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Deutsche ODA: Annäherung an das 0,7%-Ziel?

Artikel-Nr.: DE20140503-Art.17-2014

Deutsche ODA: Annäherung an das 0,7%-Ziel?

Bewusste Irreführung

Vorab im Web - Im April hat das Development Assistance Committee (DAC) der OECD die vorläufigen Zahlen zur Öffentlichen Entwicklungsunterstützung (ODA) 2013 veröffentlicht. Mit 0,38% bleibt Deutschland ein weiteres Mal weit hinter dem seit Jahrzehnten immer wieder proklamierten Ziel zurück, 0,7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die Unterstützung der Entwicklungsländer aufzuwenden (ODA-Quote). Doch das ist nur ein Teil des Skandals, analysiert Ludger Reuke.

Schon 1970 hat die Bundesrepublik in der UN-Vollversammlung versprochen, alles Erdenkliche dafür zu tun, dass um 1975 eine ODA-Quote von 0,7% erreicht werde. Diese Verpflichtung wurde in der Folgezeit häufig wiederholt, wobei der Zeitplan immer mehr in Vergessenheit geriet. Erst in den Millennium-Entwicklungszielen (MDG) gab es wieder eine „endgültige“ zeitliche Festlegung auf 2015. Obwohl das Versprechen auf allen relevanten Gipfeltreffen und in allen EU- wie UN-Gremien ständig bestätigt sowie in sämtlichen Koalitionsabkommen erneut festgeschrieben wurde, ist es von Deutschland nie eingehalten worden.

● Aber ab jetzt gilt „Annäherung“

Schwankend zwischen dem Höchststand von 0,47% (1982 und 1983) und dem absoluten Tiefpunkt mit 0,26% (1998 und 1999) hielten die Bundesregierungen aller Couleur zwischen 1970 und 2012 im Schnitt nur fast genau die Hälfte der versprochenen ODA-Leistungen ein: 0,36%. Wie versprochen, so gebrochen - immer wieder.

Mit der neuen Regierung sollte das anders werden. Heißt es doch im Koalitionsabkommen, man wolle Deutschland weiter auf einen Finanzierungspfad zum 0,7%-ODA-Ziel führen und „deshalb in der Legislaturperiode zwei Milliarden Euro bereitstellen.“ (S.63) Nach einer fast wortgleichen Wiederholung (S.126) heißt es später: „Wir werden uns diesem Ziel durch jährliche Steigerungen (...) im Bundeshaushalt annähern.“ Hoffnung keimte.

Doch schon die ersten veröffentlichten Detailzahlen zu den beabsichtigten Steigerungen der Entwicklungsfinanzierung im Bundeshaushalt führten zu einer ersten Ernüchterung (plus 200 Mio. 2014; plus 400 Mio. 2015 und je plus 700 Mio. in den Jahren 2016 und 2017, insgesamt also 2 Mrd. € in der Legislaturperiode). Als Normalbürger nimmt man selbstverständlich an, „jährliche Steigerungen“ bezöge sich auf den jeweiligen Haushalt des Vorjahres, zunächst also auf 2013. Schon bei diesem normalen Verständnis von „Steigerung im Haushalt“ stiege die ODA-Quote bis 2017 auf höchstwahrscheinlich nur 0,4%. Selbst bei völlig unwahrscheinlicher Stagnation des BNE in allen vier Jahren wären es nur 0,45% (s. Annex-Tab. 1). Annäherung?

● Erheblich schlimmer

Aber den Festlegungen in der Koalitionsvereinbarung zu vertrauen – wie wir es in ersten Berechnungen getan hatten - erweist sich als zu gutgläubig; denn dieses Vertrauen lässt die große Trickkiste außer acht, aus der die Regierung sich schamlos bedient: Die heute, nach Vorlage des Regierungsentwurfs zum Haushalt 2014 zu erwartende reale Entwicklung ist noch erheblich schlimmer als die oben geschilderte.

Erst auf hartnäckige Nachfragen von NGOs und einigen Abgeordneten – nicht nur aus der Opposition – rückte das Finanzministerium mit Unschuldsmine damit heraus, dass sich die angegebenen Steigerungen nicht auf den Haushalt 2013 bezögen, sondern auf den „1. Entwurf zum Haushalt 2014 der alten Bundesregierung“, der gegenüber dem Haushalt 2013 erhebliche Kürzungen vorgesehen hatte.

Dabei sieht die Regierung großzügig darüber hinweg, dass alle nicht endgültig verabschiedeten Gesetzentwürfe mit dem Ende einer Legislaturperiode obsolet werden. Außerdem hält sie sich nicht einmal an die ohnehin für eine „Annäherung“ unzureichenden Vorgaben im Koalitionsvertrag. Sie erhöht willkürlich; etwa von 2014 auf 2015 um gerade mal 20 Mio. €, im Jahr darauf immerhin um diskutable 297 Mio. €. Selbst im für die ODA-Quote „günstigsten“ Fall, einer Stagnation des BNE, verblieben wir 2017 mit 0,39% da, wo wir in der vergangenen Legislaturperiode bereits zweimal waren. Viel wahrscheinlicher aber ist, dass die Quote sogar auf ca. 0,35% sinkt. Von „Annäherung an das 0,7%-Ziel“ nicht die geringste Spur (s. folgende Tabelle).

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Zu behaupten, damit käme es zu einer „Annäherung an 0,7%“ ist nicht nur dreist, das ist eine bewusste Irreführung.

● Lösungen wurden verhindert, zuletzt in den Koalitionsverhandlungen

Nun hat es, auch auf hoher politischer Ebene, immer wieder „Beschlüsse“ und Initiativen gegeben, die endlich eine Schließung der großen Lücke zwischen Verbalität und Realität zum Ziel hatten. In den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2013 hatte sich die Verhandlungsgruppe 1 (Außenpolitik, Verteidigung, Entwicklung und Menschenrechte) in ihrem Abschlusspapier im Abschnitt zur ODA auf jährlich zusätzlich eine Milliarde € für jedes der vier Jahre der Legislaturperiode geeinigt. Das wären zusätzlich 1+2+3+4 Mrd. = 10 Mrd. € gewesen. Erst in der Kleinen Runde zum Abschluss der gesamten Verhandlungen wurden unter der Leitung der drei Parteivorsitzenden „zwei Milliarden € für die gesamte Legislaturperiode“ festgelegt. Nie war in diesen Verhandlungen davon die Rede, die „jährlich zusätzlichen Milliarden“ sollten sich auf den alten – obsoleten – 1. Entwurf der alten Regierung beziehen (siehe dazu Annex-Tab. 2).

● Der versandete Aufruf

2011 startete der damalige Bundestagsabgeordnete Thilo Hoppe (Grüne) zunächst im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit (AwZ) eine Unterschriftensammlung für einen „Aufruf zu einem fraktionsübergreifenden Konsens zur Erreichung des 0,7%-Ziels“ mit dem Titel „Das Versprechen einhalten!“. Für die kommenden vier Jahre sollten zusätzlich jährlich 1,2 Mrd. € in den Bundeshaushalt eingestellt werden. Nachdem die Obleute aller damals fünf Fraktionen und dann der gesamte AwZ unterschrieben hatten, trat der Ausschuss an alle weiteren MdB heran. Da nicht nur alle Grünen und Linken und fast alle SPD-MdB unterschrieben, sondern auch eine größere Zahl von CDU- und sogar FDP-MdBs (insgesamt 372 Abgeordnete oder genau 60%), gab es begründete Hoffnungen auf eine grundlegende Verbesserung. Aber bei der Verabschiedung des Haushalts 2012 stimmten die 92 Signatare aus der damaligen Koalition für den Regierungsentwurf, der nur minimale Erhöhungen vorsah. Wäre der Aufruf zu einem Teil des Haushaltsgesetzes geworden, so hätte man 2015 ca. 0,5% und – falls man so fortgefahren wäre – 2017 etwa 0,55% erwarten können. Das Ziel wäre zwar auch so 2015 noch nicht erreicht worden, aber mit 0,55% hätte es dazu eine realistische Zukunftschance gegeben (s. Berechnungen in Annex-Tab. 3).

● Zeitfestlegung abhanden gekommen

Bei all diesen – schon in sich niederschmetternden – Zahlen darf nicht übersehen werden, dass es im Koalitionsvertrag erstmals seit der Zustimmung zu den MDGs keine terminliche Fixierung für die Erreichung des 0,7%-Ziels gibt. Ex-Entwicklungsminister Niebel hatte schon nach der Verabschiedung des Bundeshaushalts für 2013 erklärt, das 0,7%-Ziel sei nicht mehr zu erreichen. Er sei jedoch unschuldig; er habe mehr gewollt (der Haushaltsausschuss hatte einige Millionen – nicht etwa Milliarden – gestrichen), aber schließlich habe das Parlament die Budgethoheit, und das müsse er respektieren. In einer Erklärung zu den künftigen Sustainable Development Goals (SDGs) hieß es lapidar, die Millennium Development Goals liefen ja 2015 aus.

Und nun scheint auch die neue Koalition davon auszugehen, dass in den SDGs kein klares Ziel mit Terminen mehr genannt wird und damit alte Versprechungen nicht mehr eingehalten werden müssten. Da könnte einem Stephane Hessel einfallen.

Dass die Niederlande (außer 2013), Norwegen, Schweden, Dänemark und Luxemburg das Ziel schon seit 1975, so wie versprochen, eingehalten und stets übertroffen haben, hat die für die Entwicklungsfinanzierung Verantwortlichen in Deutschland nie sonderlich beeindruckt. Dass Großbritannien trotz seiner schwierigeren wirtschaftlichen Lage mit 0,72% das MDG-Ziel 2013 bereits vorzeitig erreicht hat, könnte ihnen zu denken geben.

Dr. Ludger Reuke ist Referent für Entwicklungspolitik bei Germanwatch.



Empfohlene Zitierweise:
Ludger Reuke, Deutsche ODA: Annäherung an den 0,7%-Ziel? Bewusste Irreführung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 3. Mai 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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