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Monsanto: Der Glyphosat-Skandal geht weiter

Artikel-Nr.: DE20171023-Art.19-2017

Monsanto: Der Glyphosat-Skandal geht weiter

Die EU-Kommission und ihre Experten

Vor Kurzem fand vor einem gemeinsamen Umwelt- und Agrarausschuss des Europäischen Parlaments (EP) eine Anhörung von Experten zu Glyphosat-Studien statt. Die Experten stellten fest, dass die zuständigen EU-Behörden EFSA und ECHA ihre Gutachten in weiten Teilen von Monsanto abgeschrieben haben. Der Monsanto-Konzern selbst, den Bayer übernehmen möchte, weigerte sich, an der Sitzung teilzunehmen. Daraufhin wurde dem Konzern die Zugangsgenehmigung zum EP entzogen, berichtet Jean Feyder.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Agentur für chemische Produkte (ECHA) beraten die Europäische Kommission, die sich in ihren Vorschlägen zu Normen im Nahrungsmittel- oder GVO-Bereich stets auf die Stellungnahmen dieser Agenturen beruft. Im Hintergrund des aktuellen Falls steht, dass die Zulassung von Glyphosat zum EU-Markt Ende dieses Jahres abläuft. Die Kommission hat eine Verlängerung von zehn Jahren vorgeschlagen, ein Vorschlag, über den die EU-Staaten in Kürze zu beraten haben. Frankreich, Italien und Österreich haben angekündigt, gegen diesen Vorschlag zu stimmen. Würde auch Deutschland ablehnen, wäre der Vorschlag vom Tisch.

● Krebserregend oder nicht?

Über ihre Krebsforschungsagentur, die International Agency for Research on Cancer (IARC) hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Glyphosat im März 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Im November 2015 hatte die EFSA die von Glyphosat ausgehende Krebsgefahr jedoch als „unwahrscheinlich“ eingeschätzt. Im März 2017 erschien ein neues Gutachten, diesmal von der ECHA. Auch sie kam zur Erkenntnis, dass Glyphosat nicht krebserregend oder mutagen, d.h. Genmutationen auslösend, sei.

Anfang Februar 2017 hatte eine breite Koalition von europäischen Nichtregierungsorganisationen die Europäische Bürgerinitiative (EBI) für ein Verbot des Herbizids Glyphosat gestartet. Die EBI wird von 38 Organisationen in 15 Ländern unterstützt. Die Umwelt- und Gesundheitsschutzorganisationen forderten die Europäische Kommission auf, Glyphosat zu verbieten, das Pestizid-Genehmigungsverfahren zu reformieren und verbindliche Reduktionsziele für die Verwendung von Pestiziden in der EU festzulegen.

● Die Monsanto-Leaks

Ein neues Element kam im März 2017 durch Enthüllungen der US-Justiz in die Debatte. Diese hat 250-Seiten interne Dokumente von Monsanto zur Veröffentlichung freigegeben. Dies geschah im Rahmen eines Gerichtsverfahrens, das in Folge einer kollektiven Klage eingeleitet wurde, die Hunderte von landwirtschaftlichen Arbeitern in Kalifornien gegen Monsanto eingereicht hatten. Sie litten unter Blutkrebs, nachdem sie bei ihrer Arbeit mit Glyphosat in Kontakt gekommen waren. Diese Dokumente zeigen, dass Monsanto sich bereits 1999 recht besorgt zeigte über das mutagene Potential und über mögliche Gentoxität von Glyphosat. Monsanto hatte auch auf ein stilles Einverständnis mit der Umweltschutzagentur (EPA) zählen können. James Parry, in den USA anerkannt als einer der Päpste in Sachen Gentoxität, hatte seine Bedenken zu Glyphosat in einem Bericht an Monsanto zum Ausdruck gebracht, den die Firma aber nie veröffentlichte.

In Kalifornien hat ein Gericht eine Klage Monsantos gegen die dortige Agentur für gesundheitliche Sicherheit (Office of Environmental Health Hazard Assessment) abgewiesen, da diese die Etikettierung von Produkten vorschrieb, die unter Glyphosat-Einsatz produziert wurden und möglicherweise krebserregend seien.

● Wissenschaftlicher Betrug

Die Anhörungen im EU-Parlament über die Beurteilung von Glyphosat vertiefen lediglich eine seit langem bestehende Vertrauenskrise in das europäische System der Bewertung und Einschätzung von Gesundheit- und Umweltrisiken. Schon Anfang 2016 hatte der europäische Ombudsmann die Laxheit der Kommission bei der Zulassung von Pestiziden scharf verurteilt.

Doch was steckt hinter der unterschiedlichen Bewertung von Glyphosat? Die Einschätzung der EFSA beruht auf einer Bewertung, die das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) im Auftrag der EU vorgenommen hat. Diese Einschätzung des BfR, dass der Pestizidwirkstoff nicht humantoxisch sei, basiert, so die Meinung mehrerer deutscher Verbände, fast ausschließlich auf Studien, die von Glyphosat-produzierenden Unternehmen selbst durchgeführt oder in Auftrag gegeben wurden.

Die IARC der WHO hingegen hat etwa 1000 Studien aus der wissenschaftlichen Literatur berücksichtigt. Dem BfR wurde vorgeworfen, die industriefreundlichen Kriterien für die Bewertung von Glyphosat-Studien heranzuziehen und die notwendige kritische Distanz zu den Pestizidherstellern vermissen zu lassen. Der EU-Pestizidgesetzgebung wird vorgehalten, ganz auf die Bedürfnisse der Hersteller, die ihren Wirkstoff auf den Markt bringen wollen, zugeschnitten zu sein. Schlimmer noch, im EU-Parlament wurde klargestellt, dass die zuständigen EU-Behörden EFSA und ECHA ihre Gutachten in weiten Teilen von Monsanto abgeschrieben haben. Vor Kurzem „legte Plagiatsprüfer Stefan Weber in Berlin ein vernichtendes Gutachten vor: Das BfR habe in seinem Bericht Passagen aus anderen Studien teils wörtlich übernommen und deren Herkunft bewusst verschleiert. Es ist offensichtlich, dass die BfR keine eigenständige Bewertung der zitierten Studien vorgenommen hat“ (Der Spiegel, 41/2017). Offensichtlich liegt hier wissenschaftlicher Betrug vor.

● Unabhängige EU-Experten?

NGOs kritisierten heftig die Gutachten von EFSA und ECHA. Sie prangerten insbesondere den Interessenkonflikt an, unter dem für die Risikobewertung zuständigen Experten stehen. Bereits vor einigen Jahren hat der grüne EU-Parlamentarier José Bové Verbindungen mehrerer Mitglieder der EFSA mit Industrieverbänden aufgedeckt. So hatte Diana Banati, die Präsidentin dieser Behörde, einen offenen Interessenkonflikt, da sie zur gleicher Zeit im Aufsichtsrat des ILSI (International Life Science Institute) saß. ILSI ist ein Lobby-Institut, das 1978 von großen Konzernen wie Coca-Cola, Heinz, Kraft, General Foods, Procter&Gamble, Danone, Mars, McDonald’s, Kellogg’s, Monsanto, Dupont und Novartis gegründet wurde. Kurz danach gab Diana Banati ihre Präsidentschaft bei der EFSA auf, um den Direktorenposten bei ILSA-Europa zu übernehmen.

Vor einem Jahr fand in Den Haag das Internationale Monsanto-Tribunal statt. Das aus fünf Richtern bestehendes Tribunal unter der Leitung der Belgierin Françoise Tulkens hörte die Aussagen von 24 Opfern von Monsanto und Monsanto-Produkten, von Experten und Anwälten. Im April gab es seine Schlussfolgerungen bekannt: Monsanto verletzt mehrere Menschenrechte: das Recht auf eine gesunde Umwelt, das Recht auf Nahrung, das Recht auf Gesundheit. Auch die Freiheit wissenschaftlicher Forschung wurde verletzt. Monsantos Tätigkeiten könnten auch ein Verbrechen des Ökozides darstellen, sollte ein derartiger Tatbestand dereinst im Völkerrecht verankert werden. Über die Anhörungen während des Monsanto-Tribunals hat Marie-Monique Robin einen beeindruckenden Dokumentarfilm mit dem Titel „Le Roundup face à ses juges“ produziert und ein Buch mit demselben Titel geschrieben (s. Hinweis).

Will die Kommission unter Jean-Claude Juncker nicht noch mehr Vertrauen der EU-Bürger verlieren, müsste sie dringend die Konsequenzen aus all diesen Enthüllungen ziehen und ein neues, unabhängiges System der Bewertung und Einschätzung von Gesundheit- und Umweltrisiken einführen.

Jean Feyder war Botschafter Luxemburgs, zuletzt bei den in Genf ansässigen internationalen Organisationen.

Hinweis:
* Marie-Monique Robin: Le Roundup face à ses juges, Editions La Découverte: Paris 2017. Bezug: über www.editionsladecouverte.com. Der Film lief am 17.10.2017 auf Arte (französisches Programm).

Posted: 23.10.2017

Empfohlene Zitierweise:
Jean Feyder, Monsanto: Der Glyphosat-Skandal geht weiter. Die EU-Kommission und ihre Experten, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 23. Oktober 2017 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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