zusätzlich waren die Preisschwankungen damals sehr hoch, was schlimme Auswirkungen auf die afrikanischen Länder südlich der Sahara und andere Entwicklungsländer hatte, die weitgehend von Exporteinkünften aus Lebensmitteln abhängig waren.

Seither hat sich der Preisverfall allerdings umgekehrt. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind seit 2001 um 150% gestiegen. Dadurch hat sich auch unabhängig von den Bemühungen um fairen Handel das Einkommen der Bauern erhöht. Das Argument der “fallenden Terms of Trade” brach in sich zusammen.

Aber die Preise von Primärerzeugnissen schwanken weiterhin viel stärker als die von Industrieprodukten und Dienstleistungen, was zu großen Fluktuationen beim Einkommen der Produzenten führt. Dadurch werden die Effekte von Auf- und Abschwüngen verstärkt. Also ist das Thema der Preisstabilisierung immer noch aktuell.

Die Bewegung für fairen Handel kann kaum zur Lösung dieses Problems beitragen, da die einzige sinnvolle Politik zur Stabilisierung der Erzeugereinkommen in der Steuerung des Angebots besteht. Dies aber liegt jenseits der Möglichkeiten des fairen Handels.

* Die Argumente der Freihandelsapostel

Alle Arten von fairem Handel wenden sich gegen den “Freihandel”, und die gefährlichsten Angriffe gegen Fairtrade kamen von Befürwortern des Freihandels. In Unfair Trade, einer 2008 vom Adam-Smith-Institute herausgegebenen Schrift, behauptet Mark Sidwell, Fairtrade halte wettbewerbsunfähige Bauern auf ihrem Land fest und verhindere Diversifikation und Mechanisierung. Sidwell zufolge verwandelt das Fairtrade-Programm Entwicklungsländer in wenig profitable, arbeitsintensive Agrarghettos und verstellt zukünftigen Generationen die Chance auf ein besseres Leben.

Dabei sei noch nicht der Effekt berücksichtigt, den FAIRTRADE auf die Ärmsten in diesen Ländern habe – nicht auf Bauern, sondern auf Landarbeiter – die aufgrund teurer Regulierungen und Arbeitsstandards vom Programm ausgeschlossen sind. Anders ausgedrückt, schütze Fairtrade Landwirte gegen ihre Konkurrenz und gegen andere Landarbeiter.

Auch die Konsumenten würden betrogen, schreibt Sidwell. Nur ein kleiner Anteil von etwa 1% des Preisaufschlags, den wir für eine Tafel Fairtrade-Schokolade bezahlen, finde tatsächlich seinen Weg zum Kakaoproduzenten. Auch sei Fairtrade nicht notwendigerweise eine Garantie für Qualität: Da die Produzenten für fair gehandelte Produkte einen Mindestpreis bekämen, würden sie den besten Teil ihrer Ernte auf dem freien Markt verkaufen.

* Moment des Protestes

Doch trotz solcher ökonomischer Zweifel sollten wir die Fairtrade-Bewegung nicht gering schätzen. Auch wenn Zyniker behaupten, dass sie nur dazu da sei, Konsumenten beim Kauf ein besseres Gefühl zu verschaffen – ähnlich dem Ablasshandel der katholischen Kirche – wird dies dem fairen Handel nicht gerecht. Vielmehr ist die Bewegung ein Funken des Protests gegen gedankenlosen Konsum, ein Basiswiderstand gegen eine unpersönliche Logik und ein Ausdruck gemeinschaftlichen Handelns.

Diese Rechtfertigung wird Ökonomen, die eine trockenere Art der Argumentation bevorzugen, nicht überzeugen. Aber wir sollten uns daran erinnern, dass wir es Wirtschaftswissenschaftlern und Bürokraten nicht immer recht machen müssen.

© Project Syndicate

Robert Skidelsky, Professor (em.) für Politische Ökonomie an der Warwick University und Mitglied der British Academy, ist aktives Mitglied des Britischen Oberhauses.

Veröffentlicht: 25.3.2012

Empfohlene Zitierweise: Robert Skidelsky, Erfolgsgeschichte gegen die Ökonomen-Logik, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 25. März 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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