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Finanzielle Trendwende bei der deutschen EZ?

Artikel-Nr.: DE20161025-Art.23-2016

Finanzielle Trendwende bei der deutschen EZ?

Warum vorsichtige Freude aufkommt

Vorab im Web - Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat am 20. Oktober 2016 beschlossen, die Mittel für die Einzelpläne 05 (Auswärtiges Amt) und 23 (BMZ) für das laufende Jahr noch außerplanmäßig um 150 bzw. 350 Mio. € zu erhöhen, um eine Verbesserung der Nothilfe und der Entwicklungsunterstützung in den Krisengebieten zu gewährleisten. Für Ludger Reuke ist das ein Grund zu vorsichtiger Freude.

Die Aufstockung für die Nothilfe folgt wohl auf die Versprechungen, die in den vergangenen Monaten bei Besuchen in den riesigen Flüchtlingslagern in den Nachbarländern Syriens gemacht wurden, und der hohe Aufwuchs bei der Entwicklungsunterstützung steht ziemlich sicher im Zusammenhang mit den Besuchen der Bundeskanzlerin in Mali, Niger und Äthiopien.

● Schnelle Entscheidung und Umsetzung

Häufig werden Finanzmittel erst Monate, manchmal Jahre nach Absichtserklärungen auf Gipfeln, Reisen oder in Koalitionsvereinbarungen bereitgestellt und nicht selten in geringerer Höhe als versprochen. Dass hier so schnell außerplanmäßig entschieden wurde, ist uneingeschränkt zu begrüßen, denn diese Mittel dienen der Linderung der riesigen Not in den Lagern und - hoffentlich - dem wirtschaftlichen Fortschritt in manchen der Least Developed Countries (LDCs). Das ist grundsätzlich anzuerkennen - unabhängig davon, ob man den Hintergedanken der Förderung von Rücknahmeabkommen nun gut heißt oder nicht.

Es gibt noch einen anderen Grund, sich vorsichtig zu freuen: Im Einzelplan 23 des Haushaltsgesetzes 2016 hat es nach den langen Dürre-Jahren unter Ex-Entwicklungsminister Niebel gegenüber dem Vorjahr erstmals wieder einen nennenswerten Zuwachs von 863 Mio. € gegeben. Schon das war - wenn auch in der Summe nicht ganz ausreichend - ein Mutmacher. Zählt man nun die außerplanmäßigen 350 Mio. hinzu, erreicht man etwas über 1,2 Mrd. €. Das ist sogar etwas mehr, als die seit langen Jahren geforderten eine Milliarde Euro plus über mehrere Jahre, bis das 0,7%-Ziel erreicht ist: Eine Forderung von Entwicklungsorganisationen, die später auch in der Politik Anklang fand.

2011 legte Thilo Hoppe, der damalige Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AwZ), erst seinen Kollegen im AwZ und dann allen MdB eine Resolution zur Unterschrift vor. Die Hauptforderung: ein Aufwuchs der Mittel „im Schnitt pro Haushaltsjahr um mindestens 1,2 Mrd. Euro“. 372 von 620 Abgeordneten, also 60%, unterschrieben: „Dafür werden wir uns mit aller Überzeugung einsetzen.“ Dass die 66 Unterzeichnenden aus der Union und die 26 aus der FDP dann trotzdem für den Haushalt 2012 mit seinen viel niedrigeren Ansätzen stimmten, war der Fraktionsdisziplin geschuldet.

● Wie eine erste Frühlingssonne

Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD im Herbst 2013 ein ähnliches Bild: Die zuständige Verhandlungskommission verlangte in ihrem Schlussprotokoll für die kommenden vier Jahre eine zusätzliche Erhöhung von mindestens 1 Mrd. € jeweils zum Vorjahr - das wären also 10 Mrd. (1+2+3+4) für die Legislaturperiode gewesen. Diese Lösung wurde durch die Parteivorsitzenden Merkel, Gabriel und Seehofer mit der Formel "2 Mrd. für die gesamte Periode" zunichte gemacht.

Dagegen strahlt die jetzt beschlossene Erhöhung wie eine erste Frühlingssonne.
Damit es aber Sommer werden kann, muss in den kommenden Wochen bei den Beratungen zum Haushalt 2017 noch schwer geackert werden. Im Regierungsentwurf ist nämlich im BMZ-Haushalt statt der notwendigen 1 Mrd. eine Erhöhung von nur 580 Mio. vorgesehen, im Auswärtigen Amt für die Nothilfe sogar eine Kürzung um 206 Mio. €. Dies ist angesichts der ständig steigenden Not in den Nachbarländern Syriens - und nicht nur dort - ein Unding. Der AwZ und der Haushaltsausschuss müssen also für den Einzelplan 23 ungefähr 420 Mio. € zulegen und erheblich mehr als 200 Mio. für die Nothilfe beim AA.

Und wenn es schließlich einen sonnigen Herbst mit üppiger Ernte für die Entwicklungsländer geben, wenn also die viel beschworene „Nachhaltigkeit“ erzielt werden soll, dann müsste sich der Trend fortsetzen - mindestens für die Jahre 2018 und 2019. Dafür sollten sich die deutschen NGOs verstärkt einsetzen.

● Notwendigkeit und Eigennutz

Nun mag man einwenden, mathematisch-technische Forderungen wie die nach „Erreichung des 0,7%-Ziels“ reichten doch wohl nicht aus, um „stetig mehr Mittel“ zu fordern. Was die Nothilfe angeht, ist die Antwort ziemlich einfach: Mehrere Millionen Geflüchtete sind im Nahen Osten nur notdürftig, manchmal völlig menschenunwürdig untergebracht. Weitere Millionen irren in ihren Heimatländern umher und versuchen über die Grenzen zu kommen. Und wenn wir auf den Jemen, auf Aleppo oder Mossul schauen, ist sicher, dass die Zahl der Flüchtenden weiter zunehmen wird. Hier Hilfe einzufrieren oder gar zu kürzen, würde ein völlig inakzeptables Maß an Zynismus erfordern.

Bei der Entwicklungszusammenarbeit ist das komplizierter. Jahrzehntelang hieß es immer wieder, wir müssten die wirtschaftlich weniger entwickelten Länder bei ihren eigenen Entwicklungsbemühungen stärker unterstützen. Aber die bisherigen Leistungen der Öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) haben bei weitem nicht ausgereicht, Armut und Perspektivlosigkeit durchschlagend einzugrenzen. Wirklich interessiert dafür hat sich jahrzehntelang nur eine Minderheit. Erst die sehr hohe Zahl an Flüchtlingen 2015 hat zu der fast allgemeinen Zustimmung zu dem Satz geführt: „Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen.“

● Jetzt oder nie

Dass zur Notwendigkeit hierbei auch eine gehörige Portion von Eigennutz getreten ist, muss ja nicht hinderlich sein, mehr zu leisten. Denn auch wenn Frieden und Sicherheit näher rücken, werden wir und die anderen „Geber“ unsere Mittel erheblich aufstocken müssen, wenn sich die Situation in den meisten armen Ländern so sehr verbessern soll, dass sich deren Bürger so fühlen, dass sie dort bleiben und zur weiteren Entwicklung ihres Landes beitragen wollen. Natürlich stimmt auch hier, dass Geld nicht Alles ist, aber ohne (mehr) Geld (auch im Frieden) ist Alles Nichts.

Das Umfeld ist günstiger als je zuvor, weil zu dem Ziel, die Situation der Menschen „im Süden“ zu verbessern, der Eigennutz „des Nordens“ hinzukommt, möglichst wenig zusätzliche Flüchtende aufnehmen zu müssen. Den „Süden“ bei seiner Entwicklung wirksam zu unterstützen, ist nicht nur humaner, da die allermeisten Menschen ihre Heimat sicher schweren Herzens verlassen. Es ist auch - rein finanziell betrachtet - erheblich billiger, als langfristige Integration oder gar Abschottung.

Unüberbietbarer Zynismus

Ein letzter Punkt: In jüngster Zeit hat sich bei einigen Journalisten und ehemals in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen Pensionären die These verbreitet, ganz Arme könnten sich eine Flucht gar nicht leisten. Trüge man zu einer auch nur geringfügigen Erhöhung des Wohlstands bei, erhöhe man also die Zahl der Flüchtlinge.

Also? Gar keine Hilfe mehr, damit alle ganz arm bleiben und in ihren Heimatländern bleiben? Ganz davon abgesehen, dass offensichtlich verzweifelte und perspektivlose junge Menschen in der Realität auch ohne Schlepper fliehen, zeugen solche Gedankenspiele von einem unüberbietbaren Zynismus. Sie sind das absolute Gegenteil von „Nachhaltigkeit“, von Menschenwürde und Solidarität ganz zu schweigen.

Dr. Ludger Reuke ist Referent für Entwicklungspolitik bei Germanwatch.

Empfohlene Zitierweise:
Ludger Reuke, Finanzielle Trendwende bei der deutschen EZ? Warum vorsichtige Freude aufkommt, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 25. Oktober 2016 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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