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Aufschwung inmitten einer Welt der Risiken?

Artikel-Nr.: DE20140116-Art.03-2014

Aufschwung inmitten einer Welt der Risiken?

Die Weltwirtschaft im Jahr 2014

Vorab im Web – Gewiss – die Prognosen haben sich zum Jahreswechsel etwas aufgehellt. Selbst die gewöhnlich skeptischen Ökonomen der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (DESA) sehen jetzt deutliche Anzeichen für eine Verbesserung der weltwirtschaftlichen Lage im Jahr 2014. Doch für Selbstzufriedenheit besteht kein Anlass: Während die letzte Krise noch kaum überwunden ist, zeichnen sich die neuen Risikopotentiale bereits ab, schreibt Rainer Falk.

Der neue UN-Bericht „World Economic Situation and Prospects“ (WESP; s. Hinweis) erwartet für die Weltwirtschaft ein Wachstum von 3% in 2014 und 3,3% in 2015, verglichen mit geschätzten 2,1 für 2013. Nach der gedämpften ökonomischen Entwicklung der letzten beiden Jahre ließen sich gegen Ende 2013 Verbesserungen erkennen, die eine Korrektur der Wachstumsprognosen nach oben zulassen. An erster Stelle sehen die UN-Ökonomen Anzeichen für eine expansivere Entwicklung in den USA, wo die Risiken der restriktiven Fiskalpolitik und die Gefahr einer Staatspleite umschifft werden konnten, nicht zuletzt dank der lockeren Geldpolitik der Zentralbank FED, die nur sehr vorsichtig und allmählich zurückgefahren werden dürfte.

● Von der Finanzkrise zur „Großen Malaise“

Auch in Europa ist die hartnäckige Rezession im zweiten Quartal des letzten Jahres zu Ende gegangen, wenngleich vor allem wegen einer starken und einseitig Deutschland geschuldeten Exportentwicklung, während die Binnennachfrage große Schwächen aufweist und die Krise in den südlichen Euroländern keineswegs überwunden ist. Positiv für die weltwirtschaftliche Entwicklung insgesamt dürften auch das expansive Konjunkturprogramm Japans und der Umstand zu Buche schlagen, dass in den Schwellenländern die Verlangsamung der Expansion zumindest vorerst gestoppt werden konnte. Damit sind der positiven Faktoren aber auch schon genug genannt.

Selbst wenn die Weltwirtschaft zu ihrem langfristigen Trendwachstum zurückkehren sollte, wie Deutsche Bank Research hofft, bleiben die alten Risiken, und neue zeichnen sich ab. Der Absturz aus der globalen Finanzkrise in eine zweite Große Depression konnte zwar verhindert werden, nicht aber eine Große Rezession, welche uns eine „Große Malaise“ (Joseph Stiglitz) hinterlassen hat. Nirgendwo zeigt sich dies deutlicher als in Verschlechterung der Einkommensverteilung und in der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit, die sich langsam aber sicher zu einer strukturellen Massenarbeitslosigkeit verfestigt.

Zwar ist die Arbeitslosigkeit regional unterschiedlich hoch. Sie variiert zwischen 3% in einigen südostasiatischen Schwellenländern und Rekordwerten von rund 27% in südlichen Euroländern wie Griechenland und Spanien. Doch selbst in den USA, wo die Arbeitslosigkeit von dem Spitzenwert 10% (2010) auf 7% zurückgegangen ist, liegt sie historisch gesehen immer noch hoch. 2014 mag der Wendepunkt zu höherem Wachstum sein, doch vielerorts wird das Thema „jobless growth“ („Wachstum ohne Arbeitsplätze“) wie nach dem tiefen Einbruch nach der Krise 1974/75 noch für lange Zeit die Debatten beherrschen. Besonders dramatisch ist überall der hohe Anteil der Jugendarbeitslosigkeit, was die Zukunftsaussichten besonders eindunkelt.

● Neue und alte Risikofaktoren

Hinzu kommt, dass der Aufschwung im Schatten neuer und alter Risikofaktoren stattfindet und damit fragil bleibt. Die Geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, hofft nach „sieben schwachen Jahren“ nun auf „sieben starke Jahre“ in der Weltwirtschaft, doch dies mindert nicht die Gefahren. Drei stechen besonders ins Auge:

* Deflationsgefahr: In den traditionellen Zentren liegt die Inflationsrate jetzt deutlich unter den von den Zentralbanken als ideal angesehenen 2% - in der Eurozone lag sie im letzten Dezember sogar bei nur 0,8%. Lagarde selbst hat deshalb kürzlich als erste hochrangige Finanzfunktionärin offiziell vor einer Deflation gewarnt, die vor allem Europa eine lange Phase wirtschaftlicher Stagnation nach japanischem Vorbild bescheren könnte.

* Risikofaktor Tapering: Zwar ist mit dem Amtsantritt der neuen FED-Chefin Yellen mehr Vorsicht beim Zurückfahren der lockeren Geldpolitik („tapering“) der USA wahrscheinlicher geworden. Aber allein die Ankündigung einer baldigen Beendigung des „Quantitative Easing“ im letzten Sommer hat zu Schockwellen in wichtigen Schwellenländern geführt – ein Vorgeschmack darauf, was ihnen blühen könnten, wenn es zu einem plötzlichen Versiegen oder einer Umkehr der externen Finanzzuflüsse kommen sollte. Die Weltbank, die ansonsten in ihren neuen „Global Economic Prospects“ (s. Hinweis) konjunkturpolitischen Optimismus versprüht, hat jetzt die Zahl der „Fragile Five“ auf acht erhöht – das sind jene aufstrebenden Ökonomien, bei denen das Verhältnis zwischen eigenen Reserven und dem Kapitalbedarf von außen besonders prekär ist (Türkei, Chile, Indonesien, Indien, Südafrika, Ungarn, Brasilien und Polen).

* Rückkehr der Schuldenkrise? Viele Beobachter gehen davon aus, dass die nächste Finanzkrise nicht in den Industrieländern, sondern wieder im Süden des Globus ausbrechen wird. Zwar haben viele Länder nach den Erfahrungen der Asienkrise Ende des letzten Jahrhunderts beachtliche Schutzpotentiale in Form von Währungsreserven aufgebaut. Aber der Anteil der in US-Dollar denominierten Auslandsschulden, der in den 1980er und 90er Jahren bei rund 80% lag, beläuft sich immer noch auf durchschnittlich 46%. Ein weiterer Anstieg des Dollarkurses könnte deshalb den Schuldendienst in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern beträchtlich verteuern – der klassische Zusammenhang, der auch die Schuldenkrise 1982 oder die mexikanische Pesokrise 1994 zum Ausbruch brachte.

● Langfristige Probleme

Zu diesen besonderen Krisenfaktoren kommen ungelöste alte und langfristige Probleme. Die staatliche Austeritätspolitik ist unter dem Druck der jüngsten Finanzkrise zu einer nahezu globalen Pandemie geworden. In einer Studie (s. Hinweis) weist der in Hamburg ansässige World Future Council jetzt darauf hin, dass sich der Wert der infolge der öffentlichen Sparpolitik weltweit verlorenen Produktion auf 2,3 Billionen Dollar pro Jahr beläuft; in der Eurozone sind es allein 580 Mrd. € - das Dreifache des Bruttoinlandsprodukts von Portugal. Viele der laut ILO 200 Millionen weltweit Arbeitslosen könnten mit sinnvoller, nachhaltiger Produktion beauftragt werden. Stattdessen nehmen Einkommensarmut und soziale Spaltung drastisch zu.

Interessanterweise sieht selbst das Davoser World Economic Forum in seinem neuesten „Global Risks Report“ (s. Hinweis) die um sich greifende Einkommensungleichheit als das größte Risiko an, mit dem sich die Welt in diesem Jahr konfrontiert sieht. Unter den fünf größten Risiken sind demnach mit der Ungleichheit und Arbeitslosigkeit zwei ökonomische Risiken, mit extremen Wettereignissen und dem Klimawandel zwei ökologische und potentiellen Cyberattacken ein technologisches Risiko. Wohlfeile Erkenntnisse fürwahr. Doch wahrscheinlich bleiben diese ebenso konsequenzenlos wie die erstaunliche Kapitalismuskritik des neuen Papstes.

Hinweise:
* Matthias Kroll: Die Kosten der Austeritätspolitik. Eine Erfassung der weltweit vergeudeten produktiven Ressourcen, World Future Council: Hamburg, Januar 2014. Bezug: über www.worldfuturecouncil.org
* UN-DESA: World Economic Situation and Prospects 2014, United Nations: New York 2014. Bezug: über www.un.org/en/development/desa/
* World Economic Forum: Insight Report. Global Risks 2014, 9th edition, Geneva 2014. Bezug: über www.weforum.org
* The World Bank: Global Economic Prospects: Coping with policy normalization in high-income countries, Washington DC 2014. Bezug: über www.worldbank.org
Veröffentlicht: 16.1.2014

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, Aufschwung inmitten einer Welt der Risiken?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 16. Januar 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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