Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Die Methode Juncker pur

Artikel-Nr.: DE20140914-Art.31-2014

Die Methode Juncker pur

Was bringt die neue EU-Kommission?

Vorab im Web – In der neuen EU-Kommission werden die Ressorts anders zugeschnitten und eine neue Hierarchieebene eingezogen. Ziel ist mehr Zentralisierung, Effizienzsteigerung, die Stärkung der Position der Kommission im Machtdreieck mit Rat und Parlament, sowie die Zementierung der neoliberalen Orientierung und Austeritätspolitik. Die Krise der EU wird damit nicht gelöst, im Gegenteil, analysiert Peter Wahl.

Jean-Claude Juncker hat sein „Siegerteam“ vorgestellt und mit einigen Neuerungen in Struktur und Arbeitsweise der Kommission so etwas wie Aufbruchstimmung zu erzeugen versucht. Im Gegensatz zur platten Gesundbeterei seines Vorgängers konzediert er immerhin, dass die Krise keineswegs vorbei ist.

● Zentralisierung, Effizienz, Machtzuwachs

Schaut man sich die Veränderungen in Struktur und Arbeitsweise der Kommission und das Personaltableau genauer an, wird hinter der rhetorischen Fassade und dem Image der Bonhomie Junckers ein unverändert neoliberales und austeritätsorientiertes Profil der neuen Kommission sichtbar.

Die auffälligste Veränderung ist die Neubestimmung der Funktion der Vizepräsidenten. Ihnen wird jetzt die Aufgabe zugewiesen, projektorientiert mehrere Ressorts zu „steuern und zu koordinieren“. Das soll „eine dynamische Interaktion aller Mitglieder des Kollegiums ermöglichen, das Schubladendenken aufbrechen und die Abkehr von statischen Strukturen fördern“ (European Commission - IP/14/984 10/09/2014).

Damit wird zugleich eine neue Hierarchieebene eingezogen. Allerdings erhalten die Vizepräsidenten lediglich ein Sekretariat, während der eigentliche Beamtenapparat unter der Führung der Kommissare bleibt. Zudem kommen die Vizepräsidenten mit Ausnahme der Außenbeauftragten Frederica Mogherini alle aus kleineren oder kleinsten Staaten.

Ein Beispiel wie das Ganze funktionieren soll: Der Lette Valdis Dombrovskis soll die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, die Stabilität des Euro, die Finanzmarktregulierung sowie die Konvergenz von Wirtschafts- Steuer- und Arbeitsmarktpolitik in der Eurozone steuern und koordinieren. Das ist auch der Kernbereich der Eurokrise. Dabei unterstehen ihm formal die Kommissare Pierre Moscovici (Frankreich), Jonathan Hill (UK) und Marianne Thyssen (Belgien). Dombrowski ist Marktfundamentalist, Hill Lobbyist ihrer Majestät, der City of London, Thyssen Christdemokratin und Moscovici New-Labour-Sozialist aus Paris.

Sollte Moscovici, den Merkel nicht mag, weil er in seiner Zeit als Wirtschaftsminister die Berlin/Brüsseler Schuldengrenze gerissen hatte, versuchen zu viel Flexibilität in die Austeritätspolitik zu bringen, wird ihm allein schon die Einbindung in das Dombrovskis-Team einen Strich durch die Rechnung machen. Ähnlich geschickt sind die „Teams“ zu anderen wichtigen Politikfeldern konstruiert.

● Stärkung des Kommissionspräsidenten

Es geht also darum, die Arbeit der Kommission zu straffen und zu zentralisieren. Der Einfluss des Kommissionspräsidenten wird gestärkt. Über die Vizepräsidenten kann er direkter und schneller in die Ressorts eingreifen, Projekte anstoßen oder abblocken. Die Einflussnahme der Mitgliedsstaaten, vor allem der großen, über ihre Kommissare wird eingeschränkt. Gleichzeitig wird die Stellung der Kommission gegenüber dem Rat, d.h. den Mitgliedsstaaten verbessert. Das Parlament, das schwächste Glied in der Machtarchitektur der EU, gerät gegenüber der Kommission weiter ins Hintertreffen und der supranationale Vektor wird klammheimlich verstärkt. Die neoliberale Orientierung und Austeritätspolitik wird damit effizienter durchsetzbar.

Die Methode Juncker pur, wie er sie selbst beschreibt: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter.“ (www.spiegel.de/spiegel/print/d-15317086.html).

Freilich besteht auch das Risiko, dass die neue Struktur zu mehr Kompetenzwirrwarr und –streitereien führt. Vor allem wenn die Krise sich verschärft, worauf die Wachstumsprognosen und die zunehmende Deflationsgefahr hindeuten, dürfte es ordentlich knirschen.

● Wirtschaftsfreundlicher Zuschnitt der Ressorts

Auch beim neuen Zuschnitt einiger Ressorts wird ein klares Muster sichtbar. Besonders eklatantes Beispiel ist die Zusammenlegung von Klima- und Energiepolitik (incl. EURATOM), während Umweltschutz, Meerespolitik und Fischerei zu einem zweiten Ressort zusammengelegt wurden. So wird zum einen das Umweltressort durch die Auslagerung der Klimapolitik geschwächt, zum anderen wird die Kopplung von Klima und Energie dazu führen, dass eine konsequente Klimapolitik von den Interessen der Energiewirtschaft zumindest verwässert, wenn nicht sogar dieser untergeordnet wird. Freie Bahn für Fracking und AKWs zum Klimaschutz dürfte dann endgültig den einstmaligen Anspruch auf eine Vorreiterrolle beim Klima- und Umweltschutz ersetzen.

In die gleiche Richtung geht die Ausgliederung der Europäischen Chemikalienagentur, die die Bürger vor schädlichen Chemikalien schützen soll. Die Agentur kommt jetzt in das für Unternehmen zuständige Direktorat und dürfte damit eine wirtschaftsfreundliche Linie verpasst bekommen. In dieses Bild passt auch, dass Umwelt und Klima auf der Ebene der Vizepräsidenten nicht vertreten sind. Ein klares Signal für ihren Bedeutungsverlust und den Trend zur Anpassung an Markterfordernisse und Wirtschaftsinteressen. Noch deutlicher wird der Trend, wenn man sich die Personalentscheidung Junckers für das Politikfeld Klima und Umwelt ansieht.

● Böcke als Gärtner

Über die Aufregung selbst in staatstragenden Medien, dass mit Jonathan Hill ein ehemaliger Lobbyist der Londoner City zum Kommissar für Finanzstabilität und Finanzdienstleistungen gemacht wurde, ging etwas unter, dass mit dem spanischen Kommissar für Klima und Energie ein ebenso großer Bock zum Gärtner gemacht wurde. Denn Miguel Cañete war bis zu seinem Einritt ins spanische Parlament Präsident einer Tochterfima der Ölfirma Mercantil Petrolífera Ducar und hielt auch danach noch Anteile, was er aber verschwieg (Le Monde, 11.09.2014). Cañete gehört zu jenen postfranquistischen Funktionseliten, die immer noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen sind. So sagte er nach einem Fernsehduell mit einer Gegenkandidatin bei den EP-Wahlen, bei dem er ziemlich alt ausgesehen hatte: „Eine Diskussion zwischen einem Mann und einer Frau ist sehr kompliziert. Wenn man seine intellektuelle Überlegenheit missbraucht, erscheint man als Macho, der eine wehrlose Frau in Bedrängnis bringt.“

Das Umweltressort liegt bei dem Vertreter des Zwergstaates Malta, der für notorisches Desinteresse an Umweltfragen bekannt ist, während die Kernressorts Handel und Wettbewerb jeweils in den Händen von zuverlässigen Neoliberalen liegen. Cecilia Malmström (Handel) und Margrethe Vestager (Wettbewerb) gehören beide zur ALDE-Fraktion, der auch die parlamentarischen Überbleibsel der FDP angehören.

Bemerkenswert ist schließlich die Ernennung des ehemaligen Justizministers der extrem rechten FIDESZ in Ungarn, Tibor Navracsics, zum Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Bürgerschaft. Bekannt wurde der Mann durch ein Maulkorbgesetzt für die Presse.

All jene, die sich seit 25 Jahren eine soziale und demokratische EU erhoffen, werden mit dieser Kommission weitere fünf Jahre warten müssen. Vor allem aber wird die Mehrfachkrise der EU so gelöst werden, wie Dr. Eisenbart im Kinderlied seine Patienten kuriert:

Zu Brüssel kuriert ich einen Mann,
Der hatte einen hohlen Zahn.
Ich schoss ihn raus mit der Pistol,
wie ist dem Manne jetzt so wohl.


Posted: 14.9.2014

Empfohlene Zitierweise:
Peter Wahl, Die Methode Juncker pur. Was bringt die neue EU-Kommission?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 14. September 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.