Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Obsessive Ergebnisorientierung der Geber

Artikel-Nr.: DE20110125-Art.05-2011

Obsessive Ergebnisorientierung der Geber

Zur Wirksamkeit der Entwicklungshilfe

Vorab im Web - Der MDG-Gipfel in New York (???042ae69df408c4315???) – das war gestern. Die Karawane zieht weiter und wird nach der IV. UN-Konferenz zu den ärmsten Ländern im Mai in Istanbul (Eine Neue Internationale Entwicklungsarchitektur) Ende des Jahres in Busan/Südkorea eintreffen. Dort findet im Rahmen der OECD vom 29. November bis 1. Dezember 2011 das 4. Gipfeltreffen über die „Wirksamkeit der Entwicklungshilfe“ statt. Von Margit Scherb (mit einer Replik von Volker Seitz).

Die Pariser Erklärung über die Wirksamkeit der Hilfe aus dem Jahre 2005 reflektiert, dass die Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) nicht nur von der Höhe der eingesetzten Mittel („Financing for Development“, Monterrey 2002), sondern wesentlich auch von der Qualität der „Entwicklungshilfe“ abhängt.

* Paradigmenwechsel mit ernüchternder Bilanz

Die wichtigsten Elemente der Erklärung sind zusammengefasst folgende: Ownership (die Partnerländer bestimmen ihren Entwicklungsweg, entwickeln ihre eigenen Strategien, verbessern ihre Institutionen und bekämpfen Korruption); Alignment (die Geber unterstützen diese Strategien und verwenden nach Möglichkeit die Systeme der Partnerländer); Harmonisierung (die Geber koordinieren ihre Aktivitäten, vereinfachen ihre Prozeduren und vermeiden Duplikationen; Managing for Results (im Mittelpunkt der Anstrengungen von Geber- und Partnerländern steht die Konzentration auf messbare Entwicklungsresultate); Mutual Accountability (Geber- und Partnerländer sind gemeinsam für die Erzielung von Entwicklungsresultaten verantwortlich).

Angesichts fehlender Sanktionsmöglichkeiten setzte der Entwicklungsausschuss (DAC) der OECD auf ein engmaschiges „Überwachungssystem“ in Form klar definierter Indikatoren. Die Europäische Kommission, die bei Einhaltung des 0,56%-Ziels (Durchschnittswert aller EU-Mitgliedsstaaten) bis zum Jahr 2010 einen Bedeutungsverlust gemeinschaftlicher Hilfe zugunsten intensivierter bilateraler Hilfe der Mitgliedsstaaten befürchten musste, sah in der forcierten Umsetzung der Pariser Erklärung eine Möglichkeit, ihren eigenen Einfluss und die Sichtbarkeit als Europäische Union zu stärken und entwickelte zum Teil eigene, parallele Instrumente zu deren Umsetzung.

Die Erklärung von Paris und der Aktionsplan des 3. Gipfeltreffens in Accra (2008), der Fragen der Effektivität der Entwicklungsleistungen wieder in einen breiteren entwicklungspolitischen Zusammenhang stellte (z.B. die Unterstützung von Staaten in fragilen Situationen, die Rolle von Parlamenten und Zivilgesellschaft und die Bedeutung von Kapazitätsentwicklung), haben unzweifelhaft einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass von den Gebern der Staat in den Partnerländern als wesentlicher Entwicklungsakteur, der in dieser Rolle gestärkt, aber auch in die Pflicht genommen werden soll, anerkannt wird.

* Budgethilfe als Nebenregierung

Insgesamt ist die vorläufige Bilanz jedoch ernüchternd: So wurden die Vorgaben bezüglich der gemeinsamen Durchführung von Länderstudien, der Entwicklung eines gemeinsamen Monitoring-Systems, der Koordinierung von Geber-Missionen, der Integration der finanziellen Unterstützungsleistungen in die jeweiligen nationalen Budgets und der Verwendung der nationalen Finanz- und Beschaffungssysteme nicht auch nur annähernd erreicht. Und die vermehrte Budgethilfe, die als wichtiges Instrument zur Steigerung der Effektivität und Stärkung der Systeme in den Partnerländern gedacht war, etablierte in nicht wenigen Fällen eine aus Gebern und ihren Beratern bestehende Nebenregierung, die gelegentlich auch den Charakter eines Besatzungsregimes annehmen konnte.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind komplex. Während sich auf der deklamatorischen Ebene nahezu alle Geber zu den Prinzipien der Pariser Erklärung und dem Accra-Aktionsplan bekennen, ist die reale Entwicklung von gegenläufigen Tendenzen geprägt. So halten viele Geberländer internationale Vorgaben nur dann ein, wenn sich diese auch mit ihren wirtschafts-, innen- und außenpolitischen Zielen vereinbaren lassen. Das Argument, dass Entwicklungsleistungen schließlich aus Steuergeldern finanziert werden, liefert je nach politischer Opportunität die Rechtfertigung dafür, Konditionalitäten, die weder den Kontext noch die Anstrengungen des Partnerlandes berücksichtigen, zur Anwendung zu bringen oder auch nicht.

Die Entwicklungsagenturen verändern ihre bisherigen Arbeitsweisen nur sehr langsam, und Heerscharen von KonsulentInnen und internationale Beraterfirmen leben davon, dass noch ein „Mapping“ gemacht und eine weitere Datenbank etabliert werden muss. Schließlich hat auch der von der OECD etablierte „Überwachungsmodus“ Partner und Geber mit immer neuen Erhebungen und Fragebögen und zwei groß angelegten Evaluierungen intensiv beschäftigt.

* Die Gebergier nach messbaren Resultaten

Die an sich richtige Resultatsorientierung hat bisher nur zur weiteren Verbreitung der kollektiven „obsessiven Quantifizierungsstörung“ (MMD: „Obsessive Measurement Disorder“) geführt und bei den Gebern die Gier nach „objektiv messbaren“ kurzfristigen Resultaten, die sie als Erfolge ihrer Anstrengungen den jeweiligen nationalen Öffentlichkeiten vermelden können, verstärkt.

Dass das System der internationalen Entwicklungszusammenarbeit reformbedürftig ist, stellt angesichts der Nichterfüllung der internationalen Verpflichtungen (0,7%-Ziel, Herstellung entwicklungspolitischer Kohärenz), der Etablierung neuer Geber (u.a. China, Brasilien, Indien und neuerdings auch Südafrika), einer Vielzahl privater und multilateraler/globaler Fonds und selbstbewusster und leistungsfähiger gewordener Partnerländer kaum jemand in Frage. Die Vorschläge für Reformen sind jedoch unübersichtlich und reichen von der Reduzierung der Anzahl der Geber über die Verpflichtung, alle Hilfsleistungen in den Partnerländern nicht nur in den Budgetprozess zu integrieren, sondern deren BürgerInnen darüber auch zu informieren.

Das Ende der ODA („Official Development Assistance“) wird vorhergesagt, und im Rahmen des DAC wird tatsächlich darüber nachgedacht, wie man das „Zelt“ für alle erweitern könnte. Wieder andere schlagen vor, das bestehende System in viele nach Aufgaben und/oder Themen selbstorganisierte Netzwerke, an denen sich alle Arten von Gebern und die Partnerländer beteiligen können, zu restrukturieren.

* Glaubwürdigkeitsverlust der ODA

Die vielen Deklarationen, Verpflichtungen und Verhaltensregeln, die auf immer neuen Konferenzen bekräftigt und weiterentwickelt werden, finden abseits politischer Prozesse statt, die in der Lage wären, sie verbindlich durchzusetzen. So verliert das gegenwärtig noch dominante „ODA-System“ beständig an Glaubwürdigkeit und Effizienz. Um der „Konkurrenz“ der neuen Geber standhalten zu können, werden die OECD-Staaten realistischere Ansprüche bezüglich der demokratiepolitischen Perfektion der Partnerländer und der Reichweite und Wirksamkeit ihrer eigenen Unterstützungsleistungen stellen müssen.

Es ist zu hoffen, dass in Busan die zunehmend offen geäußerten (selbst-)kritischen Ansichten vieler Geber- und Partnerländer aufgegriffen und der Wildwuchs an Konzepten, Maßnahmen und Erhebungen eingedämmt werden kann. Die Prinzipien der Aid-Effectiveness-Agenda sollen, ja müssen, bekräftigt werden. Gleichzeitig muss sich jedoch durchsetzen, dass diese nicht in allen Partnerländern in der gleichen Art und Weise umzusetzen sind. Was vor allem fehlt, aber leider auch in Busan nicht kommen wird, ist ein verbindlicher, mit Sanktionen versehener Mechanismus zur Einhaltung des 0,7%-Ziels.

Würden die Geber diese vermehrten Unterstützungsleistungen für jeweils mindestens fünf Jahre zusagen, diese – wie vorgesehen – den Finanzministerien der Partnerländer melden bzw. überhaupt über deren Budgets abwickeln, anstatt vieler Details das langfristig große Ziel („selbsttragende Entwicklung“) gemeinsam mit den Partnern konzentriert verfolgen und diesen insgesamt mehr Respekt entgegenbringen, könnte von einem nächsten Gipfeltreffen vielleicht auch einmal über erste konkrete Erfolge berichtet werden.

Dr . Margit Scherb ist langjährige Mitarbeiterin der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Die hier vertretenen Positionen sind die der Autorin.

Veröffentlicht: 13.1.2011

Empfohlene Zitierweise: Margit Scherb, Obsessive Ergebnisorientierung der Geber. Zur Wirksamkeit der Entwicklung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 01/Januar 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

Replik von Volker Seitz

Leider hat sich auch mit diesem Beitrag von Frau Scherb mein Eindruck verstärkt, dass Ihr Informationsbrief sich als Lobby für die Entwicklungshilfe versteht. Kritisches habe ich zur Entwicklungspolitik bei Ihnen noch nie gelesen.

Frau Scherbe ist der typische Fall einer Entwicklungshelferin, die das Pferd von hinten aufzäumt: "Mehr Geld bringt mehr", der Rest wird sich schon finden. Und den Entwicklungsländern sollte man "mehr Respekt" entgegenbringen: Was soll das denn heißen? Weiter die sehr geläufigen Formulierungen zum 0,7%-Ziel. Wo gibt es denn eine "Gier nach messbaren Zielen"? Es wäre schön wenn es so wäre.

Geberorganisationen und ihre Mitarbeiter propagieren ein Bild von Afrika, das stark an einen Werbespot erinnert. Statt des wirklichen Afrika, oft Länder voller krasser Ungleichheiten, haben sie ein Wunschbild von Afrika, das beachtliche Wachstumsraten aufweist, die allen zugute kommen, in dem es ein ordentliches Rechtswesen gibt, Frauen gefördert werden, in dem ein funktionierendes Parlament die Regierung kontrolliert und Bildung Priorität genießt.

Die Geber haben keine überzeugenden Argumente, aber erhöhte Hilfszahlungen – auch wenn sie nach meiner langjährigen Erfahrung nur zu einem geringen Teil bei den Bedürftigen ankommen – sollen auf der emotionalen Ebene durchgesetzt werden. In diesen Organisationen wird die Leistung eines Mitarbeiters nicht selten daran gemessen, wie viel Geld er in Umlauf zu bringen in der Lage ist. Ständige Forderungen nach mehr Hilfe haftet fast ein neokolonialistischer Beigeschmack an, wenn wie so oft – nicht ernsthaft – nach Qualität der für die Verwendung der Gelder zuständigen Führung gefragt wird.

Das düstere Bild wollen nur diejenigen nicht sehen, die von der Entwicklungshilfe leben und deshalb die Lebenswirklichkeit in Afrika lieber schönreden.

Im Englischen gibt es den Begriff "Tough love". Er bedeutet, dass man jemanden härter anfasst, um ihm oder ihr längerfristig zu helfen. Wir sollten endlich umdenken und künftig nur noch dort helfen, wo sich Regierungen ihren Bevölkerungen verpflichtet fühlen.

Und haben denn alle die besondere Kompetenz, um den Afrikanern zu helfen, sich aus der dauerhaften Abhängigkeit von ausländischem Beistand zu befreien?

Und wir sollten den Menschen in Afrika nicht mehr einreden, dass sie ihre Probleme nicht selbst lösen könnten.

Volker Seitz, Bonner Aufruf und Autor von "Afrika wird armregiert" (19.1.2011)