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H1N1: Die jüngste Plage der Fleischindustrie

Artikel-Nr.: DE20090504-Art.20-2009

H1N1: Die jüngste Plage der Fleischindustrie

Tödliches Lebensmittelsystem

Vorab im Web - In Mexiko wiederholt sich gerade das Schreckensszenario, das Asien mit der Vogelgrippe erlebt hat – nur tödlicher. Einmal mehr kam die offizielle Reaktion zu spät, zu chaotisch in dem Versuch, zu viel unter den Teppich zu kehren. Und einmal mehr ist es die globale Fleischindustrie, die die Hauptrolle in dem Drama spielt, auch wenn sie alle Vorwürfe umso vehementer abstreitet, je unwiderlegbarer die Beweise gegen sie werden. Eine Analyse von GRAIN.

Nur fünf Jahre nach der Vogelgrippe-Krise mit dem Virus H5N1 und nur fünf Jahre nach dem Start einer globalen Strategie gegen Grippeepidemien, koordiniert von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Welttiergesundheitsorganisation (OIE), steht die Welt vor einem Schweinegrippendesaster. Die globale Strategie ist gescheitert. Sie muss ersetzt werden durch ein öffentliches Gesundheitssystem, auf das sich die Öffentlichkeit auch wirklich verlassen kann.

Was wir über die Lage in Mexiko wissen: Offiziellen Zahlen zufolge waren bis Ende April 2009 150 Menschen an einer neuen Form des Schweinegrippenvirus gestorben, das eigentlich ein genetischer Cocktail aus Schweine-, Vogel- und Menschengrippenviren ist. Es hat sich zu einem Stamm entwickelt, der leicht von Mensch zu Mensch übertragen wird und der völlig gesunde Menschen töten kann. Wir wissen nicht genau, wo die Rekombination und diese Entwicklung stattgefunden haben, aber der logische Ausgangspunkt für die Suche sind die Tierfabriken in Mexiko und in den USA.

Experten warnen schon seit Jahren, dass die Massentierhaltung in Nordamerika die ideale Brutstätte für die Entstehung und Verbreitung hoch virulenter Grippeviren ist. „Die Konzentration von großen Mastbetrieben bedeutet, dass viele Tiere auf engem Raum leben, was die schnelle Übertragung und die Vermischung von Viren erleichtert“, so Wissenschaftler der US National Institutes of Health (NIH) im Jahr 2006. Drei Jahre zuvor schon hatte das Magazin „Science“ gewarnt, dass sich die Schweinegrippe evolutionsmäßig auf der „Überholspur“ befinde – dank der Tierfabriken und dem weit verbreiteten Einsatz von Impfstoffen dort. Genau wie bei der Vogelgrippe. Die beengten und unhygienischen Verhältnisse in der Massentierhaltung ermöglichen es den Viren erst, einfach neue Varianten zu bilden.

Sind solche neuen Stämme entstanden, fördert die Zentralisierung der Fleischindustrie die schnelle und großflächige Verbreitung der Viren, sei es durch Fäkalien, Futtermittel, Wasser oder sogar die Stiefel der Arbeiter. Dennoch, so die US Centres for Disease Control and Prevention (CDC), „gibt es kein formelles Überwachungssystem, das feststellt, welche Viren in der US-amerikanischen Schweinepopulation vorkommen.“ Dasselbe gilt für Mexiko.

* Lokale Gemeinden im Epizentrum

Und noch etwas wissen wir über den Ausbruch der Schweinegrippe in Mexiko: Vertreter der Stadt La Gloria im Staat Veracruz versuchten, die Behörden dazu zu bewegen, etwas gegen eine bisher unbekannte Atemwegserkrankung zu unternehmen, die sich in den vergangenen Monaten ausgebreitet hatte. Die Einwohner von La Gloria gehen davon aus, dass die Krankheit in direktem Zusammenhang mit einem neuen Schweinemastbetrieb der Firma Granja Carroll steht, einer Tochtergesellschaft von Smithfield Foods, dem weltweit größten Produzenten von Schweinefleisch.

Nach zahllosen Bemühungen der Stadt, die Behörden zum Eingreifen zu bewegen – Bemühungen, die in erster Linie einen Erfolg hatten, nämlich die Verhaftung mehrerer Aktivisten und Morddrohungen gegen die Gegner des Smithfield-Betriebs – konnte sich Ende 2008 die lokale Gesundheitsbehörde endlich dazu durchringen, der Sache nachzugehen. Tests belegten, dass mehr als 60% der 3000 Einwohner der Stadt an einer Atemwegserkrankung litten, jedoch sagten die Behörden nicht, um welche Krankheit es sich handelte. Smithfield stritt jeglichen Zusammenhang mit seiner Schweinefabrik ab. Erst am 27. April 2009, wenige Tage, nachdem die mexikanische Regierung offiziell die Schweinegrippenepidemie zugegeben hatte, meldeten die Medien, dass der erste im Land diagnostizierte Schweinegrippefall ein vierjähriger Junge aus La Gloria sei – die Diagnose war Berichten zufolge am 2. April 2009 gestellt worden. Eine Blutprobe des Jungen, so der mexikanische Gesundheitsminister, war die einzige Probe aus dieser Kommune, die die mexikanischen Behörden testen ließen und für die die Tests später die Schweinegrippe bestätigten. Und das trotz der Tatsache, dass Veratect, eine private Risikobewertungsfirma in den USA, bereits Anfang April regionale WHO-Vertreter über den Ausbruch einer ernsthaften Atemwegserkrankung in La Gloria informiert hatte.

Am 4. April 2009 erschien in der mexikanischen Tageszeitung La Jornada ein Artikel über den Kampf der Stadt La Gloria – mit einem Foto, auf dem ein kleiner Junge zu sehen war, der bei einer Demonstration ein Plakat mit einem durchgestrichenen Schwein und den spanischen Worten „Gefahr: Carrolls Farm“ hoch hielt.

Über Grippepandemien im Allgemeinen wissen wir, dass die Nähe von Schweine- und Geflügelfabriken die Gefahr der Virenrekombination und der Entstehung neuer Virenstämme erhöht. Schweine, zum Beispiel, die in Indonesien in der Nähe von Hühnerfarmen leben, weisen eine hohe H5N1-Infektionsrate auf, also die gefährliche Vogelgrippevariante. Wissenschaftler der NIH warnen, „dass die steigende Anzahl von Schweinemastbetrieben neben Geflügelfarmen die nächste Entwicklung einer Pandemie weiter fördern könnte.“

Auch wenn es kaum in den Medien berichtet wurde, in der Region um La Gloria gibt es viele Geflügelfarmen. In den dortigen Beständen ist erst im September 2008 die Vogelgrippe ausgebrochen. Damals beruhigte die Veterinärbehörde die Öffentlichkeit, es handele sich nur um das lokale Auftreten eines gering pathogenen Stamms, der Gartenvögel befällt. Heute wissen wir jedoch dank Marco Antonio Núñez López, Präsident der Umweltkommission des Staates Veracruz, dass auch in einem Betrieb etwa 50 km von La Gloria entfernt die Vogelgrippe ausgebrochen ist - in einer Geflügelfarm, die Granjas Bachoco gehört, dem größten Geflügelproduzenten Mexikos. Dieser Ausbruch war nicht gemeldet worden, da man negative Auswirkungen auf das mexikanische Exportgeschäft fürchtete. Hier sollte erwähnt werden, dass die industriellen Futtermittel sog. Geflügelnebenprodukte enthalten, eine Mischung aus allem, was vom Boden einer Geflügelfabrik zusammengekehrt wird: Fäkalien, Federn, Nestmaterial etc.

Im Zweifelsfall für die Konzerne

Es ist nicht das erste Mal – und es wird nicht das letzte Mal sein –, dass Massentierhaltungsbetriebe den Ausbruch von Krankheiten verschweigen und damit Leib und Leben von Menschen gefährden. So funktioniert das Geschäft. Vor einigen Jahren verweigerte Smithfield Vertretern der örtlichen Behörden Zugang zu seinen Schweinefabriken in Rumänien, nachdem sich Anwohner über den Gestank beschwert hatten, den Berge verrottender Schweineleichen auf dem Fabrikgelände ausströmten. „Unseren Ärzten wurde der Zutritt zu den Farmen des amerikanischen Unternehmens für Routinekontrollen verweigert“, so Csaba Daroczi, stellvertretender Leiter der Hygiene- und Veterinärbehörde Timisoara. „Jedes Mal, wenn sie es versuchten, wurden sie vom Wachpersonal zurückgehalten. Smithfield schlug vor, dass wir eine Vereinbarung unterzeichnen, die uns verpflichtet hätte, jede Inspektion drei Tage im Voraus anzukündigen.“ Später stellte sich heraus, dass Smithfield einen schwerwiegenden Ausbruch der klassischen Schweinegrippe in seinen rumänischen Betrieben verschleiert hatte.

In Indonesien, wo immer noch viele Menschen an der Vogelgrippe sterben und wo Experten zufolge die Entstehung des nächsten pandemischen Virus zu erwarten ist, dürfen die Behörden immer noch nicht ohne Genehmigung der Besitzer die großen Geflügelfarmen betreten. In Mexiko waren es die Behörden, die bei Forderungen nach Untersuchungen in La Granja Carroll abwiegelten und stattdessen den Einwohnern von La Gloria vorwarfen, sie breiteten die Infektion aus, weil „sie auf alte Hausmittel zurückgreifen, anstatt sich an die Krankenhäuser zu wenden, um ihre Grippe zu kurieren“.

Industrielle Tierhaltung ist eine tickende Zeitbombe für globale Epidemien. Und dennoch gibt es keine Strategien für den Umgang mit der Branche, nicht einmal Programme für die unabhängige Krankheitsüberwachung. Den Bossen scheint alles egal zu sein, und es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass sich diese Tierfabriken tendenziell in den ärmsten Regionen ansiedeln, dort, wo die Menschen leiden müssen, wenn sie die Wahrheit ans Licht bringen. Schlimmer noch, ein Großteil unserer Lebensmittel stammt aus diesem aufgeblähten Industriesystem, so dass die Hauptaufgaben der Behörden, die die Lebensmittelsicherheit gewährleisten sollen, darin zu bestehen scheint, die Menschen ruhig zu halten und zum Weiteressen zu bewegen. Smithfield steht bereits kurz vor dem Bankrott, und erst kürzlich verhandelte das Unternehmen über eine Übernahme durch COFCO, das größte chinesische Agro-Business.

In der Zwischenzeit verdient sich die Pharmaindustrie an der Krise eine goldene Nase. Die US-Regierung hat in ihr Zulassungssystem bereits eine Notverordnung eingebaut, die den erweiterten Einsatz von antiviralen Medikamenten wie Tamiflu und Relaxin bei Grippepatienten ermöglicht.
Einen größeren Gefallen hätte man Roche, Gilead und Glaxo SmithKline, die Monopole auf diesen Medikamente besitzen, wohl kaum tun können. Wichtiger noch: Eine Reihe kleinerer Pharma-Produzenten wie Biocryst und Novavax sehen mit Freuden ihre Aktienpreise in die Höhe schnellen. Novavax versucht, sowohl das CDC als auch die mexikanische Regierung davon zu überzeugen, dass das Unternehmen in nur zwölf Wochen einen Impfstoff gegen die Schweinepest entwickeln kann – wenn nur die Testvorschriften aufgeweicht bleiben.

* Nur eine Radikalkur hilft

Das globale System des Umgangs mit Gesundheitsproblemen, die uns die transnationale Nahrungsmittelindustrie eingebrockt hat, ist ein Witz. Die Überwachungsmechanismen funktionieren ebenso wenig wie die human- und veterinärmedizinische Aufsicht, und die Entscheidungsgewalt wurde der Industrie übertragen, die ein Interesse an der gegenwärtigen Ineffizienz des Systems hat. Unterdessen wird den Menschen gesagt, sie sollen im Haus bleiben und darauf hoffen, dass sie vielleicht – oder vielleicht auch nicht – Tamiflu – oder vielleicht auch einen neuen Impfstoff – bekommen. Das ist eine völlig unhaltbare Situation. Eine radikale Reform ist vonnöten.

Was die aktuelle Schweinegrippe-Epidemie in Mexiko betrifft, so muss die Reform bei der sofortigen Einführung der transparenten und umfassenden unabhängigen Untersuchung der Schweine- und Geflügelfabriken in Veracruz, in ganz Mexiko und in der Tat in ganz Nordamerika ansetzen. Die Menschen in Mexiko müssen erfahren, wer die Ursache des Problems ist, damit sie geeignete Maßnahmen ergreifen können, die die Epidemie an der Wurzel anpacken und dafür sorgen, dass die Krankheit nicht wiederkehrt.

International muss die Expansion der Massentierhaltung sofort gestoppt und rückgängig gemacht werden. Sie ist die Brutstätte von Pandemien, und solange es die Massentierhaltung gibt, wird es auch Pandemien geben. Es ist wahrscheinlich zwecklos, eine vollständige Neuorientierung der von der WHO angeführten weltweiten Strategie zu fordern, denn die Erfahrungen mit der Vogelgrippe haben gezeigt, dass sich weder die WHO noch die OIE noch die meisten Regierungen dezidiert der Nahrungsmittelindustrie entgegenstellen. Wieder einmal sind es die Menschen, die die Initiative ergreifen und sich schützen müssen. Weltweit gibt es Tausende von Gruppen, die gegen Tierfabriken kämpfen. Diese Gruppen führen den Kampf gegen die Pandemien an. Wir müssen die lokalen Initiativen gegen Tierfabriken zu einer globalen Bewegung zusammenführen mit dem Ziel, die Massentierhaltung abzuschaffen.

Aber das Schweinegrippendesaster in Mexiko ist auch Symptom eines weit reichenden Problems der öffentlichen Gesundheit. Die Gefährdung der Sicherheit der Verbraucher ist inhärent im industriellen Nahrungsmittelsystem – und sie wird durch den globalen Trend zur Privatisierung der Gesundheitssysteme weiter verschärft, denn diese Privatisierung hat die Fähigkeit der öffentlichen Systeme, angemessen auf Krisen zu reagieren, zerstört. Fatal war auch die politisch gewollte Migration in die Mega-Städte, wo sowohl die hygienischen Verhältnisse als auch die öffentliche Gesundheitspolitik jeder Beschreibung spotten (der Ausbruch der Schweingrippe traf Mexiko City, eine Metropole mit mehr als 20 Millionen Menschen, genau zu dem Zeitpunkt, als die Regierung die Wasserversorgung in Großteilen der Stadt, insbesondere in den ärmsten Vierteln, unterbrochen hat). Die Tatsache, dass die Überwachung des Ausbruchs von Krankheiten durch private Beratungsfirmen erfolgen muss, dass Behörden und UN-Agenturen entsprechende Informationen zurückhalten können und dass wir uns darauf verlassen müssen, dass eine Handvoll Pharmafirmen nur unzureichend getestete, aber voll patentierte Medikamente gegen die Krankheiten auf den Markt bringt, sollte uns zeigen, dass die Grenze überschritten ist. Wir brauchen nicht nur Lebensmittel, wir brauchen auch öffentliche Gesundheitssysteme, die wirklich im Dienste der Menschen stehen und auch den Menschen gegenüber rechenschaftspflichtig sind.

GRAIN ist ein internationales NGO-Netzwerk für Ernährungssicherheit mit Sitz in Barcelona. Der Text erschien zuerst unter www.grain.org. Übersetzung aus dem Englischen: Annettte Bus.

Veröffentlicht: 4.5.2009

Empfohlene Zitierweise: GRAIN, H1N1: Die jüngste Plage der Fleischindustrie, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 05/Mai 2009.