Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Das Klimaregime am Rande des Abgrunds

Artikel-Nr.: DE20110619-Art.35-2011

Das Klimaregime am Rande des Abgrunds

Düstere Aussichten für Durban

Vorab im Web – Auf dem Klimagipfel in Bali im Dezember 2007 waren wir uns einig, ein wesentlich gestärktes internationales Klimaregime zu schaffen, um besser auf die verheerenden Effekte des Klimawandels reagieren zu können. Doch statt der Entstehung dieses neuen Regimes beobachten wir jetzt den ziemlich unglaublichen Versuch, selbst das schwächere Regime, das wir derzeit haben, abzuschaffen, kommentiert Martin Khor zum Abschluss der jüngsten Klimaverhandlungen in Bonn.

Statt eines rechtlich bindenden Systems, das die Industrieländer individuell und kollektiv mit adäquaten Emissionskürzungen einbindet (worauf man sich bereits geeinigt hatte), läuft jetzt alles auf ein System „freiwilliger Zusagen“ hinaus, in dem die Industrieländer lediglich feststellen, was sie tun können – ohne ein formelles System der Bewertung, ob die Ziele eines jeden Landes oder die kollektiven Anstrengungen der Industrieländer angemessen sind. Es wird schon von sich aus eine Entmutigung der Entwicklungsländer darstellen, wenn sie feststellen, dass diejenigen, die an der Spitze des Prozesses stehen sollten, diesen ins Stocken bringen.

* Das neue System „freiwilliger Zusagen“

Insgesamt war in Bali zur Minderung des Klimawandels beschlossen worden, dass erstens die Annex-I-Länder des Kyoto-Protokolls (die Industrieländer) für eine zweite Periode angemessene Verpflichtungen in Form aggregierter und individueller Reduktionsziele in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Wissenschaft übernehmen würden; dass zweitens die USA eigene vergleichbare Verpflichtungen unter der Klimarahmenkonvention (in Übereinstimmung mit § 1b(i)) eingehen würden; und dass drittens die Entwicklungsländer verstärkte Minderungsbemühungen mit finanzieller und technologischer Unterstützung unternehmen würden (diese Unterstützung sollte messbar, berichtsfähig und verifizierbar sein).

Dieses dreiteilige gemeinsame Verständnis löst sich derzeit mit alarmierender Geschwindigkeit auf. Das Kyoto-Protokoll ist in existenzieller Gefahr, da die meisten Annex-I-Länder den deutlichen Wunsch nach seiner Abschaffung signalisieren. Das neue Instrument, das sie anstreben, ist dem alten weit unterlegen. Es ist das System freiwilliger Zusagen, das die USA befürwortet haben, in dem einzelne Industrieländer feststellen, wie hoch ihre Reduktionsziele jeweils sein würden. In diesem System existiert kein aggregiertes Ziel, das in Übereinstimmung mit wissenschaftlichen Erfordernissen festgelegt worden wäre. Es gibt keinen formellen Mechanismus zur Überprüfung der Verpflichtungen und zur Veranlassung der Parteien, etwaige Zielverfehlungen zu korrigieren. Als mildes Instrument wird es eine periodische Überprüfung geben, ob die Parteien ihre eingegangenen Zusagen erfüllt haben, aber nicht, ob diese Zusagen adäquat waren.

* Verheerende Konsequenzen

Führende Klimawissenschaftlicher zeigen in einem Bericht des UN-Umweltprogramms (UNEP), dem sog. Emissions GAP-Report (s. Hinweis), wie desaströs die Konsequenzen eines solchen freiwilligen System sein können. Statt ihre Emissionen bis 2020 um mindestens 25-40% unter das Niveau von 1990 zu senken (oder um mehr als 40%, wie die Entwicklungsländer fordern), werden die Industrieländer ihre Emissionen im schlechtesten Falle (wenn man vom unteren Ende der Zusagen und fortbestehenden Schlupflöchern ausgeht) um 6% anheben oder im besten Falle (wenn man von den höchsten Zusagen und keinen Schlupflöchern ausgeht) um 16% reduzieren. Zu diesen Ergebnissen kommt man, wenn die von den Industrieländern unter dem Copenhagen Accord gemachten Zusagen zugrunde legt.

Diese Zusagen zeigen (zusammen mit den von einigen Entwicklungsländern angekündigten Zahlen), das die Welt auf einen globalen Temperaturanstieg von 2,5-5° C vor dem Ende dieses Jahrhunderts zusteuert, so der UNEP-Report. Das ist weit entfernt von der „Sicherheitsgrenze“ von 1,5-2% - es ist das Rezept für eine Katastrophe. Für 2005 wird das Niveau der globalen Emissionen auf 45 Giga-Tonnen CO2 geschätzt (das sind 45 Mrd. Tonnen), für 2009 auf 48 Giga-Tonnen. Bleibt es beim Business as usual, wird das Niveau bis 2020 auf 56 Giga-Tonnen steigen, was ein Weg ins Desaster ist. Die Verfasser der UNEP-Studie stimmen darin überein, dass die Emissionen bis 2020 auf 44 Giga-Tonnen begrenzt werden müssen, um das 2°-Ziel einzuhalten. Auf der Basis der Zusagen unter dem Copenhagen Accord könnten die Emissionen in einem guten Szenario 49 Giga-Tonnen betragen, bei einem schlechten Szenario aber 53 Giga-Tonnen.

* Die Entwicklungsländer leisten ihren Anteil

Es ist offensichtlich, dass alle Gruppen von Ländern dazu beitragen müssen, diese katastrophale Situation zu verbessern, auch wenn die Annex-I-Länder verpflichtet sind, die Führung zu übernehmen und den Weg zu weisen. Doch ihre bislang als Gruppe gegebenen Zusagen sind unzulänglich. Und die intendierte Herabstufung des regulierten in ein dereguliertes System geht in die falsche Richtung.

Eine neue Studie des Stockholm Environment Institute (SEI) im Auftrag von Oxfam International zeigt, dass die Industrieländer, die hauptverantwortlich für die Klimakrise sind, ihrem Gewicht nicht gerecht werden. Ihre Konkurrenten in den Entwicklungsländern – von China über Indien bis Brasilien – haben zugesagt, mehr zur Emissionsreduktion zu tun und mit dem Aufbau einer kohlenstoffarmen Ökonomie zu beginnen. Europa und die USA riskieren, mit ihren diesbezüglichen Anstrengungen zurückzubleiben.

Die neuen Zahlen der SEI-Studie zeigen:
* Chinas gesamte Emissionsreduktion könnte bis 2020 fast doppelt so hoch wie die der USA sein.
* Die Emissionsreduktionen der Entwicklungsländer könnten bis 2020 dreimal höher als die der EU sein.
* Die Emissionsreduktionen Chinas, Indiens, Südafrikas und Brasiliens, der sog. BASIC-Länder, könnten bis 2020 leicht höher sein als die kombinierten Anstrengungen der sieben größten Industrieländer – USA, Europa, Japan, Kanada, Australien, Neuseeland und Russland.

Es sollte also keine Entschuldigung mehr geben, kein zweites Kyoto-Protokoll mehr abzuschließen, weil die wichtigsten Entwicklungsländer angeblich nicht ihren fairen Anteil leisten.

* Es besteht noch Hoffnung für Durban, wenn …

Es gibt gleichwohl noch Hoffnung für den nächsten Klimagipfel in Durban im kommenden Dezember, wenn sich genügend Industrieländer dazu entschließen, innerhalb des Kyoto-Protokolls zu bleiben und sich – beginnend mit 2013 – zu einer zweiten Periode von Verpflichtungen bekennen. Und wenn diejenigen, die außerhalb von Kyoto bleiben, unter den Konvention vergleichbare Anstrengungen unternehmen.

Viel Zeit zur Rettung eines glaubwürdigen globalen Klimaregimes bleibt nicht, da Durban die letzte Chance zur Fortsetzung des Kyoto-Protokolls ohne Unterbrechung ist (die erste Periode endet 2012). Auch ist zu hoffen, dass es genügend Fortschritte bei Finanzierung und Technologie gibt, vor allem mit der festen Etablierung des Grünen Klimafonds in Durban (>>> W&E-Hintergrund Februar 2011), dem Technologie-Mechanismus und dem Anpassungsausschuss – drei neue Institutionen, die wesentlich für die Unterstützung der Entwicklungsländer sind. Die Verhandlungen über den Fonds und den Technologie-Mechanismus kommen bislang voran, aber um ein Endergebnis in Durban zu haben, ist ein Endspurt notwendig. Es kann dabei keinen Aufschub oder gar neue Bedingungen geben – etwa nach der Devise, dass es diese Institutionen nur geben wird, wenn einige Industrieländer bekommen, was sie auf anderen Gebieten von den Entwicklungsländern fordern.

Hinweise:
* Sivan Kartha/Peter Erickson: Comparison of Annex 1 and non-Annex 1 pledges under the Cancun Agreements, Working Paper WP-US-1107, 19 pp, Stockholm Environment Institute: June 2011. Available >>> hier.
* UNEP: The Emissions Gap Report. Are the Copenhagen Accord Pledges Sufficient to Limit Global Warming to 2°C or 1.5°C? A Preliminary Assessment, Nairobi 2010. Available >>> hier.

Martin Khor ist Direktor des South Centres in Genf.

Veröffentlicht: 19.6.2011

Empfohlene Zitierweise: Martin Khor, Das Klimaregime am Rande des Abgrunds. Düstere Aussichten für Durban, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 19. Juni 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)