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Raus aus dem Euro? Besser nicht.

Artikel-Nr.: DE20170221-Art.04-2017

Raus aus dem Euro? Besser nicht.

Ein gefährlicher Irrweg

Vorab im Web - Die Europäische Union steckt in einer existenziellen Krise. Die Eurokrise, der tiefe Zwist in der Flüchtlingspolitik, der Brexit – all dies hat die EU schwer erschüttert. Ob der Front National in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden, die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien, die FPÖ in Österreich oder die AfD und CSU in Deutschland – allerorten erstarken Kräfte, die eine nationalistische Politik möglichst ohne lästige europäische Institutionen durchsetzen wollen. Auch in Polen und Ungarn macht sich ein autoritärer Nationalismus breit. Mit Donald Trump erhält diese „internationale Nationalismusbewegung“ weiteren Auftrieb. Von Axel Troost und Klaus Busch

Auch in der gesellschaftlichen Linken ist nach der Niederlage Syrizas im Sommer 2015 die Diskussion entbrannt, welche Strategie angesichts der Krise der Europäischen Union und des weiterhin dominanten neoliberalen Kurses zu verfolgen sei. Allen Beteiligten ist klar: Die Europäische Währungsunion kann nur überleben, wenn sie radikal reformiert wird. Die Mehrheitsströmung der europäischen Linken setzt auf radikale Reformen an der Struktur der Wirtschafts- und Währungsunion, wie sie teilweise bereits bei ihrer Einführung angemahnt wurden. Doch es mehren sich Stimmen nach einem „Eurexit“ oder „Lexit“, also einem linken Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung.

● Wieso können die Ausstiegsbefürworter nicht überzeugen?

Der Austritt einzelner Länder oder das Ende des Euro hätte eine tiefe Wirtschaftskrise und neue Auseinandersetzungen zwischen den Staaten zur Folge. Zudem stünden diese immer noch und geschwächt der Internationalisierung des Kapitals und den transnationalisierten Herrschaftsverhältnissen gegenüber. Wir halten eine Austrittskampagne, die gesellschaftlich auch nicht sonderlich anschlussfähig ist, für einen gefährlichen Irrweg. Vielmehr gilt es, innerhalb der Eurogemeinschaft den Kampf um eine bessere EU aufzunehmen.

Die Ausstiegskampagnen stützen sich auf folgende Hauptargumente: Nach der Rückkehr zu nationalen Währungen könnten die Staaten ihre Währungen abwerten, so ihre Leistungsbilanzposition wieder verbessern und die „interne Abwertung“ – also Reallohnsenkungen – vermeiden. Sie könnten dann auch wieder stärker eine autonome Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben, wodurch auch die erniedrigenden Eingriffe wegfallen würden, die sie durch den Stabilitätspakt oder bei der Annahme von ESM-Krediten erdulden müssen. Anstelle des Euros sollte langfristig ein System anpassungsfähiger Wechselkurse treten, ähnlich dem früheren Europäischen Währungssystems (EWS II).

Diese Argumente können jedoch nicht überzeugen. Auch in einem System anpassungsfähiger Wechselkurse wird eine Abwertung jedenfalls nur dann die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes verbessern, wenn sie zu einer längerfristigen Reallohnsenkung führt. Kommt es aber nach einer nominalen Abwertung zu einer Kette aus importierter Inflation und kompensatorischen Lohnsteigerungen, verschiebt sich das inländische Preisniveau schnell nach oben. Das aber macht schrittweise die abwertungsbedingte Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit zunichte – und binnen Kurzem ergibt sich ein ähnlicher realer Wechselkurs wie vor der Abwertung. Eine Abwertung der Währung ist also nicht der sanfte, „schmerzfreie“ Weg, sondern lediglich der „subtilere“, aber nicht weniger einschneidende Weg der Anpassung.

● Illusionäre Hoffnungen

Zweitens werden die Nationalstaaten nach Auflösung der Eurozone kaum eine größere Eigenständigkeit in ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik erlangen. Dies liegt an der Einbettung in die internationalen Finanzmärkte. Vergleichsweise komfortabel stehen dabei noch die Gläubigerstaaten dar, also diejenigen Staaten, die wegen Leistungsbilanzüberschüssen und unterdurchschnittlichen Staatsschuldenquoten weniger auf Auslandskapital angewiesen sind. In ihnen käme es zu einer Aufwertung der nationalen Währungen und damit zu vorübergehenden Wachstums- und Beschäftigungseinbußen. Gerade Deutschland – das größte Überschussland der Eurozone – müsste mit deutlichen Wohlstandsverlusten rechnen.

Noch viel dramatischer wären die Folgen für die Schuldnerstaaten. Sie müssten an den internationalen Kapitalmärkten deutlich höhere Zinssätze für ihre Staatsanleihen zahlen. Gleichzeitig würden ihre Staatsschulden – in nationaler Währung gerechnet – deutlich ansteigen. Sie würden also in eine Zins- und Schuldenfalle geraten: Sie könnten angesichts der dramatisch ansteigenden Zinslast ihre Haushaltsdefizite nicht in ausreichendem Maße über den Verkauf von Staatsanleihen an ausländische Kapitalgeber finanzieren. Ebenso wenig würde es ihnen gelingen, ihre Leistungsbilanzdefizite zu finanzieren, denn dafür würden sie größere Kapitalimporte benötigen, also den Kauf von Staatstiteln durch Ausländer. Ihre Regierungen wären dann unabhängig von ihrer politischen Orientierung zu einer drastischen Austeritätspolitik gezwungen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wären sie dann auf Kredite internationaler Institutionen wie dem IWF angewiesen und müssten im Gegenzug weitere Kürzungen vornehmen.

Es wäre naiv zu glauben, die starken Staaten könnten anderen einen sanften Ausstieg ermöglichen. Warum sollten sie dies tun, wenn sie schon zu sehr viel kleineren Zugeständnissen nicht bereit waren? Warum sollten sie den Zusammenbruch des Euros riskieren, wenn dieses Beispiel Schule machen sollte? Und wenn der Euro einvernehmlich aufgelöst werden sollte, warum sollten sie angesichts der dann ausbrechenden Krise solidarisch zu ihren früheren Partnern sein?

● Zurück zum EWS?

Ganz abgesehen von praktischen Problemen. Gemäß Schulmeister hätte eine Euro-Auflösung bei 18 Staaten 153 neue bilaterale Währungsrelationen zur Folge, auf welche die bestehenden Euro-Titel umgestellt werden müssten. Wenn dabei „überdies Lösungen auch für alle Bankeinlagen, Kredite, Unternehmensanleihen und Derivate in 153 bilateralen Länderbeziehungen gefunden werden müssen, dann lautet der schlichte Schluss: Eine geordnete Abwicklung des Euro ist nicht möglich.“ (Stephan Schulmeister, Euroabwicklung: Der finale Schritt in den Wirtschaftskrieg, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2013)

Der mit dem Anpassungsschock verbundene Preis für einen Euro-Ausstieg wäre daher gewaltig. Dies könnte man vielleicht noch hinnehmen, wenn anschließend paradiesische Zustände herrschten. Doch nach dem Übergang wären die Staaten wieder mit den aus der Historie bekannten Schwächen von Wechselkurssystemen konfrontiert. Exemplarisch sind die Probleme des Europäischen Währungssystem (EWS). So war die DM seit Ende der 1970er Jahre gegenüber den Währungen wichtiger Partnerländer häufig real unterbewertet, da Anpassungen der Wechselkurse zu spät oder nur unzureichend erfolgten. Die Wechselkursverzerrungen, die damit verbundenen Leistungsbilanzungleichgewichte und internationale Kapitalspekulanten führten schließlich zum Zusammenbruch des EWS. Das Europäische Währungssystem war also keineswegs ein stabiler, ausgewogener Währungsraum. Später wurde das EWS um eine Schwankungsbandbreite von ±15% ergänzt und konnte nicht mehr als ein System fester, aber anpassungsfähiger Wechselkurse betrachtet werden. Für eine rückblickende Verklärung besteht daher auch im Licht der großen Defizite der heutigen WWU keine Veranlassung.

● Welche radikalen Reformen sind jetzt nötig?

Weder EU noch Euro haben in ihrer jetzigen Form eine Zukunft. Wenn sie Bestand haben wollen, müssen beide radikal umgebaut werden.

Erstens muss dazu die Fiskalpolitik, also die staatliche Ausgabenpolitik, viel stärker an den konjunkturellen Erfordernissen des gesamten Euroraums ausgerichtet werden (sprich: expansiv wirken). Um die schwächelnde Wirtschaft zu stimulieren, muss die Austeritätspolitik durch ein europäisches Investitionsprogramm beendet werden. Eine demokratisch kontrollierte Wirtschaftsregierung müsste zudem in die Lage versetzt werden, zusammen mit einem deutlich gestärkten Europäischen Parlament und dem Rat der Union mithilfe von Eckpunkten die nationalen Haushalte zu steuern.

Die zweite Reformsäule setzt bei den außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten an. Bisher zwingt die makroökonomische Überwachung der EU nur wirtschaftlich schwachen Staaten Anpassungsleistungen auf. Zukünftig müssten auch und zuallererst Staaten mit hohen Überschüssen in der Leistungsbilanz verpflichtet werden, auf eine ausgeglichene Leistungsbilanz hinzuarbeiten. Für Deutschland hätte ein solches sanktionsbewehrtes Regime ein besonderes Gewicht. Öffentliche Investitionen und Maßnahmen zur Steigerung des Lohnniveaus wären angesichts der jahrelangen Fehlentwicklungen quasi unvermeidlich.

Drittens müssten Beschäftigung, Lohn- und Einkommenspolitik und soziale Sicherung in der Union einen deutlich größeren Stellenwert erhalten. Es wäre ein Leichtes, mit Hilfe von klar definierten Indikatoren (Arbeitslosenquoten, Lohnstückkosten, Gesamtausgaben für soziale Sicherung etc.) die Entwicklungen in diesen sozialen Dimensionen der EU zu beobachten und bei Bedarf korrigierende Maßnahmen zu erzwingen.

Um sich nicht durch die Finanzmärkte erpressen zu lassen und die Zinsunterschiede zwischen den Staaten zu reduzieren, sollten sich die Eurostaaten zudem zukünftig über gemeinschaftlich aufgelegte Euro-Anleihen finanzieren. Dazu kämen neue Spielregeln für die Finanzmärkte und eine gemeinsame Steuerpolitik, die gegen Steuerdumping und legale und illegale Formen der Steuervermeidung vorginge.

Zudem kommt die EU nicht herum, legale Zugangswege für Flüchtlinge zu schaffen und Mittel für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Beseitigung von Fluchtursachen zu mobilisieren.

Jede einzelne dieser Maßnahmen wäre schon ein kleiner Erfolg. In ihrer Gesamtheit zeigen sie einen Weg auf, die EU und den Euro in Richtung eines solidarischen Europas zu transformieren.

Dr. Axel Troost ist stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE und finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE; Prof. Klaus Busch lehrte Europäische Studien an der Universität Osnabrück und ist europapolitischer Berater der Gewerkschaft ver.di. Ihr Text beruht auf einer Streitschrift für eine andere EU (s. Hinweis).

Hinweis:
* Klaus Busch/Axel Troost/Gesine Schwan/Frank Bsirske/Joachim Bischoff/Mechthild Schrooten/Harald Wolf, Europa geht auch solidarisch! Streitschrift für eine andere Europäische Union, 88 S., VSA-Verlag: Hamburg 2016. Bezug: über www.vsa-verlag.de

Empfohlene Zitierweise:
Axel Troost/Klaus Busch, Raus aus dem Euro? Besser nicht. Ein gefährlicher Irrweg, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 21. Februar 2017 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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