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Halbherzig gegen aggressive Steuervermeidung

Artikel-Nr.: DE20141004-Art.34-2014

Halbherzig gegen aggressive Steuervermeidung

BEPS vor dem Brisbane-Gipfel der G20

Vorab im Web – Vollmundig haben die G20 verkündet, der Steuervermeidung von Unternehmen ein Ende zu bereiten. Doch die Zwischenergebnisse der OECD zeigen, dass die Staaten sich trotz gewisser Fortschritte auf dem kommenden G20-Gipfel in Brisbane/Australien (14./15. November) in zentralen Punkten kaum einigen werden. Und die Interessen der Entwicklungsländer kommen viel zu kurz, schreibt Markus Henn.

Im November 2013 hatten die G20-Staaten einen Aktionsplan der OECD gegen die Erosion der Steuerbasis und Gewinnverschiebung durch multinationale Unternehmen („Base Erosion and Profit Shifting“, kurz: BEPS) unterstützt. Dieser wird nun von den Mitgliedern der OECD und der G20 – insgesamt 44 Staaten – bis Ende 2015 bearbeitet. Die OECD hat sich zwar zusätzlich um eine Einbindung von Entwicklungsländern bemüht. Allerdings beschränkte sich dies auf regionale Konsultationen.

● Aus dem Blickwinkel der reicheren Länder

Der Aktionsplan selbst gibt von vorneherein eher die Probleme der reicheren Staaten wieder. Dagegen wird zum Beispiel nicht ernsthaft diskutiert, wie die Unternehmensgewinne – und damit die Steuern – gerechter zwischen den weniger und weiter entwickelten Staaten aufgeteilt werden können. Das überrascht jedoch nicht, denn auch die bisherigen Standards der OECD sind auf ihre Mitglieder zugeschnitten, allen voran ihr Muster für Steuerabkommen.
Deswegen haben die Vereinten Nationen inzwischen eigene Standards entwickelt, die eher die Interessen der ärmeren Staaten berücksichtigen. Doch die Vereinten Nationen wurden von den G20 und der OECD erneut an den Rand gedrängt.

Nun erschienen im September 2014 Zwischenergebnisse zur einen Hälfte des Aktionsplans zu BEPS (s. Hinweis):

● Schädliche Steuerpraktiken: Hier werden nationale Steuerregeln darauf geprüft, ob sie Steuervorteile gewähren, hinter denen keine wirtschaftliche Substanz steckt. Die OECD hatte zu solchen Vorteilen schon vor 15 Jahren begonnen zu arbeiten, aber bislang am Ende fast immer Persilscheine ausgestellt oder sich Zeit mit der Prüfung gelassen. Auch jetzt kommt die OECD nicht viel weiter. Denn es gibt nur eine vage Forderung nach mehr Transparenz und einen komplexen Vorschlag zur Prüfung der Substanz, der aber noch nicht Konsens ist.

Die OECD gibt daher offen zu, dass man sich bei einer der schädlichsten Praktiken nicht einigen konnte, nämlich wenn Einnahmen aus Patenten oder Lizenzen wenig oder gar nicht besteuert werden. Vor allem Großbritannien, Luxemburg, die Niederlande und Spanien sollen sich dagegen gesperrt haben.

● Missbrauch von Steuerabkommen: Steuerabkommen sind für die Steuervermeidung zentral und aufgrund des erwähnten OECD-Musters oft nicht im Interesse der Entwicklungsländer gestaltet. Deshalb wurde dieser Punkt auch in einem Zusatzbericht der OECD zu den Interessen von Entwicklungsländern als eine Priorität identifiziert. Die OECD schlägt immerhin vor, in ihrem Musterabkommen klarzustellen, dass es sich auch gegen Nicht-Besteuerung richtet. Bislang ist der Zweck nur die Vermeidung doppelter Besteuerung. Außerdem soll es in den Abkommen als Mindeststandard eine Klausel geben, die eine Nicht-Besteuerung unterbindet. Das ist sinnvoll, aber nicht völlig neu, da schon viele bilaterale Abkommen solche Klauseln enthalten.

● Verrechungspreise für immaterielle Güter: Verrechnungspreise werden für Transaktionen innerhalb eines Unternehmens genutzt. Um völliger Willkür der Unternehmen und unbegrenzter Gewinnverschiebung einen Riegel vorzuschieben, baut die OECD bislang auf das sog. Fremdvergleichsprinzip. Dabei muss für ein internes Geschäft derselbe Preis wie für ein externes berechnet werden. Dieser Ansatz stößt spätestens bei immateriellen Werten wie Patenten und Lizenzen an Grenzen – denn solche Güter sind ja per Definition einmalig.

Das Problem ist der OECD schon Jahrzehnte bewusst. Trotzdem hält sie in ihren Vorschlägen weiterhin im Prinzip am Fremdvergleich fest. Vorschläge, die ein wenig darüber hinaus weisen, tauchen zwar auch auf, aber sie wurden zur Entscheidung auf 2015 verschoben.

● Qualifizierungskonflikte: Hier geht es um Unterschiede zwischen nationalen Steuerbestimmungen. Unternehmen können diese ausnutzen und erreichen, dass ein und derselbe Kostenfaktor in zwei Staaten die Steuerbasis mindert oder nicht besteuert wird. Der häufigste Fall ist die unterschiedliche Behandlung einer Transaktion durch einen Staat als Eigenkapital und durch einen anderen als Kredit. Dadurch kann das Unternehmen zugleich Zinsen abziehen und eine steuerfreie Dividende einstreichen.

Gegen solche Strukturen empfiehlt die OECD nun zu Recht, Steuervorteile für eine Transaktion zu streichen, wenn ein anderer Staat ebenfalls einen Vorteil für dieselbe Transaktion gewährt. Sollte ein Staat nicht kooperativ sein, sollen die Staaten unilateral vorgehen. In der EU und Deutschland gibt es seit kurzem schon Regeln in diesem Sinne.

● Länderbezogene Dokumentationspflichten: Transparenz über die Geschäfte der Unternehmen ist Voraussetzung für das Erkennen von Steuervermeidung. Die OECD schlägt nun zwar vor, wichtige länderbezogene Daten der Unternehmen den Behörden zugänglich zu machen. Aber eine Veröffentlichung, wie sie schon lange von der Zivilgesellschaft gefordert wird, ist nicht vorgesehen. Damit wird der Nutzen der Daten begrenzt bleiben, denn Behörden können oder wollen nicht immer alle Probleme erkennen. Der kritische Blick der Öffentlichkeit und der Wissenschaft würde es Unternehmen deutlich schwerer machen, Steuern zu vermeiden.

● Digitale Wirtschaft: Die Arbeit an diesem Punkt ist von besonderer Art, weil es hier weniger um eine Vermeidungspraxis geht als um eine neue Art des Wirtschaftens, vor allem über moderne Kommunikations- und Produktionswege. Die OECD hält es nicht für möglich, die digitale Wirtschaft klar vom Rest der Wirtschaft abzutrennen, vielmehr werde die gesamte Wirtschaft digitaler. Die OECD erkennt an, dass diese Digitalisierung zwar nicht völlig neue Probleme bei der Besteuerung schafft, aber doch die bestehenden verschärft, zum Beispiel was die steuerliche Zuordnung von Vermögenswerten und wirtschaftlichen Aktivitäten angeht. Die vorgeschlagenen Maßnahmen, die auch noch weiter diskutiert werden, erschöpfen sich dementsprechend weitgehend darin, bei den anderen Punkten des Aktionsplans auf die Digitalisierung zu achten.

● Multilaterales Abkommen: Bislang ist das internationale Steuerrecht geprägt von bilateralen Steuerabkommen, die nur mäßig durch Standards der OECD und der Vereinten Nationen vereinheitlicht sind. Das ist ein Grund für die Steuervermeidung und erschwert zugleich deren Bekämpfung, weil tausende von Steuerabkommen angepasst werden müssen. Die OECD hat deshalb den Bedarf für ein multilaterales Abkommen und dessen Machbarkeit geprüft. Sie kommt zu dem Schluss, dass dieses sowohl wünschenswert als auch möglich sei. Doch ob die Staaten sich am Ende auf diesen Systemwechsel einlassen werden, ist unklar. Zwar soll das Abkommen später auch für alle Länder offen sein – bei der Gestaltung mitreden dürfen sie aber nicht.

● Wie geht es weiter?

Die OECD wird nun die offenen Aspekte der genannten Aktionspunkte zu lösen versuchen. Aber vor allem wird sie die offenen Punkte ihres Aktionsplans abarbeiten. Dabei geht es um unternehmensinterne Finanzdienstleistungen und Risikotransfers, die auch als Priorität von Entwicklungsländern identifiziert wurden. Gleiches gilt für den Punkt „künstliche Vermeidung des Status als Betriebsstätte“. Denn Steuern werden nur dort erhoben, wo eine Betriebsstätte, das heißt eine wirtschaftliche Aktivität von gewisser Bedeutung vorhanden ist. Allerdings scheint die OECD sich eher nicht um die für Entwicklungsländer wichtigen Aspekte der Betriebsstätten-Definition zu kümmern.

Des Weiteren geht es um Maßnahmen gegen Briefkastenfirmen, wo ein ähnlicher Widerstand wie bei den Lizenzboxen zu erwarten ist. Um noch mehr Transparenz geht es bei der möglichen Offenlegung aggressiver Steuergestaltungen durch die Unternehmen und über Daten für die Steuerbehörden. Schließlich wird diskutiert, Streitschlichtungsmechanismen zu stärken.

Bislang ist nicht absehbar, dass die Arbeit der G20 und der OECD Steuervermeidung tatsächlich stark zurückdrängen wird. Weiter gehende Probleme des Steuerwettbewerbs und wichtige Benachteiligungen von Entwicklungsländern sind dabei noch nicht einmal angesprochen worden.

Hinweis:
* OECD/G20: Base Erosion and Profit Shifting Project (BEPS), 2014 Deliverables. First recommendations for a co-ordinated international approach to combat tax avoidance by multinational enterprises, mehrere Berichte, verfügbar unter: http://www.oecd.org/tax/beps-2014-deliverables.htm

Posted: 5.10.2014

Empfohlene Zitierweise:
Markus Henn, Halbherzig gegen aggressive Steuervermeidung. BEPS vor dem Brisbane-Gipfel der G20, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 5. Oktober 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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