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Anti-Kohle-Kämpfe und Klimapolitik

Artikel-Nr.: DE20140706-Art.23-2014

Anti-Kohle-Kämpfe und Klimapolitik

Allein es fehlt die Bewegung

Vorab im Web - Vernetzung zum Thema Kohleausstieg scheint „en vogue“. Für August 2014 ist eine Menschenkette im Lausitzer Tagebaugebiet geplant. Eine Neuheit ist das jedoch nicht. Inwieweit unterscheiden sich gegenwärtige Initiativen qualitativ von bisherigen, mit welchen Herausforderungen sind sie konfrontiert, und welche strategischen Perspektiven können formuliert werden, fragen Philip Bedall und Laura Weis.

Seit Frühjahr 2013 zielt eine Vielzahl von Initiativen auf die Zusammenführung von Verbänden, Organisationen und BewegungsaktivistInnen zum Themenkomplex „Kohleausstieg“. Nach dem Atomausstieg wird die Frage nach der Nutzung der Kohlekraft von vielen Umweltbewegten als der zentrale Konfliktstrang bei den Auseinandersetzungen um die Energiewende begriffen.

● Initiativen heute und gestern

Auf globaler Ebene versucht das Projekt „Global Power Shift“ – angestoßen von der Organisation 350.org – seit Sommer 2013 Aktive aus zahlreichen Ländern zusammenzubringen und nationale Energiewende-Prozesse anzutreiben, die vielfach auf einen Kohleausstieg fokussieren. Im bundesdeutschen Kontext zielen breit aufgestellte Vernetzungstreffen auf Strategiedebatten zum Kohlethema: angestoßen von Power Shift Germany im August 2013, der DUH, ECF, Brot für die Welt u.a. im Juni 2014 sowie der Böll-Stiftung u.a. im selben Monat. Initiiert von Greenpeace organisieren mehrere große Verbände gemeinsam mit lokalen Initiativen eine für August 2014 geplante Menschenkette im Lausitzer Tagebaugebiet.

Initiativen gegen Kohlekraft sind jedoch keine Neuheit. Bereits im Jahr 2007 zeigte sich im zivilgesellschaftlichen Feld ein Auftrieb des Kohle-Themas. Infolge der Planungen zum Neubau von bundesweit über 30 Kohlekraftwerken regte sich vielerorts lokaler Protest. Es kam zur Gründung zahlreicher Bürgerinitiativen, die Schützenhilfe aus Wissenschaft und Politik erhielten. Seit 2009 wuchs darüber hinaus im Umfeld der jährlichen sog. Klimacamps im Rheinland und in der Lausitz eine neue Generation von Basis-AktivistInnen heran, die den Kohleausstieg zum Top-Thema ihrer Agenda machten. Mit der Besetzung von Kohletransportwegen, Tagebauerweiterungsflächen (wie dem Hambacher Forst) oder Kletteraktionen an Kraftwerken erweiterten sie Anti-Kohle-Kämpfe um die Protestform des zivilen Ungehorsam. Manch einer, so auch die taz, munkelte bereits Ende 2007 von der Anti-Kohle-Bewegung als den „Erben der Anti-Akw-Bewegung“.

Im Rückblick ist jedoch deutliche Skepsis gegenüber der damals vorgebrachten These vom „Beginn einer bundesweiten Bewegung“ (Karsten Smid, Greenpeace) angebracht. Zwar bekamen lokale Initiativen ab 2008 mit der Einrichtung der Anti-Kohle-Kampagne der Klima-Allianz Unterstützung aus dem NGO-Spektrum. Die Vernetzung der lokalen Proteste wurde so institutionalisiert und gestärkt. Doch eine breite gesellschaftliche Mobilisierung gegen die Nutzung von Kohlekraft blieb aus. Obwohl zahlreiche NGOs im Rahmen ihrer Mitgliedschaft bei der Klima-Allianz deren Kampagnenprotest gegen Kraftwerksneubauten mittrugen, blieb der klimapolitische Schwerpunkt der einzelnen Mitgliedsorganisationen bislang zumeist auf die internationalen Verhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen gerichtet. Eigenständige Kampagnen zu Kohlekraft – bspw. eine Kritik an Bestandskraftwerken und der Rolle der Kohlekraft im Energiewende-Projekt – blieben in der Zeit von 2007 bis 2013 unter den großen Umwelt- und Entwicklungsverbänden eine Seltenheit.

● Neue Strategien, neue Akteure, neue Bündnisse

In den aktuellen Initiativen zu Austausch und Vernetzung zeigt sich hingegen eine neuartige Qualität. Sie erfolgt im Kontext einer tendenziellen Fokusverschiebung in der NGO-Landschaft, weg von der internationalen Klimapolitik, hin zu lokalen bzw. nationalen Kampagnen. So nimmt bspw. Greenpeace mit der Kampagne „Save the arctic“ lokale Kämpfe um Ressourcenausbeutung in den Blick, die klimapolitisch hochrelevant sind. Auch der WWF verstärkt seine lokalen Aktivitäten mit der Kampagne „Seize your power“.

Die verstärkte Zuwendung entwicklungspolitischer Organisationen – wie Brot für die Welt oder Misereor – zum Thema Kohle kann als weitere neue Entwicklung gesehen werden. Zudem kommt es erstmals zu einer breit angelegten Vernetzung zwischen zwei bislang größtenteils getrennt voneinander agierenden Akteursgruppen: dem („professionellen“) NGO-Spektrum und (ehrenamtlich arbeitenden) AktivistInnen aus der Klimabewegung.

Gesellschaftliches Grundrauschen?

Ob es gelingt, den Impuls, der mit den gegenwärtigen Vernetzungsinitiativen ausgelöst wurde, weiterzugeben und produktiv zu nutzen, bleibt offen. Diese Frage entscheidet sich zum einen daran, ob es gelingt, die derzeit aufscheinenden zarten Triebe einer Anti-Kohle-„Bewegung“, in die Breite wachsen zu lassen (Stichwort: »movement building«). Zum anderen entscheidet sie sich daran, ob zivilgesellschaftliche Aktivitäten, soweit sie denn aus der Vernetzung hervorgehen, in klimapolitischer Hinsicht Erfolge erzielen.

Eine, wenn nicht „die“ zentrale Voraussetzung (die „Bedingung der Möglichkeit“) um Kontinuität und Erfolge zu erlangen ist es, das gesellschaftliche Grundrauschen zum Thema Kohleausstieg aufrechtzuerhalten. Eine Herausforderung besteht dabei darin, weitere gesellschaftliche Gruppierungen für das Thema zu gewinnen. Gewerkschaften stehen so zum Beispiel nach wie vor mehrheitlich auf Seite der Kohlebefürworter. Eine weitere spannende Frage ist, ob und inwieweit sich Akteure aus verschiedenen politischen Kulturen (z.B. NGOs, Klimabewegung) in Zukunft trotz unterschiedlicher Aktions- und Organisationsformen als Teil einer Bewegung verstehen und dies auch nach außen kommunizieren. Noch im Sommer 2013 unterschied RWE in einer Propagandabroschüre anlässlich des Klimacamps zwischen „guten“ Kohleprotesten der Klimaallianz und den „bösen“ KlimacamperInnen.

● Weitere Perspektiven und Strategien

Trotz der Erkenntnis der Dringlichkeit eines Kohleausstiegs scheint einigen Organisationen die Besetzung des Themas dennoch fragwürdig: Im Gegensatz zum Eisbär Knut ließen sich eigene Mitglieder für das Thema Kohle kaum begeistern. Auch finanziell würden sich Kohle-Kampagnen nicht tragen, da Spenden ausblieben. Wie also vor dem Hintergrund dieses scheinbar unauflösbaren Dilemmas ein gesellschaftliches Grundrauschen zum Kohleausstieg erzeugen? Ein Schlüssel liegt im Kampagnen-Framing. Wo Kohle nicht zieht, ist es vielleicht ein bedrohtes Korallenriff oder die eigene Gesundheit.

Mit dem strategischen Forcieren einer Vielzahl von Contra-Kohle-Narrativen kann zugleich die diskursive Delegitimierung der Kohlekraft befeuert werden. Kohleverstromung ist eben nicht nur „klimaschädlich“, sondern zugleich „ökologisch unverträglich“, „gesundheitsschädlich“ und „sozial ungerecht“ – global wie lokal (siehe neokolonialer Ressourcenextraktivismus oder die Zerstörung von Gemeinschaften durch Tagebaue).

Entsprechende kontinuierliche Interventionen in die öffentliche Debatte lassen das Terrain der politischen Auseinandersetzung nicht unbeeinflusst. Sie schaffen im Idealfall ein Klima für Veränderung. Zugleich bieten sie bislang nicht involvierten Akteuren Anknüpfungspunkte an die Anti-Kohle-Bewegung. Eine Besetzung des Kohlethemas als reines Ökothema wäre insofern nicht nur ein Rückschritt gegenüber bewegungspolitischen Debatten der letzten Jahre (sei es bspw. im Rahmen des Berliner Energietischs: „100% erneuerbar = 100% demokratisch“). Sie wäre auch strategisch kurzsichtig.

In der Bundesrepublik ist die Kohleverstromung der bedeutendste Emittent klimaschädigender Treibhausgase. Die Verkürzung der Lebensdauer von Kohlekraftwerken in Deutschland anhand ordnungsrechtlicher Maßnahmen könnte „einen erheblichen Beitrag“ dazu leisten, das Ziel der Bundesregierung zu erreichen, bis zum Jahr 2020 die deutschen CO2-Emissionen um 40% zu reduzieren. Während die internationalen Klimaverhandlungen festgefahren sind und es dort bislang nicht gelungen ist, das Instrument des Emissionshandels zu stärken, bleibt das Thema Kohleausstieg auf nationaler, bundesdeutscher Ebene gegenwärtig ein konkreter Ansatzpunkt um klimapolitisch relevante Erfolge zu erzielen. Die Energiepolitik in Deutschland ist in Bewegung, doch die Bewegung fehlt. Es wäre eine vertane Chance, wenn das so bliebe.

Philip Bedall und Laura Weis sind Umweltwissenschaftler in Berlin. Für hilfreiche Kommentare zu diesem Text danken sie Sebastian Rötters.

Posted: 6.7.2014

Empfohlene Zitierweise:
Philip Bedall/Laura Weiss, Anti-Kohle-Kämpfe und Zivilgesellschaft: Allein es fehlt die Bewegung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 6. Juli 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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