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Medienmacht und Manipulation in LatAm (III)

Artikel-Nr.: DE20140413-Art.14-2014

Medienmacht und Manipulation in LatAm (III)

Erfolge, Defizite und Ambivalenzen

Nur im Web - Auch wenn viele Einzelelemente der Restrukturierung des Mediensektors in Ekuador, Bolivien, Argentinien und Venezuela noch offen und Gegenstand weiterer politischer Auseinandersetzungen sind, so zeichnen sich doch schon gewisse Demokratisierungs- und Entflechtungstendenzen im Medienwesen ab. Diese trachten zum einen die extrem hohe private Machtkonzentration im ökonomischen Sinne einer Revision zu unterziehen, zum anderen danach, allmählich Gegengewichte in Gestalt von mehr staatlichen und kommunitären oder gesellschaftlichen Artikulationsmöglichkeiten aufzubauen. Von Dieter Boris*).

Beide Seiten dieser erst vor kurzem in Gang gekommenen Prozesse weisen klar in eine neue Richtung. Aus demokratietheoretischer Sicht ist dies auf jeden Fall zu begrüßen. Die Reichweite und die Wirkungen dieser Maßnahmen für die Herstellung einer demokratischen Öffentlichkeit auch in peripheren oder semi-peripheren Ländern werden erst in der Zukunft zu beurteilen sein. Wichtig ist, dass ein zentrales Thema der Partizipation, der Bewusstseinsbildung und der Politisierung wieder offen und kontrovers diskutiert wird („steinerne Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden“) und konkrete Veränderungen sich in den einzelnen Ländern abzeichnen. Bemerkenswert ist, dass diejenigen (teilweise als linksliberal angesehenen) Stimmen, die das in fast allen Ländern Lateinamerikas über lange Zeit hinweg vorherrschende Medienoligopol wenig gestört hat, nun in das Geschrei um die „Erhaltung der Pressefreiheit“ und gegen die „Maulkorbgesetze“ einstimmen und wenig differenzierte Kommentare präsentieren (z. B. auch El Pais, 7.9.2009, oder Der Freitag, 11.9.2009).

● Brasilien: Nichts Neues seit Lula

Erstaunlich ist, dass die großen Medienkonzerne Brasiliens auch unter der Regierung Lula offenbar Tabu blieben und umgekehrt viele Basis-Radiosender – trotz relativ fortschrittlicher Gesetzeslage von 1998 – in der Ausübung ihrer Tätigkeit und bei der Verteidigung bzw. beim Erwerb von Sendelizenzen arg behindert wurden. „Unter der Regierung Ignacio Lula da Silvas wurden inzwischen weitaus mehr Freie und Community Radios geschlossen als unter seinem sozialdemokratischen Amtsvorgänger Fernando Henrique Cardoso.“ (Brock 2010). Eine fortschrittliche Gesetzesinitiative wurde dagegen unter Lula nicht unternommen; lediglich die Gründung eines öffentlich-rechtlichen TV-Senders („TV Brasil“) – mit allerdings begrenzter Reichweite – fand während seiner Regierungszeit statt.

Freilich haben sich in den beiden letzten Jahrzehnten verschiedenen Dimensionen „alternativer Öffentlichkeit“ – nicht zuletzt auch im Zusammenhang moderner Informationstechnologien – entwickelt, die noch stärker eine gewisse pluralisierende Wirkung gegenüber dem formellen, hochkonzentrierten kommerziellen Mediensystem entfalten (Costa/Rial y Costas 2010).

Auch die neue Präsidentin Dilma Rousseff hat einen Vorstoß ihrer Partei (PT) zur Demokratisierung und Regulierung des sehr stark von privaten Monopolen/Oligopolen beherrschten Medienwesens zurückgewiesen, was möglicherweise auch mit ihrer (von den Medien unterstützten) Anti-Korruptionskampagne, der nach wenigen Regierungsmonaten bereits fünf Minister aus ihrem Kabinett zum Opfer gefallen sind, zusammenhängt (El Pais, 20.7.2011 und 6.9.2011). Diese Position hat Präsidentin Rousseff bis zu den Massenbewegungen im Juni/Juli 2013 beibehalten (Brant 2013). (Die Tatsache, dass ein Viertel aller Senatoren und etwa 10% aller Abgeordneten Radio- oder TV-Sender betreiben und damit auch entsprechende Zusatzeinkünfte erzielen, könnte die Zurückhaltung der auf breite Koalitionen angewiesenen Regierungschefin mit erklären.) Möglicherweise werden die Demokratisierungsimpulse dieser großen Massenbewegungen, die auch die hochgradige Konzentration und einseitige Interessenbindung der brasilianischen Medien – wenn auch nicht an erster Stelle – thematisierte, eine Erneuerungsschub auch auf diesem Feld anstoßen.

● Mediales Gegengewicht noch schwach

In Peru, Mexiko und Honduras sind die kommunitären Radiostationen nicht selten von Illegalisierung und Verfolgung bedroht (Tamayo 2010). Andererseits kam es in Uruguay (2007) und in Chile (2010) zu neuen Gesetzen, die kommunitäre Radiosender im Vergleich zu ihrem vorherigen (halblegalen) Status begünstigen. Allerdings scheinen die Umsetzungsmodalitäten diesen partiellen Fortschritt – im Falle Chiles – wieder zu verwässern (Mauersberger 2011).

Zweifellos bleibt in mancherlei Hinsicht noch viel zu tun, wenn die Ziele des medialen Gegengewichts oder sogar der Gewinnung einer Gegenhegemonie wirklich erreicht werden sollen. Die Mitte-Links-Regierungen müssten mehr die hohe Bedeutung dieses Kampffeldes und dessen Zentralität für die reale Demokratisierung der Gesellschaften betonen und entsprechend mobilisieren. Gelegentlich kommt es auch zu Konflikten zwischen Basis-Medien und progressiven Regierungen, wie z.B. kürzlich in Ekuador; in solchen Fällen wäre nach institutionellen Kanälen zu suchen, die es ermöglichen, beiden Seiten gerecht werden. Eine staatlicherseits unterstützte Ausweitung und Konsolidierung unabhängiger kommunitärer Medien wäre sicherlich ein Weg zur besseren Verwirklichung des „Rechts auf Kommunikation“ für alle.

Die sozialen Bewegungen und fortschrittlichen Gruppierungen ihrerseits müssten diese Dimension des politischen Kampfes stärker akzentuieren, die permanente öffentliche Auseinandersetzung nicht scheuen und versuchen, auf diesem Feld die Früchte ihrer Aktivitäten in institutionelle Formen zu transformieren. Dies ist in vielen Konstellationen durchaus Realität, es gibt aber auch die Tendenz, sich mit dem lokal Erreichten zufrieden zu geben oder (subaltern-paternalistisch) auf die Allzuständigkeit einer linken Regierung zu vertrauen.

Das Projekt Telesur

Nicht unerhebliche Unterstützung und Anregungen können diese neuen medienpolitischen Tendenzen möglicherweise durch das überstaatliche Projekt Telesur erfahren. Diese von Präsident Chávez im Juli 2005 kreierte gesamtlateinamerikanische Nachrichtenagentur, die zugleich Informations- und Bildungssender ist, versteht sich explizit als Gegenkraft zu den großen privaten nordamerikanischen Fernsehstationen CNN und Univisión sowie der britischen BBC.

Telesur ist nicht gewinnorientiert und begreift sich als Sprachrohr sozialer Bewegungen und fortschrittlicher Regierungen Lateinamerikas. Die Bekämpfung von Ausbeutung, Ungleichheit und Diskriminierung gehört ebenso zu seinen Grundmaximen wie das Eintreten für die Einheit und Integration Lateinamerikas. An Telesur sind gegenwärtig – in unterschiedlichem Ausmaß – außer Venezuela Argentinien, Bolivien, Kuba, Ekuador, Nikaragua und Uruguay beteiligt.

Inwiefern Telesur, der ein breites Korrespondenten- und Redakteursnetz unterhält und zur professionellen Ausbildung von Nachwuchsjournalisten beitragen will, wirklich diese antreibende und beispielgebende Rolle für Lateinamerika zu spielen in der Lage ist, wird davon abhängen, ob es diesem Gemeinschaftsprojekt gelingen wird, eine von den Regierungen unabhängige, alternative Medienkultur glaubwürdig zu entfalten (vgl. hierzu Aharonian 2008, der einige zentrale Probleme auf dem Weg dahin anspricht). Mit dem Aufbau eines Beobachtungszentrums von lateinamerikanischen Medien aller Art, welches von sozialen Bewegungen getragen ist, soll – nach dessen Vorstellungen – dem enormen Bedeutungsgewinn der – über Medien vermittelten – entpolitisierenden Wirksamkeit privatwirtschaftlicher Profit- und Herrschaftsinteressen entgegen gearbeitet werden (Aharonian 2010; 2012 ).

Generell ist abschließend eine gewisse doppelte Relativierung im Verhältnis von Medien und Politik vorzunehmen. Zum einen „übersetzt“ sich Medienmacht nicht immer und vollständig in politische Macht bzw. entsprechende Wahlerfolge. Die meisten Präsidenten der Mitte-Links-Regierungen wurden auch gegen die eindeutigen Parteinahmen der Medien mit zum Teil zuvor nie erreichten Mehrheiten gewonnen. Zum anderen ist die Art des Medienkonsums keineswegs kongruent mit den politischen Einstellungen. So wurde beispielsweise festgestellt, dass der Zuschaueranteil an staatlichen Medienangeboten relativ gering blieb und dass „die Inhalte der neu geschaffenen, staatlichen bzw. öffentlichen Sender nicht den Gewohnheiten und Anforderungen eines großen Teils des venezolanischen Fernsehpublikums entsprechen bzw. dass die Präferenzen im Medienkonsum stabiler sind als die politischen Einstellungen.“ (Daniljuk 2012) Dennoch bleibt die jeweilige Medienlandschaft in jedem Fall ein wichtiges Feld im Kampf um Hegemonie.

*) Es handelt sich um eine dreiteilige Vorabveröffentlichung aus dem Buch "Bolivars Erben. Linksregierungen in Lateinamerika", 200 S., PapyRossa Verlag, Köln 2014. Bezug: Buchhandel. Der erste Teil der Vorabveröffentlichung findet sich ???042ae6a2ff0fef902???, der zweite Teil ???042ae6a3050b47e0e???.

Empfohlene Zitierweise:
Dieter Boris, Medienmacht und Manipulation in Lateinamerika (III), in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 13. April 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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