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G20 unter chinesischer Präsidentschaft

Artikel-Nr.: DE20151214-Art.34-2015

G20 unter chinesischer Präsidentschaft

Ausblick auf 2016

Vorab im Web - Lange haben neunmalkluge westliche Kommentatoren gefordert, China solle mehr Verantwortung auf internationaler Ebene übernehmen. Und dies, obwohl Peking in internationalen Institutionen bis heute wichtige Mitspracherechte verweigert werden. Mit der Übernahme der G20-Präsidentschaft 2016 ist China in einem Zentrum der Global Governance angekommen – mit einer Agenda, die das Prädikat „ehrgeizig“ verdient und vor allem globale Fehlentwicklungen im Bereich ökonomischer Governance korrigieren könnte. Von Rainer Falk.

Das Motto, das die chinesische Regierung ihrem Vorsitz über die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer gegeben hat, lautet: „Towards an innovative, invigorated, interconnected and inclusive world economy“ – zu Deutsch etwa: „Für eine innovative, gestärkte, miteinander verbundene und inklusive Weltwirtschaft“. Hinter dieser – wie so oft – etwas umständlichen Formulierung verbergen sich die Schwerpunkte der chinesischen G20-Präsidentschaft, wie sich aus dem Programm (im Netz unter www.g20.org/English) ergibt, das sich die Pekinger Regierung für die Zeit bis zum G20-Gipfel am 4./5. September vorgenommen hat.

Hauptziel Global-Governance-Reform

„Innovativ“ steht natürlich für Innovation als eine wichtige Triebkraft für nachhaltiges globales Wachstum; „invigorated“ für eine Weltwirtschaft, die der Teilhabe aller „Stakeholder“ bedarf und darauf beruht; „interconnected“ steht für die Verbindung des Schicksals aller Länder im Zeichen der Globalisierung; und „inclusive“ will die G20 auf einen Wachstums- und Entwicklungstyp führen, der auf die Reduzierung von Ungleichheiten und Ungleichgewichten in der globalen Entwicklung zielt.

Was sich in diesen Chiffren andeutet, ist das Hauptziel der chinesischen G20-Präsidentschaft, eine globale wirtschaftliche Governance, die „gerecht, legitim und effektiv“ ist. Andersherum betrachtet, geht es also um die Beseitigung ungerechter, illegitimer und ineffektiver Governance-Strukturen. Dies machen auch die vier Schwerpunkte der Agenda deutlich, die die Schwerpunkte vorhergehender G20-Präsidentschaften aufnehmen, aber teilweise neu formulieren und erweitern:

* Durchbruch zu einem neuen Wachstumspfad: Die Förderung von Wachstum hatten sich bislang alle G20-Präsidentschaften auf die Fahnen geschrieben. Was die chinesische Präsidentschaft jedoch besonders umtreibt, ist die Überzeugung, dass die G20 nach den Herausforderungen der Finanzkrise an einem neuen Wendepunkt angekommen ist, an dem die Hindernisse für einen neuen Wachstumsschub beseitigt werden müssen. Dazu ist es nach Überzeugung der Agenda-Autoren notwendig, die bisherige Kontroverse über mehr oder weniger Nachfrage zugunsten eines Innovationsschubs, wirklicher Strukturreformen zur Erhöhung der Gesamtfaktorproduktivität und der potentiellen Wachstumsrate der Weltwirtschaft zu überwinden – dies alles nicht im Alleingang, sondern durch wesentlich stärkere internationale Kooperation.

* Effektivere und effizientere globale wirtschaftliche und finanzielle Governance: Die betrifft die traditionelle Kernagenda der G20, darunter die Reformen der Finanzmärkte. Hier sieht China naturgemäß große Defizite in Bezug auf die versprochene Erhöhung der Repräsentation und Stimme der Schwellen- und Entwicklungsländer in den internationalen Institutionen, wie sie sich in der verschleppten Quotenreform im IWF ebenso zeigen wie bei der Weltbank. Interessant ist, dass der Agenda-Text erstmals auch die Förderung eine ordentlichen Verfahrens zur Restrukturierung öffentlicher Schulden enthält – ein Punkt, den die meisten G7-Länder bislang ablehnen (???042ae6a56308a4f0e???).

* Robuster internationaler Handel und Investitionen: China teilt die Sorge von UNCTAD und anderen, dass das Wachstum des internationalen Handels in den letzten drei Jahren auf ein Niveau unterhalb des globalen Outputs abgesackt ist und die Doha-Entwicklungsrunde in der WTO von den USA und anderen Industrieländern nunmehr seit Jahren blockiert wird. Vor allem beklagt wird die zunehmende „Fragmentierung“ der globalen Handels- und Investitionsregime – ein kaum verklausulierter Hinweis auf den Ausschluss Chinas und anderer Schwellenländer aus Verhandlungsprozessen wie TPPA in Asien und TTIP im Nordatlantik. Peking strebt an, die Mechanismen für Handels- und Investment-Kooperation in der G20 deutlich zu verbessern.

* Inklusive und miteinander verbundene Entwicklung: Das Entwicklungsthema gehört seit 2010 zu den Themen der G20, fristete aber auch dort ein Dasein am Rande der Tagungen, und obendrein war umstritten, ob es überhaupt zu den Aufgabenfeldern der G20 gehört. Jetzt wird es von Peking erstmals in den Rang eines Schwerpunktes der Agenda erhoben. Denn, so heißt es: „Als das erste Forum für internationale wirtschaftliche Kooperation sollten die G20-Mitglieder die Führung bei der Umsetzung der 2030-Agenda übernehmen.“ Zugleich werden einige interessante Vorschläge zur „Optimierung“ der entwicklungspolitischen Agenda der G20 gemacht. Diese sollte sich vor allem auf „strategische Visionen“ zur Verbesserung der Zusammenarbeit konzentrieren – was ein „einzigartiger“ Vorteil der G20 sei. Zudem sollte die politische Koordination zwischen der G20-Arbeitsgruppe für Entwicklung und den anderen Arbeitssträngen der G20 verbessert werden, und zwar im Sinne der Arbeitsteilung, der Optimierung bei der Ressourcennutzung und besseren „Reflexion der Entwicklungselemente in allen Arbeitsbereichen“. Man wird – nicht ohne Spannung – beobachten, welche Konsequenzen dieses Bekenntnis zur entwicklungspolitischen Kohärenz z.B. für die Förderung von Infrasstruktur-Investitionen haben wird.

● Kurswechsel Chinas?

China hat bislang zu Recht gegenüber dem Drängen auf stärkere Integration in die bestehenden Global-Governance-Strukturen Vorsicht walten lassen, da „Integration ohne Repräsentation“ in der Praxis schnell zur Subordination führen kann. Stattdessen hat es versucht, die Voraussetzungen für eine aktive und eigenständige Beteiligung an Institutionen der wirtschaftlichen Governance zu schaffen. Eine große Rolle spielte dabei die Mitarbeit in Bündnissen wie den BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) oder im asiatischen Raum. Projekte wie die Gründung der Neuen Entwicklungsbank (NDB) durch die BRICS, der neuen Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) oder der Seidenstraßenfonds sind in diesem Kontext zu sehen. In jüngster Zeit ist Peking auch dabei, seine Mittel für Entwicklungs- und Umweltfonds im Süd-Süd-Kontext deutlich aufzustocken (Vitaminspritzen für die Süd-Süd-Kooperation).

Mit der Übernahme der G20-Präsidentschaft durch China deutet sich jetzt ein gewisser Kurswechsel in dieser Hinsicht an. Die G20-Agenda, die Peking vorgelegt hat, mag nicht in allen Aspekten befriedigen. So sind die Aspekte ökologischer Nachhaltigkeit sicherlich (noch) unterbelichtet, selbst wenn sich das Dokument auch dafür ausspricht, „den Übergang zu einer grünen globalen Ökonomie zu fördern“. Insgesamt ist es jedoch eine ehrgeizige Agenda, gewissermaßen ein weltwirtschaftpolitischer Frontalansatz. Er könnte Fortschritte nicht nur im Sinne der Beseitigung wirtschaftlicher Governance-Defizite bringen, sondern auch im Sinne einer Wiederbelebung der Debatte um eine Demokratisierung der Global-Governance-Architektur insgesamt.

Wenn der nächste G20-Gipfel in Hengzhou in der chinesischen Provinz Zejiang zusammentritt, werden wir wissen, ob eine vielversprechende Agenda neuen Schwung für internationale Reformen gebracht hat oder – teilweise oder ganz – im Gestrüpp der Interessengegensätze hängen geblieben ist.

Posted: 14.12.2015

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, G20 unter chinesischer Präsidentschaft. Ausblick auf 2016, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 14. Dezember 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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