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Osteuropa vor dem Crash à la Argentina?

Artikel-Nr.: DE20090311-Art.09-2009

Osteuropa vor dem Crash à la Argentina?

Folgen einer verfehlten Entwicklungsstrategie

Mit der globalen Finanzkrise sind die osteuropäischen Länder doppelt unter Druck geraten. Einerseits gibt es verstärkte Exportprobleme, andererseits trocknen die Kapitalzuflüsse aus. Sehr hohe Handels- und Leistungsbilanzdefizite, wie sie für Osteuropa typisch sind, lassen sich angesichts der aktuellen Kreditverknappung kaum mehr finanzieren. Gleichzeitig brechen vielfach die Exporte nach Westeuropa ein.
Von Joachim Becker.

In der Ukraine, wo der Bankensektor in einer starken Schieflage ist und die Schwerindustrie sehr unter dem Nachfragerückgang leidet, fiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vergleich zum Vorjahr nach inoffiziellen Angaben zuletzt um 20%, die Industrieproduktion lag ganz offiziell im Januar 2009 um 34,1% niedriger als ein Jahr zuvor und fiel auch gegenüber dem Vormonat um 16,1%. In den noch vor kurzem als neoliberalen Musterökonomien gefeierten baltischen Ländern Lettland und Estland ging das BIP im 4. Quartal 2008 im Vergleich zum selben Vorjahresquartal um 10,5% bzw. 9,4% zurück. Trotz der starken Rezession besserte sich die Leistungsbilanz nur etwas, das Handelsbilanzdefizit in Lettland blieb sogar fast unverändert.


* Kreditverknappung und Exportrückgang

Die eher exportorientierten Ökonomien Osteuropas – wie Polen, die Slowakei, Slowenien und die Tschechische Republik – sind vor allem durch die starken Einbrüche im Export und der Industrieproduktion von der Krise betroffen. Besonders drastisch waren die Einbrüche der Industrieproduktion in der Slowakei, wo sie in Gefolge der Wirtschaftskrise und der zeitweiligen Einstellung des Gastransits in der Ukraine im Januar 2009 um 27% gegenüber dem Vorjahr fiel. Im Hauptzweig der slowakischen Industrieproduktion, der Autoindustrie, war sogar ein Rückgang um 47,7% zu verzeichnen. Die Arbeitslosigkeit steigt, vor allem in den Randregionen, rasch an. In Polen und der Tschechischen Republik haben die Wechselkurse nach rasanter Aufwertung in den Jahren 2007 und 2008 allein von Jahresbeginn bis Mitte Februar um 13,2% bzw. 7,9% nachgegeben. Die hohe Wechselkursinstabilität erschwert wirtschaftliche Vorausplanungen. Für die industrielle Entwicklung hat die Abwertung in diesen beiden Ländern jedoch potenziell auch positive Wirkungen, da sie Exporte tendenziell verbilligt und Importe verteuert.

Österreichs Banken in der Bedrouille

(JB) Eine Verschärfung der Krise in Osteuropa hätte auch Rückwirkungen auf Westeuropa. Einerseits würden die Exporte in die Region weiter einbrechen, andererseits wären die Banken in einigen westlichen Ländern stark betroffen. Letzteres gilt vor allem für Österreich, Griechenland, Belgien und Schweden. Österreichische Banken haben in extremer Weise nach Osteuropa expandiert. Außer in den Baltischen Ländern und der relativ begrenzten Präsenz in Polen haben sie zahlreiche Tochterbanken in der Region, die vielfach auch eine führende Rolle in den jeweiligen Bankensystemen einnehmen. Das gilt gerade auch in besonders stark krisengefährdeten Ländern wie Rumänien und Kroatien. Die österreichische Kreditvergabe an die Region summiert sich auf etwa 70% des österreichischen BIP.

Für mehrere Länder sind österreichische Banken Hauptgläubiger. Das gilt beispielsweise für Rumänien, wo auf Österreich als Gläubigerland ca. 40% der ausländischen Bankkredite entfallen, oder Kroatien, Serbien, Ungarn und die Ukraine, bei denen Österreichs Banken mit Anteilen von etwa einem Viertel und mehr ebenfalls Großgläubiger sind. So ist es kein Wunder, dass die österreichische Regierung auf ein europäisches Stützungspaket für Osteuropa dringt.

Eine Abfederung der Krise wäre sinnvoll. Das Ende Februar vereinbarte Kreditpaket der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Weltbank ist mit 24,5 Mrd. Euro quantitativ allerdings unzureichend dotiert und nicht mit wirtschaftspolitischen Initiativen verbunden, die den Weg aus der Krise weisen könnten. Vielmehr scheint die Intention zu sein, über Kreditvergaben die Wechselkurse im Interesse der Banken zu stabilisieren. Der Versuch, derart hohe Handelsbilanzdefizite allein über Lohnsenkungen und Zusammendrücken der Binnennachfrage abzubauen, ist einerseits illusionär, andererseits verteilungspolitisch katastrophal.

Sowohl die österreichische Regierung als auch die Europäische Kommission scheinen die Krise in Osteuropa als vorübergehende Unpässlichkeit zu sehen, nicht aber als Resultat einer verfehlten Entwicklungsstrategie. Genau dies ist sie aber. Die globale Krise hat in Osteuropa allein als Krisenbeschleuniger gewirkt. Die Kriseningredienzien waren bereits alle vorher dar. Eine langfristig ausgerichtete Anti-Krisenstrategie müsste die Importabhängigkeit der Region strukturell mindern. Dem stehen jedoch die Expansions- und Exportinteressen Westeuropas entgegen.

Da sich die innere Privatverschuldung in Fremdwährung in relativ engen Grenzen hält, gerät die Mittelschicht durch die Währungsabwertung nicht in eine Kreditklemme. Wenig angetan sind hingegen Auslandsinvestoren, vor allem im Dienstleistungsbereich (Banken), von der mit Währungsabwertung einher gehenden Abwertung ihrer Kapitalanlagen. Hierdurch hat die Debatte über eine beschleunigte Euro-Einführung vor allem in Polen neuen Schwung gewonnen.

* Argentinisches Szenario

Viel dramatischer ist die Lage im Rest Osteuropas, wo meist mehr als die Hälfte, oft sogar um die 80% der Kredite in Devisen aufgenommen wurden. Hier droht sich das Krisenszenario Argentiniens aus den Jahren 1998-2002 zu wiederholen. Auch die Wirtschaftspolitik der Baltischen und der meisten südosteuropäischen Länder ähnelt jener Argentiniens in den 1990er Jahren: umfassende Liberalisierung, rigides Wechselkursregime mit der Folge einer aufwertenden Währung und Hochzinspolitik.

Mit einer solchen Politik schien ein breiter Konsens erzielbar zu sein. Den Finanzanlegern brachte sie hohe Gewinne, die KonsumentInnen freuten sich über relativ niedrige Inflation und billige Importgüter. Konsum wurde stark über Kredit finanziert. Ein großer Teil der Kredite, speziell für Immobilien, war in Fremdwährung. Da die Mittelschicht aber ihre Einkommen in heimischer Währung erzielt, droht ihr bei Abwertung eine dramatische Verteuerung des Schuldendienstes und damit eine Kreditklemme. So ist sie eng an die Hartwährungspolitik und das neoliberale Politikmodell gebunden. Die Kehrseite des Modells sind ein starker Importsog, große Leistungsbilanzdefizite und explodierende Auslandsschulden. Diese externen Defizite waren in den letzten Jahren in den baltischen und südosteuropäischen Ländern deutlich höher als in Argentinien in den 90er Jahren.

Das Hauptproblem der strukturellen Abhängigkeit dieser Länder von hohen Waren- und Kapitalimporten wird in der wirtschaftspolitischen Diskussion, genau wie in Argentinien, stark ausgeblendet. Stattdessen wird die relativ nebensächliche Frage der Staatsverschuldung aufgeblasen. Doch ähnlich wie in Argentinien ist dauerhafte Realitätsverneinung nicht möglich. Dies zeigt die öffentliche Debatte in Kroatien. Erst hieß es, Kroatien habe keine Probleme, da nicht in toxischen US-Papieren investiert worden sei. Dann wurde en passant erwähnt, dass das Leistungsbilanzdefizit doch ein Problem sein könne. Kürzlich rechnete die Wochenzeitung Nacional ihren LeserInnen vor, was eine Abwertung für ihren Geldbeutel bedeuten könnte. Doch ist es das höchste Ziel der kroatischen Wirtschaftspolitik, eine Abwertung um praktisch jeden Preis zu vermeiden. In diese Richtung weisen auch die IWF-Abkommen (mit Ausnahme Weißrusslands).

* Restriktive IWF-Programme

Derartige Abkommen haben bereits die EU-Länder Ungarn und Lettland sowie die Ukraine, Weißrussland und Serbien geschlossen (s. Tabelle). Anfang März nahm auch Rumänien Verhandlungen mit dem IWF auf. Allein der kurzfristige Finanzbedarf dieses Landes wird auf 12,6 Mrd. Dollar taxiert. Bei Lettland und Ungarn haben sich auch die EU sowie im Fall Lettlands auch verschiedene EU-Mitgliedsstaaten an den Stützungsaktionen beteiligt.


Mit Ausnahme Weißrusslands, wo Auslandsbanken keine zentrale Rolle spielen, zählt zu den zentralen Achsen der IWF-Programme die direkte Stabilisierung und Stützung des von Auslandsbanken dominierten Finanzsektors. Als roter Faden zieht sich durch die Abkommen weiterhin eine extrem restriktive Fiskalpolitik mit teils offen deflationärer Ausrichtung. So wurden in Lettland beispielsweise die Gehälter im öffentlichen Dienst um 15% gekürzt. Auch in anderen Ländern zählen Kürzungen, Deckelungen oder Einfrieren der Gehälter im öffentlichen Dienst oder von Pensionen zum Standardprogramm. Die Anpassung soll offenbar vor allem über das Drücken der Löhne und ggf. das Preisniveau laufen.

So versuchte man es auch in Argentinien Ende der 90er Jahre. Dort funktionierte das nicht. Eine Abwertung, die von einer Bankenkrise und einer scharfen Rezession begleitet war, erwies sich als unvermeidlich. Dies dürfte auch für Osteuropa gelten. Hier hat es in Lettland, Litauen und Bulgarien auch schon erste, teils heftige Demonstrationen gegen Verarmung und Anti-Krisenpolitik gegeben. In Lettland musste die Regierung bereits zurücktreten. Es fehlen jedoch politische Alternativkräfte.

Für Lettland schwebt der dortigen Regierung und dem IWF, um eine Abwertung zu umgehen, die beschleunigte Euro-Einführung vor. Diese soll durch das IWF-Abkommen gefördert werden. In eine ähnliche Richtung wird in Ungarn gedacht. Doch ist zum einen zweifelhaft, ob die (relative) Währungsstabilisierung bis zu einem solchen Zeitpunkt gelingt. Zum anderen sind Zweifel angebracht, ob die jeweiligen Ökonomien die Euro-Einführung in den produktiven Sektoren überhaupt verkraften würden und ob die Euro-Zone weitere Mitglieder mit strukturell hohen Leistungsbilanzdefiziten tragen könnte. Bereits jetzt müssen Griechenland, Portugal und Spanien - nicht zuletzt aufgrund ihrer hohen Leistungsbilanzdefizite - bei neuen Staatsschulden hohe Aufschläge zahlen. In der Euro-Zone deutet sich eine Bruchlinie zwischen Zentrum und Peripherie an.

Joachim Becker
ist a.o. Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Mit Rudy Weissenbacher hat er das Buch „Dollarization, Euroization and Financial Instability. Central and Eastern Europe between Stagnation and Financial Crisis“ (Metropolis-Verlag: Marburg 2007) herausgegeben.

Veröffentlicht: 24.2.2009; aktualisiert: 11.3.2009

Empfohlene Zitierweise: Joachim Becker, Osteuropa vor dem Crash à la Argentina? Folgen einer verfehlten Entwicklungsstrategie, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Nr. 03 (W&E 03/2009), Luxemburg 2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)