Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Dynamische Energiewende - stagnative Klimapolitik

Artikel-Nr.: DE20140929-Art.33-2014

Dynamische Energiewende - stagnative Klimapolitik

Perspektiven jenseits der Klimagipfel

Nur im Web – Jammern und Klagen hilft nichts. Die internationale Klimapolitik ist nie wirklich aus dem Startloch herausgekommen – und wird dort – auch nach dem UN-Klimagipfel in New York – für die nächste Zeit hängen bleiben. Anders die Energiewende: Sie hat schon einige Hürden mit einer gewissen Leichtigkeit genommen und kommt schneller voran, als viele erwarte hatten, beobachtet Achim Brunnengräber.

Der Emissionshandel hat nie die gewünschte Dynamik zum Einsparen von Treibhausgasen entfaltet, wie es viele Theoretiker und Praktiker erhofft hatten. Er hat sogar für gegenteilige politische Impulse gesorgt. Über den Mechanismus für saubere Entwicklung, den Clean Development Mechanism, wird kaum noch gesprochen. Er brachte aber den Beleg, dass mit technokratischen Instrumenten dem Klimawandel nicht beizukommen ist. Die Gemeinsame Umsetzung, Joint Implementation, kennt niemand mehr. Und auch das neuere Waldschutzprogramm REED (Reducing Emissions from Deforestation and Forest) hat noch nicht das Lauftempo erreicht, um als messbare Strategie gegen die weltweit steigenden Treibhausgase gelten zu können.

● Großes Scheitern und überraschende Erfolge

Der Grund für das große Scheitern ist ganz einfach: Bei den internationalen Klimaverhandlungen wird das Thema verfehlt. Sie haben auf ihrer schmalen Laufbahn das Ziel der Reduktion der schädlichen Treibhausgase vor Augen, ohne den Energiesektor insgesamt in den Fokus zu nehmen. Anders die Energiewende, die schon einige Hürden mit einer gewissen Leichtigkeit genommen hat. Sie hat schneller als von vielen erwartet vor allem im Strombereich ein Ausbautempo erreicht. Weltweit werden überraschende Erfolge gefeiert, wenn die Energie in dezentraler Eigenregie erzeugt, die E-Mobilität ausgebaut und die Netzte modernisiert werden. Photovoltaikanlagen auf Dächern und Windkraftanlagen auf grünen Wiesen haben gegenüber Kohle- und Atommeilern auch einiges mehr an Eleganz.

Dennoch ist die Energiewende kein Selbstläufer und auch keine freiwillige Maßnahme. Sie wird erzwungen durch die Krisenhaftigkeit von Produktion, Konsum, Wachstum und Lebensstilentscheidungen. Sie muss erst noch die Schnelligkeit erreichen, um im harten Wettbewerb mit Gas, Kohle, Öl und Atome die Energiesicherheit gewährleisten zu können. Das fossil-nukleare Zeitalter und mit ihm machtvolle Interessen aus Politik und Industrie müssen erst noch überwunden werden. Sie stehen der Transformation des Energiesystems vehement entgegen. Aber bereits die ersten Meter der Energiewende machen deutlich, dass eine umfassende sozial-ökologische Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft in Verbindung mit verändertem Verbraucherverhalten, institutionellen Reformen und technischen wie sozialen Innovationen durchaus möglich ist.

● Glasklare Zielperspektive

Die Energiewende als gesellschaftliches Projekt, das mit harten Widerständen zu kämpfen hat, führt also deutlicher als die Konzepte und die vermehrten Klagerufe der internationalen Klimapolitik zum Kern des Problems. Im Übrigen war es schon 1975 der bekannte Sozialdemokrat Erhard Eppler, der uns die Alternativen aufzeigte. Er bezweifelte in seinem Buch „Ende oder Wende“, dass der Markt das richtige Steuerungsinstrument für die zukünftigen Aufgaben sein kann. Auf Grund von starken staatlichen wie wirtschaftlichen Interessen wurde dennoch ein Entwicklungspfad beruhend auf Öl, Gas, Uran und Kohle gewählt, der sich mit zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Klimawandel als lebensfeindlich erwiesen hat und dem das marktwirtschaftliche Instrument des Emissionshandels nie ernsthaft in die Quere kam.

Demgegenüber weist die Energiewende auf die lebensfreundlichen Potenziale der Energiequellen Wind- und Sonnenenergie, Gezeiten- und Meereswellenenergie, Luft-, Wasser- und Erdwärme oder Biomasse hin. Sie sind noch gar nicht umfassend erschlossen, stehen teilweise unbegrenzt zur Verfügung und lassen sich geschickt miteinander kombinieren. Die Energiewende hat auch weit reichende geostrategische, technologische und gesellschaftliche Implikationen. Sie kann, einem normativen Anspruch folgend, zugleich Demokratie und Frieden stiften, wenn eine gewisse Energieautonomie erreicht und zugleich die Abhängigkeit von fossil-nuklearen Energien verringert wird. Die Energiewende führt nicht nur zur Verringerung der Treibhausgase; sie bricht auch mit der Konzentration der Macht, die überall auf der Welt und transnational abgesichert den Energiesektor kennzeichnen.

Die Energiewende wirkt in dem Moment systemtransformierend, wenn die Produktion und der Verbrauch der fossilen Energien gemessen am Energieverbrauch rückläufig sind und die der erneuerbaren Energien kontinuierlich ansteigen. Die Energiewende fordert den „Fossilismus“ also heraus – und stößt deshalb auf entsprechende Widerstände und bleibt umkämpft. In den politischen Auseinandersetzungen um den Status quo oder die Wende offenbaren sich die unterschiedlichen Interessenlagen zwischen einem etablierten, energie- und emissionsintensiven industriellen Sektor (der seine Pfründe mit aller Macht verteidigt) und einem am Prinzip der Nachhaltigkeit ausgerichteten Sektor, der auf den Ausbau der erneuerbaren Energien setzt (und einen langen Atem braucht). Allzu starke Idealisierungen sollten aber vermieden werden, denn auch im gar nicht so eindeutig abgrenzbaren Sektor der erneuerbaren Energien können sich umweltschädliche Folgewirkungen zeigen oder gesellschaftliche Verhältnisse entstehen, die sich machtförmig ausstrukturieren.

● Wende in zerklüftetem Gelände

Dass es nicht mehr so weiter gehen kann, der nationale Energiehunger zu erheblichen Konflikten führt und auch zukünftig weiter führen wird, haben auch die internationalen Organisationen wie die UN, die Weltbank oder der IWF erkannt. Sie fordern eine green economy oder einen green new deal, weil die sozial-ökologischen Krisen immer offensichtlicher werden. Doch das Handlungsrepertoire der internationalen Politik ist begrenzt. Sie richtet ihr Interesse am Wachstum der Produktion und der Verteidigung des herrschenden Energiesystems aus. Das haben insbesondere die UN-Klimakonferenzen der vergangenen Jahre gezeigt, bei denen nicht global governance, sondern global conflicts vorherrschend waren. Rio+20 im Jahr 2012 war nur ein lauer Erinnerungsort an vergangene Zeiten, in denen der Bedarf an Kooperation und der Lösung globaler Probleme zumindest erkannt und im Rahmen der Weltkonferenzen auch thematisiert wurde.Die geopolitischen Interessen von Staaten, Transnationalen Konzernen (TNK) und Energieversorgungsunternehmen (EVU), die an einer sicheren und vor allem billigen Versorgung mit fossilen Energien, Uran oder anderen wichtigen Ressourcen interessiert sind, wirken der internationalen Klimapolitik entgegen. Die Abhängigkeit Europas von russischem Erdgas, die Erschließung der gewaltigen Öl- und Gasvorkommen in der Arktis oder der Tiefsee, die Ausbeutung von Schiefergasvorkommen mittels der Methode des Fracking oder die Erschließung weiterer Kohlevorkommen sind allemal wichtiger als eine Abkehr und die Befriedung dieser Konfliktfelder. Die Internationale Energie Agentur (IEA) geht davon aus, dass in den kommenden Jahrzehnten bis 2035 die Summe von 48 Billionen US-Dollar in den Energiesektor investiert werden müsste. Nur so könne die wachsende Nachfrage nach Energie in der Welt gestillt und das Wohlstandsniveau gesichert werden.

Wird den herrschenden Machtverhältnissen im Energiesektor gefolgt, dürften die Investitionen zum größten Teil in das fossil-nukleare System fließen. Selbst das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), der Weltklimarat der UN, gießt – im wahrsten Sinne des Wortes – Öl ins Feuer. Die Empfehlungen des Rates zu Fracking, zur Verpressung der Kohlendioxid-Emissionen in die Erdkruste (das sog. Carbon Capture & Storage, CCS), zu effizienter Erdöl- und Erdgasnutzung und zur Atomenergie bleiben innerhalb eines fossil-nuklearen Referenzrahmens, durch die das Treibhaus weiter aufgeheizt wird.

● Der sanfte Weg

Die Energiewende ist keine Sache der großen, internationalen Politik. Sie artikuliert sich viel deutlicher auf regionaler und kommunaler Ebene. Und bei all den Enttäuschungen der internationalen Klimapolitik könnte auch gesagt werden: zum Glück. Am lokalen Ort finden viele der zentralen Energiekämpfe von Umweltorganisationen, sozialen Bewegungen und engagierten BürgerInnen statt, die sich von zentralen Politikentscheidungen der Regierungen oder der großen Energiekonzerne in den verschiedensten energierelevanten Sektoren emanzipieren wollen. Solche Energiekämpfe werden in den vom Braunkohletagebau bedrohten Dörfern in der Lausitz, beim Ausbau von Windkraftparks an der Nordseeküste, in den Klimacamps oder im Yasuní-Nationalpark Ekuadors geführt, wo die Erdölförderung wieder intensiviert werden soll. Das Angebot der ekuadorianischen Regierung, die Erdölvorkommen in der Erdkruste zu lassen, wenn dafür Kompensationszahlungen geleistet werden, wurde von der internationalen Staatengemeinschaft nicht angenommen. Aber auch im Yasuní-Nationalpark selbst gab es Gegner und Fürsprecher für diese klimapolitische Idee.

Ebenso sind Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel kontextabhängig. Sie sind regional zu implementieren und müssen hier die jeweils sehr spezifischen Hürden nehmen. Immer öfter werden in diesen Zusammenhängen Fragen der Machtkonzentration, der Emanzipation, der sozialen Gerechtigkeit oder der Lebensstilformen aufgeworfen. Die Energiewende war zu keiner Zeit nur von der Technik angetrieben, sondern von sozialen und politischen Prozessen in Kommunen und Gemeinden, in neu geschaffenen Institutionen der erneuerbaren Energien-Branchen und den Angeboten eines grünen Marktes, auf dem nachhaltiger Strom, nachhaltige Dienstleistungen im Finanzsektor oder nachhaltige Mobilität erfolgreich waren. Der Übergang zu einem „sanften Weg“, von dem der Zukunftsforscher Robet Jungk unter Verweis auf Amory B. Lovins schon 1975 verwies, scheint erste Konturen zu bekommen.

● Thematische Engführung der Klimapolitik

Was bedeutet das nun aber für die internationale Klimapolitik? Der umwelt- und sozialverträgliche Umbau des Energiesystems ist ein klares Projekt des Ausbaus der erneuerbaren Energien, der Steigerung der Energieeffizienz und der Abkehr von den fossilen Ressourcen unseres Planeten. Dieser risikoarme Weg aber wird von der internationalen Klimapolitik nicht unterstützt. Das kann sie schon auf Grund ihrer thematischen Engführung auf die Emissionen nicht! Die Energiewende muss in den Bereichen Bauen, Wohnen und Umwelt, der Verkehrspolitik, der Entwicklungspolitik oder der Handelspolitik voran gebracht werden. Sie ist eine Querschnittsaufgabe.

WTO, IWF oder die Weltbank, die der Freihandelsdoktrin folgen, halten die Klimapolitik jedoch eher im Startloch zurück, als dass sie die nötigen Impulse geben. Beim jüngsten Klimatreffen in New York hat Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) angekündigt, dass Deutschland zukünftig keine Finanzierung von Kohlekraftwerken in Schwellen- und Entwicklungsländern mehr fördern wird. Das ist eine wichtige Meldung, sie steht aber jenseits der offiziellen Agenda der Klimaverhandlungen.

Der Startschuss ist gefallen, die Energiewende ist auf den Weg gebracht. Es dürfte niemandem auffallen, wenn die internationale Klimapolitik nicht in der Lage ist, zu folgen.

Dr. Achim Brunnengräber ist Privatdozent am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU Berlin, Otto-Suhr-Institut. Der Text basiert auf der Einleitung des gerade bei Springer VS erschienen Buches von Achim Brunnengräber und Rosaria Di Nucci (Hg.): Im Hürdenlauf zur Energiewende. Von Transformationen, Reformen und Innovationen, Wiesbaden 2014.

Posted: 29.9.2014

Empfohlene Zitierweise:
Achim Brunnengräber, Dynamische Energiewende - stagnative Klimapolitik. Perspektiven jenseits der Klimagipfel, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 29. September 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.