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Ein Ausgleichsmechanismus für die Armen

Artikel-Nr.: DE20090510-Art.21-2009

Ein Ausgleichsmechanismus für die Armen

Wenn die Importpreise für Nahrungsmittel steigen

Vorab im Web - Hohe Lebensmittelpreise stellen eine ernste Gefahr für Leben und Gesundheit der Armen dieser Welt dar. Daher ist ein Mechanismus notwendig, der die Effekte steigender Importpreise auf die Armen kompensiert und sofort eingeführt werden kann. Er darf nicht an Bedingungen gebunden sein, noch darf sich Konditionalität einschleichen. Deshalb muß er bei den Vereinten Nationen, nicht bei den Bretton-Woods-Institutionen oder irgendeiner anderen nördlich dominierten Organisation angesiedelt werden. Ein Vorschlag von Kunibert Raffer.

Die Reduzierung von Hunger und Elend der Armen darf nicht im Abtausch gegen Politikspielraum („policy space“) „gewährt“ werden. Der vorgeschlagene neue Mechanismus darf nicht allmählich und klammheimlich von einer Hilfe ohne Bedingungen (wie Katastrophenhilfe vergeben werden sollte) in ein Instrument um Konditionalität aufzuzwingen verwandelt werden. Deshalb muß er von UN-Organisationen und/oder vom Internationalen Fonds für Landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) verwaltet werden. Schließlich wird ein erfolgreiches Instrument des Marshallplans vorgeschlagen: Selbstmonitoring der Empfänger.

* Berechnung der Ausgleichszahlungen

Mein Vorschlag (ausführliche Version siehe Hinweis) konzentriert sich nicht auf eine einzige Formel, sondern schlägt drei Berechnungsvarianten für Ausgleichszahlungen vor. Erstens kann der Ausgleich für die quantitative Verringerung der bei Preissteigerungen zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel direkt erfolgen, also:

(1) Transfers = (qb – qi).

Die Buchstaben b und i bezeichnen die Importmengen während des Basisjahrs bzw. des Jahrs nach der Preisveränderung. Natürlich kann qb auch für den Durchschnitt mehrerer Jahre stehen, wie die Basisperiode im Agrarabkommen der Welthandelsorganisation (WTO) oder wie im Stabex der Lomé-Abkommen vorgesehen, die Kompensation für Exporteinkommensausfall (nicht Importkosten) vorsah, gemessen durch die Differenz zwischen dem Jahr des Einkommensrückgangs und dem gleitenden Durchschnitt der vier vorhergehenden Jahre. Die Differenz (qb-qi) direkt in Nahrungsmitteln auszugleichen wäre eine Möglichkeit sicherzustellen, dass die gleiche Menge an Nahrungsmitteln verfügbar bleibt, wenn die Nachfrage bei Preiserhöhungen sinkt. Dies ist besonders sinnvoll für Regionen, in denen die Nahrungsmittelproduktion mit der Sicherung des Bedarfs der Menschen nicht mithalten kann. Theoretisch ist dies jedoch keine elegante Lösung, weil der quantitative Rückgang auch andere Ursachen als die Preissteigerung haben kann. Der Ausgleich könnte dann höher als der Preiseffekt sein. Hilft man Hungernden, ist es aber vorzuziehen, eher „zu viel“ als zu wenig zu geben.

Variante 1 hält zwar die importierte Menge konstant, gleicht jedoch nicht den Anstieg der Importpreise aus: Kosten von qi(pi-pb) bleiben unkompensiert und belasten arme Volkswirtschaften. Wenn die Nachfrage hochgradig unelastisch ist (wie die Mikroökonomie bei Nahrungsmitteln annimmt) sind die quantitativen Reduktionen niedrig, aber die zusätzlichen finanziellen Lasten hoch. Somit wird unter diesem Schema die quantitative Verringerung in Nahrung kompensiert, doch das arme Land muss die wesentlich höheren Kosten für die Bereitstellung von qi tragen. Keine Ausgleichszahlung erfolgt, wenn qi über qb ansteigt, etwa weil eine Naturkatastrophe die heimische Produktion trifft und der Importbedarf steigt. Leider ist dieser Fall bei billigen Grundnahrungsmitteln nicht unwahrscheinlich. Da sie sich noch teurere Lebensmittel nicht leisten können, müßten Arme nach einer allgemeinen Preiserhöhung noch relativ billigere Nahrungsmittel kaufen, obwohl auch deren Preise gestiegen sind (der sog. Giffen-Fall). Höhere Mengen müssen zu höheren Preisen eingekauft werden (qi > qb). Kompensation wird nicht ausgelöst.

Um den Hunger zu bekämpfen, ist ein Ausgleich der Preissteigerungen notwendig, vor allem in Fällen unelastischer Nachfrage. Um dies zu erreichen, könnte der Transfer entweder aus der Preisdifferenz und der Menge des/r Basisjahrs/e, also

(2) Transfer = qb (pi - pb),

ermittelt werden oder indem die Preisdifferenz mit der aktuellen Menge multipliziert wird, also

(3) Transfer = qi (pi - pb).

Beide Varianten haben gegenüber Variante 1 den theoretischen Vorteil, dass Preisdifferenzen leichter bestimmbar sind als durch diese ausgelöste Mengenänderungen. Keine Transfers erfolgen, wenn der Preis unter den der Basisperiode fällt, während bei der Variante 1 trotz abnehmender Preise eine Kompensation möglich bliebe. Das entspricht der Intention, vor Preissteigerungen zu schützen. Das Giffen-Problem (s.o.) wäre bei Variante 3 ausgeschlossen.

Variante 2 impliziert ein Einfrieren der Ausgleichszahlungen auf der Grundlage des Importniveaus der Periode b. Wächst die Bevölkerung würde dies schnell Probleme verursachen. Auch mag dies Anreize zur Steigerung der heimischen Produktion reduzieren. Wie bei Variante 1 könnte nicht adäquat reagiert werden, wenn die Importe über qb hinaus wachsen, z.B. im Gefolge von Natur- oder menschengemachten Katastrophen. Variante 3 würde in dieser Hinsicht gut funktionieren, aber im Normalfall einer negativ geneigten Nachfragekurve zu niedrige Transfers auslösen, da höhere Preise die Menge qi und damit die Kompensation reduzieren würden. Die Nettoimporteure erhielten dann keine Ausgleichszahlungen, obwohl sie nicht mehr so viel wie zuvor importieren können. Die im Inland verfügbare Nahrungsmittelmenge würde reduziert. Das Hauptziel des Mechanismus, das Vorkrisenniveau der Nahrungsversorgung zu garantieren, würde verfehlt.

Wenn man annimmt, dass steigende Importe infolge von Katastrophen normalerweise durch Nothilfe abgedeckt werden (statistisch leicht von normalen Importen zu unterscheiden), würde man Variante 2 bevorzugen. In diesem Fall wäre q die Menge der „normalen“ Importe. Eine sicherere und großzügigere Lösung wäre es jedoch, Variante 2 anzuwenden, wenn qi qb. Diese Flexibilität würde das Erreichen des ersten Millennium-Entwicklungsziels (Halbierung des Hungers) erleichtern. Da die reichen Länder sich auch verpflichtet haben, im Kampf gegen den Hunger jede Anstrengung auf sich zu nehmen, sollte die Finanzierung wohl möglich sein.

Die Administratoren des Programms sollten die Kompetenz haben, von einer zur anderen Formel zu wechseln, um die tatsächlichen Ausgleichszahlungen den spezifischen Umständen anzupassen, einschließlich auch der Möglichkeit, auf Variante 1 zurückzugreifen, wenn dies angezeigt wäre. Sie müssen auf der Basis von Tatsachen und Bedarf entscheiden. Es gibt heute genug Daten über Armut und Not, sowie Erfahrungen mit Antiarmutsprogrammen. Die Schätzung des Bedarfs um ihn als Kriterium zu verwenden, sollte also keine großen Schwierigkeiten bereiten.

Das einzige Erfordernis für Auszahlungen sollten Fakten sein, d.h. die Vorlage von Statistiken gestiegener Importkosten, je nach Variante 2 oder 3 berechnet, oder – im Falle von Variante 1 – von gefallenen Importmengen – eine reine Rechenaufgabe. Es gibt einen historischen Präzedenzfall für automatische Ausgleichszahlungen zugunsten einer Gruppe von Entwicklungsländern. Das funktionierte bereits im ursprünglichen Stabex, auch wenn dieses später abgebaut und letztlich abgeschafft wurde.

Da es das Ziel ist, den Hungernden zu helfen, sollte der Mechanismus wie eine Versicherung funktionieren. Nachgewiesene Kosten sollten kompensiert werden. Konditionalität darf sich nicht einschleichen - wie bei der Kompensatorischen Finanzierungsfazilität des IWF, dem Stabex oder in der WTO.

* Zuschüsse statt Kredite und Selbstüberwachung

Auszahlungen sollten vorzugsweise als Zuschüsse erfolgen, vor allem im Falle sehr armer Länder. Für Länder mit hohem Schuldenüberhang ist es nicht ratsam, Nahrungsmittelkäufe auf Kredit zu finanzieren. Je nach Anzahl der kompensationsberechtigten Länder, hätten die Kosten zur Stabilisierung auf dem Preisniveau von 2007 im Jahr 2008 zwischen 6,7 und 47,9 Mrd. Dollar betragen. Als Mittel gegen Missbrauch der Gelder könnten sich die Empfänger selbst bezüglich der Verwendung überwachen, wie es die USA den Empfängern des Marshall-Plans erlaubten – ein großzügiges Programm, das auch zu einem guten Teil aus Nahrungsmittelhilfe bestand. Ein einzigartiges Merkmal des Marshall-Plans war, dass er den Empfängern, d.h. den Europäern, erlaubte sich gegenseitig zu überwachen – bis heute undenkbar im Nord-Süd-Kontext, obwohl der Marshall-Plan und seine Entscheidungsverfahren fraglos erfolgreich waren.

Prof. Kunibert Raffer lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Universität Wien.

Hinweis:
* Kunibert Raffer, 2008: A Food Import Compensation Mechanism: A Modest Proposal to Reduce Food Price Effects on Poor Countries, verfügbar unter: http://www.g24.org/raff0908.pdf

Veröffentlicht: 10.5.2009

Empfohlene Zitierweise: Kunibert Raffer, Wenn die Importpreise für Nahrungsmittel steigen: Ein Ausgleichsmechanismus für die Armen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 05/Mai 2009.