Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Welche Rolle spielt Peking+20 für Post-2015?

Artikel-Nr.: DE20150317-Art.09-2015

Welche Rolle spielt Peking+20 für Post-2015?

20 Jahre Weltfrauenkonferenz in Peking

Vorab im Web - 20 Jahre lang überprüfte und bilanzierte die UN-Frauenrechtskommission (CSW) die Umsetzung der Aktionsplattform der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking von 1995. Das diesjährliche Treffen in New York (CSW59) sollte entscheiden, welche Rolle der Peking-Prozess in der Post-2015-Phase spielen soll und kann. Erklärtes Ziel ist, dass die Post-2015-Agenda endlich „transformativ“ in bezug auf Geschlechtergleichheit sein soll. Christa Wichterich*) berichtet auf dem Hintergrund 20jähriger Erfahrungen im Peking-Prozess.

Das Eröffnungsplenum der Frauenrechtskommission war eine Feier mit Frust. Gefeiert wurden die signifikanten Gleichstellungsfortschritte in vielen Ländern, die durch die Aktionsplattform von Peking – 1995 ein Meilenstein für Frauenrechte und ein großer Erfolg der globalen Frauenbewegung – erreicht wurden. Doch die 8600 Vertreter_innen von 1100 NGOs sahen es als Affront, dass bereits am ersten Tag eine inhaltlich äußerst magere Abschlusserklärung der CSW59 verabschiedet wurde, die vor dem Treffen ohne Konsultation zivilgesellschaftlicher Organisation zustandegekommen war.

● „Lost in Translation“

Bei CSW-Sitzungen war stets von Verhandlungen die Rede – aber hier war nichts mehr zu verhandeln. Die Krise des Multilateralismus zeigt sich deutlich bei Geschlechterthemen, wo kaum noch Minimalkonsense möglich sind. Vor allem sexuelle und reproduktive Rechte sind zu einem Spielball zwischen politischen und kulturellen Machtblöcken geworden. Selbst die EU, lange ein Matador von Frauen- und Geschlechterrechten, hält sich sehr zurück.

Die Bilanzen der Peking-Konferenz wiederholen gebetsmühlenartig, dass die Umsetzung der Aktionsplattform von Peking langsam und höchst ungleich ist. Von offizieller Seite ist die Rede von einem „unfinished business“, so als wäre es nur eine Frage der Zeit. Doch zivilgesellschaftliche Organisationen sprechen von einem stärkeren Backlash als je zuvor und von schrumpfenden demokratischen Spielräumen unter dem Druck von neokonservativen und religiös fundamentalistische Kräften.

Zwar sind Frauen präsenter im öffentlichen Leben, in der Erwerbsarbeit und in politischen Agenden. Aber trotz aller politischen Rhetorik und Versprechen fehlt es entscheidend an politischem Willen und Finanzen, vor allem an Mitteln für Frauenorganisationen. Die viel beklagte Implementierungslücke klafft weit auf. „Lost in Translation“ bedeutet, dass frauenfreundliche Gesetze sich nicht in Maßnahmen und in strukturelle Veränderungen im Alltag übersetzen, universell konzipierte Menschenrechte nicht in unterschiedlichen Kulturen, die Aktionsplattform nicht in lokale Kontexte. Es ist leichter, Gesetze zu ändern als gesellschaftliches Bewusstsein. Zwar ist Gewalt gegen Frauen seit der Peking-Konferenz als Menschenrechtsverletzung ein zentrales Thema. Doch es fehlt an Konzepten, sie einzudämmen. Im Gegenteil: Vielerorts nimmt sie im Kontext von Autoritarismus, Militarisierung und Fundamentalismen zu.

● Keine linearen Prozesse der Gleichstellung

Die Bilanzen nach 20 Jahren zeigen, dass Gleichstellungsfortschritte im Jahrzehnt vor und nach der Peking-Konferenz am größten waren. Beispiel Erwerbsarbeit: Frauenbeschäftigung wuchs damals schneller als die von Männern, der Gender-Gap in der Erwerbslosigkeit verringerte sich. Mehr Frauen wurden Familienernährerinnen, während die männliche Ernährerrolle erodierte. Obwohl Frauen stets überwiegend ungeschützt, flexibel und gering entlohnt arbeiteten, galten sie zunächst als die Gewinnerinnen der Globalisierung. Seit 2005 aber kam es zu einem Stillstand, und durch die Krise von 2008/9 teils zu einer Umkehr der Fortschritte vor allem in den Wachstumsregionen in Asien.

Überall bewegen Frauen sich zwischen einem „klebrigen Boden“, wie die ILO die oft prekären und informellen Erwerbstätigkeiten ohne Aufstiegschancen nennt, und der gläsernen Decke. Weiterhin besteht ein Lohngefälle zwischen den Geschlechtern, wie auch zwischen migrantischer und einheimischer Bevölkerung. Inzwischen spricht man in den Industrienationen auch von einem Mutterschafts- und einem Rentengefälle. Denn es bestehen deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Alterssicherung sowie Nachteile für Mütter im Erwerbsleben und beim Einkommen im Vergleich zu Nicht-Müttern.

Gleichstellung ist meist ein Zick-Zack, ein Wechsel von Fort- und Rückschritten. Die größten Fortschritte für Frauen liegen im Bildungsbereich, auch wenn immer noch 60% der erwachsenen Analphabeten weltweit weiblich sind. Weltweit sank die Müttersterblichkeit signifikant, aber in einigen Regionen, z.B. in Tansania, nimmt sie wieder zu ebenso wie Teenage-Schwangerschaften.

Weltweit hat sich der Anteil von Frauen in Parlamenten seit 1995 von 11,3% auf 22% verdoppelt – immer noch weit entfernt von dem 50-50-Ziel für 2030. In jüngster Zeit verbuchte Bolivien die größten Fortschritte mit 46% Parlamentarierinnen. In Angola, Sambia, Indonesien, Ungarn, Belgien und der Schweiz sank der Frauenanteil schon wieder. Frühere feministische Glaubenssätze, z.B. dass Frauen friedliebender, weniger machtorientiert und weniger korrupt als Männer seien, ernten nun müdes Lächeln.

● Neue Themen, neue Ungleichheiten

Die alljährlichen CSW-Sitzungen und die ca. 500 parallelen NGO-Veranstaltungen in New York sind immer auch ein Seismograph für die Restrukturierung der geschlechterpolitischen Agenda. Es fällt auf, dass von Armut, dem wichtigsten Thema vor 20 Jahren, heute kaum noch die Rede ist. Makro-ökonomische Themen von Privatisierung bis Finanzialisierung bleiben insgesamt unterbelichtet. Wenn Regierungen und UN-Organisationen von wirtschaftlichem Frauenempowerment sprechen, passen sie dies in das neoliberale Wachstumsparadigma ein. Bildung, finanzielle Inklusion, kommerzielle Landwirtschaft und Unternehmertum werden unisono mit Weltbank und IMF als wichtigste Strategien des Frauenempowerments behauptet.

Dagegen verweisen NGOs und Wissenschaftlerinnen darauf, dass Geschlechterungleichheit die zentrale Grundlage für die Wirtschaftswunder in Ost- und Südostasien war. NGOs kritisieren die wachstumsorientierten Entwicklungsstrategien von Industrialisierung, Urbanisierung, Infrastrukturentwicklung und Ressourcenextraktivismus. Die Vernachlässigung ländlicher Entwicklung und kleinbäuerlicher Existenzsicherung wie auch die Privatisierung von Land und Wasser hatten aus ihrer Sicht die zunehmende Migration vom Land in die Städte, aber auch in andere Regionen und Länder zur Folge. In der Vergangenheit war es oft leichter, Gesetze zu Gewalt gegen Frauen durchzusetzen als wirtschaftliche Rechte.

Vor allem seit den katastrophalen Unfällen in der Textilindustrie in Bangladesh kritisieren auch Gewerkschaften den Mehr-Wachstum-Mehr-Jobs-Ansatz und fokussieren jenseits von decent work und existenzsichernden Löhnen auf soziale Sicherheitssysteme. Vor allem für informelle und unbezahlte Arbeit gilt die Forderung: „Alle Frauen arbeiten, alle Frauen haben ein Recht auf soziale Sicherheit“. Hausangestellte, die inzwischen transnational gut organisiert sind, beklagen, dass die neuen Mittelschichten vor allem an der Sicherung ihrer Privilegien und an Konsum interessiert sind, was die Ungleichheit zwischen Frauen weiter vergrößert und neue Ungerechtigkeiten schafft.

Migration und die Feminisierung migrantischer Arbeit – vor 20 Jahren in Peking noch Randthemen – rangieren jetzt ganz oben auf der internationalen Agenda. Auch undokumentierte Migrant_innen fordern zunehmend Rechte und bauen alternative Strukturen auf wie Schulen in China und „Untergrunduniversitäten“ in den USA. Care – die nicht-anerkannte und un- oder unterbezahlte Sorgearbeit von Frauen – hat die alte Hausarbeitsdebatte ersetzt. Klima und Klimaanpassung sind inzwischen als geschlechtsspezifische Themen etabliert.

Insgesamt ist die frauenpolitische oder feministische Perspektive auf LGBTI-Menschen im Rahmen von sexuellen und reproduktiven Rechten erweitert. Während sich in Peking sexuelle Orientierung lediglich auf Lesben und Schwule bezog, steht jetzt ein breites Spektrum von Gender-Identitäten im Zentrum. Statt von Gewalt gegen Frauen ist nun von geschlechterbasierter Gewalt die Rede.

● Post-2015 Maschinerie, aber kein Neuanfang

Die Vielfalt feministischer, teils widersprüchlicher Positionen wächst. Frauenbewegungen sind fragmentiert, häufig sind viele Frauengruppen aktiv, aber ihre Professionalisierung und technische Orientierung wirken entpolitisierend. Von der feministischen Politik der Empörung ist nur noch wenig zu spüren. Häufig ist zu hören, dass niemand für alle sprechen kann. Netzwerke wie WEDO und DAWN, die vor 20 Jahren wortführend waren, sind kaum noch sichtbar. Dagegen fällt im Veranstaltungsprogramm der NGOs die große Zahl von Gruppierungen auf, die sich auf Familie, Mutterschaft und Glauben berufen. Wenn es um sexuelle und reproduktive Rechte geht, treten junge Lebensschützerinnen zahlreich und strategisch auf.

Gender Mainstreaming, in Peking zum strategischen Königinnenweg erklärt, wurde selten systematisch umgesetzt. In Bezug auf die SDGs fordern Frauenrechts-NGOs sowohl ein separates Gleichstellungsziel als auch ein Mainstreaming von Gender in allen – derzeit 17 – Zielen. Einige warnen allerdings davor, dass keine transformative Agenda entsteht, wenn nur mehr Ziele zu den MDGs addiert werden, und die Gefahr groß ist, sich in Indikatoren und Symptomen zu verlieren, statt Strukturen zu verändern. Sollte die Anzahl der Ziele reduziert werden (und dafür plädiert eine starke Fraktion), welche sollen auf keinen Fall preisgegeben werden: das Ziel zu Geschlechtergleichheit, das zu Ungleichheit oder zu nachhaltigen Produktions- und Konsummustern? Andere finden es wichtiger, eine eigene Agenda und eigene Räume zu schaffen, als Energien in die SDG-Indikatoren zu investieren.

Damit Frauenrechte nicht völlig zwischen Neoliberalismus und Fundamentalismen zerrieben werden, wird als zentrale Strategie immer wieder Organisierung für Rechtskämpfe genannt. Um Politik zu beeinflussen, sind multiple Strategien unerlässlich. Wechselnde Allianzen, die Einbeziehung junger Leute und der sozialen Medien sind absolut notwendig. Ein Beispiel für den Wechsel von Handlungsforen ist die Initiative für die Umsetzung der Frauenrechtskonvention CEDAW in US-amerikanischen Städten, nachdem neokonservative Kräfte nach wie vor die Ratifizierung durch die USA verhindern. Zwar wird oft die Suche nach neuen kollektiven Visionen eingefordert. Doch unter dem Druck von „shrinking spaces, shrinking finances“ ist von einem Neuanfang oder Aufbruch wenig zu spüren. Lediglich junge feministische Aktivistinnen setzen auf ihren eigenen Enthusiasmus und die neuen Medien.

Nach der CSW59 und der Peking+20-Bilanz zieht die Karawane weiter zu Financing for Development und dem SDG-Gipfel, auch wenn die Partizipation der NGOs immer wieder in Frage gestellt wird. Die Sogwirkung der UN-Mechanismen ist enorm.

Posted: 17.3.2015

Empfohlene Zitierweise:
Christa Wichterich, Welche Rolle spielt Peking+20 für Post-2015? 20 Jahre Weltfrauenkonferenz in Peking, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 17. März 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.