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dadaAfrika!

Artikel-Nr.: DE20160513-Art.12-2016

dadaAfrika!

Das Fremde als Befreiung

2016 ist das Dada-Jahr. Eine der erfolgreichsten Kunstbewegungen des 20. Jahrhunderts feiert ihre Geburt vor 100 Jahren im wieder eröffneten Cabaret Voltaire in Zürich. Es gibt Dadaglobe Recontructed, Dada Universal und Dada anders (alle in Zürich), Genese Dada im Arp-Museum in Rolandseck und Hannah Höch als Revolutionärin der Kunst in Mannheim. Die innovativste unter den Dada-Schauen ist jedoch dadaAfrika im Züricher Rietberg-Museum, die im Sommer in die Berlinische Galerie weiter zieht, berichtet Rainer Falk.


Dass die Vertreter der Klassischen Moderne, wie Picasso oder Paul Klee, sich von Artefakten fremder Kulturen, insbesondere afrikanischer Kunst, inspirieren ließen, ist allgemein bekannt. Richtungen wie der Expressionismus oder der Kubismus wären ohne die frühe Rezeption des Fremden nicht denkbar, ebenso wenig die bis heute anhaltende Anziehungskraft der Werke des Blauen Reiters oder der Brücke. Weniger bekannt ist dagegen die dadaistische Rezeption von außereuropäischen Kulturen und deren Kunst. Diese Lücke schließt jetzt eine Ausstellung mit dem programmatischen Titel „dadaAfrika. Dialog mit dem Fremden“, die gemeinsam vom Rietberg-Museum in Zürich und der Berlinischen Galerie konzipiert wurde.

● Auf Augenhöhe

Dabei gingen die Dadaisten deutlich über die klassischen Modernen hinaus. In der Züricher Galerie von Han Coray, die nach der Schließung des Cabaret Voltaire zu einer Art Hauptquartier der Dadaisten wurde, standen erstmals Skulpturen aus Afrika und dadaistische Kunst gleichwertig nebeneinander. dadaAfrika beleuchtet diese Beziehung nicht durch einfache Rekonstruktion dieser ersten Ausstellungen – es gab drei, bis auch diese Dada-Galerie geschlossen wurde und die meisten Protagonisten weiter nach Paris zogen. Die Ausstellungsmacher orientierten sich jedoch am Prinzip der Konfrontation bzw. Gegenüberstellung überseeischer Artefakte und dadaistischer Objekte und beförderten dabei Erstaunliches zutage.

"Wir suchten eine elementare Kunst, die den Menschen vom Wahnsinn der Zeit heilen sollte." Hans/Jean Arp

"Il n'existe pas d'art primitif comme il n'existe pas d'art civilisé, l'art étant toujours une création totalement fermée, parfaite, ne supportant aucune classification historique." Marcel Janco

"Afrika - Diese neue Welt, die sich im Aufbruch befindet, wird ganz offensichtlich die Welt der Zukunft sein." Tristan Tzara


Der Dadaismus vergeudete sich – entgegen landläufiger Vorstellungen – keineswegs im Unsinn, sondern erkannte in der Kunst und Kultur „Nicht-Europas“ einen schlüssigen Gegenentwurf zu hiesigen Verhältnissen und nutzte sie zur Kreation neuer Formen der Selbstartikulation. „Angewidert von den Schlächtereien des Weltkriegs“ (Jean Arp) hatten sie sich in Zürich zusammengefunden. Kunst musste da radikal anders sein und die verhassten bürgerlichen Normen und Wertvorstellungen auf den Kopf stellen. „Den Dada-Artisten ging es nicht um die Nachbildung oder bloße Adaption von exotischen Elementen,“ erfahren wir in dem begleitenden Ausstellungskatalog, „sondern darum, die Grenzen der traditionellen Kunstgattungen in Europa zu sprengen und – angeregt durch das Fremde – neue Materialien, Formen und Techniken für das eigene Kunstschaffen zu entwickeln.“ Für Dada war die Auseinandersetzung mit dem Fremden also gleichsam ein Mittel, den sozialen und politischen Protest gegen die westliche Zivilisation auszudrücken. Im Fremden entdeckten die Dada-Künstler und –Künstlerinnen gleichsam eine befreiende Gegenwelt.

● Suche nach dem Elementaren

Marcel Janco, Hugo Ball, Sophie Taeuber-Arp und Tristan Tzara, die neben Arp zur Kerngruppe von Dada-Zürich gehörten – sie alle bezogen entscheidende Inspirationen aus Übersee; bei Jancos Bildern und Masken etwa standen Artefakte aus Kamerum Pate, aber auch aus der Schweiz und aus Rumänien. Sophie Taeuber-Arp faszinierten die Gewänder der nordamerikanischen Hopi-Indianer (s. Abb. 1a/b), während sich Tristan Tzara von afrikanischen und australischen Texten zu seinen „poèmes nègres“ anregen ließ.

Alles dies diente der Suche nach einer „elementaren Kunst, die den Menschen vom Wahnsinn der Zeit heilen sollte“ (Arp). Kein Wunder, dass für die Dadaisten der herkömmliche Gegensatz zwischen „primitiver Kunst“ und „zivilisierter Kunst“ nicht existierte, auch wenn dieser in den offiziellen Diskursen (wie zuletzt der Streit um die Bezeichnung des Museums Branly in Paris zeigte) bis heute weiter lebt.

● Von der Performance zur Revolte

Die Ausstellung dadaAfrika gliedert sich in vier Ausstellungsbereiche: dada Performance lässt die performative Auseinandersetzung mit dem Fremden aufleben. Dabei werden „Negergedichte“ den dadaistischen Lautgedichten gegenübergestellt, der dadaistische Glaube an eine „direkte, magische und schöpferische Kunst“ beschworen, „abstrakte“ und „kubistische“ Maskentänze als Weg zu einer neuen Aufführungsästhetik vorgestellt – bis zur bislang kaum erforschten Wechselwirkung zwischen Dada und Jazz.

Der zweite Ausstellungbereich dada Galerie beleuchtet das Netzwerk von Dada-Leuten, Händlern und Sammlern von afrikanischer Kunst, ohne das die Begegnung zwischen außereuropäischer Kunst und Dadaismus überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Eine Breitseite zwischen ethnographischem Exotismus und inspirierendem Chaos bekommen dabei auch die boomenden Völkerkundemuseen des frühen 20. Jahrhunderts ab. Wieder ins Gedächtnis gerufen wird die wegweisende Schrift „Negerplastik“ von Carl Einstein, die die Artefakte aus Afrika erstmals als Kunst anerkannte und zum Bezugspunkt für alle großen Künstler der Zeit, darunter nachweislich auch der Dadaisten, wurde.

Der dritte Bereich dada Revolte bezeichnet die zunehmende Politisierung des Dadaismus, wie sie sich vor allem in der Entwicklung von Dada Berlin zeigte. Exemplarisch werden hier vor allem Arbeiten von Richard Huelsenbeck und Raoul Hausmann, von George Grosz und John Hartfield präsentiert. Doch auch für Dada Berlin spielte das Fremde in Form von Tänzen und Klängen eine große Rolle. „Ich tanze federnbunt betrunken“ ist ein Katalogbeitrag über Carl Einstein und den afrikanischen Vitalismus dadaistischer Kunst überschrieben. Dada zelebriert den Aufruhr im „Negerrhythmus“ und den Andersklang im „Umba! Umba!“ dada Magie ist der vierte, aber nicht der letzte Ausstellungsteil betitelt. In seinem Zentrum steht Hannah Höchs Collagen-Serie „Aus einem ethnographischen Museum“, die besonders drastisch die magische Wirkung der Gegenüberstellung des Eigenen und des Fremden verdeutlicht. In den Collagen stehen Bilder der Moderne gleichwertig neben Fotografien außereuropäischer Artefakte – darunter auch Stücke des Sammlers und Gründungsgebers des Museums Rietberg, Eduard von der Heydt.

● Systematische Gegenüberstellung

Ausstellung und Katalog präsentieren in einer bislang nicht gekannten Systematik Dada-Werke und vor allem afrikanische Kunstwerke in exemplarischer Gegenüberstellung. Wie und nach welchem Prinzip dies geschieht, mag der Abdruck von drei Fotopaaren verdeutlichen. Abb. 1a und b konfrontiert Hannah Höchs Denkmal I mit einer gu-Maske aus der Elfenbeinküste. Das Denkmal I, das zugleich den Einband des Katalogs schmückt, ist kompositorisch geradezu klassisch aufgebaut. Den Kopf bildet die beschnittene Abbildung einer gu-Maske, wie sie nebenan von einem Meister von Buafle abgebildet ist; der Oberkörper ist von einer Statue einer Göttin aus Theben; die Beine (hier nicht mehr zu sehen) stammen aus der Berliner Illustrierten Zeitung und gehören der damals populären Schauspielerin Lilian Harvey.

Dialoge mit dem Fremden







Über die Bedeutung der Hopi-Indianer für Taeuber-Arp ist schon viel geschrieben worden. Für dieses Kostüm (Abb. 2a) ist charakteristisch die ornamentale Gestaltung, in die bereits das für die Künstlerin typische Formenvokabular, wie Quadrat, Rechteck, Kreis, Dreieck, einging. Drei-dimensionale Kollagen wie dieser mechanische Kopf von Raoul Hausmann (Abb. 3a) zogen erstmals mit Dada in das künstlerische Repertoire des 20. Jahrhunderts ein – man denke auch an die diversen Dada-Köpfe von Sophie Taeuber-Arp, die sowohl in ihrer Farbenfrohheit als auch ihrer Reduktion bis heute unübertroffen sind. Ob bei Raoul Hausmann die Kraftfigur aus dem Kongo (Abb. 3b) Pate gestanden hat, ist nicht bekannt oder sogar unwahrscheinlich. Gemeinsam ist den beiden Objekten jedoch die magische Aufladung, die durch die Verwendung von Alltagsgegenständen erreicht wird.

● Dada South?

Eine Vorstellung von dadaAfrika wäre nicht vollständig, würde nicht ein letzter Ausstellungspart erwähnt, der mit dada Kontrovers überschrieben ist und der Frage nachgeht, welche Spuren der Dadaismus im Süden des Globus hinterlassen hat. Gibt es also einen „Dada South“? Um sich dieser Frage anzunähern, greifen die Ausstellungsmacher auf eine gleichnamige Ausstellung aus dem Jahre 2009/10 in Kapstadt zurück, die zwar viel besucht, aber in Europa kaum rezipiert wurde. Dabei finden sie: „So wie vormals Dada die performativen Elemente von afrikanischen Kulturen aktivierte, um sich gegen die konventionellen Werte des eigenen Kunstbetriebs zu wenden, übernahmen südafrikanische Künstler dadaistische Praktiken in ihre Revolte gegen das menschenverachtende Apartheidregime.“

Abschließend bleibt anzumerken, dass dadaAfrika nicht zuletzt auch von hochgradiger politischer Aktualität ist: In dadaAfrika treten die dadaistischen und außereuropäischen Werke nicht nur in ein gleichberechtigtes Verhältnis zueinander; die Ausstellung macht den konstruktiven und wertschätzenden Umgang der Dada-Bewegung mit dem Fremden deutlich, und dies lange, bevor die Wertschätzung für multikulturelle Gesellschaften aufkam.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 17. Juli 2016 im Rietberg-Museum in Zürich und vom 5. August bis 7. November 2016 in der Berlinischen Galerie.

Posted: 13.5.2016

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, dadaAfrika! Das Fremde als Befreiung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 13. Mai 2016 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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