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2016: Der großen Krise dritter Akt?

Artikel-Nr.: DE20160111-Art.03-2016

2016: Der großen Krise dritter Akt?

Weltwirtschaftliche Aussichten zum neuen Jahr

Vorab im Web - Die Stockungen der Weltwirtschaft sind im zurückliegenden Jahr stärker geworden, und angesichts anhaltender zyklischer und struktureller Gegenwinde wird auch 2016 ein Jahr langsamen Wachstums werden – dem chronischen Optimismus des IWF, der in steter Regelmäßigkeit Besserung für das jeweilige Folgejahr prognostiziert, zum Trotz. UNO und Weltbank schätzen das globale Wachstum 2015 auf lediglich 2,4% (0,4% weniger als erwartet) und rechnen für 2016 höchstens mit 2,9%. Eine Übersicht von Rainer Falk.

Neben dem jüngsten World Economic Situation and Prospects Report der Vereinten Nationen (WESP 2016) sind in diesem Jahr die Global Economic Prospects (GEP 2016) der Weltbank von besonderem Interesse, da sie traditionell die Wirtschaftsaussichten der Entwicklungs- und Schwellenländer ins Zentrum stellen (s. Hinweise). Diese sind für viele Beobachter nach der Finanzkrise in den USA und Europa der dritte große Krisenfokus, der uns im nächsten Jahr in Atem halten wird.

● Neuer Krisenfokus Schwellenländer

Das neue Jahr begann mit schweren Börsengewittern, die die Aktienkurse von Shanghai bis New York und von London bis Frankfurt nach unten schickten. Dass hinter diesen Unruhen vor allem die sich verschlechternden wirtschaftlichen Aussichten Chinas stehen, ist kein Grund zur Schadenfreude. Die Angst der sog. Anleger zeigt vielmehr, welches Gewicht die chinesische Ökonomie inzwischen für die Weltwirtschaft gewonnen hat. Dies kann positive und negative Spillover-Effekte zur Folge haben. Zurzeit schieben sich – nach „kühnen“ (Lagarde) antizyklischen fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen der Schwellenländer im Anschluss an die globale Finanzkrise – zweifellos letztere in den Vordergrund.

In der Tat hat sich das Wachstum in Entwicklungs- und Schwellenländern vor dem Hintergrund niedriger Rohstoffpreise, hoher Kapitalabflüsse und zunehmender Volatilität auf den Finanzmärkten so stark verlangsamt, wie seit der globalen Finanzkrise 2008/2009 nicht mehr. Mit dem Abschwung in China war schon länger gerechnet worden; ebenso bekannt war die Wirtschaftsschwäche in anderen großen Schwellenländern, insbesondere in Russland und Brasilien. Nach dem GEP 2016 war das Wachstum der Entwicklungsländer insgesamt – von 2009 abgesehen – im letzten Jahr das langsamste seit 2001. Es lag 2% niedriger als im Durchschnitt der Boomjahre zwischen 2000 und 2008. Das Beunruhigende an den Börsenunruhen zum Jahresauftakt liegt nicht zuletzt darin, dass sie ein Indiz sein könnten, dass sich die realwirtschaftliche Talfahrt 2016 noch beschleunigt.

● Fünf scharfe Gegenwinde in der Weltwirtschaft

Der WESP 2016 identifiziert fünf wesentliche Gegenwinde für die globale wirtschaftliche Entwicklung: erstens anhaltende makroökonomische Unsicherheiten; zweitens niedrige Rohstoffpreise und abnehmende Handelsströme; drittens steigende Volatilität bei Wechselkursen und Kapitalflüssen; viertens stagnierende Investitionen und Produktivität; und fünftens fortgesetzte Abkoppelung zwischen den Aktivitäten im Finanzsektor und der realen Produktion.

Die Wachstumsschwäche hat in vielen Entwicklungs- und Transitionsländern auch negative Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Vor allem in Südamerika wächst die Arbeitslosigkeit und untergräbt bereits die soziale Basis der Mitte-Links-Regierungen (???042ae6a58a0f8af10???); in Ländern wie Südafrika bleibt sie hartnäckig auf hohem Niveau. Zugleich signalisiert die Beschäftigungsunsicherheit oft den Übergang von der Lohnarbeit zur Selbstbeschäftigung. Mit den anhalten Output-Schwächen, dem mäßigen Lohnwachstum und den niedrigen Rohstoffpreisen ist die globale Inflation derzeit so niedrig wie selten zuvor und lässt die Spekulationen über die Gefahr einer Deflation nicht zur Ruhe kommen.


● Neue Wachstumszentren im Norden?

Während die Entwicklungsländer, vor allem China, seit der Finanzkrise Lokomotiven des globalen Wachstums waren, hat sich die Achse inzwischen wieder etwas zu den Industrieländern verschoben, vor allem zu den USA. Das wirtschaftliche Wachstum in den entwickelten Ländern insgesamt dürfte sich laut den Vorhersagen der UN-Ökonomen von 2014 1,7% über 2015 1,9% und 2016 weiter auf 2,2% beschleunigen. In Europa bzw. der Eurozone zeichnet sich allerdings bislang kein wirklicher Ausweg aus der De-facto-Stagnation ab.

Im Süden des Globus hatten und haben vor allem die Verlangsamung in China und die tiefen Rezessionen in Brasilien und Russland starke regionale Ausstrahlungseffekte, vor allem über die Kanäle Handel, Rücküberweisungen von Migranten und abnehmende Nachfrage nach Rohstoffen. Dennoch rechnet die UNO damit, dass die Talsohle in den Entwicklungs- und Transitionsländern erreicht ist und diese sich in den kommenden beiden Jahren leicht erholen werden, allerdings bei anhaltenden externen Herausforderungen und einem Wachstum, das deutlich unter seinem Potential bleibt.

Das durchschnittliche Wachstum in den Entwicklungsländern soll vor diesem Hintergrund von geschätzten 3,8% in 2015 auf 4,3% in 2016 und 4,8% in 2017 anziehen. Die Volkswirtschaften der Transitionsländer verzeichneten 2015 vermutlich eine Schrumpfung um 2,8%, sollen aber 2016 und 2017 wieder um (bescheidene) 0,8% bzw. 1,7% wachsen. Die wirtschaftliche Aktivität in den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) wurde ebenfalls negativ durch die globale Entwicklung getroffen, sei es durch niedrige Rohstoffpreise, sei es durch kriegerische Konflikte, Naturkatastrophen und widrige Wetterverhältnisse. Als Gruppe insgesamt wird von den LDCs eine Erholung von 4,5% in 2015 auf 5,6% in 2016 erwartet – allerdings sehen die Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) dort ein jährliches Wachstum von mindestens 7% vor.

● Es kann nicht nur besser werden

Insgesamt bleibt aber zu betonen, dass es keinerlei Garantie für die fortwährende Prognose wirtschaftlicher Erholung in den Folgejahren gibt und dieses „Es kann nur besser werden“ sich in der Vergangenheit auch oftmals nicht bewahrheitet hat. Anfang 2016 steht dem schon der vielerorts im Süden zu beobachtende Aufbau von neuen Schuldenbergen entgegen. Es wird sogar über 2016 als „Jahr der Staatspleiten“ spekuliert, so die Ökonomin Carmen Reinhart, der zufolge wir derzeit am Ende eines internationalen Kapitalflusszyklus mit einer neuen Welle von Schuldenproblemen und Zahlungsunfähigkeiten angekommen sind. Schon heute stehen die Währungen vieler Entwicklungs- und Schwellenländer unter Druck, was die Kosten der Begleichung externer Dollarschulden in die Höhe treibt. „Aus historischer Perspektive betrachtet, scheinen sich die Entwicklungs- und Schwellenländer auf eine große Krise zuzubewegen.“ (Reinhart)

● Mehr internationale Politikkoordinierung geboten

Trotz seines vorsichtigen Optimismus geht der WESP 2016 davon aus, dass die Herausforderungen für die Politik angesichts der weltwirtschaftlichen Schwächen und der schwierigen Zielkonflikte zwischen monetärer, fiskalischer und Wechselkurspolitik zunehmen werden. Insbesondere ein Argument der UN-Autoren sticht hier hervor: Nachdem die Geldpolitik seit Beginn der Großen Krise die Hauptlast bei der Unterstützung des Wachstums getragen hat, sei es nun an der Zeit, dass die Fiskalpolitik wieder eine größere Rolle spielt. Als Ergänzung dazu seinen kluge und zielgerichtete Arbeitsmarktstrategien erforderlich.

Zugleich warnt der WESP-Report, dass die breite Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in vielen Entwicklungsländern kurzfristig die Armutsreduzierung behindern und langfristig die nachhaltige Entwicklung entgleisen lassen könnte. Um ein solches Szenario abzuwenden und inklusives Wachstum zu fördern, sei mehr effektive Politikkoordinierung notwendig – auf nationaler, regionaler und globaler Ebene. Zu effektiver Armutsbekämpfung gehören nicht zuletzt eine zielstrebige Politik gegen die wachsende Ungleichheit, Maßnahmen der Infrastrukturentwicklung, Investitionen in Bildung und Gesundheit und die Schaffung sozialer Sicherheitssysteme. Ohne dies kann an eine Realisierung der 2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung nicht gedacht werden.

Hinweise:
* World Bank: Global Economic Prospects: Spillovers amid Weak Growth, 286 pp, World Bank: Washington DC, January 2015. Bezug: über www.worldbank.org
* UN: World Economic Situation and Prospects 2016, United Nations: New York 2015 (The full report will be released in January 2016. Available at: http://www.un.org
/en/development/desa/policy/wesp/index.shtml

Posted: 11.1.2016

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, 2016: Der großen Krise dritter Akt? Weltwirtschaftliche Aussichten zum neuen Jahr, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 11. Januar 2016 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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