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Feministische Diskurse im Vorfeld von Rio+20

Artikel-Nr.: DE20120329-Art.15-2012

Feministische Diskurse im Vorfeld von Rio+20

Wider die Begrünung durch die Märkte

Vorab im Web – Ganzheitlichkeit, Konsumbefreiung, Subsistenz, weibliche Naturnähe – das waren in den 1980er Jahren ökofeministische Schlagwörter, die auf die damaligen wachstums- und weltmarktkritischen Diskurse ebenso innovativ wie irritierend wirkten. Ihre Stärke war, Ökonomie, Ökologie und Geschlechtergerechtigkeit herrschaftskritisch zusammenzudenken. Christa Wichterich zeigt, wie diese Diskurse im Vorfeld der Rio+20-Konferenz wieder aufleben.

Ein Hauptanliegen des Ökofeminismus war, den Dualismus von Frau/Gefühl/Natur versus Mann/Vernunft/Kultur/Technik ebenso zu dekonstruieren wie die Parallelität der Unterwerfung von Frauen und Natur. Ein Hebel dazu war die Kritik am „männlichen Machbarkeits- und Technikwahn“, der ursächlich sei für das 3-W-Entwicklungsmodell, das auf BIP-Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und den Weltmarkt orientiert, ebenso wie für die risikoreichen Großtechnologien, den Verlust an Biodiversität und die andauernde Aufrüstung.

* Sustained Livelihood als Kernkonzept

Ökofeministische Ansätze prägten auch die Women`s Action Agenda 21, die Frauenorganisationen im Vorfeld der Umwelt- und Entwicklungskonferenz 1992 in Rio de Janeiro formulierten. Sie verknüpfte die Kritik am Entwicklungsmodell des „freien Marktes“ und die Forderung nach einer neuen Ethik des Wirtschaftens, des Naturbezugs und der Ressourcennutzung mit Gerechtigkeit zwischen Süden und Norden und einem Frauenempowerment. Der Kernbegriff der Frauenagenda ist „sustained livelihood“, dauerhafte Lebensgrundlagen, definiert als die Summe aller materiellen, sozialen, ökologischen und kulturellen Ressourcen der Existenzsicherung an der Basis. Das Süd-Frauen-Netzwerk DAWN sah den Livelihood-Ansatz als Gegenkonzept zu einer Strategie nachholender Entwicklung für die Länder des Südens und zur Globalisierung des ressourcenintensiven Wachstumsmodells, das nicht nachhaltig sein kann.

Als sich Nachhaltigkeit mit der 1. Rio-Konferenz 1992 als Leitbild durchsetzte, wurde es ruhiger um ökofeministische Konzepte. Gleichzeitig wuchs auch unter Feministinnen die Kritik an der generalisierenden, unhistorischen oder romantisierenden Sicht weiblicher Naturnähe. Parallel wurden feministische Ökonomieansätze mit einem doppelten Fokus ausgebaut: einmal auf die Mikro-Ökonomie, zum anderen auf makroökonomische Themen, vor allem Handelspolitik.

* Caring Economy: „Versorgungswirtschaft“

Grundannahme feministischer Ökonomie ist, dass die Marktlogik von Wachstum, Effizienzsteigerung und Rendite eine strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber den Menschen, dem Sozialen und der Natur bedingt, die die lebendigen Grundlagen allen Wirtschaftens untergräbt und zwangsläufig in eine Krise nach der anderen führen muss. Deshalb denken Feministinnen in Wirtschaftsmodellen, deren Dreh- und Angelpunkte nicht Wachstum und Profit sind, sondern das ureigenste Prinzip allen Wirtschaftens, zu versorgen, Bedürfnisse zu befriedigen und Wohlbefinden zu erzeugen. Diese Idee einer „Versorgungswirtschaft“ findet sich in einem breiten Spektrum feministischen Denkens wieder, vom Subsistenzansatz von Maria Mies, Vandana Shiva und Veronika Bennholdt-Thomsen bis zu Genevieve Vaughans „Schenk-Ökonomie“, von J-K. Gibson-Grahams post-kapitalistischer Ökonomie bis zu Ariel Sallehs politischer Ökologie. Damit dies nicht zu Lasten anderer und der Natur geht, spielen „moralische“ Prinzipien der Kooperation und Wechselseitigkeit als Gegenpol zu Konkurrenz eine wichtige Rolle, aber auch eine ressourcensparsame und -erhaltende Suffizienz und „ökologische Integrität“ als Gegenmodell zur Naturbeherrschung durch Technologien und Effizienzstrategien.

Bedarfsorientierte oder Versorgungswirtschaft bedeutet, dass die gesamte Wirtschaft neu konzipiert, nämlich vom spekulativen Kopf auf die versorgenden Füße zurückgestellt wird. Auf dem erreichten hohen Produktivitätsniveau bei knapper werdenden Ressourcen sind Teilen und Umverteilen die wichtigsten politischen Ausgleichsprinzipien. Zentral ist in diesen feministischen Gegenentwürfen, dass es nicht um eine Angleichung von Frauen an den gewinn- und geldorientierten homo oeconomicus geht, sondern um einen Bruch mit der Marktlogik von Wachstum zum Zweck der Geldakkumulation.

* Sorge für Mensch und Natur und das gute Leben

Ein Dreh- und Angelpunkt feministischer Ökonomie ist die Sorgearbeit („care work“) für Mensch und Natur, die überwiegend unbezahlt von Frauen geleistet wird und von der neoklassischen Ökonomie als unproduktiv und nicht-wertschöpfend betrachtet wird. Sie steht auch im Zentrum des ökofeministischen Verständnisses des Frau-Natur-Bezugs, weil sie Lebendiges schafft und erhält, und damit wesentlich zu sozialem Wohlergehen beiträgt. Genau dies würdigen neue Wohlstandsmodelle vom „Genuine Progress Indicator“ (GPI) bis zum „nationalen Wohlfahrtsindex“ von Diefenbacher und Zieschank. Sie nehmen Sorge- und Hausarbeit als Indikator für Wohlergehen jenseits von Güterwohlstand und Konsum auf.

Unbezahlte Sorgearbeit ist auch eine Säule des buen vivir-Konzepts, das explizit alle produktiven und reproduktiven Arbeitsformen wertschätzt. Im buen vivir-Konzept finden sich überhaupt viele Schnittstellen mit ökofeministischen Ansätzen, so z.B. im Topos der Pachamama mit der Verehrung für Mutter Erde, dem Respekt für die Eigenrechte der Natur und dem Einklang zwischen Mensch bzw. der sozialen Gemeinschaft und Natur. Zentrale Anknüpfung für feministische Ansätze ist das Oberziel, die Grundbedürfnisse des Lebens, die als Grundrechte formuliert sind, zu befriedigen und vor Risiken zu schützen („precautionary principle“).

Ein anderer Referenzpunkt ist Martha Nussbaums und Amartya Sens Konzept des „guten Leben“. Sie gehen von einem individuellen Menschenrechtsparadigma aus und definieren gutes Leben durch die freie Entfaltung der Fähigkeiten, mit der Menschen ihr Leben selbständig gestalten können. Zentral ist die Entkopplung individuellen Wohlergehens von nur materiellem Wohlstand.

* Kritik der Green Economy

Die feministische Kritik an der Machbarkeits- und Technikgläubigkeit steht infolge der Verhandlungen zu Klimawandel, Ressourcenverbrauch und Emissionsreduktion wieder auf der Tagesordnung. Sie wird jetzt verknüpft mit einer Ablehnung von Marktinstrumenten von Geo-Engineering bis zum Emissionshandel als Lösungsansätze in der Klimapolitik. „Selling nature to save it“, nennt Kathrin McAfee diese In-Wert-Setzungsstrategie, die Natur zum Zweck ihres Schutzes in ein Subsystem des Marktes verwandelt, indem sie quantifiziert, bepreist, in Privateigentum verwandelt und gehandelt wird. Diese Effizienzansätze sind nicht nur ein Gegenmodell zu Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie, sondern auch zur alten Forderung nach einem Umbau der Produktions- und Konsummuster und nach Suffizienz.

Die Green Economy als Leitbild für Rio+20 setzt einen neuen Bezugsrahmen für die feministische Kritik an der Kommerzialisierung und Finanzialisierung von bisher noch nicht In-Wert-Gesetztem, von der Natur bis zur Sorgearbeit. Frauenorganisation teilten in Porto Alegre das „Nein“, mit dem das Weltsozialforum 2012 die Green Economy als grünen Kapitalismus ablehnte. Es sei eine „falsche Lösung“, Investitionen wie auch Jobs lediglich von „brauen“ in „grüne“ Sektoren wie erneuerbare Energien oder energie-effiziente Gebäudesanierung zu verschieben und die Begrünung durch die „Macht des Marktes“ zu vollziehen, wie das UN-Umweltprogramm (UNEP) vorschlägt (s. W&E-Hintergrund März 2012).

Die Begrünung der Ökonomie ist zuallererst eine Strategie zu Wachstums- und Renditemaximierung. Dagegen fehlt Green Economy-Konzepten ein konsistenter Menschenrechtsansatz ebenso wie ein kohärentes Konzept von Gerechtigkeit, Umverteilung und sozialer Nachhaltigkeit. Machtverhältnisse werden nicht thematisiert, die Care-Ökonomie und Sorgearbeiten ignoriert. Gender bleibt unterbelichtet. Es ist absehbar, dass die meisten neuen grünen Jobs in Technologie- und Wissensbereichen oder aber im Baugewerbe und der Plantagenwirtschaft geschaffen werden, wo Frauen stark unterrepräsentiert oder diskriminiert sind.

Als Gegenposition zur Green Economy fordern Feministinnen erneut „sustainable livelihood“, „buen vivir“, ein genügsames Leben im Einklang mit der Natur sowie politische und rechtliche Maßnahmen zur Geschlechtergleichheit. Es geht um einen Kurswechsel hin zu anderen gesellschaftlichen Wirtschafts- und Naturverhältnissen.

Dr. Christa Wichterich ist freie Publizistin und Mitherausgeberin von W&E.

Hinweis:
* Christa Wichterich, Die Zukunft, die wir wollen. Eine feministische Perspektive, 54 S., Heinrich-Böll-Stiftung: Berlin 2012. Bezug: über www-boell.de

Veröffentlicht: 29.3.2012

Empfohlene Zitierweise: Christa Wichterich, Feministische Diskurse im Vorfeld von Rio+20. Wider die Begrünung durch die Märkte, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 29. März 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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Hans-Hermann Hirschelmann

Die von Dr. Wichterich dargelegte Sicht verrät in meinen Augen sehr viel hilflosen Antikapitalismus, der m .E. eher lähmt. Die im Postutat einer Green Economy als Mittel nachhaltiger Entwicklung enthaltenen Chancen werden hier allzu einfach bzw. leichtfertig übergangen.

Vielleicht sollte darüber nachgedacht werden, wie sie sich die "Kapitalismusbegrünung" (öko-)kommunistisch (bzw. ökomumanistisch) wenden ließe.

>>> Rio+20 im Fokus ökofeministischer Sorgen