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Eine neue, faire Weltordnung bleibt aktuell

Artikel-Nr.: DE20140623-Art.22-2014

Eine neue, faire Weltordnung bleibt aktuell

50 Jahre Gruppe der 77


Vorab im Web - Spitzenpolitiker der Entwicklungsländer trafen sich Mitte Juni 2014 anlässlich des 50. Jahrestags der Gruppe der 77, der wichtigsten Dachorganisation des Südens, in der bolivianischen Stadt Santa Cruz. Die Vertreter von rund 100 Ländern feierten das Jubiläum mit Reden und einer Deklaration, die die Fortsetzung des Kampfes um eine fairere Weltordnung versprach, aber auch die Verbesserung der Lebensbedingungen ihrer Völker. Vom Gipfel berichtet Martin Khor.

Der Präsident Boliviens, Evo Morales, der Gastgeber dieses G77-Gipfels, hielt eine bewegende Rede, in der er neun Aufgaben auflistete, die vor der Entwicklungswelt liegen. Er hatte den Vorsitz eines Treffens, das interessante Reflexionen der führenden Politiker über das bislang vom Süden Erreichte, die aktuelle Krise und die bevorstehenden großen Herausforderungen bot.

Einheit der G77 wichtiger denn je

Am 15. Juni 1964, als die meisten Entwicklungsländer gerade die Kolonialherrschaft abgeschüttelt hatten, trafen sich Vertreter von 77 Entwicklungsländern auf der ersten UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD I) in Genf und gaben eine Gemeinsame Erklärung ab, die die Geburt der G77 ankündigte. In dieser historischen Erklärung kündigten die Entwicklungsländer an, sich für Gleichheit in der internationalen wirtschaftlichen und sozialen Ordnung einzusetzen und die Interessen der Entwicklungswelt zu fördern, erklärten ihre Einheit auf der Basis gemeinsamer Interessen und definierten die G77 als „ein Instrument zur Stärkung der kooperativen Bestrebungen auf internationalem Gebiet und der Sicherung gegenseitig vorteilhafter Beziehungen mit dem Rest der Welt“.

50 Jahre später – am 14./15. Juni in Santa Cruz – versicherten die G77-Vertreter, dass die Entwicklungsländer mehr denn je die Einheit im Rahmen der G77 brauchen, da die Weltwirtschaft in Unruhe ist und die Weltordnung immer noch gegen ihre Interessen ausgerichtet ist. „Wir unterstreichen, dass die Begründung für die Errichtung unserer Gruppe vor 50 Jahren nach wie vor aktuell und gültig ist, ja sogar zutreffender denn je“, heißt es in der Deklaration. „Wir versichern daher erneut unsere Entschlossenheit und die unserer Länder, die unermüdlichen Anstrengungen der Gruppe der 77 und Chinas auf allen Gebieten für noch bedeutendere Errungenschaften und die Verbesserung des Lebens der Menschen in unseren Ländern zu verstärken und auszuweiten.“

Unter den Teilnehmern des Gipfels waren Politiker wie der malaysische Außenminister Datuk Anifah Aman, der die fortgesetzte Unterstützung seines Landes für die G77 zusicherte, aber auch UN-Generalsekretär Ban Ki-monn und der gegenwärtige Präsident der UN-Generalversammlung John Ashe. Ein Höhepunkt des Gipfels war die Grußadresse von Evo Morales, des derzeitigen Vorsitzenden der G77, der die politische Geschichte der G77 und Chinas schilderte und sich mit der gegenwärtigen Krise befasste, der sich die Welt und die Entwicklungsländer gegenüber sehen.

● Evo Morales‘ Stunde

Evo Morales nannte mehrere Aufgaben, die erfüllt werden müssen, um „eine andere Welt zu erbauen und eine Gesellschaft zu errichten, in der ein gutes Leben möglich ist“ („the living-well society“). Dazu gehört:
* Gut leben in Harmonie mit der Natur;
* Souveränität über die natürlichen Ressourcen und andere Bereiche;
* Wohlergehen für jedeN und Befriedigung des Grundbedürfnisse als ein Menschenrecht;
* Emanzipation von dem existierenden internationalen Finanzsystem und Aufbau einer neuen Finanzarchitektur;
* Aufbau einer starken wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, technologischen und kulturellen Partnerschaft zwischen den Mitgliedern der Gruppe der 77 und Chinas;
* Ausrottung des Hungers rund um die Welt;
* Stärkung der Souveränität der Staaten gegenüber ausländischer Einmischung, Intervention und Spionage;
* demokratische Erneuerung des Staates in den Entwicklungsländern; und
* eine neue Welt, kommend aus dem Süden für die ganze Menschheit.

„Die Zeit für die Nationen des Südens ist gekommen“, stellte Morales fest. „In der Vergangenheit waren wir kolonisiert und versklavt. Heute werden die Empire mit jedem Schritt, den wir für unsere Befreiung tun, schwächer und beginnen zusammenzubrechen. Dennoch besteht unsere Befreiung nicht einfach in der Emanzipation der Völker des Südens, sondern ebenso der gesamten Menschheit. Nur wir können die Quelle des Lebens und der Gesellschaft retten: Mutter Erde. Unser Planet ist vom Tode bedroht… Eine andere Welt ist heute nicht nur möglich, sondern auch unabdingbar. Eine andere Welt ist heute unabdingbar, weil sonst keine Welt mehr möglich sein wird. Und diese Welt der Gleichheit, Komplementarität und organischen Koexistenz mit der Mutter Erde kann nur aus den tausenden von Sprachen, Farben und Kulturen entstehen, die unter den Völkern des Südens brüderlich lebendig sind.“

● Bemerkenswerte Deklaration zu internationaler Governance und nationalen Entwicklungsaufgaben

Der Gipfel nahm eine 39-seitige Erklärung an, ein recht bemerkenswertes Dokument, das das gegenwärtige Denken der Führer des Südens ein halbes Jahrhundert nach der Gründung ihrer Gruppe widerspiegelt. Wie erwartet, fasst die Erklärung die Positionen der G77 zu den laufenden internationalen Angelegenheiten zusammen, da die Hauptaktivität der Gruppe im Verhandeln im multilateralen und Nord-Süd-Zusammenhang in den Vereinten Nationen besteht. In diesem Abschnitt finden sich die jüngsten Standpunkte der Entwicklungsländer zu aktuellen Themen, wie Nachhaltige Entwicklungsziele (SDGs), Post-2015-Entwicklungsagenda, globale Wirtschaftskrise, Entwicklungshilfe, Schulden, Handel, Reform des internationalen Finanzsystems, Rolle der Vereinten Nationen und Stärkung der Stimme des Südens in der Global Governance.

Doch die Erklärung betritt auch Neuland mit einem ausführlichen Kapitel zur „Entwicklung im nationalen Kontext“, in dem die politischen Führer versprechen, die nationale entwicklungspolitische Leistungsfähigkeit ihrer Regierungen zu verbessern. Das schlägt sich nieder in Abschnitten zu ökonomischen Fragen (Wirtschaftswachstum, Industrialisierung, Infrastruktur, Landwirtschaft) und zur Rolle des Staates in der Bereitstellung von Grunddiensten wie Gesundheits- und Wasserversorgung für alle Bürger.

Es gibt auch Abschnitte über die Verbesserung der Demokratiepraxis, die Umwelt, einschließlich Klimawandel, Biodiversität und Waldschutz, und die Notwendigkeit für den Staat, die Kontrolle und Sicherung der Souveränität über die nationalen Ressourcen einzufordern, damit die Vorteile der nationalen Ökonomie und Gesellschaft angemessen zugutekommen.

Es war ein würdiger Gipfel, der ein halbes Jahrhundert der Kämpfe markierte, von Errungenschaften wie den UN-Deklarationen zu einer Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung 1974, über das Recht auf Entwicklung von 1986 bis hin zu den Deklarationen vieler UN-Gipfelkonferenzen in den 1990er Jahren und danach. Die vor uns liegenden Kämpfe, und zwar sowohl für nationale Entwicklung als auch für eine bessere Weltordnung, dürften noch wichtiger werden.

Martin Khor ist Exekutivdirektor des South Centre, ein von 51 Entwicklungsländern getragenes Forschungszentrum mit Sitz in Genf. Sein Text gibt ausschließlich seine eigene Position wieder.

Posted: 23.6.2014

Empfohlene Zitierweise:
Martin Khor, Eine neue, faire Weltordnung bleibt aktuell. 50 Jahre Gruppe der 77, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 23. Juni 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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