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Zwischen Supermachtträumen und Krise

Artikel-Nr.: DE20140731-Art.27-2014

Zwischen Supermachtträumen und Krise

Zur Zukunft der EU-Außenpolitik

Vorab im Web –Bereits beim Euro hat sich gezeigt, dass eine Währung ohne Land bzw. mit 15 Ländern eine Fehlkonstruktion ist. Für eine gemeinsame Außenpolitik wäre ein noch viel höheres Maß an Konvergenz notwendig. Dem stehen massive Interessensgegensätze zwischen den großen Mitgliedsstaaten, darunter imperiale Ambitionen einiger Regierungen, entgegen. Die außenpolitische Supermacht EU bleibt daher eine Schimäre. Und das ist gut so, schreibt Peter Wahl.

Dass die internationale Ordnung auf dem Wege ist, sich vom unipolaren und US-beherrschten System hin zu einer polyzentrischen Konfiguration zu entwickeln ist heute eine Binsenweisheit. 88% der Weltbevölkerung leben außerhalb jener Region, die man gemeinhin als den Westen bezeichnet. In wenigen Jahren wird China die USA als größte Volkswirtschaft ablösen, und Goldman & Sachs macht in einer Prognose für 2050 unter den fünf größten Volkswirtschaften nur noch die USA aus, und zwar auf Platz zwei nach China und im Verein mit Indien, Brasilien und Russland. Natürlich mag sich bei solchen Langfristprognosen die eine oder andere Modifikation ergeben. Die Sanktionen gegen Russland könnten z.B. dazu führen, dass das Land erst zu Edward Snowdens 80. Geburtstag unter die Top 5 aufrückt. Aber an der historischen Grundtendenz ändert das nichts.

● Europäische Selbstgerechtigkeit und US-Führungsanspruch

Dies führt zu Erschütterungen und Veränderungen, die, wie Régis Debray (in Le Monde v. 17.7.2014) bemerkte, auch eine schwere narzisstische Kränkung für die europäische Seele im Allgemeinen und die der Funktionseliten im Besonderen darstellen - finden sich doch in der EU jede Menge abgehalfterte Weltmächte. Selbst wenn wir die Pioniere der europäischen Kolonialverbrechen, Portugal und Spanien und die kolonialistischen Kleinmeister Holland, Belgien und Italien beiseite lassen, führen die Phantomschmerzen wegen verflossener Größe beim britische Empire und der Grande Nation auch heute immer noch dazu, dass kein Jahr ohne Militärintervention vergeht, mal in Libyen, mal in Mali, mal im Irak oder - beinahe - in Syrien. 500 Jahre lang hatte man sich daran gewöhnt, dass Europa und sein nordamerikanischer Ableger das Schicksal der Welt bestimmen. Diese Epoche neigt sich ihrem Ende zu - und mit ihr europäische Selbstgewissheiten, wenn auch noch nicht die europäische Selbstgerechtigkeit.

Ganz besonders tangiert von den weltpolitischen Umbrüchen sind natürlich die USA, die ihre globale Dominanz in Frage gestellt sehen. Obama hat auch prompt die These von der polyzentrischen Ordnung zurückgewiesen: Wer behaupte, sagte er am 28.5.2014 vor US-Kadetten, „Amerika sei im Niedergang oder würde seine weltweite Führungsrolle verlieren, mangelt es entweder an Geschichtsverständnis oder er verfolgt einseitig parteipolitische Ziele.“ Eine solche Wahrnehmung ist gefährlich.

Eine Führungsmacht, deren Position in Frage steht, tendiert dazu diese mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Zumal wenn sie von obskurantistischem Sendungsbewusstsein beseelt ist. Denn angeblich gibt „es etwas im amerikanischen Charakter, das immer triumphieren wird“. Und deshalb glaubt Obama „mit jeder Faser meines Wesens an die amerikanische Besonderheit“ (American exceptionalism). Daraus wird dann gefolgert: „Amerika muss auf der Weltbühne immer führen. ... Dies war so im vergangenen Jahrhundert und das wird so im kommenden sein.“

Für die EU-Außenpolitik bedeutet dies, dass aus der vielbeschworenen „Augenhöhe“ nichts wird, denn Washington weist ihr ein klare Rolle zu: Die Übernahme von Kosten und Lasten bei klaren Verhältnissen, wer Koch und wer Kellner ist: „Fuck the EU“.

● Auf dem falschen Fuß erwischt

Eigentlich hatten die Funktionseliten der EU darauf gesetzt, dass sie in der neuen Weltordnung neben den USA und China den Posten des Dritten im Bunde ergattern könnten. Repräsentativ für viele ist hier der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft: „Nur Europa, aber kein einzelnes Mitglied, kann in diesem Konzert glaubwürdig und kräftig seine Stimme erheben. Nur so wird daraus G 3.“ (SZ v. 29.7.2014) Ein europäischer Superstaat als globale Supermacht, der wenigstens in einem globalen Triumvirat etwas Kontinuität aus 500 Jahren Großmachtpolitik wahren kann, so die Sehnsucht.

Aber zum einen wurde China schneller groß und Russland früher frech als erwartet. Zum anderen steckt die EU in einer multiplen Dauerkrise. Das Wachstum hat noch nicht wieder das Vorkrisenniveau erreicht, die Schulden der Krisenländer wachsen weiter, der Euro ist nicht überm Berg und in der Peripherie hat das soziale Elend Entwicklungsländerniveau erreicht.

Politisch ist die Lage nicht besser. Bei den Wahlen zum EU-Parlament siegen in Frankreich, UK, Ungarn, Belgien und Dänemark rechtspopulistische Parteien. Da erscheint es fast schon tröstlich, dass 60% der Wahlberechtigten gar nicht erst zur Urne gingen. Gleichzeitig steht England schon mit halbem Bein draußen. Dafür könnten jedoch mit Schottland und Katalonien bald neue Beitrittskandidaten bereit stehen.

Angesichts all dessen stehen die EU und damit auch ihre Außenpolitik heute schwächer da als vor dem Crash 2008.

● Strukturelle Grenzen einer EU-Außenpolitik

Dass sich das nicht grundsätzlich ändern wird, hat tiefliegende Ursachen. Gerade weil Großbritannien und Frankreich erst vor relativ kurzer Zeit ihre Weltmachtstellung verloren haben, wollen sie die Restbestände ihres alten Status’ nicht aufgeben oder in die EU überführen, namentlich die Atombombe, den ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und die Stimmrechtsposition in IWF und Weltbank. London pflegt zudem sicherheitspolitische special relations mit Washington, d.h. es gehört zu den sog. Five Eyes (USA, Kanada, Australien, Neuseeland, UK), den engsten Hintersassen der USA, und spioniert mit seinem Geheimdienst genauso skrupellos wie die NSA selbst NATO-Verbündete aus.

Auch Frankreich sitzt der Colt noch immer recht locker. Für Paris kommt aber als besonders schmerzhafte Erfahrung heute hinzu, dass es dabei ist, seine Führungsrolle an die Deutschen zu verlieren, und sich daher umso fester an die Force de Frappe und andere Großmachtinsignien klammert. Das ist ein Terrain wo man den Deutschen noch immer voraus ist.

Bisher wenig sichtbar, aber gerade in der Krise um die Ukraine höchst relevant, ist die Rolle Polens für die Außenpolitik der EU. So versucht das Land sich als regionale Führung der Osteuropäer zu etablieren und hat die Assoziierungspolitik mit der Ukraine, Georgien und Moldawien initiiert. Dabei stützt Warschau sich auf eine enge Sonderbeziehung zu den USA, wie sie gerade wieder an der Verurteilung durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wegen der Kollaboration bei den Folterpraktiken der CIA sichtbar wurde. Auch bei Bushs Irak-Krieg stellte Polen in der „Koalition der Willigen“ mit 4.000 Soldaten eines der größten Kontingente.

Allerdings gerät das Land dabei auch immer wieder in Widersprüche mit anderen Verbündeten, z.B. den Deutschen, wie Außenminister Sikorski jüngst deutlich machte (laut FAZ v. 23.6.2014: „Wir streiten uns mit den Deutschen, mit Russland, und wir glauben, alles ist super, nur weil wir den Amerikanern einen geblasen haben.“

Der Anspruch Polens auf größeren Einfluss in der EU-Außenpolitik wird durch die Kandidatur Sikorskis für den Posten des Außenbeauftragten unterstrichen. Allerdings ist es fraglich, ob er mit rassistischen Äußerungen wie „Das Problem in Polen ist, dass wir zu wenig Stolz haben und zu wenig Selbstwertgefühl. So eine Negerhaftigkeit.“ (ebenda) noch präsentabel ist. Ein noch wichtigerer Hinderungsgrund dürfte jedoch die rabiate Russophobie der polnischen Eliten und der Bevölkerung sein, die auch den Interessen der Bundesrepublik und zahlreicher anderer Mitgliedsländer zuwider läuft.

Vor dem Hintergrund all dieser heterogenen Interessenlagen ist eine gemeinsame EU-Außenpolitik, die über die gegenwärtigen Ad-hoc-Minimalkonsense hinausgeht, unwahrscheinlich. Da strebt auseinander, was sowieso nicht zusammenpasst. Ohnehin ist eine gemeinsame Außenpolitik kein Wert an sich. Auf den Inhalt kommt es an. Wenn der Inhalt auf Konfrontation, Blockbildung und imperiale Ambitionen hinausläuft, dann ist es gut, wenn das scheitert. Vor dem Hintergrund europäischer Großmachtgeschichte und der nach wie vor imperialen Ansprüche mancher Mitgliedsländer ist so etwas wie eine strukturelle Nichtangriffsfähigkeit der EU ein Segen für den Rest der Welt.

● Deutsche Außenpolitik am Scheideweg

Angesichts der totalen Diskreditierung Deutschlands durch seine singulären Verbrechen im Zweiten Weltkrieg war die Unterordnung der Bundesrepublik und ihrer Außenpolitik in den europäischen Integrationsprozess Staatsräson. Nach der Widervereinigung hat sich das nicht grundsätzlich, aber doch partiell geändert. So war Berlin noch am völkerrechtswidrigen Feldzug der NATO gegen Belgrad und in Afghanistan beteiligt, nicht jedoch im Irak und in Libyen. Es gibt vielfältige Ursachen für diese relative Zurückhaltung, darunter ökonomische, wie die exzessive Exportorientierung, die Abhängigkeit der Energieversorgung, aber auch eine grundlegende Skepsis gegen die Militarisierung der Außenpolitik bei Teilen der Funktionseliten und bei der Mehrheit der Bevölkerung.

Gegenwärtig wird allerdings versucht, die Einsicht aus der deutschen Geschichte vergessen zu machen, dass es keineswegs normal, notwendig oder gar natürlich ist, ökonomische Leistungsfähigkeit in die Teilnahme am machtpolitischen Great Game der Geopolitik ummünzen zu müssen. Wir brauchen nicht schon wieder einen „Platz an der Sonne“, heute freilich „Verantwortung übernehmen“ genannt. Auch ein ökonomisch starkes Land kann eine nicht-militärische, auf Kooperation, politische Konfliktlösung und an der UN-Charta orientierte Außenpolitik verfolgen.

Die eingangs skizzierten Umbrüche im internationalen System bergen auch Risiken (Instabilität, Blockbildung, Wirtschaftskriege, kalte und heiße Kriege), denen eine zeitgemäße Außenpolitik gewachsen sein muss. Wenn das mit der EU und den USA geht, umso besser. Wenn nicht – und im Augenblick sehen die Kräfteverhältnisse leider so aus, dass es nicht geht – dann auch gerne ohne gemeinsame EU-Außenpolitik. Keine Angst vorm Sonderweg, wenn es der Weg des Friedens und der Zusammenarbeit ist.

Posted: 31.7.2014

Empfohlene Zitierweise:
Peter Wahl, Zwiaschen Supermachtträumen und Krise. Zur Außenpolitik der Europäischen Union (EU), in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 31. Juli 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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