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Der Fall Ebola

Artikel-Nr.: DE20141029-Art.35-2014

Der Fall Ebola

Gesundheitskrisen in Zeiten des Neoliberalismus

Vorab im Web – Seit Ebola zum ersten Mal in einem US-amerikanischen Krankenhaus von Mensch zu Mensch übertragen wurde, führt der jüngste Ausbruch des Virus in Westafrika, der im Dezember 2013 begann, zu auch von den Medien befeuerten Ängsten vor einer weltweiten Ausbreitung der Seuche. Trotz dieser Sorgen spielt die brutale Wirklichkeit des Ausbruchs in Westafrika in diesem globalen Mediendrama nur eine nachgeordnete Rolle, wie Kai Mosebach beobachtet.

Jedoch verdeutlicht der Fall Ebola, der nach Ernstfall-Szenarien auf Basis neuester Daten eine globale Krise der öffentlichen Gesundheit auslösen könnte, die Kehrseite einer Globalisierung unter neoliberalen Vorzeichen.

Der Ausbruch von Ebola 2014: Anders als früher

Der Ausbruch 2013/2014, der vor allem Liberia, Sierra Leone und Guinea traf, unterscheidet sich von früheren Ausbrüchen des Ebola-Virus. Nach Angaben des US-amerikanischen Center for Disease Control and Prevention (CDC, Atlanta/Georgia) handelt es sich um den größten Ausbruch aller Zeiten. Neuesten Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge sind zum 27. Oktober 2014 offiziell 13 676 bestätigte, wahrscheinliche und vermutete Erkrankungen registriert (dies entspricht einer Steigerung von 3 792 zusätzlich kalkulierten Fällen im Vergleich zum letzten Lagebericht vom 22.10.2014). In 4910 Fällen führten sie zum Tode, was einer angepassten Letalitätsrate von ca. 36% entspricht (im letzten Bericht vom 22.10.2014 wurde aufgrund geringerer Fallzahlen noch von einer Letalitätsrate von knapp 50% ausgegangen). Der letzte große Ausbruch in den vergangenen 15 Jahren fand in 2007 in einer abgelegenen Gegend der Kasai Occidental Province der Demokratischen Republik Kongo statt. Damals wurden 249 Fälle gezählt bei 183 Toten. Im August 2014 war dieses Land erneut betroffen, allerdings in einer anderen Provinz und ohne Zusammenhang mit der Epidemie in Westafrika.

Die Vorgänge in Westafrika haben auch zu der intensivsten Verbreitung des Ebola-Virus durch den internationalen Reiseverkehr und die Rückkehr von Gesundheitsarbeitern aus den betroffenen Gebieten geführt. Nicht nur die Vereinigten Staaten von Amerika sind betroffen und haben sogar örtliche Übertragungswege entwickelt (Dallas). Gleiches gilt insbesondere Nigeria (Port Harcourt/Lagos), Spanien (Madrid) und jüngst auch Mali. Auch wurde ein Fall im Senegal (Dakar) dokumentiert. Soweit man dies zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung sagen kann, scheinen diese Einzelfall-Länder in der Lage zu sein, eine weitere örtliche Verbreitung des Ebola-Virus erfolgreich einzudämmen. Nigeria wurde von der WHO zum 19.10.2014 sogar als frei von Ebola-Fällen erklärt.

Allerdings berichtete die New York Times am 24. Oktober 2014, dass ein Arzt, der für die Nichtregierungsorganisation Ärzte ohne Grenzen in den westafrikanischen Ausbruchsländern der Seuche arbeitete, positiv auf Ebola getestet worden sei. Es bleibt abzuwarten, was dieser Fall in einer so dicht besiedelten Metropole wie New York auslöst. Es zeichnen sich zum Teil einige hysterische Reaktionen in der US-amerikanischen Öffentlichkeit ab, die einen Vertrauensverlust gegenüber dem staatlichen Public-Health-System zu indizieren scheinen. In einigen Bundesstaaten wurden die Quarantäne-Regeln für zurückkehrende Gesundheitsarbeiter, die in den betroffenen Regionen des Ebola-Outbreaks arbeiteten, verschärft.

Sozio-ökonomische Bedingungen der Krankheit: Die Geschichte dreier Länder

Im jüngsten Human Development Report des UN-Entwicklungsprogramms von 2014 nehmen Guinea, Liberia und Sierra Leone auf dem Human Development Index (HDI) die Ränge 175, 179 und 183 ein (der HDI erfasst 187 Länder, an letzter Stelle steht Niger). Das heißt, diese Staaten gehören zur Gruppe der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder der Erde. Nach den Entwicklungsindikatoren der Weltbank beträgt das Pro-Kopf-Einkommen in Guinea 440 US-Dollar, in Liberia 730 US-Dollar und in Sierra Leone 1460 US-Dollar. Die drei Länder haben eine lange gemeinsame Geschichte von Bürgerkrieg und Flüchtlingsströmen, was mitten in den Wirtschaftskrisen der 1980er und 1990er Jahre zu zahlreichen ethnischen Konflikten führte.

Die instabile politische und wirtschaftliche Situation ist jedoch nicht vollständig erklärbar, ohne zu berücksichtigen, wie sehr die lange Geschichte von Kolonialismus und Neokolonialismus auch über die formal zugestandene Souveränität seit der späten Mitte des 19. Jahrhunderts (Liberia) und den 1950er Jahren (Guinea, Sierra Leone) hinaus fortwirkte.

Erstens weist die politisch-wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder Merkmale einer politischen Zersplitterung auf, die auf die chaotische Entkolonisierung sowie die Entwicklungsrückschritte als Folge der internationalen Schuldenkrise in den 1970er und frühen 1980er Jahren zurückgehen, besonders in Guinea und Sierra Leone. Außerdem zerbrach die enge Bindung Liberias an die USA nach dem Ende des Kalten Krieges.

Zweitens wurde die politische Marginalisierung dieser Länder in der post-kommunistischen Weltordnung noch verstärkt durch den wirtschaftlichen Niedergang infolge der Integration in einen kapitalistischen Weltmarkt. Da sie vor allem Rohstoffe, insbesondere Diamanten (Liberia, Sierra Leone) exportieren, die ständig von schwankenden Preisen und kriminellen Wirtschaftspolitiken beeinflusst waren, wird der Staatshaushalt heute zu großen Teilen von internationalen Gebern finanziert. So überrascht es nicht, dass eine schwache Regierung und eine paralysierte Zivilgesellschaft in diesem politischen und wirtschaftlichen Kontext außerstande waren, stabile liberale Demokratien oder leistungsfähige öffentliche Gesundheitssysteme aufzubauen.

Zusammenbruch der öffentlichen Gesundheit in Staaten mit zerstörten Gesundheitssystemen

Die am stärksten vom Ebola-Ausbruch 2013 heimgesuchten Gebiete in den drei Ländern variieren im Verlauf der Epidemie und zeigen das typische Auf und Ab eines Virusausbruchs. Laut dem Ebola Response Roadmap Situation Report der WHO vom 29. Oktober 2014 wurde Liberia mit 2 413 Toten bei 6 535 bestätigten Erkrankungen am stärksten von der Epidemie betroffen. Außerdem haben alle 15 liberianischen Verwaltungsbezirke mindestens einen mutmaßlichen oder tatsächlichen Fall einer Ebolainfektion gemeldet. Die Datenlage ist jedoch unsicher, da die Daten zumeist länger als eine Woche zurückliegen und beispielsweise für die vergangene Woche (die 7 Tage vor dem 28.10.2014) noch gar keine Daten aus Liberia vorliegen. Das unterwirft die Datensammlung einer hohen Kalkulationsunsicherheit und verdeckt vermutlich eine höhere Anzahl an Dunkelfällen, d.h. nicht bekannt gewordenen Ebola-Fällen (inkl. Todesfälle).

Die Ausbreitung der Seuche in Sierra Leone und Guinea ist nicht ganz so schlimm, auch wenn im Fall von Sierra Leone die Übertragung des Virus hoch bleibt und heute alle Distrikte erreicht hat, allerdings in geringerem Maß als in Liberia. Guinea, wo der Ausbruch im Dezember 2013 begann, weist die niedrigste Zahl an Toten auf. Doch wegen widersprüchlicher Aussagen ist es noch zu früh davon auszugehen, dass Guinea das Schlimmste hinter sich hat.

Der Mangel an staatlichem Gesundheitspersonal und finanziellen Ressourcen in den unzureichenden öffentlichen Gesundheitssystemen wurde zum Teil wettgemacht durch internationale Kräfte wie Ärzte ohne Grenzen, lokale Gemeinschaftsaktionen und – im Fall von Liberia – Seuchen-Rettungsteams aus Kuba. Im Übrigen kann die WHO auf der Basis der verfügbaren Informationen und wegen der vermuteten Lücke zwischen bestätigten und möglichen Fällen, die nicht gemeldet wurden, keine klaren Aussagen über die aktuelle Dynamik des Ebola-Ausbruchs machen.

WHO und Ebola: Feststellung einer Gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite

Aufgrund der hohen Übertragungsraten und der stetigen Ausbreitung der Seuche hat die WHO am 8. August 2014 eine Gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite („International Public Health Concern“) ausgerufen. Das Notstandskomitee stellte fest, dass die möglichen Konsequenzen einer weiteren internationalen Verbreitung angesichts der Virulenz des Virus, der Tatsache, dass sich die Epidemie in dicht besiedelten Räumen und in Betreuungseinrichtungen ausbreitet, sowie der schwachen Gesundheitseinrichtungen in den zur Zeit hauptsächlich betroffenen und Hauptrisikoländern besonders ernsthafter Natur seien. Sie rief dringend zu einer „koordinierten internationalen Reaktion“ auf, die geeignet sei, die globale Verbreitung von Ebola zu stoppen und umzukehren.

Die internationalen Anstrengungen der Industrieländer nahmen erst Fahrt auf, nachdem Präsident Obama nach dem Ansteckungsfall in dem Krankenhaus in Dallas bei der UN-Vollversammlung am 25. September 2014 Ebola als eine „Bedrohung der regionalen und globalen Sicherheit“ bezeichnet hatte. Seitdem begannen Politiker weltweit die Sache ernst zu nehmen. Aber es ist unklar, ob und wann die angekündigten finanziellen und personellen Ressourcen sowie die notwendige Ausrüstung zur Verschiffung in die Notstandsländer bereitgestellt sein werden. Die WHO berichtete in ihrem Roadmap Report vom 22.10.2014, dass nur etwa 25 % der erforderlichen Ebola-ETU-Betten („Ebola Treatment Units“) in Sierra Leone und Liberia zur Verfügung stünden, während es in Guinea 60% seien. Deutschland erweist sich in dieser Hinsicht auch nicht als besonders hilfreich, weil entsprechendes Personal und Material erst im Dezember 2014 bereit stehen wird. Aber auch dieses Datum ist noch keineswegs sicher, da sich noch gar nicht genügend Freiwillige zur Ausreise nach Westafrika gemeldet haben.

Allerdings wäre es nach den Erstfall-Szenarien der CDC wahrscheinlich zu spät, um das Virus daran zu hindern, die betroffenen Länder Sierra Leone und Liberia zu verheeren. Nach ihren Modellrechnungen vom 30. September kommen die CDC zu der Einschätzung, dass „ohne weitere Interventionen oder veränderte Gewohnheiten der Gemeinschaften in Liberia und Sierra Leone bis zum 20. Januar 2015 annähernd 550 000 Ebola-Fälle zu erwarten sind bzw. 1,4 Millionen Fälle, wenn man die Dunkelziffer berücksichtigt.“

In jedem Fall muss es jetzt vorrangig um koordinierte Maßnahmen gehen, um die Ausbreitung von Ebola in Westafrika zu stoppen. Selbst die New York Times erkannte in ihrem Editorial vom 19. Oktober den Einsatz des massiven Kontingents kubanischer Ärzte an und drängte den US-Präsidenten zur Zusammenarbeit mit dem ältesten Feind der USA.

Darüber hinaus muss die strukturelle Nicht-Beschäftigung der Pharmaindustrie mit Ebola ein Ende finden. Da die wenigen Fälle pro Jahr keinen Gewinn versprachen, haben die großen Pharmaunternehmen dem Virus bisher keine Beachtung geschenkt. Jetzt werden einige experimentelle Präparate geprüft und versuchsweise bei infizierten Ebola-Patienten eingesetzt. Auch an einem Impfstoff wird gearbeitet.

Doch ist das vielleicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weil alle Erfolge, die man mit Medikamenten bzw. Impfstoffen erreichen könnte, zunichte gemacht würden, wenn es zum Schlimmsten käme. Außerdem ist damit kurzfristig ohnehin nichts auszurichten. Es gibt nur ein kurzfristiges Handlungsfenster für einen Stopp des Ebola-Ausbruchs, bevor es die westafrikanischen Staaten zerstört und außer Kontrolle gerät. Sollten zudem Millionen Menschen in den westafrikanischen Ländern möglicherweise im kommenden Januar an der Seuche erkrankt sein, wäre es verwunderlich, wenn das Virus sich nicht weiter verbreiten und schließlich auch in großem Maße die Industrieländer erreichen würde.

Sind die Industriestaaten zum Handeln bereit?

Der Ebola-Ausbruch von 2013/2014 bedroht ganz fundamental die schiere Existenz der betroffenen Länder. Er beweist, dass der neoliberale Abbau von Staat und Rechtsstaatlichkeit – vorangetrieben von der immer noch bedrohlichen Schuldenkrise, die vor einer Generation begann – einem Ritt auf der Rasierklinge gleicht. Er bedroht jedoch auch die reichen Staaten, wenn auch in geringerem Ausmaß.

Obwohl die Übertragung von Mensch zu Mensch im Fall texanischen Krankenhaus zum Stillstand gekommen zu sein scheint, ist der Fall in einem anderen Kontext aufschlussreich. Das betreffende Krankenhaus in Dallas war nicht auf den Umgang mit einem mit dem Ebola-Virus infizierten Kranken nach den vorgeschriebenen Regeln der CDC vorbereitet. Nach dieser Erfahrung hat Präsident Obama die US-amerikanischen Hospitäler dazu verpflichtet, schnelle Krisenreaktionsteams der CDC einzusetzen, um künftige Fälle von Ebola in den USA gemäß den Regeln der CDC behandeln zu können. Die weitere Entwicklung des jüngsten New Yorker Falls vom 24. Oktober könnte Aufschluss darüber geben, ob die Strategie zum gewünschten Ziel führt. Aufgrund der langen Inkubationszeit (bis zu 21 Tage) kann bislang nicht gesagt werden, ob der betroffene Patient durch Menschenkontakte die Erkrankung gestreut hat. Da das Ebola-Virus nicht über Aerosole, d.h. nicht durch Luft übertragbar ist, sondern einen Kontakt mit Körperflüssigkeiten voraussetzt, geht man von einer geringeren Ansteckungsrate aus als beispielsweise beim saisonalen Grippevirus.

Was wir aus der Geschichte ebenso klar lernen ist, dass selbst die reichen Länder nicht über die erforderlichen finanziellen, materiellen und personellen Ressourcen verfügen, um mit einem Ebola-Ausbruch in den Dimensionen, wie sie in Westafrika herrschen, umzugehen. Kurzfristig gibt es wahrscheinlich keine andere Alternative als den aktuellen Ebola-Ausbruch einzudämmen. Und man kann nur hoffen, dass sich die internationale Zusammenarbeit als erfolgreich erweist. Mittel- und langfristig muss es jedoch darum gehen, die Schwäche staatlicher Strukturen nicht nur durch rechtsstaatliche Verhältnisse zu stärken, sondern auch dadurch, dass die Länder in die Lage versetzt werden, die Ressourcen zu erwirtschaften, die sie zur Bewältigung kommender Herausforderungen brauchen. Eine gerechtere Wirtschaftsordnung muss auf die politische Agenda, wenn wir wollen, dass globale Krisen im öffentlichen Gesundheitswesen künftig vermieden werden, indem Epidemien lokal effektiv eingedämmt werden können.

Kai Mosebach vertritt eine Professur für Gesundheitspolitik, Gesundheitswissenschaften und Gesundheitsökonomie am Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen der Fachhochschule Ludwigshafen/Rhein.

Hinweise:
* WHO (2014a): Ebola Response Roadmap Situation Report, 22 October 2014
* WHO (2014b): Ebola Response Roadmap Situation Report, 29 October 2014

Posted: 29.10.2014; aktualisiert: 31.10.2014

Empfohlene Zitierweise:
Kai Mosebach, Der Fall Ebola. Gesundheitskrisen in Zeiten des Neoliberalismus, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 29. Oktober 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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