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Globaler Austeritätsalarm

Artikel-Nr.: DE20210506-Art.10.04-2021

Globaler Austeritätsalarm

Drohende Budgetkürzungen 2021-25

Am Rande des letzten Frühjahrstreffens von IWF und Weltbank wurde erneut Optimismus versprüht: Vor allem die Auflagenpolitik des IWF habe sich grundlegend geändert. Doch eine Studie (s. Hinweis), die die Initiative for Policy Dialogue von der Columbia-Universität, internationale Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen gerade veröffentlicht hatten, schlug Alarm: Es drohe ein globaler Austeritätsschock. Isabel Ortiz und Matthew Cummins fassen zusammen.

Die meisten Regierungen verhängen Budgetkürzungen ausgerechnet in einer Zeit, in der ihre Bürger*innen und Ökonomien mehr öffentliche Unterstützung brauchen. Die Analyse der Haushaltsprojektionen des Internationalen Währungsfonds zeigt, dass Budgetkürzungen dieses Jahr in 154 Ländern erwartet werden und 2022 in 159 Ländern. Das bedeutet, dass 6,6 Milliarden Menschen in diesem Jahr oder 85% der globalen Bevölkerung bis zum nächsten Jahr unter Austeritätsbedingungen leben werden – ein Trend, der wahrscheinlich mindestens bis 2025 anhalten wird.

● Doppelt so schlimm wie in der globalen Finanzkrise

Das hohe Niveau der Ausgaben, das für die Bekämpfung der Pandemie gebraucht wurde, hat die Regierungen mit wachsenden Haushaltdefiziten und Schulden zurück gelassen. Dennoch optieren die Regierungen – beraten durch den IWF, die G20 u.a. – für Austerität, statt die finanziellen Optionen zu untersuchen, um die bitter notwendige Unterstützung für eine sozio-ökonomische Erholung bereitzustellen.

Der post-pandemische Schock erscheint bei weitem intensiver als der, der auf die globale Finanz- und Wirtschaftskrise vor einer Dekade folgte. Die durchschnittliche Ausgabenschrumpfung im Jahr 2021 wird auf 3,3% des BIP geschätzt, was nahezu doppelt so viel wie in der vorigen Krise ist. Über 40 Regierungen, so wird vorhergesagt, werden weniger ausgeben als in der Zeit vor der Pandemie, wobei die Budgets im Durchschnitt 12% kleiner sind als die 2018/19 vor Covid-19. Dazu gehören Länder mit hohem Entwicklungsbedard wie Ekuador, Äquatorial-Guinea, Kiribati, Liberia, Libyen, Republik Kongo, Süd-Sudan, Jemen, Sambia und Zimbabwe.

● Die Erfahrungen aus der vorigen Krisenphase

Die Gefahren einer frühen und überaggressiven Austerität sind aus der vergangenen Dekade der Anpassung bekannt. Von 2010 bis 2019 wurden Milliarden von Menschen von der Kürzung von Pensionen und sozialen Sicherheitsleistungen betroffen; ebenso wie von geringeren Subventionen, einschließlich für Nahrungsmittel, landwirtschaftliche Inputs und Brennstoffe; darüber hinaus durch Lohnkürzungen und –deckelungen, die die Bereitstellung von öffentlichen Dienstleistungen behinderten, etwa für Bildung, Gesundheit, Sozialarbeit, Wasser und öffentlichen Transport. Eine Rolle spielte auch die Rationalisierung und die Rückführung von sozialen Sicherungsprogrammen. Hinzu kam mehr Unsicherheit für die Arbeiter, da Arbeitsregulierungen abgeschafft wurden.

Viele Regierungen führten auch regressive Steuern ein, etwa Konsumsteuern, die das verfügbare Haushaltseinkommen weiter absenkten. In vielen Ländern wurden die öffentlichen Leistungen, darunter im Gesundheitswesen, zurückgefahren oder privatisiert. Austerität erwies sich als tödliche Politik. Der schwache Zustand der öffentlichen Gesundheitssysteme – nach einer Dekade der Austerität überlastet, unterfinanziert und unterbesetzt – verschärfte die Ungleichheit im Gesundheitswesen und machte die Bevölkerung verwundbarer gegenüber Covid-19.

● Alternativen selbst in den ärmsten Ländern

Austerität ist schlechte Politik. Doch es gibt Alternativen, selbst in den ärmsten Ländern. Statt die Ausgaben zusammenzustreichen, können und müssen die Regierungen finanzielle Optionen zur Steigerung der Budgets aufspüren.

Erstens können die Regierungen die Steuern auf Wohlstand, Immobilien und Unternehmenseinkommen erhöhen, einschließlich auf den Finanzsektor, der im Allgemeinen unterbesteuert ist. Zum Beispiel finanzieren Bolivien, die Mongolei und Sambia allgemeine Pensionen, Kindergeld und andere Zuwendungen aus Bergbau- und Gassteuern; Brasilien führte eine Steuer auf Finanztransaktionen ein, um soziale Sicherungsleistungen auszuweiten.

Zweitens haben über 60 Regierungen erfolgreich ihre Schuldenverpflichtungen restrukturiert oder reduziert, um Ressourcen für Entwicklung freizusetzen. Drittens ist die Bekämpfung illegaler Finanzflüsse wie Steuerflucht und Geldwäsche eine gute Gelegenheit, um Einkommen zu schaffen. Viertens können Regierungen einfach ihre Ausgabenprioritäten verändern – weg von Investitionen mit geringer sozialer Bedeutung, wie Verteidigung und der Rettung von Banken und Unternehmen; z.B. haben Costa Rica und Thailand Ausgaben für das Militär in das öffentliche Gesundheitswesen umgelenkt.

Eine andere Finanzierungsoption ist fünftens die Nutzung von akkumulierten fiskalischen und Währungsreserven in Zentralbanken. Sechstens können größere Transfer- und Entwicklungshilfeleistungen oder konzessionäre Kredite angelockt werden. Eine siebte Option ist die Einführung günstigerer makroökonomischer Rahmenbedingen. Achtens können Regierungen Arbeitsverhältnisse in der informellen Ökonomie durch gute Verträge und Löhne formalisieren, was die Beiträge erhöht und die Versorgung mit sozialer Sicherung ausweitet.

Ausgaben- und Finanzierungsentscheidungen, die die Leben von Millionen Menschen betreffen, können nicht hinter verschlossenen Türen im Finanzministerium getroffen werden. Alle Optionen sollten sorgfältig in einem inklusiven nationalen sozialen Dialog erörtert werden – mit Vertretern der Gewerkschaften, Arbeitsgebern, zivilgesellschaftlichen Organisationen und anderen wichtigen Akteuren.

Isabel Ortiz ist Direktorin des Global Social Justice Program von Joseph Stiglitz’ Initiative for Policy Dialogue at Columbia University, ehemalige Direktorin bei der International Labour Organization (ILO) und bei UNICEF. Matthew Cummins war Senior Economist bei UNDP, UNICEF und der Weltbank (deutschsprachige Erstveröffentlichung © IPS).

Hinweis:
* Isabel Ortiz/Matthew Cummins, Global Austerity Alert. Looming Budget Cuts in 2021-25 and Alternative Pathways, Working Paper, 45 pp, Initiative for Policy Dialogue (IPD) et al.: Washington DC, April 2021. Bezug: über policydialogue.org

Empfohlene Zitierweise:
Isabel Ortiz/Matthew Cummins, Globaler Austeritätsalarm. Drohende Budgetkürzungen 2021-25, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (weltwirtschaft-und-entwicklung.org), Luxemburg, 6.5.2021.