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Die Währungsunruhen in den Schwellenländern

Artikel-Nr.: DE20181009-Art.17-2018

Die Währungsunruhen in den Schwellenländern

Externe und interne Ursachen

Auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank in dieser Woche in Bali sind sie ein zentrales Thema, die Währungsturbulenzen der Emerging Markets oder Schwellenländer. In etlichen Ländern wächst der Abwertungsdruck. Argentinien und die Türkei kämpfen mit Währungskrisen, massivem Kapitalabfluss und Hyperinflation. Doch die Behauptung, ihre Krisen seien völlig selbstverschuldet, ist falsch. Eine wichtige Rolle haben exogene Schocks gespielt, schreibt Yuefen LI.

Ein wichtiger Faktor der Boom-Bust-Zyklen der Weltwirtschaft, einschließlich von Währungskrisen, ist die dem internationalen Währungssystem eigene Schwäche, namentlich die hohe Abhängigkeit vom US-Dollar als der dominanten internationalen Reservewährung. Auslandsschulden sind meistens in Dollar denominiert, und der internationale Handel wird vorrangig in Dollar abgewickelt und bewertet, z.B. Öl. Im Ergebnis ist der ökonomische Zyklus der Weltwirtschaft von der Politik und der Bereitstellung von Liquidität durch die US-amerikanische FED betroffen, selbst wenn ein Großteil der Dollarkredite außerhalb des eigentlichen Bankensystems der USA vergeben und von Finanzinstitutionen außerhalb der Vereinigten Staaten kontrolliert wird. Ein großer Anteil der internationalen Bilanz des US-Dollars beruht auf kurzfristigen Großhandelsinstrumenten wie Interbank-Einlagen, kommerziellen Papieren und Anlagezertifikaten. Diese Finanzinstrumente sind hochgradig volatil und sehr abhängig von der US-Währungspolitik.

● Währungshegemonie

Michael Hudson benutzte in seinem Buch Super Imperialism den Begriff „Währungshegemonie“, um die zentrale Rolle des US-Dollars für das globale Finanzsystem und die Auslieferung der peripheren Entwicklungsländer gegenüber dem Dollarzyklus zu beschreiben. Wegen dieses Phänomens würde die Auf- und Abwertung des Dollar und die Anhebung oder Senkung der Zinssätze durch die FED enorme Auswirkungen auf andere Ökonomien haben, vor allem wenn diese ohnehin anfällig sind.

Der Konstruktionsfehler des internationalen Finanzsystems wurde weiter verstärkt mit den Finanzinnovationen der letzten Jahrzehnte, die die Risikobereitschaft ermutigt haben, da Innovationen und Computerisierung den Fluss heißen Geldes angetrieben und auch die Kosten der Investoren in Zeiten von Banken- und Finanzkrisen reduziert haben.

Das Hauptinstrument zu Eindämmung und Management der globalen Finanzkrise von 2007/2008 war die monetäre Expansion durch die Hauptindustrieländer mittels niedriger oder negativer Zinssätze und des quantitative easing (QE) über ein Jahrzehnt lang. Diese Politik hat zu einem astronomischen Anstieg des Angebots an internationaler Liquidität geführt. Ein großer Teil davon wurde nicht in produktiven Sektoren investiert, sondern floss in Form spekulativer Kapitalabflüsse in aufstrebende Ökonomien oder sogar in Entwicklungsländer mit niedrigem Einkommen.

● Carry trade und die Folgen

Der carry trade, also die Geldaufnahme in Ländern mit niedrigen Zinssätzen und ihre Investition in Währungen mit höheren Zinssätzen, entwickelte sich zügellos und massiv. Obwohl es keine guten Daten gibt, schätzten McCauley, McGuire und Sushko 2015, dass die Außenstände in US-Dollar denominierter Schulden außerhalb der USA zwischen Anfang 2010 und September 2014 um über 3 Billionen auf 9,2 Billionen angewachsen waren. Der darauf folgende Rückgang des carry trade war für viele Länder mit einem Austrocknen des Kapitalmarkts verbunden, führte zu Lücken in der Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits und einem Roll-over der Schulden.

Die aufstrebenden Ökonomien sind mit einem doppelten Fluch konfrontiert, nämlich höheren Kosten des Schuldendienstes infolge eine stärkeren Dollars und einem schnellen Entzug internationaler Liquidität sowie einem Abfluss von Kapital. Ein Blick zurück in die jüngere Geschichte der Finanzkrisen, etwa die russische Krise von 1994, die Asienkrise 1997/98 und die argentinische Schuldenkrise von 2001, zeigt, dass alle in einer Phase des aufwertenden Dollars ausgebrochen sind. Alle waren mit dramatischen Währungsabwertungen und einem schnellen und massiven Kapitalabfluss verbunden.

Doch ein Unglück kommt selten allein. Es gibt andere externe Schocks. Die aktuellen handelspolitischen Spannungen sind ein Beispiel. Dies betrifft nicht nur die Industrieländer untereinander. Die US-Zölle auf Stahl und Aluminium betreffen viele Länder. Für die Türkei wurde die Verdoppelung der Zölle auf türkischen Stahl und Aluminium im Zuge der Verhaftung des amerikanischen Pastors Andrew Brunson zum letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und die bereits fallende türkische Lira dramatisch in den Keller schickte. US-Anti-Dumping-Maßnahmen gegen die Fischfilet-Exporte Vietnams haben im Juli 2018 die Währung nach unten gedrückt.

Ein anderer externer Schock sind die steigenden Brennstoffpreise. Allein 2017 stiegen die globalen Ölpreise um fast 70%. Für Länder wie Argentinien und die Türkei, die Ölimporteure sind, verschärfte dies den inflationären Druck, schwächte das Wirtschaftswachstum und die Leistungsbilanz und destabilisierte so die Währungen weiter.

● Interne Faktoren

Dennoch haben sich einige Entwicklungsländer angesichts der gleichen negativen Externalitäten widerstandsfähiger als andere erwiesen, und zwar wegen ihrer solideren wirtschaftlichen Fundamentaldaten. Wenn Länder über relativ große ausländische Währungsreserven oder einen Leistungsbilanzüberschuss verfügen, um die höheren Kosten des Schuldendienstes zu tragen, sind sie in einer viel besseren Position, um ihre Volkswirtschaften gegen die Volatilität der Märkte zu verteidigen. Wenn sie bereits unter einem Leistungsbilanzdefizit leiden und von kontinuierlichen Kapitalzuflüssen oder direkten Krediten von Primärmärkten abhängig sind, um ihre Schulden zu refinanzieren, führt ein Anziehen der Geldpolitik in den USA sehr schnell zu einer Neubewertung der Risiken in diesen Ländern und einem plötzlichen Stimmungswandel bei den Investoren. Im Ergebnis sehen sich diese Länder selbst in Schwierigkeiten und mit hohen Kapitalabflüssen konfrontiert, auf die wiederum größere externe Ungleichgewichte folgen.

Eine Untersuchung der wirtschaftlichen Fundamentaldaten der Türkei und Argentiniens zeigt, warum die Verteidigung ihrer Währungen so schwierig ist. Obwohl die jüngste Artikel-IV-Konsultation des IWF mit der Türkei positiv klingt, zeigt sie, dass die Lira-Abwertung mit dem November 2016 startete. Es gab mehrere grundlegende Probleme, darunter ein sich vergrößerndes Leistungsbilanzdefizit von 5% des BIP, eine hohe Inflationsrate von 12% in 2017, eine Überhitzung der Wirtschaft und Probleme mit den hohen Ölpreisen. Die in Dollar denominierten Schulden entsprachen rund 40% der Bankeinlagen in der Türkei. Die von Ausländern gehaltenen Schuldverschreibungen der Zentralregierung verdoppelten sich von 2010 bis 2013. Die statistische Evidenz legt nahe, dass große Leistungsbilanzdefizite normalerweise zu Krisen führen.

Die Türkei war von der Kreditaufnahme abhängig, um sowohl ihr Leistungsbilanzdefizit auszugleichen als auch ihr Haushaltsdefizit. Auch litt sie unter einer hohen Verschuldung der Haushalte und Unternehmen. Gleichwohl waren die Reserven an ausländischer Währung begrenzt. Dies zeigt deutlich die wirtschaftliche Verwundbarkeit der Türkei. Sie ist in verschiedener Hinsicht von der Aufnahme externer Schulden abhängig, hat aber keine Mittel, um die Refinanzierungskosten der Schulden zu begleichen – keinen wachsenden Handelsüberschuss, keine Einkünfte, keine steigende Produktivität. Der türkische Bankensektor ist in der gegenwärtigen Situation in großen Schwierigkeiten.

● Argentinien: Verschuldet bis in 100 Jahren

Wie die Türkei hatte Argentinien ein großes Handelsdefizit, stark steigende öffentliche Schulden, die zu 80% in Dollar denominiert waren, und eine galoppierende Inflation. Um die externen Schulden zu bedienen, gab die Regierung im April 2016 in Dollar denominierte Staatsanleihen in Höhe von 16 Mrd. Dollar aus, vornehmlich um die Holdout-Gläubiger aus dem Bankrott von 2001 zu bezahlen. Im Juni 2017 verkaufte Argentinien 2,75 Mrd. dollardenominierte Jahrhundertanleihen. Selbst bei dieser Menge an Liquidität hatten die Investoren kein Vertrauen mehr, dass Argentinien die Schulden bedienen könnte, als die FED mit den Zinserhöhungen und der Verringerung des Geldangebots begann.

Es ist allgemein bekannt, dass ein Großteil der geborgten Mittel nicht in reale Investitionen, sondern in Finanzanlagen oder an Hedgefonds floss. Der Peso begann zu fallen, und der Kapitalabfluss stieg in dem Maße, wie der US-Normalisierungsprozess an Fahrt aufnahm. Die argentinische Zentralbank erhöhte wiederholt die Zinsen, um sich gegen den Kapitalabfluss und den Verfall der Währung zu stemmen, die Zinsen zuletzt auf prohibitive 60%. Im Mai 2018 verkaufte die Zentralbank in einer Woche 4,3 Mrd. Dollar an ausländischen Währungsreserven, um die eigene Währung zu verteidigen. Im Juni 2018 stimmte die Regierung dann einem dreijährigen Stand-by-Abkommen mit dem IWF zu, um das Marktvertrauen zu stärken.

Yuefen LI ist leitende Beraterin des South Centre für Süd-Süd-Kooperation und Entwicklungsfinanzierung. Sein Text erschien in ungekürzter Version als Policy Brief Nr. 52/September 2018.

Posted: 9.10.2018

Empfohlene Zitierweise:
Yuefen LI: Die Währungsunruhen in den Schwellenländern, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 9. Oktober 2018 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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