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UNCTAD: Exportorientierung als Sackgasse

Artikel-Nr.: DE20100920-

UNCTAD: Exportorientierung als Sackgasse

In ihrem neuen Trade & Development Report (TDR 2010) untersucht die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) die exportorientierten Entwicklungsstrategien im Süden. Das Ergebnis: Viele Entwicklungsländer sind inzwischen übermäßig vom Export abhängig, doch nicht alle können auf diese Weise gleichzeitig Erfolg haben. Und mit niedrigen Löhnen lässt sich kein nachhaltiges Wachstum sichern. Rainer Falk stellt den Bericht vor.

Der TDR 2010 mit dem Thema ?Beschäftigung, Globalisierung und Entwicklung? (s. Hinweis) hat die Erfahrungen der Entwicklungsländer in den letzten 30 Jahren mit exportorientierten Wachstumsstrategien untersucht und ist dabei insbesondere der Frage nachgegangen, ob diese in der Lage waren, genügend menschenwürdige Arbeitsplätze zu schaffen, um den für diese Länder typischen Arbeitskräfteüberschuss zu absorbieren.

* Lohnsenkung keine Strategie

Das Hauptelement dieser Entwicklungsstrategien bestand darin, die Löhne niedrig zu halten, um den Exportsektor auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu machen. Für die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit wurden die sog. Rigiditäten des Arbeitsmarktes verantwortlich gemacht, die die Löhne angeblich daran hinderten, auf ein marktkonformes Niveau zu fallen. Allerdings basiert dieser Ansatz nach Auffassung der UNCTAD-Ökonomen auf einer mikroökonomischen Sichtweise und vernachlässigt die makroökonomische Rolle steigender Löhne für das Wachstum der heimischen Nachfrage. Es seien die Erwartung steigender Nachfrage und günstige Finanzierungsbedingungen, und nicht eine Reduzierung der Lohnstückkosten, die zu produktiven Investitionen führen.

Viele Entwicklungsländer sollten ihre Politik nicht zuletzt deshalb überdenken, weil die jüngste globale Wirtschafts- und Finanzkrise die Grenzen von exportorientierten Entwicklungsstrategien deutlich gemacht hat. Wie die TDR-Autoren argumentieren, können erstens nicht alle Länder zugleich exportorientierte Strategien verfolgen, da es nie nur Überschussländer geben kann. Zweitens dürften die globalen Exportmärkte in den kommenden Jahren wesentlich langsamer als in den Jahren vor der großen Rezession wachsen, was die Verfolgung solcher Strategien zusehends schwieriger mache. Drittens führe die Exportkonkurrenz über niedrige Löhne zu einem ?Wettlauf in den Abgrund?, was wiederum kontraproduktiv für die Verringerung der Armut und die Schaffung von Arbeitsplätzen sei.

* Neue internationale Wachstumskonstellation

Die globale konjunkturelle Konstellation sieht für die TDR-Autoren nach der Krise so aus:

* In den USA scheint eine Anpassung des Konsums nach unten unvermeidlich. Mit dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes waren die Haushalte zur Reduzierung ihrer hohen Verschuldung gezwungen, und die Amerikaner wurden weniger verschwenderisch. Vor der Krise absorbierten die US-Konsumausgaben rund 16% des weltweiten Outputs. Jetzt sieht sich das Land krisenbedingt mit acht Millionen Arbeitslosen konfrontiert, und dies zu einem Zeitpunkt, wo die Konjunkturprogramme der Regierung nach und nach auslaufen. Unter diesen Bedingungen dürfte es sehr unwahrscheinlich sein, dass die USA wieder die Rolle der globalen Nachfrage-Lokomotive übernehmen. Für ebenso unwahrscheinlich halten die UNCTAD-Ökonomen, dass andere Länder einspringen.

* In China ist die Verschiebung der Hauptwachstums- und Beschäftigungsquellen weg von Anlageinvestitionen und Exporten hin zum Konsum inzwischen offizielle Politik. Die chinesischen Importe sind bereits jetzt stark gestiegen, und der derzeitige Zahlungsbilanzüberschuss dürfte 2010 stark zurück gehen. Allerdings macht dort der private Konsum lediglich ein Achtel des Konsums der USA aus, und die Zusammensetzung dieses Konsums begünstigt mehr die einheimischen Produkte. Somit ist China weit davon entfernt, die einzige neue Triebkraft des globalen Wachstums zu werden.

* Der Schlüssel zu einem weltweiten Ausgleich der Ungleichgewichte liegt in den Industrieländern mit den größten Überschüssen, argumentiert der Bericht. In Deutschland und in Japan gebe es einen beträchtlichen Spielraum für einen Anstieg des privaten Konsums auf der Basis von Lohnsteigerungen. Allerdings wurde die Erholung in diesen Ländern bislang nicht von einer Expansion der Binnennachfrage getrieben, sondern ? wie vor der Krise ? von einem starken Exportwachstum. Und die Akzentsetzung auf die Sparpolitik in der Eurozone verschlechtert die Aussichten auf einen substantiellen Nachfragestimulus zusätzlich.

* Vor diesem Hintergrund besteht in den Entwicklungs- und Schwellenländern eine besondere Notwendigkeit, sich stärker als in der Vergangenheit auf die heimischen Märkte zu stützen ? zumal in exportorientierten Ländern die Beschäftigungsprobleme in der Vergangenheit oft deshalb fortbestanden, weil die Exporte entweder nicht in dem erwarteten Ausmaß wuchsen oder die Produktivitätsgewinne genutzt wurden, um die Exportpreise zu senken statt die Löhne zu erhöhen, was über steigende heimische Nachfrage zu neuer Beschäftigung hätte führen können.

* Binnenorientierung auch im Süden zwingend

So stagnierte das Pro-Kopf-Einkommen in Lateinamerika in der Phase der Strukturanpassung zwischen 1980 und 2002, die Arbeitslosigkeit stieg, und die durchschnittliche Produktivität nahm ab. In Afrika hatten mehr als 20 Jahre orthodoxer Wirtschaftspolitik und neoliberaler ?Reformen? nur sehr begrenzten Erfolg bei der Schaffung von Bedingungen für schnelles und nachhaltiges Wachstum. Bis Ende der 1990er Jahre erinnerten die Produktionsstrukturen Afrikas an die koloniale Periode mit ihrem Schwerpunkt auf Landwirtschaft und Bergbau. Sogar in Asien, wo BIP und Produktivität über viele Jahre schnell gewachsen sind, besteht die Notwendigkeit, die Binnenkräfte zu stärken, um menschenwürdige Arbeitsplätze für einen großen Teil der Arbeitskräfte bereit zu stellen.

Von 2003 bis zum Ausbruch der Krise 2008 hatten sich Wachstum und Einkommen in allen Entwicklungsregionen signifikant verbessert. Dies war aus der Sicht von UNCTAD teilweise auch einer Reorientierung auf stärker expansive makroökonomische Politiken geschuldet, in der Hauptsache jedoch einer boomenden Weltwirtschaft. Da eine einfache Rückkehr zu dieser Boomsituation unwahrscheinlich ist, sei die strategische Umorientierung unabdingbar, sagt UNCTAD.

* Wie könnte die Alternative aussehen?

Zunächst einmal müssten die Prinzipien und Ziele der Geld- und Fiskalpolitik wachstums- und beschäftigungspolitisch neu definiert werden, fordert der TDR. Dies müsste kombiniert werden mit einer neuen Einkommenspolitik, worunter der Bericht ein Set von Instrumenten und institutionsbildenden Maßnahmen versteht, die sicherstellen sollen, dass die realen Masseneinkommen entsprechend dem durchschnittlichen Produktivitätswachstum steigen. Während der jüngsten Krise haben die meisten Regierungen bereits die antizyklische Fiskalpolitik zur Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage wiederentdeckt. Auch in weniger dramatischen Zeiten, so UNCTAD, wäre es wichtig, die Nachfrage zu stabilisieren.

Weitere Stichworte eines solchen Kurswechsels wären: institutionalisierte Arrangements für die Tarifverhandlungen zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden; zentralisierte Tripartite-Verhandlungsmechanismen, einschließlich von Regierungsempfehlungen für Lohnzuwächse; gesetzliche Mindestlöhne und deren Anhebung im Einklang mit der Produktivitätsentwicklung. Für viele Entwicklungsländer können schließlich öffentliche Beschäftigungsprogramme ein sinnvolles Instrument im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Armut sein, empfiehlt der Bericht.

Hinweis:
* UNCTAD, Trade & Development Report 2010: Employment, globalization and development, 169 pp, United Nations: New York and Geneva 2010. Bezug: über www.unctad.org

Veröffentlicht: 20.9.2010

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, UNCTAD: Exportorientierung als Sackgasse, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 09/September 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).