Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Boutros-Ghali - Ein Anwalt der Dritten Welt

Artikel-Nr.: DE20160222-Art.05-2016

Boutros-Ghali - Ein Anwalt der Dritten Welt

Zum Tod des ehemaligen UN-Generalsekretärs

Vorab im Web - Der frühere UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali ist Mitte Februar 2016 im Alter von 93 Jahren gestorben. Der ägyptische Diplomat stand zwischen 1992 und 1996 als Generalsekretär an der Spitze der Vereinten Nationen. Er war der erste Afrikaner, der diesen Posten – als Nachfolger des Peruaners Javier Pérez de Cuéllar – im Alter von 69 Jahren übernahm. Ein Nachruf von Jean Feyder.

Boutros-Ghali war Kopte und gehörte somit einer christlichen Minderheit Ägyptens an. Sein Großvater Boutros Pasha, den islamische Nationalisten ermordeten, brachte es bis zum Ministerpräsidenten (1908-1910). Boutros-Ghali studierte Rechts-, Wirtschafts- und Politikwissenschaften an den Universitäten in Kairo und in Paris. Seine berufliche Karriere begann 1949 als Dozent und später als Professor der Universität von Kairo. Seine Spezialgebiete waren Völkerrecht und Internationale Beziehungen. Diese Ausbildung sowie die Tatsache, dass er neben arabisch und englisch auch fließend französisch sprach, sicherte ihm stets die Unterstützung Frankreichs zu. Als Journalist schrieb er jahrelang auch in der bekannten Tageszeitung Al Ahram.

● Schwierige Beziehungen zu den Vereinigten Staaten

Politisch Präsident Anwar el Sadat nahe stehend, war Boutros-Ghali 1974 bis 1976 Mitglied des Politischen Büros der Arabischen Sozialistischen Union, der damaligen Einheitspartei. Nach der aufsehenerregenden Reise Sadats 1977 nach Jerusalem half er als Staatsminister im Auswärtigen Amt seinem Land, sich mit Israel auszusöhnen und das Camp-David-Abkommen auszuhandeln, welches 1979 unterschrieben wurde und die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern wiederherstellte. Er diente seinem Land 14 Jahre lang als Außenminister, sowohl unter Präsident Sadat wie unter dessen Nachfolger Moubarak.

Sein Mandat als UN-Generalsekretär fiel in die Zeit nach dem Kalten Krieg. So kam es zu UN-Friedensmissionen, die es erlaubten, in Kambodscha, El Salvador und Mozambique den Bürgerkrieg zu beenden, freie Wahlen zu organisieren und die Grundlagen für den Frieden zu legen. Seine Amtszeit war vor allem geprägt vom Krieg im zerfallenden Jugoslawien, dem Völkermord in Ruanda, der Irak-Krise und dem umstrittenen Friedenseinsatz im ostafrikanischen Somalia. In Haiti führte eine UNO-Mission, verbunden mit einem militärischen Einsatz der USA, dazu, die Militärdiktatur von General Cedras zu stürzen und Präsident Aristide wieder in sein Amt zurückzuführen.

Insbesondere die USA kritisierten Boutros-Ghalis Krisenmanagement und waren stets bestrebt, ihre eigenen Fehler der UNO und dessen Generalsekretär in die Schuhe zu schieben, etwa bei der schief gegangenen Somalia-Operation, wo 18 US-Marinesoldaten ihr Leben verloren. So auch bei der Mission in Ex-Jugoslawien, die vor allem durch das Massaker von Srebrenica gekennzeichnet blieb, bei dem 8000 bosnische Muslime getötet wurden.

● Bosnien und Ruanda

Als 1995 die Bosnien-Verhandlungen unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika in Dayton geführt wurden, wurde die UNO absichtlich außen vor gelassen, schreibt Boutros-Ghali in seinem Buch „Meine Jahre im Glashaus“. Und dies, obwohl die UNO dort mehrere Jahre lang mit Friedenstruppen versuchte, die Zivilgesellschaft vor den gewaltsamen Auseinandersetzungen zu schützen. Dabei legten sich die USA seit Beginn der Clinton-Präsidentschaft des Öfteren in die Quere, vereitelten Friedenspläne wie den Vance-Owen-Plan und beharrten lange auf eigenen Positionen, die oft auf unpräzisen Einschätzungen beruhten.

Der Völkermord in Ruanda kostete etwa 800 000 Tutsi und Hutu das Leben. Boutros-Ghali warf den Großmächten ihre Untätigkeit und ihre Weigerung vor früher einzugreifen, um die Massaker zu stoppen. In einem Aufruf vom 25. Mai 1994, der in Erinnerung blieb, sprach er von „Völkermord“, was die Clinton- Administration zurückwies, da sie fürchtete, so nach internationalem Recht zum Einschreiten genötigt zu sein. „Mehr als 200 000 Menschen wurden getötet. Und die internationale Gemeinschaft diskutiert noch immer darüber, was zu machen wäre!“ Er gab aber auch seine eigene Verantwortung zu: „Ich sage es mit großer Bescheidenheit. Ich bin gescheitert. Es ist ein Skandal.“

● Das Veto der USA gegen eine zweite Amtszeit

Zu den Beziehungen zwischen der UNO und den USA bemerkte Boutros-Ghali kritisch: „Dort, wo die UNO eine Rolle zu spielen hatte, ohne dass die USA direkt einbezogen waren – so in Mozambique oder El Salvador – war die Operation von Erfolg gekrönt. Wo sie jedoch als wichtige Teilnehmer erscheinen wollten, es aber unterließen, wichtige Entscheidungen zu treffen, wie in Ruanda, Bosnien oder Somalia, wurde die UNO gebraucht und missbraucht und als verantwortlich angesehen für den Misserfolg von Operationen, die in einer Tragödie endeten.“ Boutros-Ghali kritisierte auch die Mitgliedsstaaten, vor allem die USA, die von der UNO stets die Übernahme neuer Verantwortung verlangten, es jedoch unterließen, deren Finanzkrise zu lösen, die sich ständig verschlimmerte.

Bei der Wahl zum Generalsekretär der UNO 1992 hatten sich die USA der Stimme enthalten. 1996 verhinderten sie mit ihrem Veto eine zweite Amtszeit des Ägypters. Bis dahin hatten alle UN-Generalsekretäre zwei Mandate erhalten. Jetzt wurde Kofi Annan zum Nachfolger Boutros-Ghalis gewählt.

Boutros-Ghali hat sich stets für die Unabhängigkeit des Generalsekretärs eingesetzt, auch gegenüber den Großmächten; er sah dies als entscheidend für die Glaubwürdigkeit der UNO an. Er war höflich, aber auch schroff. Er verstand seine Rolle eher als die eines Diplomaten denn eines simplen Verwalters. Er führte sein Amt mit einem deutlich politischen Anspruch und widmete der Entwicklungsarbeit wie den globalen Zukunftsherausforderungen mindestens eben so viel Aufmerksamkeit wie der Friedenssicherung. 1993 reiste er sogar nach Nordkorea zu Vermittlungsgesprächen.

Während seiner Amtsperiode wurden mehrere internationale Konferenzen organisiert, wie 1992 die über Umwelt und Entwicklung in Rio, 1993 über Menschenrechte in Wien, 1994 über Bevölkerung in Kairo und 1995 über soziale Entwicklung in Kopenhagen und Frauen in Peking.

Boutros-Ghali bedauerte die Aufsplitterung der UNO auf zu viele Organisationen, auch auf dem Gebiet der Entwicklung. Wie schon seine Vorgänger schien er sich jedoch über die Verantwortung der Bretton-Woods- Institutionen für die strukturelle Fehlentwicklung der Entwicklungsländer wie auch über die Marginalisierung der UNO durch diese Institutionen weniger im Klaren und besorgt zu sein.

● Boutros-Ghali „tiers-mondiste“

Nach seinem UN-Mandat blieb Boutros-Ghali in der Politik. Er wurde Generalsekretär der Gemeinschaft frankophoner Staaten (1997 bis 2002). Den Angriff der USA auf den Irak 2003 kritisierte er als Verletzung der UN-Charta. 2007 gehörte er zu den Unterzeichnern einer Kampagne, die sich für den Aufbau einer Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen einsetzte. Ein "Weltparlament" sollte den Initiatoren zufolge als Bindeglied zwischen UN-System, Regierungen, nationalen Parlamenten und Gesellschaften fungieren und für mehr Transparenz und Legitimation der Vereinten Nationen sorgen. Die zwei letzten Jahre unterstützte er die Präsidentschaft von Präsident Sissi, in dem er einen Garanten für „Stabilität“ in Ägypten sah.

Während seines UNO-Mandates ist Boutros-Ghali oft als „tiers-mondiste“ abgestempelt worden, als jemand, der sich für die Dritte Welt engagierte, was oft als gleichbedeutend mit „anti-westlich“ angesehen wurde. Dazu bemerkte Boutros-Ghali: „Ich gehöre ohne Zweifel der Dritten Welt an, was mich nicht davon abhält, auch der westlichen Welt gegenüber offen zu sein… Jeder Generalsekretär, aus welcher Gegend er auch kommen mag, muss sich die Sache der Entwicklungsländer zu eigen machen. In einer Welt, wo es nur eine kleine Zahl reicher und mächtiger Länder gibt, muss sich die UNO besorgt zeigen für die, die an den Rand gedrängt sind, egal aus welchem Grund, sei es des ethnischen Ursprungs, des Geschlechts, der Religion, des Alters, der Gesundheit oder der Armut. Diese Pflicht der Aufmerksamkeit, des Schutzes, der Intervention bezieht sich auf vergessene oder verkannte Konfliktsituationen, wie diejenigen, die Afrika zerreißen und die in ihrer Schreckensdimension bei weitem die Konflikte auf dem Balkan oder im Mittleren Osten übertreffen, auf die die internationale Gemeinschaft und die Medien ihre Aufmerksamkeit konzentrieren.“

„Soweit es vorauszusehen ist, muss die UNO weiterhin das Hauptsprachrohr der am meisten entrechteten und vergessenen Völker sein. Sie muss sie gegen die schädlichen Auswirkungen der Globalisierung verteidigen und ihnen helfen, das Mittel zu finden, um in einer globalen Welt Fortschritte zu erzielen“.

Jean Feyder ist ehemaliger Botschafter Luxemburgs. 1987 bis 1993 war er Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York. In seine Zeit als entwicklungspolitischer Direktor im Außenministerium fiel die Erhöhung der luxemburgischen Entwicklungshilfe auf über 0,7% des Bruttonationaleinkommens. Zuletzt war er Botschafter Luxemburgs bei den in Genf vertretenen internationalen Organisationen.

Posted: 22.2.2016

Empfohlene Zitierweise:
Jean Feyder, Boutros-Ghali - Ein Anwalt der Dritten Welt, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 22. Februar 2016 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.