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Plus-20-Rituale oder: Rückschritt um zwei Dekaden?

Artikel-Nr.: DE20120715-Art.36-2012

Plus-20-Rituale oder: Rückschritt um zwei Dekaden?

Neue Weltfrauenkonferenz angekündigt

Vorab im Web - Rio+20 war erst der Anfang. Es folgen Wien+20, Kairo+20, Kopenhagen+20 und Peking+20. Gleichzeitig hat Rio+20 gezeigt, dass der UN-Multilateralismus ebenso in der Krise steckt wie die „Partnerschaft“ zwischen den Regierungen und der Zivilgesellschaft. Trotzdem schlägt UN-Generalsekretär Ban Ki-moon eine 5. Weltfrauenkonferenz vor – statt Peking+20. Wie passt das zusammen, fragt Christa Wichterich.

Im März stifteten zwei UN-Ereignisse Verwirrung in der internationalen Frauenszene: Am 8. März, dem internationalen Frauentag, schlugen Generalsekretär Ban Ki-moon und der Präsident der UN-Generalversammlung, Nassir Abdulziz Al-Nasser aus Katar, eine 5. Weltfrauenkonferenz (WFK) im Jahr 2015 vor. Der Vorschlag war ein Überraschungscoup, denn weder internationale Frauennetzwerke noch UN Women, die neue zentralisierte Fraueninstitution bei den Vereinten Nationen, waren konsultiert worden. Nun soll die Generalversammlung im kommenden September den Vorschlag diskutieren.

* Frauenrechte als umkämpftes Terrain

Wenige Tage später endete die 56. UN-Frauenrechtskommission (FRK) in New York nach drei- (statt der üblichen zwei-)wöchigen Verhandlungen ohne gemeinsames Abschlussdokument. Nicht einmal ein Minimalkonsens war möglich. Auffällig geworden war diese FRK durch ungewöhnlich viele und lange „informelle“ Sitzungen, bei denen NGOs draußen vor der Tür bleiben. Das heißt, sie bekommen nicht mit, wer sich gegen Frauenrechte ausspricht und wie sich die eigenen Regierungen positionieren. Auch UN Women spielte keine vermittelnde Rolle. Die Ergebnislosigkeit der 56.FRK war somit in doppelter Hinsicht ein Rückschlag: für die Umsetzung von Frauenrechten und die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Kräfte.

Der norwegische UN-Botschafter Morten Wetland ließ als einziger Regierungsvertreter durchblicken, dass hinter verschlossenen Türen „religiöse, kulturelle und moralische Werte“ beschworen wurden, um Frauenrechte zu blockieren. Im Klartext: Konservative und fundamentalistische Staaten mit katholischem, evangelikalem und islamistischem Hintergrund leisteten wieder einmal erbitterten Widerstand gegen sexuelle und reproduktive Frauenrechte.

Diese „unheilige Allianz“, die keine Staatengemeinschaft, sondern ein disparates, aber strategisches Kräftefeld auf der Grundlage von Werten ist, teilt zweierlei: Emanzipationsfeindlichkeit und ein Interesse an der Stabilisierung der heterosexuellen Familie. Wo und wann auch immer über Geschlechter diskutiert wird, versucht sie das Rad zurückzudrehen und die in den 1990er Jahren festgeschriebenen Rechte aufzuweichen und auszuhöhlen. Dieses Kräftefeld verbreiterte und verhärtete sich in den vergangenen Jahren und baut Macht durch Blockade der Verhandlungen auf. Seitdem geht ein Gespenst um in den UN-Hallen: eine Neuverhandlung des Textes.

Kürzlich lehnten Frauenorganisationen die viel kritisierte Erklärung der Rio+20-Konferenz u.a. auch ab, weil sie keinen Hinweis auf reproduktive und sexuelle Rechte enthielt. Diese – so die Position etlicher Regierungen – hätten nichts mit Entwicklung zu tun. Stattdessen lebt der alte („Über“-)Bevölkerungsdiskurs wieder auf. Aus Frauenrechtsperspektive ist dies ein Rückschritt um zwei Jahrzehnte.

* Die UN als Global-Governance-Regime für Geschlechtergleichheit

Was könnte also in dieser festgefahrenen Situation eine 5. Weltfrauenkonferenz ausrichten? Und wie sollte Peking+20, eine Bilanz oder Fortschreibung der 4.Weltfrauenkonferenz 1995, am sinnvollsten begangen werden? Bei der krisenbedingten Mittelknappheit in vielen Ländern stellt sich die Frage von Aufwand und Ertrag eines solchen Großereignisses einmal mehr. Zudem ist 2015 bereits ein überfrachtetes Datum bei den UN, weil dies der Auslauftermin der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) ist und der Startschuss für die Nachfolgeziele SDGs (Nachhaltige Entwicklungsziele) fallen soll (W&E 06-07/2012).

Die Vereinten Nationen als supranationale Instanz zur normativen Festschreibung und zur Umsetzung von Menschenrechten waren für Frauen stets von herausragender Bedeutung. Von den UN sollten sowohl für die nationale Politik- und Rechtsebene als auch für andere Global-Governance-Regime Impulse in Sachen Geschlechtergleichheit ausgehen.

Der Durchbruch war 1992 bei der ersten Rio-Konferenz die Anerkennung von Frauen als zentrale Akteurinnen für Entwicklung und Nachhaltigkeit. Es folgte als entscheidender Schritt die Ächtung von Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung – Gewalt in der Familie, Genitalverstümmelung, die sog. „Ehrenmorde“ - und die Anerkennung von reproduktiven und sexuellen Rechten. Nur über Resolutionen des UN-Sicherheitsrats war es möglich, dass der Internationale Gerichtshof in Den Haag Vergewaltigung als Kriegsverbrechen verfolgt.

Andere multilaterale Instanzen und Global-Governance-Regime wiesen die umfassenden Rechtsansprüche von Frauen zurück. Die Weltbank beschäftigt sich lediglich mit Marktrechten, die Welthandelsorganisationen erklärte sich nicht zuständig für Menschenrechte.

Wie die Rio-Konferenz von 1992, so wird auch die 4.Weltfrauenkonferenz in Peking längst als legendär beweihräuchert und die Aktionsplattform, das Abschlussdokument, in einen Glorienschein gehüllt. Vergessen sind die Konflikte von 1995 und die heftige Kritik an der Aktionsplattform. Stärker noch als die Agenda 21 von Rio blieb nämlich der Gleichheits- und Empowerment-Ansatz der Aktionsplattform systemimmanent und mit dem technischen Gender-Mainstreaming stark institutionenfixiert. Trotzdem – wie Rio anno 1992 – war Peking 1995 ein Meilenstein in der Geschichte von Frauenrechten.

* Vorwärts in die Vergangenheit?

Einige Jahre sah es so aus, als würde jede UN-Konferenz wenn auch keinen Galopp, so doch ein paar Schritte vorwärts auf einer linearen Fortschrittslinie bringen. Im vergangenen Jahrzehnt wurde das Thema Frauenrechte jedoch nicht nur durch den konservativen Widerstand blockiert, sondern auch in der Themenhierarchie der UN abgewertet. Das Verhältnis zwischen Regierungen und NGOs bei den UN war ein Tango von Attraktion und Repulsion, ein Zick-Zack von Exklusion und Inklusion, ein ständiges Gerangel um Kooperation und Kooptation. Jedenfalls mussten die Zugänge zu Monitoring und Konsultation immer neu erkämpft werden.

Trotz der Widerstände und Rückschläge gab es in der Frauenszene immer Stimmen und kürzlich sogar eine Kampagne, die eine weitere Weltfrauenkonferenz forderten. Junge Frauen bestehen darauf, dass jede Generation ein Recht auf solch ein Mega-Event hat, und hoffen auf eine Erneuerung der wunderbaren Freundschaft zwischen Regierungen und Zivilgesellschaft.

Dagegen fürchten Frauenrechtlerinnen von Marokko bis Syrien, dass islamische Kräfte aus ihren Ländern die konservative Phalanx bei den UN verstärken werden und eine neue Weltfrauenkonferenz das Erreichte aushebeln könnte. In Tunesien spielt der politische Islam nach der Revolution die Geschlechterkarte, um davon abzulenken, dass er keine Antworten auf die brennenden ökonomischen und sozialen Probleme im Land hat.

AWID (Association for Women`s Rights in Development), das derzeit stärkste Frauennetzwerk in der immer weiter ausdifferenzierten zivilgesellschaftlichen Landschaft, blogged transnational über eine 5. WFK. Seit langem werden neue Formen internationaler Treffen und Foren oder eine Refokussierung auf regionale und kontinentale Konferenzen gefordert. Aus Furcht vor dem konservativen Block ist die zentrale Frage: Wie könnte ein UN-Event ohne Konsensdokument im UN-Format aussehen? Wie kann mehr politischer Wille und Handlungsstärke der Regierungen mobilisiert werden? Bisher ist UN Women ebenso ratlos wie die Frauennetzwerke.

Ban Ki-moons Vorschlag eines neuen Großereignisses in Zeiten des Bedeutungs- und Glaubwürdigkeitsverlust der UN signalisiert demonstrativ Handlungsbereitschaft. Er legitimiert die UN als normsetzende Instanz – wenigstens auf einem politischen Nebenschauplatz. Ob damit allerdings Geschlechtergleichheit vorangebracht wird, ist zu bezweifeln.

Dr. Christa Wichterich ist Publizistin und Gutachterin und Mitherausgeberin von W&E.

Veröffentlicht: 15.7.2012

Empfohlene Zitierweise:
Christa Wichterich, Plus-20-Rituale oder: Rückschritt um zwei Dekaden? Neue Weltfrauenkonferenz angekündigt, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 15. Juli 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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