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Die Tyrannei der Zentralbanker

Artikel-Nr.: DE20110501-

Die Tyrannei der Zentralbanker

Vorab im Web - Die Europäische Zentralbank (EZB) gab letzten Monat bekannt, dass sie den Übernacht-Zinssatz um einen viertel Prozentpunkt auf 1,25% anheben würde. Dies sind sehr schlechte Nachrichten für alle Länder der Eurozone und möglicherweise auch für den Rest der Welt. Darüber hinaus enthüllt dies das demokratische Defizit bei zentralen wirtschaftspolitischen Entscheidungen, kommentiert Dean Baker. Vorab im Web - Die Krise der Eurozone verschärft sich. Immer offener wird die Notwendigkeit einer Schuldenrestrukturierung Griechenlands debattiert. Portugal beantragte am 6. April 2011 als drittes Land der Eurozone Gelder aus dem sog. Rettungsschirm. Portugal wird absehbar ein ähnliches Sparprogramm wie Griechenland und Irland aufgedrängt, obgleich sich die Sparpolitik als ungeeignete Anti-Krisen-Politik erweist. Auch die Vorschläge für eine neue Governance der EU sowie der Eurozone sind darauf gerichtet, gescheiterte neoliberale Politikmuster zu verfestigen, analysiert Joachim Becker.

Die Zinsanhebung verdeutlicht zwei Aspekte: Erstens ist die EZB bereit, die wirtschaftlichen Entwicklungen der Eurozone zu verlangsamen und damit Menschen um ihre Arbeit zu bringen, denn dies bringen steigende Zinsen mit sich. Die EZB zielt auf eine Inflationsrate von maximal 2%; die derzeitige Rate liegt bei 2,5%. Die Inflationsrate liegt über dem EZB-Ziel, was im Zusammenhang mit Preissteigerungen beim Öl und anderen Rohstoffen steht. Diese neuen Preissteigerungen sind primär auf die Instabilität im Nahen Osten und eine steil steigende Nachfrage aus China, Indien und anderen schnell wachsenden Entwicklungsländern zurückzuführen.

* Ignorant gegenüber Beschäftigungseffekten

Steigende Zinsraten in der Eurozone werden wenig dazu beitragen, die Rohstoffpreise zu reduzieren. Wenn aber ?genug? Menschen in der Eurozone durch höhere Zinssätze ihre Arbeit verlieren, dann kann das zu einem enormen Abwärtsdruck auf die Löhne führen, was die Auswirkungen der höheren Rohstoffpreise kompensiert. Wenn die Rohstoffpreise um mehr als 2% steigen, dann kann die EZB dfafür sorgen, dass die Löhne um weniger als 2% steigen und so doch noch ihr magisches 2%-Ziel erreichen ? und ihre Mission wäre erledigt.

Hier kommt die andere Tatsache ins Spiel, die durch das Handeln der EZB demonstriert wird: Die Bank hat nichts aus den Geschehnissen der letzten drei Jahre gelernt. Diejenigen, die gehofft hatten, dass der schlimmste ökonomische Absturz der letzten 70 Jahre das Verhalten der Bank verändert haben könnte, werden mit Sicherheit enttäuscht sein. Sie fährt nämlich damit fort, an ihrem Inflationsziel festzuhalten ? ungeachtet der Kosten in Form von Arbeitslosigkeit und rückläufigem Output.

Leider ist die EZB in dieser Hinsicht nicht allein. Die meisten Zentralbanker sind nun besessen von Inflationszielen, die explizit die Konsequenzen des Zentralbankhandelns für Output, Beschäftigung und Finanzmarktstabilität ignorieren.

* Das Demokratiedefizit

Der schlimmste Teil der Geschichte ist, dass all diese fundamentalen Entscheidungen von einem kleinen geheimen Zirkel getroffen werden ? fernab der öffentlichen Aufmerksamkeit. Zentralbankentscheidungen über Leitzinsen haben vermutlich mehr Einfluss auf Beschäftigung und Wachstum als irgendeine andere politische Intervention, wie sie endlos in den gewählten Parlamenten diskutiert wurden. Trotzdem werden diese Entscheidungen ohne jegliche demokratische Legitimation getroffen.

Von Rechtswegen tragen Politiker einen Großteil der Verantwortung für diese Situation. Sie haben institutionalisierte Strukturen geschaffen, die die Zentralbanken größtenteils außerhalb demokratischer Kontrolle stellen. Wahrscheinlich gibt es keine Bank, die so isoliert vom demokratischen Prozess ist wie die EZB, größtenteils wegen ihrer multinationalen Struktur, aber alle Zentralbanken in den reichen Ländern genießen heute einen außerordentlich hohen Grad an Unabhängigkeit von gewählten Regierungen. In vielen Ländern sind sie sogar unabhängiger als die Judikative.

Noch schlimmer: Die Politiker haben eigentlich den Zentralbanken wie der EZB das Mandat der Inflationsbekämpfung übertragen und dabei andere Überlegungen ausgeschlossen. Das gibt den Zentralbankern die Befugnis, Millionen Menschen um ihren Job zu bringen, um ihrer Obsession in Sachen Inflation hinterherzujagen.

Den Zentralbankern freien Lauf zu lassen, während sie ihren Inflationsmarken hinterherlaufen, wäre vielleicht gerechtfertigt, wenn sie damit Erfolg hätten, aber den haben sie nicht. Die Weltwirtschaft läuft Gefahr, mehr als 10 Billionen US-Dollar zu verlieren, nur weil die Zentralbanken das Wachstum gefährlicher Immobilienblasen nicht eingedämmt haben.

Während sich die Zentralbanker nun selbst für das Erreichen ihrer Inflationsziele gratulierten, wurden die Blasen immer größer, und das Finanzsystem wurde immer höher verschuldet. Alles was sie dann ausdrücken konnten, als die Blase 2008 expoldierte, war ihre Überraschung. In anderen Berufen wäre Menschen für so ein hochgradiges Versagen gefeuert worden. Doch wenn irgendein Zentralbanker seinen Job wegen dieses Desasters verloren haben sollte, dann geschah das in ziemlicher Stille.

* Wiederherstellung der Rechenschaftspflicht

Die Wirtschaftskrise sollte die Zentralbanken gelehrt haben, dass es nicht ausreicht, ein Inflationsziel zu verfolgen; ein hoher Beschäftigungsgrad und umfangreiche finanzielle und ökonomische Stabilität sind genauso wichtig ? und ein Versagen, diesen Herausforderungen gerecht zu werden, sollte mit einer Auswechslung der aktuellen Zentralbanker geahndet werden. Notwendig ist auch, die Zentralbanker rechenschaftspflichtig gegenüber den gewählten Regierungen zu machen. Ihre Entscheidungen betreffen Themen, zu denen die Öffentlichkeit Zugang haben sollte, beispielsweise die Abwägung zwischen höherer Arbeitslosigkeit und dem Risiko höherer Inflation.

Natürlich werden dabei unterschiedliche Akteure unterschiedliche Positionen einnehmen. Die Finanzfirmen, die den Zentralbanken traditionell nahe stehen, werden die Kosten der Arbeitslosigkeit wahrscheinlich kaum beunruhigen. Aber sie werden das Risiko einer höheren Inflation enorm beklemmend wahrnehmen, weil dies für sie typischerweise mit hohen Verlusten verbunden ist.

Die breitere Öffentlichkeit wird wahrscheinlich die Gegenposition einnehmen, weil moderat höhere Inflationsraten wenige Kosten verursachen. Die Wahl zwischen diesen Alternativen sollte Thema politischer Kampagnen sein, da damit mehr Konsequenzen für die Öffentlichkeit verbunden sind als mit der Frage, welche Steuer- oder Ausgabenpolitik die jeweiligen Parteien vertreten.

Das bedeutet keineswegs, dass wir wollen, dass Politiker über Zinssätze entscheiden. Aber die Leute, die diese Entscheidungen treffen, sollten den Politikern Rede und Antwort stehen, und zwar in einem Maße, das über das heutige hinaus geht. Auf diesem Weg sollten Zentralbanken wie jede andere Regulierungsinstanz agieren. Zum Beispiel entscheiden Politiker nicht, welche Pharmaka die Behördliche Lebensmittelüberwachung und die Arzneimittelzulassungsbehörde der Vereinigten Staaten (FDA) zulassen. Aber wenn fünf Jahre ohne jegliche Zulassung vergehen oder es gehäuft zu Krankheits- oder Todesfällen durch zugelassene Medikamente kommt, hat das ersthafte Probleme zur Folge.

Kurzgesagt: Es ist die simple Frage der Rechenschaftspflicht der Zentralbanker für ihr Wirtschaftsmanagement. Die Tage der Zentralbank als einer Art Kirche außerhalb der Reichweite ihrer Gemeinde sollten zu einem Ende gebracht werden.

Dean Baker ist Ko-Direktor von CEPR (Center for Economic Policy Research) in Washington DC. Der Beitrag erschien ursprünglich auf ISN ETH Zurich.

Veröffentlicht: 1.5.2011

Empfohlene Zitierweise: Dean Baker, Die Tyrannei der Zentralbanker, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 1. Mai 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).