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Private Entwicklungsfinanzierung im Krisentief

Artikel-Nr.: DE20090708-Art.28-2009

Private Entwicklungsfinanzierung im Krisentief

Weltbank-Report: Global Development Finance 2009

Vorab im Web – Der neue Weltbank-Bericht über globale Entwicklungsfinanzierung beschreibt die Lage in drastischen Bildern. Die Entwicklungsländer leiden nicht nur unter dem Zusammenbruch der globalen Finanzierungsströme, sondern auch unter jenen Maßnahmen, mit deren Hilfe die Industrieländer ihre Finanzinstitute zu retten suchen. An Gegenmaßnahmen fällt den Autoren wenig ein. Die Privatisierung der Entwicklungsfinanzierung jedenfalls wird nicht in Frage gestellt. Eine Übersicht von Jörg Goldberg.

Der Bericht (s. Hinweis) behandelt die Problematik in drei Abschnitten: Einer Analyse des Krisenverlaufs (1) folgen die Darstellung der Finanzierungsströme in die Entwicklungsländer (2) und Vorschläge zur Überwindung der Finanzierungsengpässe (3).

* Globales Krisenmanagement: Rette sich wer kann

Die Darstellung von Ursachen und Verlauf der aktuellen Krise bringt wenig Neues. Hervorzuheben ist, dass auch die Entwicklungsländer – klammert man China und Indien aus – im laufenden Jahr sinkende Produktionsziffern verzeichnen und die pro-Kopf-Einkommen teilweise drastisch zurückgehen. Wichtig insbesondere für die ärmeren Entwicklungsländer ist die Feststellung, dass die Stabilisierung des Finanzsektors der Industrieländer auf Kosten der Entwicklungsländer geht: „Die Maßnahmen zur Vergrößerung der Anlegersicherheit in den Hoch-Einkommensländern hatten den unbeabsichtigten Nebeneffekt, die Risiken der Anlagen in Entwicklungsländern zu vergrößern. Dies hat Kapitalabflüsse aus den Entwicklungsökonomien gefördert und die zu zahlenden Risikoprämien erhöht.“ (19)

Risikoaufschläge für die Schulden des Südens


Während die Regierungen der Industrieländer ihre Finanzsysteme mit Hilfe großzügiger Kreditgarantien absichern, nützt das verschuldeten Entwicklungsländern mit fragilen Zahlungsbilanzen wenig. Wenn sie überhaupt frisches Geld erhalten, dann nur zu verheerend schlechten Konditionen: Die Kosten externer Kredite haben sich 2009 auf 11,7% erhöht, d.h. es muss heute doppelt so viel gezahlt werden wie vor der Krise. Hinzu kommt, dass die öffentliche Entwicklungsfinanzierung unter dem Eindruck steigender Haushaltsdefizite in den Industrieländern kaum Aussichten auf Rettung bietet. Der Bericht konstatiert das zwar mit Bedauern, kennt aber offensichtlich keine Lösung. Die Debatten über alternative Entwicklungsfinanzierung, z.B. durch Besteuerung von Finanzspekulationen, werden noch nicht einmal erwähnt.

* Entwicklungsfinanzierung: Eine Sache des Vertrauens?

Die Weltbank hatte in der Vergangenheit immer wieder die Tatsache gefeiert, dass viele Entwicklungsländer in großem Umfang privates Kapital mobilisieren konnten. Die aktuelle Krise zeigt allerdings, dass private Entwicklungsfinanzierung auch eine Kehrseite hat: Sie ist unsicher und wenig verlässlich. Hatten private Kapitalzugänge in die Entwicklungsländer 2007 mit 1.200 Mrd. US-Dollar einen Rekordstand erreicht, so haben sie sich 2008 auf gut 700 Mrd. fast halbiert. Für 2009 wird mit einer nochmaligen Halbierung auf 360 Mrd. gerechnet.

Nettokapitalzuflüsse in die Entwicklungsländer


Entwicklungsfinanzierung aber erfordert Planungssicherheit und Verlässlichkeit – was unter solchen Bedingungen kaum gewährleistet werden kann. Der Anteil der privaten Entwicklungsfinanzierung, der 2007 fast 9% des Bruttoinlandsprodukts der Entwicklungsländer ausmachte, wird 2009 auf 2% absinken – was sogar noch unter dem Wert der Schuldenkrise der 1980er Jahre liegt. Dies hat nachhaltige Wirkungen, die weit über die vermutete Reichweite der aktuellen Krise hinausgehen.

Die Folgen werden am Beispiel von Subsahara-Afrika so beschrieben: „Die Aussichten für eine wirtschaftliche Diversifizierung weg vom Rohstoffsektor hin zu Bereichen mit höherer Wertschöpfung haben sich verschlechtert. Die verarbeitende Wirtschaft der Region hat einen heftigen Rückschlag erlitten.“ (31) Private Entwicklungsfinanzierung ist wie der berühmte Regenschirm, der nur bei Sonnenschein zu haben ist.

Ein Teil der durch den drastischen Rückgang der privaten Finanzströme aufgerissenen Finanzierungslücke kann über zusätzliche Mittel internationaler Finanzierungsinstitutionen wie IWF, Weltbank und regionaler Entwicklungsbanken gefüllt werden, allerdings bislang in eher bescheidenem Umfang: Bis 2006 war der Finanzierungsbeitrag der multilateralen Entwicklungsbanken negativ, d.h. die Rückzahlungen der Entwicklungsländer überstiegen die Neuauszahlungen. Erstmals seit 2003 ergibt sich 2008 wieder ein bescheidener positiver Beitrag von rund 20 Mrd. Dollar. Die „commitments“ für die Jahre 2009 bis 2011 belaufen sich derzeit auf 88 Mrd. (84/85). Entsprechend den Empfehlungen des G20-Gipfels vom April erscheint eine weitere Aufstockung möglich.

Leider gehen auch diese öffentlichen Mittel dorthin, wo es gilt, negative Folgen für das globale Finanzsystem abzufedern und wo mit Rückzahlung gerechnet werden kann, und eben nicht dorthin, wo die menschliche Not am größten ist: „Der Großteil der vom IWF und anderen Finanzierungsinstitutionen zur Verfügung gestellten Mittel wird wahrscheinlich in die Schwellenländer mit hohen und mittleren Einkommen fließen, von denen erwartet werden kann, dass sie die Darlehen zurückzahlen können.“ (6)

So werden insbesondere die armen Länder in der Krise zu einer prozyklischen Politik zu Lasten sozialer Investitionen gezwungen, obwohl, wie auch die Weltbank weiß, „Sozialausgaben nicht nur notwendig sind, um die extrem Armen zu schützen und den Verlust von Humankapital zu vermeiden, sondern diese auch zur Förderung des Wachstums weit wirksamer sind als Steuersenkungen.“ (33) Dieses anrührende Plädoyer für Armutsbekämpfung bleibt völlig ohne Konsequenzen.

* Weiter wie bisher

Das letzte Kapitel, das den Anspruch erhebt, den Entwicklungsländern Alternativen aufzuzeigen, muss bestenfalls als nichtssagend, schlimmstenfalls als kontraproduktiv bezeichnet werden. Es beschränkt sich weitgehend auf ein Lob der vom G20-Gipfel im April vorgeschlagenen Maßnahmen – wobei die Autoren des Abschnitts wohl übersehen haben, dass weiter oben unerwünschte negative Effekte einiger der Maßnahmen für die armen Entwicklungsländer kritisiert worden waren. „Vertrauen wiederherstellen“, heißt das Zauberwort – wobei die Betonung auf dem „wieder“ („restore confidence“) liegt. Als ob die Rückkehr zu den alten Verhältnissen wünschenswert wäre. Die Autoren haben ermittelt, dass diese Formel im Oktober 2008 im Internet genau 624 Mal öfter zu finden war als in den ersten sechs Monaten von 2008 – was wohl ein Beweis sein soll.

Neben dem Bezug auf die Vorschläge des G20-Gipfels finden sich Appelle für mehr „policy coordination“ und einen mittelfristigen Haushaltsausgleich. Außerdem – und hier wird’s kontraproduktiv – wird den Entwicklungsländern empfohlen, das öffentliche Eigentum im Bankensystem abzuwickeln (2). Dies, obwohl es gerade die öffentliche Struktur ihrer Finanzsysteme gewesen ist, welche die Entwicklungsländer vor den unmittelbaren Wirkungen der Finanzkrise geschützt hatte.

Ein anderer, insbesondere für arme Entwicklungsländer zentraler Aspekt wird nur am Rande angesprochen: Die Volatilität der Rohstoffpreise. Der krisenbedingte Einbruch ab Mitte 2008 hatte viele rohstoffabhängige Länder in jene Zahlungsbilanzschwierigkeiten gestürzt, die eine private Defizitfinanzierung heute aussichtslos erscheinen lassen. Während die Stagnation und der zu erwartenden Rückgang der Überweisungen ausländischer Arbeitskräfte in ihre Heimatländer („remittances“) mit Recht als problemverschärfend diskutiert wird, wird auf das Problem der schwankenden Rohstoffeinnahmen kein Gedanke verschwendet.

Hinweis:
* World Bank, Global Development Finance 2009. Charting a Global Recovery (I: Review, Analysis, and Outlook), 167 pp, The World Bank: Washington DC 2009. Bezug: über www.worldbank.org

Veröffentlicht: 5.7.2009

Empfohlene Zitierweise: Jörg Goldberg, Private Entwicklungsfinanzierung im Krisentief, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 07-08/2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).