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Marrakesch: Vom Klimarausch zum Kater

Artikel-Nr.: DE20161110-Art.24-2016

Marrakesch: Vom Klimarausch zum Kater

Was bleibt von der Zeitenwende in der Klimapolitik

Vorab im Web - Die 22. Klimaverhandlungen der VN in Marrakesch werden von der Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika überschattet. Das kann für den Klimaschutz nichts Gutes bedeuten. Es wäre aber verkürzt, nun darin alles Übel der internationalen Klimaverhandlungen zu sehen. Die Klimapolitik ist jetzt schon in einer misslichen Lage. In Marrakesch wird die Zeitenwende in der Klimapolitik konkret – nur leider anders als gedacht, schreibt Achim Brunnengräber.

Mit der Einigung der internationalen Staatengemeinschaft auf das Ziel, die durchschnittliche Erderwärmung auf unter 2 Grad zu beschränken, wurden frühere Konflikte nur bei Seite geschoben. Der Weg in eine dekarbonisierte Zukunft des Planeten schien geebnet zu sein. Ein Blick auf fast ein Viertel Jahrhundert zelebrierter Erfolge – von der „historischen“ Rio-Konferenz 1992, über das Kyoto-Protokoll, bis zum „historischen“ Paris-Abkommen – lässt vor dem Hintergrund realer Emissionsentwicklungen und den sich zuspitzenden Folgen des Klimawandels einige Zweifel an der Zeitenwende in der Klimapolitik aufkommen.

● Ungetrübte Partylaune

Euphorisch war die Stimmung unter den Regierungen und in der Zivilgesellschaft, als im Jahr 1992 bei der Konferenz der Vereinten Nationen (UN) für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro ein Rahmenabkommen für den Klimaschutz verabschiedet wurde. Nach seinem Inkrafttreten 1994 und der ersten UN-Klimakonferenz (COP1) 1995 in Berlin war die Aufbruchsstimmung groß, die 1997 zum Kyoto-Protokoll führte. Nach einigen Widrigkeiten – Russland zierte sich mit der Ratifizierung des Protokolls – war die Freude groß, als es schließlich acht Jahre später in Kraft trat. Über die vielen Probleme, die mit dem Emissionshandel, mit Joint Implementation und mit dem „Clean Development Mechanism“ in den Folgejahren verbunden waren (Stichwort: Schlupflöcher), wird heute kaum noch gesprochen. Sie brachten nicht den Durchbruch für die Minderung der CO2-Emissionen, obgleich in diese globalen Steuerungsinstrumente zur damaligen Zeit alle Hoffnungen gelegt wurden.

Mit den mangelnden Erfolgen im Klimaschutz und bei der Klimaanpassung geriet die internationale Klimapolitik in eine Krise. Bei der Konferenz 2009 in Kopenhagen wurde diese allzu deutlich. Aber eine Aufarbeitung der gescheiterten ersten Phase der internationalen Klimapolitik, deren Politikinstrumente im top down-Verfahren verordnet wurden, fand nicht statt. Eine kritische Aufarbeitung der gescheiterten Ansätze ist auch in Marrakesch Fehlanzeige.

Mit dem Paris Agreement 2015 ist die internationale Klimapolitik wie Phoenix aus der Asche neu auferstanden. Das Zustandekommen des Abkommens wurde mit Tränen unter den Verhandelnden besiegelt. Bei seinem Inkrafttreten am 4. November 2016 flogen die Sektkorken, weil es in einer so kurzen Zeit von nationalen Parlamenten ratifiziert worden war, dass dies bereits rekordverdächtig ist. Dass eine Zeitenwende eingeleitet wurde, zeigt auch die Agenda der COP22 in Marrakesch. Der Blick wird nach vorne gerichtet. Das neue Paradigma lautet seit Paris Klimapolitik im bottom up-Verfahren. Ist der Paradigmenwechsel aber schon ein hinreichender Grund dafür, dass jetzt in der zweiten Phase die internationale Klimapolitik besser und erfolgversprechender wird?

● Konfliktfreies Terrain

In erster Linie konnten mit dem Ansatz einer Klimapolitik „von unten“ die erheblichen Konfliktlinien, die die Klimapolitik lange handlungsunfähig gemacht haben, aufgelöst werden. Die Artikel des Abkommens sind so vage formuliert, dass es am Ende für alle Vertragsstaaten überhaupt keinen Grund gab, das Abkommen nicht zu unterzeichnen. Im gleichen Maße wie die Klimapolitik an instrumenteller Substanz einbüßt, scheinen die PR-Agenturen der Regierungen und der UN an Bedeutung zu gewinnen. Eine Durchsicht der Zeitungsartikel in der Nachfolge der Pariser Klimakonferenz bestätigt, dass das Zustandekommen des Abkommens zwar euphorisch gefeiert wurde, mit welchen Politikinstrumenten das durchaus anspruchsvolle Ziel erreicht werden soll, wurde jedoch nicht thematisiert. Die Berichterstattung blieb auffällig gehaltlos.

Wie hätte es auch anders sein können? Jede Regierung kann jetzt selbst festlegen, welchen konkreten Fahrplan und welche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Jede Regierung ist gehalten, alle fünf Jahre neue Selbstverpflichtungen (INDC: „Intended Nationally Determined Contributions“) zum Klimaschutz einzureichen. Sanktionen sind nicht vorgesehen. Der Umgang mit Verlusten und Schäden infolge des Klimawandels bleibt völlig offen. Um die (konkrete!) Forderung der Entwicklungsländer nach Kompensationsleistungen infolge künftiger Klimaschäden, die die Industrieländer verursacht haben, wird sicher noch Jahre gerungen.

Auch die Fähigkeit zur Anpassung an den Klimawandel soll jede Regierung mit sich selbst verhandeln und in regelmäßigen Abständen landesweite Anpassungspläne erarbeiten. Diese Handlungsspielräume erklären, warum die internationalen Verhandlungen konfliktfrei im Rausch des Klimas verfangen sind. Der Scherbenhaufen der Klimapolitik, den ich an dieser Stelle vor einem Jahr konstatierte, weil sich die Regierungen – vor allem diejenigen der Industrie- und der Schwellenländer – nur noch stritten (W&E 11-12/2015), wurde von den Pariser Verhandlungsergebnissen geschickt kaschiert. Wie aber geht es jetzt weiter?

● Paradigmenwechsel konkret

Zunächst muss festgehalten werden, dass die Öffnung der Klimapolitik für neue Ansätze und Maßnahmen, die bottom up ausgerichtet sind und regionale Kontextbedingungen stärker berücksichtigen, so schlecht nicht ist. Klimapolitik ist mehr als die Summe marktwirtschaftlicher Instrumente, die mit Schlupflöchern gespickt sind und top down implementiert werden. Der gesamte Produktions- und Konsumbereich, der Mobilitätssektor und die Energiesparte müssen zum Gegenstand einer umfassenden kommunalen, nationalen und internationalen Klimapolitik werden. Hierin besteht die positive Botschaft, die mit dem Paradigmenwechsel einhergeht.

Genau deshalb offenbaren sich allerdings auch schnell die Hindernisse, die mit einer anspruchsvollen Klimapolitik verbunden sind. Diese geht nämlich ans Eingemachte und offenbart daher noch schneller und ernüchternder als flexible Marktinstrumente die Machtverhältnisse und Interessen, die auf nationaler Ebene mit dem Klimaschutz kollidieren. Um dies zu belegen, muss nicht auf die OPEC, auf die USA oder auf Russland geschaut werden. Ein Blick in die Klimapolitik der Bundesrepublik Deutschland reicht völlig aus.

Eigentlich hätte der Klimaschutzplan 2050, der die Maßnahmen Deutschlands in den verschiedenen Sektoren festlegen soll und im Umweltministerium federführend ausgearbeitet wurde, schon im September 2016 im Kabinett verabschiedet werden sollen. Der Prozess wurde zum Fiasko und der Plan zwischen Umwelt-, Energie-, Verkehrs- und Landwirtschaftsministerium klein gearbeitet. Der öffentliche Druck und die Blamage, die gedroht hätte, wenn die Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) mit leeren Händen nach Marrakesch reisen würde, führten in letzter Minute noch zu einer Einigung. Allerdings wurde die Langfrist-Strategie der schwarz-roten Regierung so verwässert, dass sie nun der Vagheit des Pariser Abkommens Konkurrenz macht.

Insgesamt zeigen auch viele der Klimaschutzpläne anderer Länder, die beim UN-Klimasekretariat eingereicht wurden, auf ehrliche Weise, wo und warum es in der nationalen wie internationalen Klimapolitik hakt. Mit den dort vorgestellten, an der Sicherung nationaler ökonomischer Wettbewerbsvorteile und Interessen ausgerichteten Maßnahmen ist das 2 Grad-Ziel nicht zu halten. Dies zeigt auch der Synthesereport, den das UN-Klimasekretariat zu den INDC-Berichten erstellt hat.

Doch es gehen noch weitere Dynamiken von dem neuen klimapolitischen Ansatz aus, die kaum Grund zum Feiern geben. Nach Paris erleben die vermeintlich CO2-neutralen Atomkraftwerke als Bauwerke für den Klimaschutz eine Renaissance, auch wenn diese bisher überwiegend rhetorischer Art ist – so der gerade erschienene World Nuclear Industry Status Report. Allerdings stützt der Diskurs über eine vermeintlich klimafreundliche Großtechnologie eine abstiegsbedrohte Branche, die um jedes Neubauprojekt – und ums Überleben – kämpft. Weil die nationalen Klimaschutzpläne alles andere als ambitioniert sind und die Welt auf einen 4-6 Grad-Anstieg zusteuern lassen, werden auch die Debatten über Geoengineering wieder hoffähig (vgl. Die Zeit, Nr. 45, 2016, Dossier S. 13-15). Und schließlich führt die Einsicht, dass die ambitionierte Zielmarke kaum eingehalten werden kann, zu einem erhöhten Fatalismus, der in seiner gesellschaftlichen Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte.

Die Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA wird den Positionen und der politischen Bedeutung der Klimaskeptiker erheblichen Auftrieb geben. Die Auswirkungen der Wahl auf das Pariser Abkommen und die internationalen Klimaverhandlungen sind heute noch kaum abschätzbar; sie werden aber zweifelsohne dramatisch sein.

● Der „gute Geist“ von Paris

Lange Zeit waren die Klimaverhandlungen vom „guten Geist“ von Rio getragen. Die Hoffnungen wurden auf das völkerrechtlich verbindliche Kyoto-Protokoll und die marktwirtschaftlichen Instrumente gesetzt. Dass die gewünschten Effekte ausblieben, ist bekannt. Nun macht der „gute Geist“ von Paris, ein wiederum völkerrechtlich verbindliches Abkommen, die Runde und wird gefeiert. Dies ist aber faktisch nicht begründet. Während überall das 2-Grad-Ziel zur politisch gesetzten Richtschnur wird und daraus begrenzte CO2-Budgets für jedes Land dieser Erde errechnet werden, nimmt die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu. Sie ist normalerweise im Herbst etwas niedriger, weil viele Pflanzen im Sommer CO2 speichern. Nicht 2016. In diesem Jahr hat die CO2-Konzentration in der Atmosphäre erstmals seit Menschengedenken die 400-ppm-Grenze (parts per million) überschritten.

Theoretisch folgt aus dem Pariser Abkommen die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft, d.h. der weltweite Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas. Doch davon sind wir meilenweit entfernt. Auch wenn sich Wirtschaftswachstum und Emissionsentwicklung entkoppelt haben, bedeutet das keine Entwarnung. So bringt die Substitution von Kohle durch emissionsärmeres Gas nur vorübergehend eine Entspannung. In den Prognosen bis 2035 wird davon ausgegangen, dass ein Drittel mehr Energie verbraucht wird als heute. Die Frage für die Emissionsentwicklung ist, wie der Energiebedarf zukünftig gestillt wird sowie welche Effizienz- und Suffizienmaßnahmen umgesetzt werden. Noch einmal das Beispiel Deutschland. Hier sind die Emissionen von 902 im Jahr 2014 auf 908 Mio. Tonnen im Jahr 2015 angestiegen; kein gutes Aushängeschild für ein Land, das die Energiewende feiert und einst als Vorreiter im Klimaschutz galt.

Dahinter verbirgt sich eine dramatische Botschaft. Auch Regierungen, die sich vermeintlich bemühen, haben Schwierigkeiten in der Umsetzung von Minderungsmaßnahmen. Dies ist Ausdruck der Verharrungskräfte und der polit-ökonomischen Interessen, die diesen entgegenstehen. Deshalb wäre es auch verkürzt, die Buhfrauen und (neuen) Buhmänner in den USA, Australien, China oder Russland zu suchen. In die Pfadabhängigkeiten des fossilistischen Energieregimes, das überwunden werden muss, sind alle Länder dieser Erde verstrickt. Um sich daraus zu lösen und eine Transformation zur Nachhaltigkeit einzuleiten, reichen ein Fest zur Zeitenwende und ein Paradigmenwechsel nicht aus.

Spannend bleibt nun, wie die dritte Phase der internationalen Klimapolitik aussehen wird. Ihr wird sicher von der neuen US-Administration – direkt oder indirekt – ein starker Stempel aufgedrückt. Es wird in den nächsten Jahren wenig zu feiern geben; die Sektflaschen werden verschlossen bleiben.

Empfohlene Zitierweise:
Achim Brunnengräber, Marrakesch: Vom Klimarausch zum Kater. Was bleibt von der Zeitenwende in der Klimapolitik?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 10. November 2016 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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