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Welthandel: Die westlichen Doppelstandards

Artikel-Nr.: DE20160530-Art.14-2016

Welthandel: Die westlichen Doppelstandards

Verlogene Freihandelsrhetorik

Die westlichen Länder beschwören gemeinsam die großen Vorteile des Freihandels und die Übel des Protektionismus. Doch in Wirklichkeit praktizieren viele Industrieländer Doppelstandards und bestehen auf Freihandel, wo sie stark sind, während sie protektionistische Maßnahmen in Sektoren nutzen, in denen sie schwach sind, schreibt Martin Khor.

Im schlimmsten Fall stellen sie im selben Sektor Regeln auf, die den Entwicklungsländern Liberalisierungsmaßnahmen aufdrücken, sich aber selbst gestatten, hohen protektionistischen Schutz aufrecht zu erhalten. Ein herausragendes Beispiel ist die Landwirtschaft, in der die reichen Länder nicht konkurrenzfähig sind. Wenn „Freihandel“ praktiziert würde, wäre ein großer Teil des globalen Agrarhandels unter der Kontrolle der effizienteren Entwicklungsländer. Doch bis heute wird der Agrarhandel von den Hauptindustrieländern dominiert.

● Subventionen und Protektion zu Lasten des Südens

Viele Jahrzehnte lang hatten die Industrieländer ihre Landwirtschaft von der Handelsliberalisierung ausgenommen. Die Ausnahme endete, als 1995 die Welthandelsorganisation (WTO) gegründet wurde und erwartet wurde, dass die Industrieländer ihre Landwirtschaft der globalen Konkurrenz öffnen würden. Doch in der Realität erlaubt ihnen das WTO-Agrarabkommen, beides – hohe Zölle und hohe Subventionen – zu haben.

Die Subventionen machten es für die Farmer möglich, ihre Produkte zu niedrigen Preisen – oft unter den Produktionskosten – zu verkaufen und gleichzeitig adäquate Einkommen (einschließlich der Subventionen) zu erzielen, die sie im Geschäft hielten. Für die Entwicklungsländer hat dies vier negative Auswirkungen:

Erstens gelangen solche Länder, die landwirtschaftlich nicht konkurrenzfähig sind, nicht auf die Märkte der reichen Länder. Zweitens werden die Entwicklungsländer von anderen Märkten verdrängt, weil die Vereinigten Staaten und Europa dieselben Agrarprodukte zu künstlich niedrig gehaltenen Preisen exportieren können. Das ist das, was die afrikanischen baumwollproduzierenden Länder beklagen. Drittens verringern die Industrieländer durch den Export billiger Produkte die Nachfrage nach vergleichbaren Produkten der Konkurrenten. Würden die USA ihre Sojabohnen nicht subventionieren, hätte malaysisches oder indonesischen Palmöl einen größeren Markt. Viertens schädigen diese Billigprodukte (wie Hühnchen aus den USA und Europa) die Lebensgrundlagen der lokalen Bauern in vielen Entwicklungsländern.

● Warum sich die USA der Doha-Agenda verweigern

2001 startete die WTO die Doha-Entwicklungsagenda, deren Hauptziel darin bestand, die Agrarsektoren der Industrieländer zu liberalisieren. Viel Energie wurde viele Jahre hindurch aufgebracht, um Methoden und Formeln für die Liberalisierung des Agrarhandels zu entwickeln, und ein hohes Maß an Konsensus wurde erreicht. Doch die USA haben, unterstützt von Europa, inzwischen klar gemacht, dass sie nicht beabsichtigen, die Doha-Runde abzuschließen. Künftige WTO-Verhandlungen hätten auf einer neuen Basis und nicht auf der Grundlage der existierenden Texte stattzufinden.

Ein Artikel von Chris Horseman in „Agra Europe“ vom 12. Mai analysiert, warum die USA den ausgehandelten Text nicht akzeptieren können. Die Verringerung der Obergrenze eines bestimmten Typs erlaubter Subventionen (genannt de minimis) hätte die USA gezwungen, die Obergrenze bei einem anderen Typ verbotener Subventionen (genannt AMS) um 58% anzuheben. Das erklärt teilweise, “warum die USA darauf aus sind, von der jetzt auf dem Tisch liegenden Formel abzugehen und einen neuen Ansatz auszuhandeln”, heißt es in dem Artikel. Wegen ihrer mächtigen Farmerlobby wird die USA nicht ihre Politik ändern (wie sie in der Farm Bill von 2014 verankert ist), um die neuen Obergrenzen der Doha-Agenda für heimische Agrarsubventionen zu erfüllen.

Derselbe Artikel zeigt auch, wie die Europäische Union inzwischen ihre Subventionstypen verändert hat, um sie stärker in Übereinstimmung mit den WTO-Regeln zu bringen. Dies gestattete den EU-Ländern, ihre gesamten heimischen Subventionen in Höhe von 80 Mrd. € jährlich (zwischen 2004 und 2013) aufrechtzuerhalten.

Zwei Jahrzehnte nach Gründung der WTO haben es die reichen Länder geschafft, ihr hohes Niveau der Agrarprotektion beizubehalten. Es besteht wenig Aussicht, dass sie Änderungen im Handelssystem zustimmen werden, die die massiven Subventionen, mit denen sie ihr Agrarsystem am Laufen halten, eliminieren oder reduzieren werden.

Die ärmeren Länder haben einfach nicht das Geld, um mit den Subventionen der Reichen mitzuhalten. Wenn sie ihre Bauern und ihre Lebensmittelsicherheit verteidigen wollen, bleibt ihnen nur die Erhöhung des Zollniveaus, um die subventionierten Billigprodukte außen vor zu halten. Doch diejenigen Entwicklungsländer, die mit den USA oder der EU Freihandelsabkommen unterzeichnet haben, müssen ihre Agrarzölle auf null oder zumindest ein sehr niedriges Niveau herunterfahren. Zugleich insistieren die Industrieländer darauf, die Agrarsubventionen aus der Agenda der Freihandelsabkommen herauszuhalten. Auf diese Weise können die reichen Länder ihre Subventionen aufrechterhalten und die Entwicklungsländer mit ihren Agrarprodukten überschwemmen.

● Indien und China schlagen zurück

Die USA und die EU praktizieren auch in anderen Bereichen protektionistische Maßnahmen gegen die Entwicklungsländer. Zum Beispiel brachten die USA erfolgreich einen Fall gegen Indien vor die WTO, wonach die indische National Solar Mission lokale Firmen über lokale Contentauflagen für Solarzellen und –module bevorzugt. Diese Art der Art der Gegenwehr macht es für Indien und andere Länder besonders schwer, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen.

Das Europäische Parlament stimmte kürzlich dafür, China den Status einer Marktwirtschaft in der WTO zu verweigern, obwohl die WTO-Mitglieder verpflichtet sind, China bis Dezember 2016 diesen Status zu gewähren, nachdem das Land jetzt 15 Jahre WTO-Mitglied ist. Indem China dieser Status verweigert wird, ist es leichter, Anti-Dumping-Verfahren gegen China anzustrengen und Sonderzölle auf chinesische Exporte zu verhängen.

Doch China und Indien schlagen zurück. Indien hat kürzlich angekündigt, dass es die USA in 16 Fällen, in denen Subventionen im Rahmen des US-Programms für Erneuerbare Energien gewährt wurden, wegen der Verletzung von WTO-Regeln anklagen wird. China hat ein WTO-Verfahren gegen die USA gewonnen, weil diese widerrechtlich Strafzölle gegen 15 chinesische Produkte, darunter Solarzellen, Stahlbecken und Thermopapier, verhängt hatten. Dennoch haben die USA die WTO-Entscheidung nicht befolgt, weshalb China jetzt ein weiteres Verfahren anstrengen wird, um die USA zur Einhaltung des Beschlusses zu zwingen.

Es scheint unmöglich zu sein, dem hohen Niveau der Agrarprotektion der Industrieländer vorzubeugen oder es zu verhindern. Und es sieht auch so aus, als würden diese protektionistische Maßnahmen gegen Produkte oder Politiken von Entwicklungsländern auch weiterhin einsetzen. In Bezug auf den Freihandel besteht in der Tat eine riesige Lücke zwischen Rhetorik und Praxis. Die Industrieländer haben moralisch kein Recht, den Entwicklungsländern „Freihandel“ zu predigen, solange sie selbst Protektionismus praktizieren.

Martin Khor ist Exekutivdirektor des South Centre in Genf. Die hier geäußerten Positionen sind seine eigenen.

Posted: 30.5.2016

Empfohlene Zitierweise:
Martin Khor, Welthandel: Die westlichen Doppelstandards. Verlogene Freihandelsrhetorik, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 30. Mai 2016 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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