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Afrikas Strukturen nach dem Boom

Artikel-Nr.: DE20160523-Art.13-2016

Afrikas Strukturen nach dem Boom

Grüne Flausen

Vorab im Web - Mit dem Rückgang der Rohstoffpreise sinken auch die afrikanischen Wachstumsraten. Zwar ist der Boom vorbei, trotzdem hat sich Afrika in den letzten 20 Jahren positiv verändert. Reichen diese Veränderungen aber aus, um den Kontinent krisenresistenter zu machen, um die Wirtschaft Afrikas auf eine nachhaltigere Grundlage zu stellen? Dafür spricht derzeit nur wenig, findet unser Autor Jörg Goldberg nach der Lektüre zweier neuer Afrika-Reports.

Wie um skeptische Beobachter zu bestätigen, die den Wachstumsboom der letzten 15 Jahre für rohstoffbedingt und damit für wenig nachhaltig erachteten, werden die Wachstumsschätzungen für Afrika seit 2014 nach unten korrigiert. Umgekehrt gehen auch die Prognosen einer „fragilen wirtschaftliche Wiederbelebung“ ab 2017, wie sie im neuesten African Economic Outlook (AEO; s. Hinweis) angestellt werden, von einer Erholung der Rohstoffpreise aus.

● Wachstumsverlangsamung und Armutsreduzierung

Die Schätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) vom April 2016 hat die Wachstumsraten für das sub-saharische Afrika stark revidiert: Für 2015 werden 3,4% genannt, 2016 werden 3% erwartet. Gedrückt wird die Entwicklung u.a. durch die Schwäche der wirtschaftlichen ‚Riesen‘ Nigeria und Südafrika, die nur noch mit einer Rate von gut 2 bzw. weniger als 1% expandieren. Das afrikanische Wachstum ist nicht nur schwächer als die 7%, die für eine deutliche Reduzierung der Armut als notwendig erachtet werden, es liegt auch unter den 5 bis 6%, die in den letzten 15 Jahren registriert worden waren. Bei einem Bevölkerungswachstum von 2,6% nehmen die Pro-Kopf-Einkommen seit 2015 kaum noch zu.

Hinzu kommt die Ungleichverteilung der Einkommen, die inzwischen gravierender ist als in Lateinamerika: Der um den Effekt der Ungleichverteilung bereinigte Index der menschlichen Entwicklung (HDI) ist in Afrika um ein Drittel niedriger als der unkorrigierte Wert. „Die Ungleichheit hat im Zeitraum nach 1990 zugenommen“, stellt der diesjährige Economic Report on Africa (ERA) der UN-Wirtschaftskommission (s. Hinweis) fest (66). Die Verbesserungen bei Armut und Hunger waren zwischen 1990 und 2010 „mager“ (25), immer noch ist nahezu die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung extrem arm (Einkommen unter 1.25 Kaufkraftdollar/Tag). Der positive Trend dürfte in den letzten beiden Jahren ganz zum Stillstand gekommen sein.

● Kommt die Schuldenkrise zurück?
Der Rückgang der Rohstoffpreise hat zu einer Verschlechterung der afrikanischen Austauschverhältnisse geführt. Gegenüber 2012 sanken die terms of trade Afrikas um fast 20%, liegen allerdings noch immer um 50% über dem Stand von 2000. Die Importe, auf die Afrika angewiesen ist, verteuern sich. Hinzu kommen Effekte der Währungsabwertungen, die durch den starken Dollar und die Erwartung von Zinserhöhungen in den USA angetrieben werden.

Das erhöht die Last der Auslandsschulden. Die Leistungsbilanzdefizite nehmen wieder zu (von 3,9 auf 5% des BIP). Seit 2014 verzeichnen selbst die Ölexportländer Fehlbeträge (ERA, 17). In der Folge schrumpfen die Devisenreserven, die Schuldenquote steigt wieder an. Der IWF zählt inzwischen 10 von 37 afrikanischen Niedrigeinkommensländern zu Hochrisikofällen, darunter solche ‚Erfolgsfälle‘ wie Ghana. Nur noch 8 Ländern wird ein geringes Verschuldungsrisiko attestiert (AEO, 40).

Erschwerend kommt hinzu, dass einige Länder wie Sambia in den letzten Jahren kommerzielle Kredite aufgenommen haben: In Dollar nominierte Eurobonds in Höhe von rund 3 Mrd. kosten jährliche Zinsen von 240 Mio., die angesichts der Abwertung des sambischen Kwacha immer schwerer zu erwirtschaften sind. Das sambische „Jesuit Center for Theological Reflection“ (JCTR) meint, dass neue Kredite aufgenommen werden müssen, um alte zurückzuzahlen (Lusaka Times, 8.1.2016). Auch wenn noch nicht von einer neuen afrikanischen Schuldenkrise gesprochen werden kann, so beschränken höhere Schuldenlasten die Spielräume für eine entwicklungsorientierte Haushaltspolitik – insbesondere zur Finanzierung notwendiger Infrastrukturinvestitionen.

Hinzu kommt, dass eine langanhaltende Trockenheit in Süd- und Ostafrika die extreme Wetteranfälligkeit der afrikanischen Landwirtschaft, die für ein Drittel des BIP und zwei Drittel der Beschäftigung steht, offengelegt hat. Die Fernwirkungen der Klimakrise bedrohen Afrika mehr als jeden anderen Kontinent.

● Versäumte Diversifizierung

Alles dies würde weniger zu Besorgnis Anlass geben, wenn der Boom der letzten 15 Jahre dazu genutzt worden wäre, um die Wirtschaft zu diversifizieren und produktive Arbeitsplätze zu schaffen. Dies ist besonders dringend, da die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter seit den 1990er Jahren rasch zunimmt (ERA, 30), noch stärker als die Gesamtbevölkerung. Jährlich strömen fast 20 Millionen Erwerbspersonen neu auf den Arbeitsmarkt. Der AEO, dessen Thema dieses Jahr die Urbanisierung Afrikas ist, beklagt, dass Urbanisierung in Afrika nicht für positiven Strukturwandel steht: „Urbanisierung und Strukturwandel haben sich in vielen afrikanischen Ländern nicht gegenseitig befördert.“ (149) Annähernd die Hälfte der urbanen Bevölkerung ist auch landwirtschaftlich tätig (160). Die Autoren des AEO sprechen von „vorzeitiger Deindustrialisierung“ (premature deindustrialization), landwirtschaftliche Beschäftigung wird von prekären und unproduktiven Dienstleistungen in den Städten abgelöst.

Der ERA, der sich zum vierten Mal in Folge dem Thema der Industrialisierung widmet (diesmal mit dem Ziel, diese „ergrünen“ zu lassen), beginnt mit der Feststellung, dass trotz des hohen Wachstums der Vergangenheit und einer gewissen Diversifizierung der Wachstumstreiber (vor allem Dienstleistungen) „der Kontinent weiter stark von der Produktion und vom Export von Rohstoffen abhängt und der Anteil der verarbeitenden Industrie bei 11% stagniert.“ (xvi) Dies sei aber – so der ERA – auch eine Chance: Afrika ist die einzige Entwicklungsregion, in der die Pro-Kopf-Emission von Klimagasen in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen ist.

● Grüne Industrialisierung?

Als industrieller Nachzügler („latecomer“) könne Afrika „traditionelle kohlenstoffintensive Wachstumsmethoden überspringen („leapfrogging“) und gleich einen low-carbon-Enwicklungspfad einschlagen“. Der Bericht konzentriert sich darauf, Konzepte und politische Ansätze für eine solche Strategie zu diskutieren, die von den komparativen Vorteilen Afrikas, dem Reichtum an Rohstoffen und natürlichen Ressourcen, auszugehen habe. Politischer Kernpunkt: „Afrika braucht kluge Industriepolitiken, die von den Regierungen angeführt werden müssen.“ (54) Instrumente seien heute weniger traditionelle Handelspolitiken, der Staat müsse direkt bestimmte Technologien fördern.

So schlüssig und begründet das vorgestellte Konzept auch ist – man hätte vorher doch gerne gewusst, warum die seit Jahrzehnten mit gutem Grund geforderte Industrialisierungspolitik bis heute auch nicht ansatzweise umgesetzt wurde. Der Titel des diesjährigen ERA („Ergrünen der afrikanischen Industrialisierung“) ist beschönigend: Bislang gibt es kaum Industrialisierung, die „ergrünen“ könnte. Solange die politischen Ursachen nicht offen diskutiert werden, so lange wird sich an der Feststellung am Ende des Berichts wenig ändern: „Afrikas … wirtschaftliches Wachstum ist bescheiden angesichts der sozialen Bedürfnisse.“ (205).

Hinweise:
* African Development Bank/Organisation for Economic Cooperation and Development/United Nations Development Programme: African Economic Outlook 2016. Special Theme: Sustainable Cities and Structural Transformation, 400 pp, OECD: Paris 2016. Bezug: über www.oecd.org
* United Nations Economic Commission for Africa: Economic Report on Africa 2016. Greening Africa’s Industrialization, 230 pp, United Nations: Addis Ababa 2016. Bezug: über www.uneca.org

Posted: 23.5.2016

Empfohlene Zitierweise:
Jörg Goldberg, Grüne Flausen: Afrikas Strukturen nach dem Boom, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 23. Mai 2016 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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