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Mikrokredite: Raiffeisen statt Renditemaximierung

Artikel-Nr.: DE20101208-Art.67-2010

Mikrokredite: Raiffeisen statt Renditemaximierung

Zur Debatte um Mikrofinanzinstitute

Vorab im Web – Nur wenige Jahre nach der Nobelpreisverleihung an Muhammad Yunus für sein Lebenswerk, die Grameen-Bank, wird heftig über den entwicklungspolitischen Sinn und Unsinn des Instrumentes Mikrofinanzierung diskutiert. Anlass ist die Schieflage großer Mikrobankinstitute in Indien, die in kleinerem Umfang durchaus Ähnlichkeiten mit der großen weltweiten Finanzkrise hat. Ein Kommentar von Roger Peltzer.

Die Debatte ist auch deshalb notwendig, weil Mikrofinanzierung natürlich nie das entwicklungspolitische Allheilmittel war, zu dem sie zeitweise hochstilisiert wurde. Dennoch braucht die Debatte Differenzierung. Mikrofinanzierung ist nicht gleich Mikrofinanzierung.

* Deutsche Vorläufer…

Wenn man so will, sind in Deutschland die Volks- und Raiffeisenbanken und die Sparkassen die Vorläufer des Mikrofinanzierungsgedankens. Sie haben Finanzprodukte für die breite Masse der Bevölkerung zugänglich gemacht und einen Beitrag zur Vermögens- und Wohlstandsbildung geleistet. Und aus der Konstruktions- und Funktionsweise dieser deutschen „Mikrofinanzinstitute“ lassen sich wichtige Erkenntnisse für die aktuelle Debatte um die Bereitstellung von Finanzdienstleistungen für die Armen weltweit ableiten.

Zunächst einmal ging und geht es bei den Volksbanken und den Sparkassen nicht nur um Kreditvergabe, sondern immer auch um Sparen und Ersparnisbildung. Vielfach sind die Produkte miteinander verknüpft: Das Ansparen ermöglicht den Zugang zum Kredit. In der Konsequenz refinanzieren sich beide Systeme selbst und sind nicht auf Kredite von außen angewiesen. Dieses Prinzip macht Volksbanken und Sparkassen, wie sich in der letzten Finanzkrise gezeigt hat, auch heute noch relativ krisenfest. Und diese Systeme wären noch krisenfester gewesen, wenn sich die jeweiligen Dachverbände nicht auch in hoch spekulativen Finanzprodukten engagiert hätten.

Und dann sind die Volksbanken und Sparkassen aber vor allem auch das Eigentum der Genossenschaftsmitglieder bzw. der Städte und Gemeinden. Sie sind nicht nur gewinn-, sondern eben auch gemeinwohlorientiert, unterstützen Vereine, die örtliche Kultur, wichtige kommunale Bauvorhaben. Sie sorgen im intensiven Wettbewerb dafür, dass sich der deutsche Mittelstand im weltweiten Vergleich günstig finanzieren kann. Gerade deswegen haben sie auch erst gar nicht den Anspruch, Renditen wie die Deutsche Bank zu erzielen. Und deshalb sind sie den Apologeten der uneingeschränkten Gewinnmaximierung ein Dorn im Auge, die insbesondere die Sparkassen seit Jahr und Tag privatisieren wollen.

* … versus kommerzielle Geschäftsmodelle

In der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit ist der Ansatz der Volksbanken und der Sparkassen in den letzten Jahren leider massiv zugunsten eines kommerziellen „angelsächsischen“ Mikrofinanzierungsmodells in den Hintergrund gedrängt worden. Es wurden und werden weltweit aufgestellte Mikrofinanzierungssysteme gefördert, die straff von oben nach unten organisiert sind, die keinen Wert auf Ersparnisbildung legen, deshalb auf Kredite von außen angewiesen sind, und die zudem Zinsen und womöglich auch Gewinne für internationale Investoren generieren müssen.

Dieses Modell birgt erhebliche Risiken. Die einseitige Fokussierung auf Kreditvergabe macht den Rückgriff auf Kredite von außen, vielfach Fremdwährungskredite notwendig. Das birgt für die lokalen Mikrobanken erhebliche Fremdwährungsrisiken. Im Fall einer massiven Abwertung der lokalen Währung kommen sie – wie in den letzten Jahren mehrfach geschehen – massiv ins Strudeln. Die Notwendigkeit, für Anleger eine zufriedenstellende Rendite oder Verzinsung zu erwirtschaften, führte dazu, dass sich Zinssätze und Praktiken indischer Mikrobanken praktisch nicht mehr von den 100 Jahre alten Praktiken der Geldwucherer in Indien unterschieden.

Nicht zuletzt entzieht eine Entwicklungszusammenarbeit, die Mikrofinanzierung als weltweites Geschäfts- und Anlagemodell betreibt, den Gemeinden und Städten in den Entwicklungsländern die Möglichkeit, sich in „Ownership“ ihre eigenen, auf den lokalen Bedarf ausgerichteten Finanzierungsinstitute aufzubauen. Letzteres dauert im Zweifelsfall länger, ist aber nachhaltiger und für die Entwicklung förderlicher.

* Konsum- oder Investitionsfinanzierung?

Das kommerzielle Modell der Mikrofinanzierung mit hohen Zinsen ist zudem fast ausschließlich auf die Bedürfnisse der kurzfristigen Konsum- und Handelsfinanzierung zugeschnitten. Nun ist Kosumfinanzierung nicht unbedingt „des Teufels“. Detaillierte Befragungen von armen Haushalten in Bangladesh, Indien, Südafrika und Südamerika zeigen, dass Mikrofinanzierung für arme Leute, wenn die Zinssätze deutlich unter denen der Geldverleiher liegen, durchaus eine willkommene Alternative zur Verschuldung bei Familienangehörigen oder Verwandten darstellen kann, wenn ein finanzieller Engpass z.B. im Krankheitsfall überbrückt werden muss. Aber Zinssätze von 20%, 25%, 30% können letztlich nur im Handel „verdient“ werden. Ein Händler, der eine Marge von 10% zwischen Ein- und Verkauf macht und der seine Ware 10 mal im Jahr umschlägt, kann 30% Zinsen zahlen und dennoch einen ordentlichen Gewinn machen. Diese Kleinhändler und der Konsum haben das weltweite Wachstum der Mikrofinanzierung getrieben.

Mit Zinssätzen von 30% lassen sich aber – es sei denn es gibt ein hochinflationäres Umfeld – keine mittel- und langfristigen Investitionen in die Produktion und schon gar nicht in die Landwirtschaft finanzieren. Wenn Landwirtschaft so rentabel wäre, dass sie diese Zinssätze erwirtschaften würde, gäbe es weltweit keine Landflucht und schon gar keine Ernährungskrise.

Auch da, wo Mikrofinanzierung keine Rendite für Anleger erwirtschaften soll, wie z.B. bei der Grameen-Bank von Yunus, braucht sie hohe Zinsen, um die hohen Transaktionskosten, d.h. die Kosten die entstehen, wenn man Kleinkredite an tausende von Leuten vergibt, zu erwirtschaften. Wenn man die Transaktionskosten für Produktionskredite vermindern will, braucht man Produktionsgenossenschaften. Auch deshalb hat das deutsche Raiffeisensystem zwei Säulen: Die Raiffeisenbanken und die Raiffeisen-Produktionsgenossenschaften. So kann man Investitionskredite zu günstigen Konditionen vergeben und der Genosse der Volksbank kann dennoch eine Verzinsung auf seine Anteile von z.B. 7% realisieren.

Leider wurden auch diese Zusammenhänge bei dem kommerziellen Modell der Mikrofinanzierung völlig ausgeblendet. Die Entwicklungszusammenarbeit hat international und in Deutschland viel in Mikrofinanzierung investiert. Eine intensive Debatte über die Vorteile und Nachteile der verschiedenen Modelle sollte jetzt auf der Tagesordnung stehen bevor die Beteiligten weiter „Business as usual“ betreiben.

***

Roger Peltzer ist seit 15 Jahren Vorstandsmitglied der Nichtregierungsorganisation ADAF in Kamerun, die ein Netz von 70 Mikrobanken betreut, die einerseits stark in der kamerunischen Realität verankert sind, sich anderseits aber stark vom Raiffeisenmodell haben inspirieren lassen. Diese Mikrobanken mit einer Bilanzsumme von zwischenzeitlich mehr als 50 Mio. € haben bis heute keinen Cent Kredite von außen in Anspruch genommen. Nur ADAF erfreut sich einer – wenn auch begrenzten Unterstützung – seitens internationaler, vor allem kirchlicher Hilfswerke, im Wesentlichen für Ausbildungszwecke.

Veröffentlicht: 8.12.2010

Empfohlene Zitierweise: Roger Peltzer, Mikrokredite: Raiffeisen statt Renditemaximierung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 8.12.2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

Diskussionsbeitrag von Andreas Brinkmann

Lieber Herr Peltzer,

ganz herzlichen Dank für Ihren zutreffenden und notwendigen Beitrag in W&E 01/2011. Bei dem Blick auf die Auswüchse einiger Mikrofinanzinitiativen, die wie Compartamos in Mexico zeitweise einen RoE von 100% erzielten, die dann auch noch ausschließlich in private Taschen fließen, sollten wir nicht die wenigen richtungweisenden Modelle aus den Augen verlieren, die es Gott sei Dank doch auch noch gibt.

Ich stimme Ihnen zu, dass Genossenschaften von der Idee des dreifachen „Selbst“ in ihrer langen Tradition das Ideale Konzept entwickelt haben. Doch leider zeigt die Wirklichkeit, dass letztlich wohl kein Mensch der Versuchung widerstehen kann, sich zu Lasten anderer zu bereichern. Misswirtschaft war ja in der Vergangenheit selbst in Deutschland ein häufiges Thema bei den Spar- und Kreditgenossenschaften. Solange die Genossenschaften ihre Probleme bei Aufsicht und Kontrolle nicht nachhaltig gelöst haben und von ihnen immer wieder auf die Schnelle Wunderdinge verlangt werden, ist auch dieses Modell zu sehr von der individuellen Aufrichtigkeit ihrer jeweiligen Aufsichts- du Führungsorgane abhängig.

Wie aber auch Oliver Schmidt in der gleichen Ausgabe von W&E schreibt, kann Deutschland ja auch auf eine andere Erfolgsgeschichte, nämlich die der Sparkassen zurückblicken. Dass dieses Modell erfolgreich nach Peru exportiert wurde, wird bei der Grundsatzdiskussion des richtigen Ansatzes für den Mikrofinanzsektor zu oft übersehen. Zur gleichen Zeit, als Herr Yunus in Bangladesh den Gruppenkredit einer nicht informierten Öffentlichkeit als etwas gänzlich Neues vorstellte, entwickelte die IPC (Internationale Projekt Consult) in Peru ein völlig neues Mikrofinanzsystem, das den Kleinstproduzenten oder Kleinstgewerbetreibenden als Individuum anerkannte und den Kredit nicht mehr über die bislang weltweit praktizierte Gruppensolidarität absicherte.

Das Besondere dieser Sparkassen ist bis heute genau das, was Sie in Ihrem Artikel in W&E 01/2011 herausstellen: Die Sparkassen haben sich von Beginn an über das Sparaufkommen der eigenen Kundschaft refinanziert. Bis heute sind die peruanischen Sparkassen ein einzigartiges Erfolgsmodell, weil sie neben der Förderung des Spargedankens die Feststellung der Kreditwürdigkeit revolutioniert haben: Da der große informelle Sektor in Peru ( über 2 Mio Kleinstunternehmer) wie überall auf der Welt keine verlässlichen schriftlichen Unterlagen über ihre geschäftlichen Aktivitäten vorweisen können, mussten andere Wege der Kreditprüfung gefunden werden: Neu und inzwischen in Südamerika von vielen Mikrofinanzeinrichtungen erfolgreich kopiert, sind die Besuche des häuslichen Umfelds und eine Inaugenscheinnahme des Kleinstbetriebes/Geschäft des Antragstellers durch den zuständigen Kreditsachbearbeiter. Beide Besuche geben dem geschulten Kreditsachbearbeiter verlässlich Aufschluss über die Kreditwürdigkeit des Antragstellers.

Die hohen Kosten dieses individuellen Evaluierungsverfahrens können heute nach über 20järiger Erfahrung der peruanischen Sparkassen dank eines inzwischen umfangreichen Datenmaterials und große Vergleichbarkeit der Antragsteller durch Scoringverfahren reduziert werden. Die peruanischen Sparkassen sind auch in einem anderen Punkt eine Nachbildung der deutschen Sparkassen: Die Gewinne werden nicht privatisiert. Sie werden, je nach Situation der Sparkasse zu 50%-75% kapitalisiert und in nicht wenigen Sparkassen sogar zu 100%. Ausschüttungen gehen nur an den Gewährträger, die örtliche Gemeinde, die die Gewinne nicht zur Finanzierung laufender Kosten verwenden darf, sondern diese für soziale Aufgaben einsetzen muss. Die größten peruanischen Sparkassen haben heute einKreditportefeuille von 500 Mio USD und beschäftigen fast 2.000 Mitarbeiter, sind also Mikrofinanzinstitutionen nur noch wegen der Kreditgröße, die im Durchschnitt trotz Diversifikation heute bei etwa 2.500 USD liegt.

Dieses Modell wird immer wieder vergessen, wenn die Auswüchse der Gruppenkredite, wie z.Zt. in Indien, diskutiert werden. Ein Missbrauch des ursprünglich sinnvollen Ansatzes der Gruppensolidarität habe ich z.B. in Uganda gesehen, wo nicht die soziale Kohärenz Grundlage des Gruppenkredits ist, sondern wo die täglichen Antragsteller zusammengebracht werden zu einem Einführungsvortrag über die Abwicklung eines Kredites und wo dann zum Schluss willkürliche Gruppen zu je 15 Personen gebildet werden, die sich untereinander nicht kennen.

Ich freue mich, wenn Ihre Initiative zu einer neuen Betrachtungsweise der Vor- und Nachteile der Mikrofinanzen für den informellen Sektor führt. Wenn ich dazu beitragen kann, dann stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Andreas Brinkmann