Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Der Pseudo-Rückzug der Kommission

Artikel-Nr.: DE20140225-Art.06-2014

Der Pseudo-Rückzug der Kommission

Die EU-Konsultation zu TTIP steht bevor

Im nächsten Monat beginnen die von EU-Handelskommissar Karel de Gucht angekündigten Konsultationen zum Investitionsschutz-Kapitel des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens (TTIP). Allerdings dürfte die Kommission nicht den eigenen Verhandlungsvorschlag zur Diskussion stellen, sondern eine Zusammenfassung, die im März erscheint. Pia Eberhardt sieht diverse Fallstricke in dem neuen Manöver.

Drei Monate soll die Konsultation dauern. Und natürlich handelt es sich um einen ersten wichtigen Erfolg der wachsenden Mobilisierung gegen TTIP. Dank des massiven Aufschreis der Öffentlichkeit ist die Europäische Kommission unter enormem Druck. Sie musste reagieren und war gezwungen, auf die Breme zu treten. Dieser Spielraum muss genutzt werden, um die Vorschläge für fragwürdige Rechte der Konzerne insgesamt zu Fall zu bringen. Doch die Kommission wird alles tun, um das Gegenteil zu erreichen. Ein genauerer Blick auf die offizielle Ankündigung zeigt, dass sich die Konsultation als kluger Public-Relations-Schachzug erweisen könnte, um Sorgen zu zerstreuen, ohne wirklich von der Konzernagenda der Handelsverhandlungen abzurücken.

● Die Kommission will die speziellen Gerichtshöfe für Konzerne nicht abschaffen, sondern reformieren.

In der Pressemitteilung der Kommission heißt es deutlich, dass sie „die Gelegenheit nutzen will, um die Investitionsbestimmungen zu verbessern“, also nicht abzuschaffen. Insbesondere möchte sie die Investorenrechte „klarstellen“ und das Investor-State-Streitschlichtungssystem „verbessern“, statt es abzuschaffen.

Das ist nicht das, was die Zivilgesellschaft fordert. Sie ist gegen das Investor-State-Streitschlichtungssystem, weil
* es die Konzerne auf der ganzen Welt nutzen, um die Regierungen zu zwingen, Steuergelder für Kompensationszahlungen zu verwenden, nur weil den Konzernen Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit, der Umwelt und anderer öffentlicher Interessen gegen den Strich gehen;
* es das Big Business auf der ganzen Welt nutzt, um Gesetzgebungsvorhaben durch millionenschwere Klagen vor privaten Gerichten hinauszuzögern, zu verwässern oder ganz zu verhindern;
* es den ausländischen Investoren eine „VIP-Behandlung verschafft, indem es ihnen stärkeren Eigentumsschutz gewährt als er in den nationalen Verfassungen enthalten ist und Rechtsmittel, die nur von ihnen genutzt werden können, aber nicht von heimischen Firmen, Individuen oder Gemeinschaften;
* es das Prinzip der juristischen Unabhängigkeit unterminiert, weil es die Frage, welche Politik richtig oder falsch ist, der Gerichtsbarkeit dreier unverantwortlicher und gewinnorientierter Richter unterstellt, die aus einer kleinen Gruppe privater Rechtsanwälte, bei denen ein Interessenkonflikt vorliegt, ausgewählt wurden.

Es existiert absolut keine Notwendigkeit eines stärkeren rechtlichen Schutzes für Konzerne in Europa. Die in der EU bestehenden Gesetze enthalten bereits starke verfassungsmäßige Schutzbestimmungen für privates Eigentum, die von einer Reihe von Gerichten, darunter dem Europäischen Gerichtshof, überwacht werden.

● Die Reformagenda der Kommission wird nicht die grundlegenden Fehler des bestehenden Systems angehen.

Soeben hat das Netzwerk “Seattle-to-Brussels” (S2B) eine detaillierte Analyse der Reformagenda der Kommission für die Sondergerichtshöfe für die Konzerne veröffentlicht, die einem die Augen öffnet. Während die Kommission behauptet, dass in dem von ihr verhandelten Handelsabkommen mit Kanada (CETA) Konzernrechte von starken Vorkehrungen zum Schutz öffentlicher Interessen flankiert werden, zeigt die S2B-Analyse, dass das nicht der Fall ist. Eine frühere Analyse eines durchgesickerten CETA-Textes kam ebenfalls zu dem Schluss, dass die EU versäumt hatte, „irgendwelche wesentlichen Veränderungen einzufügen, um Probleme des Staat-Investor-Streitschlichtungsverfahrens anzugehen“. Der CETA-Text wird wahrscheinlich zur Blaupause für TTIP.

● Andere Handelsabkommen werden durch die Konsultation der Kommission nicht berührt, enthalten aber die gleichen weitreichenden Rechte für Konzerne.

Während die Kommission angekündigt hat, sie würde Konsultationen zu den Konzernrechten im EU-US-Abkommen durchführen, erwähnte sie die anderen Abkommen, die sie derzeit aushandelt, mit keinem Wort. Medienberichte zitierten EU-Beamte, dass es keine Veränderungen in anderen Verhandlungen geben würde, was immer das Ergebnis der TTIP-Konsultationen sein würde.
Das bedeutet, dass die Kommission die Konzernrechte nicht beeinträchtigt sehen möchte, die in den Verhandlungstexten mit Kanada enthalten sind. Doch US-Firmen werden in der Lage sein, Investor-Staat-Verfahren gegen EU-Mitgliedsstaaten über diese Bestimmungen anzustrengen, wenn sie eine registrierte Niederlassung in Kanada unterhalten.

Auch ist die Kommission nicht bereit, Investor-State-Bestimmungen aus den Verhandlungen mit Ländern wie Japan, China, Vietnam oder Malaysia zu nehmen. Doch die Einbeziehung der weitreichenden Konzernrechte in diese Abkommen stellt ebenfalls ein ernsthaftes Risiko für die öffentlichen Haushalte, die staatliche Politik und die Demokratie dar. In keinen EU-Handelsverhandlungen sollte Platz für Privilegien ausländischer Investoren sein.
Interessanterweise erwähnt die Kommission die rund 1400 Investitionsverträge, die EU-Mitgliedsländer bereits mit Ländern außerhalb der EU haben, darunter mit den USA, aber auch untereinander. Einige datieren bis in die 1960er Jahre zurück und wurden von der Kommission zu Recht als „veraltet“ und reformbedürftig kritisiert. Diese Verträge sollten durch die EU-Länder beendet werden, zumal Südafrika und viele lateinamerikanische Länder aus Investitionsverträgen aussteigen, da deren Risiken die ökonomischen Vorteile übertreffen. Doch stattdessen benutzt die Kommission den fragwürdigen Charakter dieser Verträge, um einen breiteren, EU-weiten Ansatz zu rechtfertigen, der die Verträge der Mitgliedsstaaten ablösen würde.

● Andere gefährliche Aspekte der TTIP-Verhandlungen werden nicht berücksichtigt.

Die Kommission stellte fest, dass durch die zeitweilige Einfrierung der Verhandlungen über die kontroversen Investorenrechte „kein anderer Teil der Verhandlungen betroffen sein wird“ und dass „die TTIP-Verhandlungen wie geplant fortgesetzt werden“. Somit wird das keinerlei Auswirkungen auf die anderen umstrittenen Kapitel haben – von der Nahrungsmittelsicherkeit über den Datenschutz bis zur Bankenregulierung. Auch die kontroversen Verhandlungen über einen permanenten Mechanismus der Kooperation in Regulierungsfragen, der neue Gesetze und Regulierungen an die Bedürfnisse der Konzerne anpassen soll, wird mit unverminderter Geschwindigkeit weiter verhandelt. Alle diese Fragen werden darüber hinaus im Geheimen verhandelt, ohne dass Verhandlungstexte veröffentlicht werden.

Solange die Verhandlungstexte der Öffentlichkeit vorenthalten werden, bleibt die Befürchtung, dass TTIP ein Instrument für die Konzerne sein wird, um das zu erreichen, was in einem offenen politischen Prozess nicht zu erreichen ist – von der Öffnung Europas für genmanipulierte Nahrungsmittel bis zur finanziellen Deregulierung.

● Die Konsultationen der Kommission werden einseitig durch Konzernlobbyisten dominiert.

So will die Direktion Handel „Stakeholder“ zusammenrufen, um ihre Standpunkte zu hören, um hernach das zu tun, was sie und das Big Business ohnehin wollen. Es wird um Antworten auf Fragen gebeten, die oft irreführend und selektiv sind. Man betrachte nur den einseitigen Fragenkatalog für eine der früheren EU-Konsultationen zu einem transatlantischen Handelsabkommen. Wie würde der durchschnittliche Bürger auf Fragen antworten wie: „Wenn Sie über Investitionsbarrieren besorgt sind, wie hoch sind die zusätzlichen geschätzten Kosten für Ihr Geschäft (in Prozent der Investition), die aus den Barrieren resultieren?“

In der Konsequenz werden die Beiträge zu den Konsultationen tendenziell von den Lobbygruppen dominiert, vor allen aus dem Unternehmenssektor und mit einem Büro in Brüssel (wie schon im Falle der Online-Konsultation zu TTIP). Die Antworten werden auf quantitative Weise gesammelt, was für Vorschläge echter Alternativen wenig Raum lässt. Um wenn die Kommission auf legitime Anliegen aus der Zivilgesellschaft antwortet, dann stellt sie diese als „Missverständnisse“ oder „Unwissenheit“ hin.

Dies lässt vermuten, dass die Kommission ihre Konsultationspflicht weitgehend als Proforma-Übung betrachtet: so billig wie möglich und in einer Art und Weise, die zu Ergebnissen führt, die man leicht als Unterstützung für längst vorher bestimmte politische Initiativen verkaufen kann. Das heißt natürlich nicht, dass die Menschen in Europa die Gelegenheit der Konsultation zur Verdeutlichung ihrer Opposition gegen Investorenrechte versäumen sollten.

Pia Eberhardt ist Mitarbeiterin bei Corporate Europe Obervatory (CEO). Mehr unter www.corporateeurope.org.

Veröffentlicht: 25.2.2014

Empfohlene Zitierweise:
Eberhardt, Pia, Der Pseudo-Rückzug der Kommission. Die EU-Konsultation zu TTIP steht bevor, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 25. Februar 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.