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Nigerias und Tansanias Nein gegen die EPAs

Artikel-Nr.: DE20170511-Art.11-2017

Nigerias und Tansanias Nein gegen die EPAs

Unterschlagene Nachrichten

Es ist eine der am meisten unterschlagenen Stories aus Afrika. Durch die Zurückweisung der Freihandelsabkommen mit der EU haben Nigeria, der größte afrikanische Ölproduzent, und Tansania, eine der am schnellsten wachsenden Ökonomien des Kontinents, zugleich mit der vorherrschenden Meinung gebrochen, dass „Freihandel“ die beste Entwicklungsstrategie für Entwicklungsländer ist, schreibt Rick Rowden.

Beide Länder beharrten auf ihrem Standpunkt und lehnten die Unterzeichnung der vorgeschlagenen Ökonomischen Partnerschaftsabkommen (EPAs), die über eine Dekade lang verhandelt worden waren, konsequent ab. Obwohl die meisten afrikanischen Exporteure bereits präferenziellen zollfreien Zugang zum EU-Markt haben, sollen die neuen EPAs der EU allmählich ähnlichen zollfreien Zugang zu den afrikanischen Märkten verschaffen.

● Anhaltender Widerstand

Während Nigeria viele Jahre lang gegen das EPA für die Wirtschaftsgemeinschaft der Westafrikanischen Staaten opponiert hat, überraschte die neue Regierung Tansanias unter John Magafuli im letzten Sommer mit der Last-Minute-Entscheidung, dem EPA für die Region der Ostafrikanischen Gemeinschaft nicht beizutreten. Beide Länder haben kürzlich ehrgeizige Industrialisierungspläne beschlossen. Und die Präsidenten, die Handelsministerien und die nationalen Industriellenvereinigungen beider Länder haben sehr deutlich gemacht, dass sie die EPAs mit der EU ausdrücklich deshalb ablehnen, weil sie befürchten, die darin enthaltenen Regeln würden ihre Industrialisierungsstrategien unterminieren.

Beispielsweise unterstrich Nigerias Präsident Muhammadu Buhari letztes Jahr in einer Rede vor dem Europaparlament seine Sorge, die EPA-Regeln würden den Zielen der Industrialisierung des Landes zuwider laufen. In Tansania verabschiedete das Parlament im letzten November einmütig eine Resolution, die das Land aus denselben Gründen dazu aufrief, das EPA für die EAC-Region nicht zu unterzeichnen.

Dieser anhaltende Widerstand der beiden Länder hat effektiv zu einem Stillstand beim Abschluss der EPAs für die betreffenden Regionen und zur Verärgerung der Europäer nach mehr als einem Jahrzehnt der Verhandlungen geführt. Ihr Standpunkt markiert jedoch eine der wichtigsten Äußerungen von Verweigerung in Afrika seit den Kampagnen für die nationale Unabhängigkeit vom Kolonialismus in den 1950er bis 70er Jahren.

Mindestens zwei Mitglieder des Handelsausschusses des Europaparlaments, Maria Arena aus Belgien und Julie Ward aus Großbritannien, haben sich unterstützend hinter die Position Tansanias gestellt und argumentiert, das vorgeschlagene EPA wäre hinderlich für die Industrialisierungsaussichten des Landes. Nigeria und Tansania haben viele Argumente vorgebracht, warum sie glauben, die EPAs würden die künftigen Industrialisierungsanstrengungen unterminieren, doch nach Arena „reagiert die EU nicht auf diese Sorgen und hat erklärt, dass es unmöglich sei, die Verhandlungen wieder aufzunehmen.“

● Handels- oder Entwicklungsabkommen?

Arena bekräftigte ihre Sicht, dass die EPAs Abkommen zur Handelsliberalisierung sind und keine Entwicklungsabkommen. Sie fügte hinzu: „Nigeria und Tansania haben legitime Sorgen bezüglich der Konsequenzen für die Entwicklung ihrer Länder.“ Sie glaubt, die EU sollte bereit sein, diesen Bedenken durch die Wiedereröffnung der Verhandlungen Rechnung zu tragen „statt Druck für die Unterzeichnung zu erzeugen“.

Ein generelles Problem im Streit um handels- und entwicklungspolitische Fragen besteht darin, dass die eine Seite über Handel redet, während die andere über Entwicklung spricht. Während Handelsverhandler in der Regel auf die kurzfristige Förderung der Exporte orientieren, denken Entwicklungsökonomen darüber nach, wie Agrarökonomien langfristig – normalerweise in mehreren Jahrzehnten – in Industriegesellschaften transformiert werden können. Das erklärt weitgehend, warum Afrika und Europa die letzten 15 Jahre damit verbracht haben, aneinander vorbeizureden. Während die Europäer behaupteten, die Abkommen würden Afrika helfen, mehr davon zu exportieren, was es derzeit produziert (landwirtschaftliche und mineralische Rohstoffe), waren die Afrikaner besorgt, die Abkommen würden künftige Produktionen behindern (verarbeitete Güter).

Inzwischen sieht es so aus, als hätte sich die langfristige Entwicklungsperspektive in Nigeria und Tansania durchgesetzt. Und dies markiert besonders für Afrika und generell für die Dominanz der „Freihandels“-Entwicklungsstrategie einen deutlichen Wendepunkt. Zu den Haupteinwänden, die Nigeria und Tansania erheben, gehört, dass die EPAs die afrikanischen Länder aufrufen, ihre Schutzzölle gegenüber Importen aus der EU in den nächsten 25 Jahren um fast 80% zu senken, wobei 60% der Zolltarife schon bei Abschluss der Abkommen abgeschafft werden sollen.

Der kurzfristige Blick, den die EU unterstreicht, ist darauf gerichtet, wie dies die afrikanischen Staaten befähigen wird, die erforderlichen industriellen Inputs bzw. Kapitalgüter aus der EU zu importieren, die – der Theorie nach – die Kapazität und Produktivität erweitern. Doch die EU vernachlässigt die langfristige Entwicklungsperspektive, die danach fragt, welche Typen von Handelsprotektion die afrikanischen Ökonomien künftig benötigen, wenn sie Industrien mit höherem Verarbeitungsgrad aufbauen wollen, die noch nicht existieren, aber vielleicht in zehn oder 20 Jahren gebraucht werden.

● Schutzzölle künftig verboten

Zum Beispiel: Wenn die EU korrekt argumentiert, dass niedrige Zölle Afrika heute helfen, benötigte pharmazeutische EU-Produkte heute zu importieren, was wird morgen oder in zehn Jahren sein, wenn afrikanische Länder ihre eigenen pharmazeutischen Industrien aufbauen wollen? Die „Stillstand-Klauseln“ in den vorgeschlagenen EPAs würden den afrikanischen Ländern untersagen, künftig jegliche Schutzzölle für solche Industrien zu erheben.

Tansania und Nigeria haben ausdrückliche Sorgen, dass die niedrigen Zölle zur Zerstörung lokaler Industrien infolge hoher Importe von billig hergestellten EU-Gütern führen würden. Beispielsweise sagte der Präsident der Manufacturers Association of Nigeria (MAN), Frank Jacobs: “Das EPA in seiner gegenwärtigen Form“ wird die existierenden Verarbeitungsindustrien erdrosseln, da diese wegen der billiger gefertigten Güter aus Europa, die den Markt überfluten, ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren werden.

Andere befürchten, die Liberalisierungsregeln würden Kleinbauern in afrikanischen Ökonomien beeinträchtigen. Würden künftige Marktüberschwemmungen durch subventionierte EU-Produkte sie vernichten? Tansanias Präsident John Magufuli macht dies Kopfzerbrechen und ist in Sorge, dass Importe von billigen und subventionierten Agrarprodukten aus der EU nach Tansania negative Auswirkungen auf seine Kleinbauern hätten, ein Sektor, der gegenwärtig am meisten zur Beschäftigung und zum Bruttoinlandprodukt des Landes beiträgt.

Während die EU sagt, die EPAs böten Sicherheitsklauseln, die zeitweise Zölle im Falle großer Importwellen erlauben, stellen Opponenten fest, dass sich ähnliche Sicherheitsklauseln im Rahmen der WTO als sehr komplex und schwierig umsetzbar erwiesen haben, was durch die Tatsache unterstrichen wird, dass nur ein einziges Land in über 20 Jahren WTO jemals versucht hat, diese zu nutzen.

Viele in Afrika werfen die Frage auf, warum der EU erlaubt sein soll, landwirtschaftliche Subventionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU zu nutzen, während die EPA-Regeln den afrikanischen Ländern dies verbieten würden. In der Tat hat es die EU sowohl unter den EPAs als auch in der WTO abgelehnt, über ihre eigenen Agrarsubventionen zu verhandeln.

Ein besonders gravierendes Problem besteht darin, dass die Zollreduzierungen für viele afrikanische Länder zu hohen Verlusten bei regulären Steuereinnahmen führen können. Wie hoch wären diese Verluste? Nach verschiedenen Analysen des South Centre, der Gruppe „Alternatives Agroécologiques et Solidaires” und anderer, die Daten von Eurostat und des International Trade Centre ausgewertet haben, könnte die EAC-Region in den nächsten 25 Jahren gegenüber den bisherigen Zolleinnahmen bis zu 3,6 Mrd. € verlieren.

Bedenken wurden ebenfalls laut, dass die EPAs die Nutzung von Exportsteuern auf Rohstoffe begrenzen könnten. Dies würde den afrikanischen Ländern den Einsatz eines industriepolitischen Standardinstruments verwehren, dass die Industrieländer lange Zeit als entscheidend bei der Schaffung von Anreizen angesehen haben, um Rohstoffe zur weiteren Verarbeitung im Land zu halten.

● Zur billigen Rohstoffquelle verbannt

Ein Grund, warum die EU hier Druck macht, hängt mit ihrer Rohstoff-Initiative und ihrer 2015 aktualisierten Handelspolitik zusammen. Diese zeigen sehr deutlich, dass sie beabsichtigt, handelspolitische Deals wie die EPAs zu nutzen, um die Öffnung von Entwicklungsländern zu erzwingen, damit EU-Investoren dort einen leichteren Zugang zu Rohstoffen bekommen und sie dann in die EU zur Weiterverarbeitung exportieren können.

Nach Aziz Mlima, Staatssekretär im tansanischen Außenministerium, würde diese EPA-Bestimmung Tansanias einheimischen Unternehmern die Möglichkeit nehmen, solche Rohstoffe künftig selbst zu verarbeiten und das Land auf die Stufe einer „Rohstoffquelle für europäischen Industrien“ verbannen. In der Tat hat Tansania im letzten August ein Exportverbot für lebenswichtige Mineralien verhängt, was unter den WTO-Regeln erlaubt ist, aber unter dem vorgeschlagenen EPA verboten wäre.

Gleichwohl sagte ein Sprecher der Europäischen Kommission gegenüber “The Mint”, dass den Ländern weiterhin die Erhebung von Exportsteuern auf Rohstoffe gestattet wäre. Doch im Detail legen die EPAs fest, dass dies zunächst der EU mitgeteilt werden müsste, nur für eine begrenzte Zahl von Produkten und für einen begrenzten Zeitraum gelten würde und von dem EPA-Rat geprüft werden müsste.

Es gibt darüber hinaus ein Problem mit den Bestimmungen, die von den afrikanischen Ländern verlangen, innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten der EPAs die Verhandlungsagenda um eine Reihe kontroverser „neuer Fragen“ zu erweitern, wie die Liberalisierung der staatlichen Auftragsvergabe, der Wettbewerbspolitik und der Frage ausländischen Direktinvestitionen – alles Bereiche, die die meisten Entwicklungsländer in den letzten 20 Jahren von der WTO-Agenda verbannt haben. Dieser Typ weitreichender Liberalisierungsreformen könnte die afrikanischen Industrialisierungsanstrengungen untergraben, indem sie verschiedene Industriepolitiken und Regierungsprogramme verbieten, die zu Gunsten des Aufbaus heimischer Industrien entwickelt werden.

● Behinderung der regionalen Integration

Schließlich besteht ein Kerneinwand Nigerias und Tansanias darin, dass die Bestimmungen der EPAs die fortgesetzten Anstrengungen unterminieren würden, gemeinsam mit den Nachbarländern den regionalen Handel innerhalb Afrikas auszuweiten, insbesondere in der Trilateralen Freihandelszone und der Kontinentalen Freihandelszone.

Obwohl ein Sprecher der Europäischen Kommission „The Mint“ sagte, „es gäbe absolut keinen negativen Zusammenhang zwischen EPAs und afrikanischen Integrationsprojekten im Handel“, besteht die Sorge darin, die EU-Güter am Ende zu niedrigeren Zollsätzen nach Afrika fließen könnten als Güter zwischen benachbarten afrikanischen Regionen, wenn man die Wettbewerbsvorteile der EU gegenüber afrikanischen Exporteuren bedenkt.

Der ehemalige Präsident Tansanias, Benjamin Mkapa, gehört zu denjenigen, die befürchten, dass die Konservierung der alten Nord-Süd-Handelsflüsse unter den EPAs die jüngsten Anstrengungen zum Aufbau neuer regionaler Süd-Süd-Handelsverbindungen destabilisieren könnte. Beispielsweise zeigen die Zahlen, dass afrikanische Länder heute weit mehr verarbeitete Güter an benachbarte afrikanische Ökonomien liefern als an andere außerhalb des Kontinents, einschließlich der EU. Unter Hinweis auf solche Zahlen sagt Mkapa, dass der interafrikanische Handel weit wichtiger für die Industrialisierungsbestrebungen der Region ist. „Der EU-Markt spielt hier fast keine Rolle“, so seine Schlussfolgerung.

Auf keines der Bedenken Nigerias und Tansanias ist die EU adäquat eingegangen. Die EU verweist fortgesetzt auf die Vorteile, die die EPAs den gegenwärtigen Rohstoffexporteuren Afrikas kurzfristig bieten würden, und schweigt zu den Sorgen hinsichtlich der langfristigen Beeinträchtigung der Industrialisierungschancen Afrikas.

Somit haben Nigeria und Tansania, statt blind in die „Freihandelstheorie“ zu vertrauen, einen anderen Weg eingeschlagen. Sie blicken auf die historischen Erfahrungen, die die Industrieländer in der Praxis machten, als sie zunächst ihre industriellen Sektoren aufbauten unter Bedingungen, die durch alles andere als „Freihandel“ gekennzeichnet waren. In der Tat belegt die Geschichte der Industrialisierung von Großbritannien, Deutschland und den USA bis zu Japan, Korea und China, dass Länder ihre Handelsschranken erst lockern sollten, wenn ihre heimischen Industrien auf den Weltmärkten konkurrenzfähig geworden sind.

Frank Jacobs von der MAN unterstreicht diesen Punkt von angemessenem Timing, Geschwindigkeit und Sequenzierung der Handelsliberalisierung sehr deutlich, wenn er sagt, Nigeria brauche solange kein EPA „bis es adäquat industrialisiert und in der Lage ist, wettbewerbsfähig mit industriellen Gütern zu handeln“.

Nach über drei Dekaden, in denen die afrikanischen Länder vertrauensvoll dem von den Hilfsagenturen und Handelspolitikern der Industrieländern vertretenen „Freihandelsmodell“ der Entwicklung gefolgt sind, ist die Tatsache, dass Nigeria und Tansania heute Nein zu diesem Modell sagen, genauso erstaunlich wie dessen Geschichte.

Rick Rowden war Berater von ActionAid und UNCTAD und promoviert derzeit an der Jawaharlal Nehru Universität in New Dehli. Sein Beitrag erschien zuerst in (©) „The Mint“.

Posted: 11.5.2017

Empfohlene Zitierweise:
Rick Rowden, Nigerias und Tansanias Nein gegen die EPAs. Unterschlagene Nachrichten, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 11. Mai 2017 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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