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Mit Syriza aus der griechischen Schuldenkrise?

Artikel-Nr.: DE20150121-Art.01-2015

Mit Syriza aus der griechischen Schuldenkrise?

Eine "deutsche Lösung" für Griechenland

Im Frühjahr 2012 wurden Griechenland 109 Mrd. € seiner öffentlichen Schulden bei privaten Gläubigern im In- und Ausland erlassen. Drei Jahre später ist Griechenlands Verschuldung mit rund 317 Mrd. € oder 173% des BIP sowohl absolut als auch relativ höher als damals. Der IWF hatte bei seinen Vorhersagen schlicht die Neuverschuldung „vergessen“ und auch nicht berücksichtigt, dass die Austeritätspolitik die Wirtschaftsleitung dramatisch würde einbrechen lassen. So geht nachhaltige Entschuldung offensichtlich nicht. Wie dann, fragt Jürgen Kaiser.

Die griechische Partei Syriza – erst ihr Chefökonom John Milios und dann auch ihr Spitzenkandidat Alexis Tsipras – hat eine Schuldenregelung für Griechenland ins Gespräch gebracht, die sich an das Londoner Schuldenabkommen für die Bundesrepublik Deutschland von 1953 anlehnt. Damals waren der jungen Bundesrepublik rund die Hälfte ihrer Vor- und Nachkriegsschulden erlassen worden. Es ist aber nicht der Umfang des Schuldenschnittes, der „London“ zu einem so inspirierenden Vorbild für die Hellenen macht, sondern vielmehr die „qualitativen“ Dimensionen der Regelung von 1953.

● Verhandlungen auf Augenhöhe

Bemerkenswert an den Londoner Verhandlungen war, dass es eben Verhandlungen waren. Was so selbstverständlich klingt, ist es im Umgang mit Staatsschulden keinesfalls: Wenn heute über verschuldete Staaten verhandelt wird, dann haben die Gläubiger dafür Foren, Regeln und Kriterien geschaffen, nach denen die verschuldeten Länder „behandelt“ werden. Im Falle Griechenlands etwa entschied die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF über die Eckwerte der im Jahr 2012 endlich gewährten Schuldenerleichterung.

Der IWF selbst hat inzwischen eingeräumt, dass die bei seiner Beurteilung zugrunde gelegten Vorhersagen zum künftigen Wirtschaftswachstum viel zu optimistisch waren und der Erlass deshalb zu gering ausgefallen ist. So wurde das mit dem Schnitt erreichbare Schuldenniveau von 124% im Jahr 2020 bei genau diesem Wert „ausgerechnet“, weil Italien gleichzeitig nur knapp darunter lag. Wären 124% - also das Doppelte der Maastricht-Obergrenze - für untragbar erklärt worden, hätte der IWF keine neuen Kredite an Italien vergeben dürfen.

Demgegenüber hatten die Londoner Verhandlungen von vornherein eine offene Agenda, die anzulegenden Kriterien wurden auf Augenhöhe zwischen der deutschen Delegation und ihren Gläubigern ausgehandelt. In London brachte hauptsächlich die Bank Deutscher Länder, also eine Institution des Schuldnerlandes, die Daten bei, nach denen die deutsche Schuld verhandelt und geregelt wurde.

● Schuldendienst nur aus laufenden Einnahmen

Eine Besonderheit des Londoner Abkommens gegenüber heutigen Entschuldungsvereinbarungen bestand darin, dass nicht dem Schuldner, sondern indirekt sogar den Gläubigern Konditionen auferlegt wurden. Sie sollten sicherstellen, dass die vereinbarte Entschuldung ihr Ziel erreichte. Wichtigster Grundsatz dabei war, „dass Deutschland Schuldendienst nur aus echten Außenhandelsüberschüssen abdecken könne und nicht aus der laufenden Inanspruchnahme von Währungsreserven“.

Dies bedeutete sehr konkrete Vergünstigungen für Deutschland, etwa die Selbstverpflichtung der Gläubiger, deutsche Handelsbilanzüberschüsse zuzulassen. Die Bundesregierung sollte allenfalls kurzzeitig auf ihre noch bescheidenen Währungsreserven zurückzugreifen müssen. Ausgleichende Maßnahmen gegen einen deutschen Überschuss mussten erst ergriffen werden, nachdem die Deutschen sich den jeweiligen Schuldendienst vollständig durch einen Exportüberschuss verdient hatten. Umgekehrt hätte Deutschland die Möglichkeit gehabt, Importbeschränkungen vorzunehmen, wenn die bilaterale Handelsbilanz nur ausgeglichen (oder sogar negativ) gewesen wäre. Nicht zuletzt deshalb akzeptierten die Gläubiger stillschweigend eine starke Unterbewertung der DM und schufen dadurch eine wichtige Voraussetzung für die deutschen Handelsbilanzüberschüsse.

Vergleicht man diese Regelung mit den Bedingungen, die heute Griechenland auferlegt werden, könnte der Gegensatz kaum größer sein: Ein wesentlicher Teil des griechischen Schuldenproblems ist darauf zurückzuführen, dass das Land beständig mehr importiert als exportiert hat. Noch nach Beginn der Krise hat die deutsche Bundesregierung jede Regelung hinausgezögert und damit bewusst oder unbewusst dafür gesorgt, dass deutsche Exporteure, z.B. Waffenproduzenten, ihr Geld noch bekamen.

Würde das gleiche Prinzip, das seinerzeit für Deutschland galt, nun für Griechenland angewendet, könnte Griechenland seinen gesamten Schuldendienst quasi über Nacht aussetzen. Vor allem die europäischen Regierungen stünden dann unter Druck, ihre – mittlerweile zum großen Teil öffentlichen – Forderungen zumindest zurückzustellen, bis sie selbst den Griechen die Möglichkeit gegeben hätten, sich die Mittel für den Schuldendienst durch Olivenexport, Tourismus, Schifffahrtsdienstleistungen oder was auch immer zu verdienen.

Statt aber in diesem Sinne den stärkeren der Handelspartner in die Pflicht zu nehmen, soll Griechenland allein durch drastische „innere Abwertung“, also die Kürzung von Reallöhnen und öffentlichen Leistungen die Kosten für die Beseitigung des Ungleichgewichts tragen. Auch wenn sich damit die Wettbewerbsposition der griechischen Wirtschaft seit 2010 tatsächlich spürbar verbessert hat, geschah dies um den Preis einer weiter anwachsenden Verschuldung im Verhältnis zu der (schrumpfenden) Wirtschaftsleistung.

Deutschland hatte dagegen beides erhalten: eine spürbare Verbesserung der Schuldensituation und eine Verbesserung seiner Handelsbilanz. Im Ergebnis hatte die Bundesrepublik dadurch die Spielräume für den Aufbau eines Sozialstaates, der die hohen sozialen Spannungspotenziale im westlichen Nachkriegsdeutschland durch Umverteilung abfederte. Das Gegenteil passiert unter den Vorgaben der Troika aktuell in Griechenland.

● Schiedsverfahren als Streitschlichtungsinstrument

Für den Fall von Zahlungsschwierigkeiten wurde vereinbart, dass die „hauptsächlich beteiligten Parteien des Abkommens in Beratungen eintreten“ werden. Für den Fall einer Verletzung des recht großzügigen Vertrags durch den Schuldner wurden also nicht eventuelle Sanktionen der Gläubiger vertraglich festgelegt, sondern vielmehr die erneute Aufnahme direkter Verhandlungen, nötigenfalls unter Anrufung des „Rates“ einer „geeigneten Internationalen Organisation“. Zur Umsetzung wurden gleich sechs Optionen für Schiedsverfahren geschaffen. Die wichtigste war der eigens für das Londoner Abkommen eingerichtete Schiedsgerichtshof in Koblenz.

Heutigen Schuldnern wie Griechenland stehen solche Optionen nicht offen. Das Land musste im Rahmen der Vereinbarungen mit der Troika rechtsverbindliche Verträge mit seinen Gebern und Gläubigern abschließen, welche vor verschiedenen nationalen Gerichten einklagbar sind. Diesen Weg beschreiten indes eher Geierfonds und andere sog. Holdout-Gläubiger, um über die bei der Entschuldung getroffenen Vereinbarungen hinaus Zahlungen zu erzwingen (Beispiel Argentinien). Die Möglichkeit, spezifische Schwierigkeiten geltend zu machen, um dauerhafte oder vorübergehende Erleichterungen zu erwirken, hat Griechenland nicht. Wenn die Mittel für den vereinbarten Schuldendienst nicht zur Verfügung stehen - z.B. weil der IWF sich bei seinen Vorhersagen grandios verrechnet hat - kann das Land nur konfrontativ die Zahlungen einstellen und dann auf eine gnädige Behandlung der Schuldner hoffen.

● Umfassende Regelung für alle Schulden

Eine der gravierenden Schwächen des aktuellen internationalen Schuldenmanagements besteht in seiner Aufsplitterung auf verschiedene Foren, in denen die Forderungen jeweils nur einer Gläubigergruppe an einen souveränen Schuldner bzw. an die privaten Schuldner eines Landes geregelt werden. Dies schafft für die Gläubiger Anreize, sich nicht an Zugeständnissen zu beteiligen, sondern darauf zu warten, dass konkurrierende Gläubiger dies tun, um dann selbst von der wieder hergestellten Zahlungsfähigkeit des Schuldners zu profitieren.

Anders das Londoner Abkommen: Alle Forderungen aller ausländischen Gläubiger an alle öffentlichen und privaten Schuldner in der Bundesrepublik wurden in einem einzigen, kohärenten Verfahren geregelt. Nach dem 27. März 1953 war allen möglichen Partnern und Investoren des jungen Staates klar, welche Zahlungsverpflichtungen die deutsche Volkswirtschaft eventuell noch in Schwierigkeiten bringen könnten und welche nicht.

● Realistische Perspektive?

Hätte eine Syriza- oder andere Regierung denn überhaupt eine Chance, in der Weise wie Deutschland es 1952/3 tat, mit seinen Gläubigern zu verhandeln? Ja, und zwar aus zwei Gründen:

* Zum einen haben die Gläubiger viel zu verlieren. Dass sie die Herren praktisch aller Schuldenverhandlungen sind, ist nichts „Natürliches“, und gerade das Londoner Abkommens zeigt das sehr deutlich: Die Bundesregierung spielte 1953 geschickt auf der Klaviatur des Kalten Krieges, und nutzte das politische Interesse der Westmächte an der Stabilisierung des westdeutschen Teilstaates zur Erzielung von Vergünstigungen aus. Auch, wenn historische Konstellationen sich nicht vergleichen lassen, gibt es keinen Grund für eine neue griechische Regierung, aus dem Interesse ganz Europas an politischer Stabilität im Südosten des Kontinents nicht wirtschaftliches Kapital zu schlagen.

* Zweitens kann Griechenland auf einen am 9. September 2014 von der Gruppe der Entwicklungs- und Schwellenländer (G77 + China) angestoßenen Prozess in der UNO-Vollversammlung verweisen. Dieser Beschluss mandatiert die Weltorganisation, in ihrer laufenden 69. Sitzungsperiode bis zum September 2015 ein geordnetes Verfahren zur Bewältigung von Staatsschuldenkrisen zu entwickeln. Der in London so erfolgreiche Ansatz einer umfassenden Gläubigerkonferenz ist dabei eine Option, die von verschiedenen Akteuren des UN-Prozesses ausgestaltet und zur Diskussion gestellt wird. Griechenland könnte eines der ersten Länder sein, das von einem solchen Rahmenwerk profitiert.

Jürgen Kaiser ist Politischer Koordinator von erlassjahr.de.

Posted: 21.1.2015

Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Kaiser, Mit Syriza aus der griechischen Schuldenkrise? Eine "deutsche Lösung" für Griechenland, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 21. Januar 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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