Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

G20: Das falsche Forum für Entwicklungspolitik

Artikel-Nr.: DE20111116-Art.60-2011

G20: Das falsche Forum für Entwicklungspolitik

Vorform eines neuen Geberklubs?

Vorab im Web - Während die G20 im Bereich der Stimulierung der globalen Nachfrage, des Wechselkursmanagements und der strengeren Regulierung des internationalen Finanzsektors wenig erfolgreich war, hat die Gruppe auf ihrem Gipfel in Cannes ihre Führungsrolle im System der multilateralen Institutionen weiter ausgebaut. Sie hat sich zum Steuerungsausschuss der internationalen Entwicklungspolitik gemacht. Doch sie ist nicht die richtige Gruppe für diesen Job, und sie füllt ihn schlecht aus, schreibt Barry Herman.

Internationale Entwicklungszusammenarbeit wird hier verstanden als die kohärente und konsistente Umsetzung der ganzen Palette politischer Maßnahmen, die auf die Förderung der wirtschaftlich, sozial und ökonomisch nachhaltigen und anhaltenden Entwicklung zielen. Aufgrund globaler Abkommen gehört dazu der Monterrey Consensus, der 2002 auf der Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung angenommen wurde, ebenso wie das Gebot der Nachhaltigkeit, das auf den „Erdgipfel“ von 1992 in Rio de Janeiro zurückgeht.

Veränderungen an dieser Agenda könnten auf der Rio+20-Konferenz 2012 und auf der Monterrey-Überprüfungskonferenz vorgenommen werden, die möglicherweise 2013 stattfindet. Auch andere globale Vereinbarungen, darunter die Millennium-Erklärung, prägen die internationale Entwicklungsagenda. Auch sie könnten im Rahmen weiterer globaler Verhandlungen modifiziert werden.

* G20 kein wirklich globales Konsensforum

So schwer ein globaler Konsens auch zu erreichen sein mag, wenn er zustande kommt und nicht nur auf dem Papier steht, kann er sehr bedeutsam sein. Schon lange herrscht beispielsweise Übereinstimmung darüber, dass die reichen und mächtigen Länder die Entwicklungsagenda nicht allein bestimmen sollten. Dafür gibt es zwei einfache Gründe: Erstens ist die aktive Einbeziehung der Entwicklungsländer wesentlich für den Erfolg der internationalen Zusammenarbeit, und deshalb muss ihre Sicht in den Konsensbildungsprozess einfließen; und zweitens dürften die politischen Entscheidungen der Geberregierungen, wenn sie allein gefällt werden, stark von ihren eigenen nationalen Interessen und weniger vom globalen öffentlichen Allgemeininteresse bestimmt sein.

Obwohl einige traditionelle Geberregierungen nicht Mitglied der G20 sind – die meisten sind es, während eine kleine Anzahl von Entwicklungsländern in der G20 eine größere Rolle in der Entwicklungshilfe und bei Investitionen in Entwicklungsländern spielen könnte. So gesehen ist die G20 eher eine Geberplattform als ein Abbild der weltweiten Gemeinschaft der Nationen.

Gewöhnlich wird in Bezug auf die G20 argumentiert, dass sie zwar „illegitim“ ist in dem Sinne, dass sich ihre Mitglieder selbst zu den Wächtern der Weltwirtschaft ernannt haben, dass ihre ökonomische Stärke und Zusammensetzung aber bedeutet, dass ihre Entscheidungen die Sicht von Regierungen reflektieren, die den überwältigenden Teil der Weltbevölkerung, des Einkommens und des Wohlstands der Welt repräsentieren. Leider ist dies kein Grund dafür, die internationale Entwicklungspolitik zu steuern, insbesondere wenn sich die Gruppe vor allem mit der Entwicklung von Niedrig-Einkommensländern befasst, die gar nicht Mitglied der G20 sind.

* Einseitig auf private Investitionen ausgerichtet

Das Problem wird an dem Mehrjährigen Aktionsplan deutlich, den die G20 vor einem Jahr auf ihrem Seoul-Gipfel verabschiedet hat, und daran, wie dieser in seinem ersten Jahr umgesetzt wurde. Der G20-Plan adressiert die politischen Fragen höchst selektiv und versucht hauptsächlich private Investoren zu mobilisieren, da der Umfang der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) vor dem Hintergrund anhaltender weltwirtschaftlicher Probleme hinter den Geberzielen zurückbleiben wird.

Die Steigerung der in- und ausländischen Privatinvestitionen ist sicherlich in allen Entwicklungsstrategien ein wesentliches Element, doch ändert dies nichts an der komplementären Rolle heimischer und internationaler öffentlicher Investitionen und öffentlicher Aufsichtsfunktionen. Bis zu einem gewissen Grad erkennt die G20 das an, da sie die multilateralen Institutionen „beauftragt“ hat, ihre Vorschläge zur Förderung privater Investitionen umzusetzen, obwohl die G20 kein Leitungsorgan irgendeiner dieser Institutionen ist.

Die Aktivitäten der Arbeitsgruppe Entwicklung („Development Working Group“ – DWG), die die G20 auf dem Seoul-Gipfel geschaffen hat, illustrieren dies. Nach einem Jahr der Studien und des Nachdenkens auf der Basis diverser Materialien, die G20 bei ausgewählten multilateralen Institutionen und bei Akteuren des Privatsektors bestellt hat, wurde von der DWG jetzt ein Bericht mit politischen Schlussfolgerungen an den Gipfel von Cannes vorgelegt. In einem Papier des Autors, auf das sich die folgenden Ausführungen beziehen, werden die Ergebnisse der Arbeit der DWG ausführlich analysiert (s. Hinweise).

* Die bisherigen Ergebnisse der DWG…

Ganz oben auf der Liste ihrer Aktivitäten stand die Frage der Infrastruktur-Investitionen. Die G20 begann mit der Ernennung eines Hochrangigen Panels für Infrastruktur-Investitionen, das sich vor allem aus privaten Investoren und Entscheidern zusammensetzte. Das Panel entwickelte Kriterien zur Identifizierung „exemplarischer“ Infrastruktur-Projekte (was nicht unbedingt die Aufgabe eines finanzpolitischen Gremiums ist) und benannte eine Reihe von Projekten, die diesen Kriterien gerecht werden. Die G20 wird den Fortgang dieser Projekte beobachten und die Projektsponsoren gegebenenfalls unterstützen, wenn diese in Schwierigkeiten geraten.

Die G20 hat desweiteren eine Gruppe von Organisationen unter Führung der Weltbank gebeten, Berichte vorzubereiten, auf deren Grundlage die DWG Technische Hilfe zur Stärkung der heimischen ökonomischen Governance in den Gastländern mobilisierte – mit dem Ziel, mögliche Bedenken künftiger Investoren zu zerstreuen. Sie rief darüber hinaus zur Schaffung elektronischer „Marktplattformen“ auf, um potentielle internationale Investoren über die Projektvorschläge zu informieren, und hob u.a. die Entwicklung öffentlich-privater Partnerschaftsprojekte (PPP) hervor.

Während die private Finanzierung eine Hauptrolle in Infrastruktur-Investitionen spielt, sind die bisherigen Ergebnisse von PPP-Projekten bestenfalls gemischt. Darüber hinaus eignet sich nicht jede Infrastruktur-Investition für die Einbeziehung Privater (z.B. Straßen in Städten), anders als vielleicht beim privaten Kauf von Staatsanleihen. Darüber hinaus ist es nicht nur notwendig, die private Partizipation zu ermutigen, sondern auch privaten Missbrauch und unfaire Verträge zu vermeiden.

Es wäre sinnvoll gewesen, wenn die DWG in dieser Hinsicht stärker über soziale und ökologische Investitionsleitlinien nachgedacht hätte. Hoffentlich bedeutet die Tatsache, dass soziale und ökologische Standards “vergessen” wurden, nicht, dass die G20 diese zurückdrängen will, um private Investoren zu ermutigen. Eine starke öffentliche Aufsicht bei Infrastruktur-Investitionen ist unbedingt erforderlich, selbst wenn dies für potentielle Investoren unbequem ist.

Zusätzlich zu Infrastruktur-Investitionen hat die DWG Empfehlungen zu folgenden Themen abgegeben: Handel; Privatinvestitionen, Beschäftigung und Ausbildung; Agrarproduktion, Ernährungssicherheit und humanitäre Bedürfnisse; Mobilisierung heimischer Ressourcen (z.B. über Steuern); soziale Sicherung für verwundbare Bevölkerungsgruppen; Rücküberweisungen ins Heimatland und anderes. In all diesen Fragen werden die multilateralen Institutionen (nicht die eigenen Regierungen) angewiesen, aktiv zu werden.

* … und die Erklärung von Cannes

Die Abschlusserklärung von Cannes fiel allerdings weniger unausgewogen als der DWG-Bericht aus, da sich dort auch die ODA-Debatte widerspiegelt (wenn auch ohne relevante Verpflichtungen), auf innovative Quellen der Entwicklungsfinanzierung Bezug genommen wird (wahrscheinlich Dank des Bill Gates-Berichts) sowie auf die ökologische Nachhaltigkeitsproblematik und den Kampf gegen den Klimawandel (wenngleich hier keine Fortschritte zu verzeichnen sind). Implizit lässt das Dokument die Rolle des öffentlichen Sektors bei Infrastruktur-Investitionen offen, während die Betonung der Rolle von Privatinvestoren beibehalten wird. Das ist mehr als gar nichts, doch viel mehr wäre wahrscheinlich in die Debatte eingeflossen, hatte diese in einem offeneren und inklusiven zwischenstaatlichen Forum stattgefunden.

Hinweise:
* Barry Herman, G20: Wrong International Forum for Development, 16 pp, New York, 1 November 2011. Bezug: über www.socdevjustice.org
* G20, 2011 Report of Development Working Group, Cannes, November 2011. Bezug: ???042ae69f8b0ea9101???.

Barry Herman ist Mitarbeiter des Graduate Program in International Affairs an der New School in New York.

Veröffentlicht: 16.11.2011

Empfohlene Zitierweise: Barry Herman, G20: Das falsche Forum für Entwicklungspolitik, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 16. November 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)