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Umstritten: Klimasmarte Landwirtschaft

Artikel-Nr.: DE20151021-Art.28-2015

Umstritten: Klimasmarte Landwirtschaft

Debatte vor dem Pariser Klimagipfel

Vorab im Web - Ein Jahr nachdem sie auf dem UN-Klimagipfel in New York ins Leben gerufen wurde, steht die kontroverse Globale Allianz für klimasmarte Landwirtschaft (GACSA: Global Alliance for Climate Smart Agriculture) im Zentrum einer wachsenden internationalen Debatte. Jüngst haben mehr als 350 Zivilgesellschaftliche Organisationen (CSOs) aus aller Welt zur Opposition gegen die GACSA aufgerufen. Der Vorwurf: Die Initiative öffnet die Türen für die Grünwäsche des Agrobusiness und untergräbt agroökologische Lösungen des Klimawandels. Ben Lilliston fasst zusammen.

Die GACSA ist bei der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) angesiedelt und besteht aus 21 nationalen Regierungen, Interessenvertretern des Agrobusiness (vor allem der Düngemittelindustrie) und einigen zivilgesellschaftlichen Gruppen. Die GACSA wurde gebildet, um bei internationalen Organisationen, wie der UN-Rahmenkonvention zum Klimawandel (UNFCCC), Lobbyarbeit für die Unterstützung angeblich „klimasmarter“ landwirtschaftlicher Produktionssysteme und Projekte zu machen.

● Marketing des Agrobusiness

Doch mit einer undurchsichtigen Governancestruktur, keinen soliden Kriterien oder Definitionen, was klimasmarte Landwirtschaft ist und was nicht, und einem starken Konzerneinfluss erscheint die GACSA mehr als eine Marketingkampagne denn als ein positiver Ansatz für die Landwirtschaft in einer Zeit des Klimawandels. In ihrem Offenen Brief (s. Hinweis) kritisieren die CSOs, dass es der klimasmarten Landwirtschaft an sozialen und ökologischen Standards fehlt und die Stimme, das Wissen und die Rechte der Bauern keine Priorität genießen. Ohne klare Definitionen wären Konzerne wie Monsanto, Walmart, Syngenta und die größte Düngemittelgesellschaft der Welt, Yara, in die Lücke gestoßen und hätten sich selbst das Label „klimasmart“ angeheftet.

Stattdessen rufen die GACSA-KritikerInnen zur Anerkennung der „Agroökologie innerhalb eines Rahmens der Nahrungsmittel- und Saatgutsouveränität“ auf, um der Welt zu helfen, sich an das sich wandelnde Klima anzupassen und gleichzeitig zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen beizutragen. Global brauchen wir „eine radikale Transformation unserer Nahrungsmittelsysteme – weg von einem industriellen Modell und seinen falschen Lösungen, hin zu Nahrungsmittelsouveränität, lokalen Nahrungsmittelsystemen und einer integrierten Agrarreform, um eine volle Verwirklichung des Menschenrechts auf adäquate Nahrung und Ernährung zu erreichen“.

Die GACSA ist Teil einer breiteren Debatte, die bei internationalen Institutionen (wie der UNFCCC, der Weltbank und der FAO) und in nationalen Regierungen über die Frage stattfindet, wie unser Verständnis des Klimawandels in die Landwirtschafts- und Ernährungspolitik integriert werden kann. Im letzten Jahr sprachen sich 70 WissenschaftlerInnen (s. Hinweis) in einem Brief gegen das Modell der klimasmarten Landwirtschaft aus und forderten stattdessen die Förderung der wissenschaftlichen und sozialen Legitimität der Agroökologie. Agroökologie sei mit ihrem starken Akzent auf Gemeinschaftseigentum, bäuerliches Wissen und Nahrungsmittelsouveränität eine direkte Herausforderung der konzerngeleiteten, chemieintensiven industriellen Nahrungsmittelproduktion.

● Eine Aufgabe für den Grünen Klimafonds

Die Frage wird ebenfalls beim Grünen Klimafonds (GFC) debattiert, der hofft, eine erste Projektfinanzierung noch vor der Klimakonferenz im Dezember in Paris anzukündigen. (Der GFC, ein Finanzierungsmechanismus für Entwicklungsländer-Programme wurde 2010 auf der Vertragsstaatenkonferenz der UNFCCC in Cancún gegründet.) Der GFC sollte ein gutes Instrument zur Unterstützung der Agroökologie in Entwicklungsländern sein. GFC-Projekte müssen breite ökologische und soziale Vorteile bringen und zugleich gendersensibel sein. Mindestens 50% der GFC-Projekte müssen sich auf die Anpassung an den Klimawandel konzentrieren, die in den Entwicklungsländern am meisten gebraucht wird. Wie dies gehen kann, hat eine Studie des Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) Anfang dieses Jahres beschrieben.

Auch US-Regierungsagenturen erwägen, klimasmarte Landwirtschaft in ihre Programme zu integrieren. USAID, die US-Entwicklungshilfe-Agentur, hat dies letzten Monat für ihr „Feed the Future“-Programm versucht. Das US-Agrarministerium USDA wirbt derzeit um Kommentare für einen neuen Report mit dem Titel „Climate Change, Global Food Security, and the U.S. Food System In the U.S.”. Somit können wir eine Verstärkung der Debatte erwarten, je näher die Auseinandersetzung um die nächste U.S. Farm Bill kommt (2018).

Bis jetzt ist die Debatte über klimasmarte Landwirtschaft in der FAO konzentriert, die eine Serie internationaler Symposien über Agroökologie veranstaltet. Gegen Ende des Jahres werden die Entscheidungsträger auf dem UNFCCC-Treffen in Paris darüber befinden, ob sie die GACSA-geleitete Agenda oder eine bäuerliche und gemeinschaftsgeleitete Agroökologie unterstützen sollen. Die GACSA hat die Unterstützung sehr mächtiger politischer und wirtschaftlicher Interessen, die sich stark auf internationale Institutionen stützen können. Doch eben jene Interessen sind auch nicht immun gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels, einschließlich der durch ihn beförderten wirtschaftlichen und politischen Instabilität. Wenn es um die Zukunft der Landwirtschaft geht, können wir es uns nicht leisten, dem GACSA-geleiteten Marketing den Vorzug gegenüber der erwiesenermaßen erfolgreicheren Agroökologie zu geben.

Hinweise:
* Don't be fooled! Civil society says NO to “Climate Smart Agriculture” and urges decision-makers to support agroecology, Bezug: über www.iatp.org
* Scientists’ Support Letter for the International Symposium on Agroecology, 18–19 September, 2014. Bezug: über www.iatp.org

Posted: 21.10.2015

Empfohlene Zitierweise:
Ben Lilliston, Debatte vor dem Pariser Klimagipfel: Klimasmarte Landwirtschaft?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 21. Oktober 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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