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LDC-Report: Teilhabe am Aufstieg des Südens?

Artikel-Nr.: DE20111122-Art.62-2011

LDC-Report: Teilhabe am Aufstieg des Südens?

UNCTAD will Staatsfonds für LDCs nutzen

Vorab im Web - Der diesjährige Report der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) über die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) untersucht das Potenzial, das der „Aufstieg des Südens“ für die LDCs bietet und plädiert für eine innovative Form der Mobilisierung bereits vorhandenen Kapitals: Ein geringer Anteil bestehender Staatsfonds aus Schwellenländern soll als Entwicklungshilfe über regionale und subregionale Entwicklungsbanken in die LDCs fließen. Ein Bericht von Sarah Hellmerichs.

Wieder einmal suchen die Autoren des Reports (s. Hinweis) Auswege aus der paradoxen Situation, dass die in den LDCs lebenden Menschen – ein Achtel der Weltbevölkerung – weniger als ein Prozent des Weltsozialprodukts erzeugen. Der Vorjahresreport (s. W&E-Hintergrund Jan 2011) hatte mit einer Neuen Internationalen Entwicklungsarchitektur (NIDA) ein Modell vorgelegt, nach dem Entwicklung in LDCs auf den fünf Säulen Finanzierung, Handel, Rohstoffe, Technologie und Klimawandel basieren soll. Der aktuelle Report kann als eine Konkretisierung des damals vorgeschlagenen Aktionsplans gelesen werden. Darüber hinaus bezieht er sich direkt auf das Istanbul-Aktionsprogramm (IPoA), das im Mai dieses Jahres auf der IV. LDC-Konferenz verabschiedet wurde.

* LDCs als Zentren der Armut

Die Dringlichkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen ergibt sich u.a. aus der traurigen Tatsache, dass gerade einmal zwei Länder während des letzten Jahrzehnts ihren LDC-Status verloren haben. Bliebe es beim jetzigen Kurs, könnten weder die Millenniumsziele (MDGs) erreicht noch der IPoA umgesetzt werden, denn 2010 lagen die Wachstumsraten der LDCs als Gruppe bei 5,7%. Mittelfristig werden sie nach den Prognosen des IWF bei durchschnittlich 5,8% liegen. Dies ist noch unter der IPoA-Zielmarke von 7%, die nur 10 von 48 LDCs erreichen können. Gibt es keine Trendwende, wird die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen in den LDCs bis 2015 nicht auf 255 Mio. halbiert werden können (MDG I), sondern sich auf 439 Mio. belaufen. Damit würden die LDCs das Zentrum der extremen Armut bilden.

Das zweite Kapitel des Berichts beschäftigt sich umfassend mit den Chancen, die sich aus einer Zusammenarbeit von Schwellen- bzw. Entwicklungsländern und LDCs durch Handel, ausländische Direktinvestitionen (FDI), Migration und öffentliche Finanzflüsse ergeben. Dabei zeigen sich extreme geographische Unterschiede. So sind die Importe in LDCs stark auf die „asiatischen Giganten“ China und Indien konzentriert; auch die Südexporte der LDCs konzentrieren sich auf wenige Länder und entfallen zu zwei Dritteln auf Angola, Jemen, Myanmar und Sudan (55). Nur einige wenige Staaten profitieren also wirklich von der weltweiten Nachfrage nach natürlichen Ressourcen, die vor allem durch große, schnell wachsende Schwellenländer mit hohen Wachstums- und Verstädterungsraten angetrieben wird (77).

Auch wenn die LDCs als Gruppe deutlich von den intensivierten Beziehungen mit den übrigen Ländern des Südens profitiert, sind diese nicht ohne Risiken. So besteht die Gefahr, dass die LDCs auch in der Süd-Süd-Arbeitsteilung auf arbeitsintensiven Produktionsstufen und in der Rohstoffabhängigkeit festgehalten bleiben (78).

* Regionalbanken stärken

„Eine der fundamentalsten Herausforderungen der LDCs bei der Realisierung des neuen IPoA wird es sein, finanzielle Ressourcen zu mobilisieren und diese so zu lenken, dass sie zu nachhaltigem und inklusivem Wachstum führen.“ (110) Im vierten Kapitel macht der Report konkrete Vorschläge zur Umsetzung. Er betont die Notwendigkeit einer Revitalisierung und Stärkung der Rolle regionaler und subregionaler Entwicklungsbanken, denn diese bieten eine Reihe von Vorteilen gegenüber internationalen und multilateralen Strukturen (115). Sie geben den Kreditnehmern eine stärkere Stimme und fördern regionale Unternehmer. Außerdem machen sie gerade kleine Länder wie die LDCs überhaupt erst (ver)handlungsfähig, die auf globalem Niveau immer dominiert würden.

Darüber hinaus könnten die regionalen Banken wichtige Koordinierungsaufgaben bei der Bereitstellung von Gütern der Daseinsvorsorge (Infrastruktur, Energie, Telekommunikation etc.) übernehmen, denn sie sind in der Lage, solche umfassenden Investitionsprojekte zu koordinieren (116). Und – vielleicht der wichtigste Vorteil – sie können aufgrund ihres öffentlichen Charakters Fehlentwicklungen und Lücken des Marktes in den LDCs korrigieren (121).

Charakteristika der Süd-Süd-Kooperation

Süd-Süd-Kooperationsprojekte setzen vor allem auf die Entwicklung von Produktionskapazitäten. In den LDCs liegt der Schwerpunkt in der Infrastrukturentwicklung, vor allem in den Schlüsselbereichen Transport und Energie. Die Vielseitigkeit der Akteure ist ein weiteres Charakteristikum. Die Hauptpartner sind die vier großen Ökonomien China, Indien, Brasilien und Südafrika, die alle unterschiedliche Regionen und Kooperationsformen priorisieren.

Indien stellt Kapazitätsaufbau und Wirtschaftshilfe in den Fokus, insbesondere im Bereich Landwirtschaft, Infrastruktur, Telemedizin, Energie, Bankwesen und Informationstechnologie. Zusätzlich wurden seit 2003 ca. 5 Mrd. Dollar an Krediten für LDCs bereitgestellt. Operiert wird in vielen afrikanischen Ländern (Afrika-Indien-Forum) und in sieben LDCs im Asia-Pazifik-Raum.

Brasilien konzentrierte sich im vergangenen Jahrzehnt hauptsächlich auf die Zusammenarbeit mit portugiesisch-sprachigen afrikanischen Ländern. Inzwischen wurde die Kooperation auf den ganzen Kontinent ausgeweitet, so dass Afrika inzwischen Brasiliens viertgrößter Handelspartner ist. Schlüsselsektor ist die Landwirtschaft. So wurde 2010 der Brasilien-Afrika-Dialog über Ernährungssicherheit, Hungerbekämpfung und Ländliche Entwicklung ins Leben gerufen. Weitere größere Partner sind Osttimor und Haiti, wo Brasilien die Friedensmission der UN leitet.

Südafrika hat sich exklusiv auf Afrika festgelegt und spielt dort eine große Rolle in der Entwicklungshilfe, Kapazitätsaufbau, Wiederaufbau nach Konflikten und humanitärer Hilfe.

Chinas Engagement in der Süd-Süd-Kooperation bildet eine Ausnahme. Hier finden sich ausgeprägte Parallelen zu traditionellen Geberländern. Insgesamt erhalten die LDCs 40% der Entwicklungshilfe Chinas. Die Zahl der unterstützten Länder steigt stetig, und es befinden sich einige bisher vernachlässigte Regionen darunter. Neben klassischen Investitionen in den Sozialsektor, spielen Maßnahmen für Infrastruktur und Produktion eine maßgebliche Rolle. Auffällig ist auch, dass China im Gegensatz zu anderen Süd-Süd-Beziehungen relativ gleich verteilt auf bi-, tri- und multinationaler Ebene arbeitet.

Quelle: UNCTAD

* Staatsfonds anzapfen

Doch woher das Kapital für u.a. diese Infrastrukturmaßnahmen nehmen? „Zwischen Dezember 2001 und Ende 2010 ist der Wert der globalen Reserven von 2,05 auf 9,3 Billionen Dollar angestiegen.“ Die Reserven der Länder des Südens machen dabei mit 6,1 Billionen Dollar den weitaus größten Anteil aus (117). Das Kapital ist auf verschiedene Art und Weise angelegt, aber Staatsfonds (Sovereign Wealth Funds - SWF) machen mit etwa 4,3 Billionen einen großen Teil aus (118).

Ursprünglich liegen die Gründe für die Bildung der Fonds insbesondere in der Absicherung gegen Schwankungen an den Rohstoffmärkten und in der Reservebildung für die Zeit nach Erschöpfung von Rohstoffressourcen. Die Mobilisierung nur eines Bruchteils dieser Gelder könnte jedoch die Rolle der regionalen Finanzinstitute erheblich stärken. Glaubwürdige Schätzungen gehen davon aus, dass die Einschleusung von nur 1% der SWFs der Entwicklungs- und Schwellenländer in regionale Banken die Leihkapazität jährlich um 84 Mrd. Dollar erhöhen würde (121).

Auch die Geber würden davon profitieren, denn sie könnten das Risiko ihrer langfristigen Anlagen diversifizieren, die heute fast ausschließlich in Industrieländern investiert sind (120). Gerade in der aktuell äußerst unsicheren Weltwirtschaftslage könnte das Interesse daran hoch sein. Zudem sind die prognostizierten Wachstumsraten in den LDCs weit höher als in den entwickelten Ländern.

* Mehr Chancen als Risiken

Insgesamt zeigt der Bericht zahlreiche Chancen auf, die sich durch die neuen Süd-Süd-Partnerschaften ergeben. Allerdings betont er auch immer wieder, dass die Süd-Süd-Kooperationen nur eine Ergänzung zur traditionellen Entwicklungshilfe sein sollten. Die Tendenzen der Industrieländer zur Kürzung der Entwicklungshilfe-Budgets dürften keinesfalls damit gerechtfertigt werden, dass inzwischen andere effektive Mechanismen geschaffen wurden.

Eine weitere Gefahr könnte in der Bildung neuer, quasi-kolonialer Abhängigkeitsverhältnisse bestehen. Allerdings hat das Auftreten der neuen entwicklungspolitischen Akteure den Vorteil, dass durch Diversifizierung der Hilfe Wettbewerb entsteht und so die Verhandlungsposition der LDCs gestärkt wird. Darüber hinaus haben die Kooperationen des Südens einen deutlich anderen Charakter als Nord-Süd-Beziehungen. Sie setzen weniger auf den Sozialsektor, sondern klar auf eine Entwicklung der Produktionskapazitäten in den LDC (112), und bieten so viel eher als traditionelle Modelle Hilfe zur Selbsthilfe und damit auch die Chance für eine Entwicklung, die langfristig zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit führen kann.

Hinweis:
* United Nations Conference on Trade and Development, The Least Developed Countries Report 2011: The Potential Role of South-South Cooperation for Inclusive and Sustainable Development, 167 pp, United Nations: New York-Geneva 2011. Bezug: über www.unctad.org

Veröffentlicht: 22.11.2011

Empfohlene Zitierweise: Sarah Hellmerichs, LDC-Report: Teilhabe am Aufstieg des Südens?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 22. November 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)