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Neuer IWF-Geldsegen für wen?

Artikel-Nr.: DE20210806-Art.20.07-2021

Neuer IWF-Geldsegen für wen?

Allokation von Sonderziehungsrechten (SDR)

Anfang August 2021 hat der Gouverneursrat des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach mehrjährigen Diskussionen die Ausgabe neuer Sonderziehungsrechte (SDR) in Höhe von 650 Mrd. Dollar (1 US-Dollar = 0,700641 SDR) beschlossen. Der Beschluss folgt einer Vorgabe des Executive Boards vom Juni. Vorgenommen werden soll die Neuallokation am 23. August. Es ist die größte SDR-Allokation in der Geschichte des IWF. Doch es bleiben Bedenken, schreibt Rainer Falk mit Informationen von Chiara Mariotti.

Die SDR, die eine Art ausländisches Reservemedium bilden und praktisch neu geschaffenes Geld darstellen, werden an die 190 Mitgliedsländer des Fonds ungefähr nach ihrem Anteil an der Weltwirtschaft verteilt. Rund 275 Mrd. Dollar der aktuellen Allokation gehen an die Schwellen- und Entwicklungsländer, der große Rest an die größten Ökonomien der Welt. Damit verbinden sich zwei Fragen: Die erste Frage betrifft eine allgemeine Neuallokation in Höhe von 650 Dollar durch den IWF selbst. Die zweite Frage betrifft die Mechanismen, die zur Verteilung der ungenutzten SDR von den reichen an die armen Länder angewendet werden könnten.

● Die Ungleichheit des globalen Finanzsystems bleibt

Diese Fragen sind von signifikanter Bedeutung für die Erholung der Länder von der Krise, die durch die Covid-19-Pandemie ausgelöst wurde. Neue SDR werden dringend benötigte Liquidität für die mit der Rezession und wachsenden Armut kämpfenden Entwicklungsländer bereitstellen. Sie könnten auch dazu beitragen, die Erholung fairer und inklusiver zu machen, den fiskalischen Spielraum der Regierungen zu erhöhen, um in Gesundheit, Bildung, soziale Sicherung und grüne und sichere Arbeitsplätze zu investieren.

Gleichwohl unterstreichen diese Entscheidungen auch die Ungleichheiten des globalen Finanzsystems und werden wenig dazu beitragen, die strukturellen Defizite anzugehen, darunter die Lösung der öffentlichen Schuldenkrise. Es ist wichtig, diese Grenzen hervorzuheben, um unangebrachte Selbstzufriedenheit zu verhindern und Wege zur ihrer Behebung anzugehen.

● Notwendig, aber nicht ausreichend

Erstens kommt die neue SDR-Allokation mindestens ein Jahr später als gebraucht und war erst nach den letzten US-Wahlen möglich, da die Trump-Administration ihr Vetorecht im Executive Board benutzt hatte, um sie zu blockieren. Dazu gehen 60% der neuen SDR an die reichen Länder, während die Länder mit niedrigem Einkommen nur rund 1% erhalten (da die Zuteilung nach den Quoten erfolgt, die die Mitglieder im IWF halten). Das Quotensystem demonstriert deutlich seine Unfähigkeit, eine unmittelbare, demokratische und gerechte Entscheidungsfindung im IWF zu ermöglichen.

Hinzu kommt, dass die Höhe der Allokation durch politische Machbarkeitsüberlegungen bestimmt war statt durch aktuelle Notwendigkeiten. Es sind weit weniger als die SDR-Ausgabe von 3 Billionen Dollar, die beispielsweise das Europäische Netzwerk Schulden und Entwicklung (Eurodad) und über 250 Organisationen gefordert hatten, um die Entwicklungsländer bei der Erholung von der Covid-19-Krise zu unterstützen und sich in einer gerechten ökologischen Transformation zu engagieren.

Beispielsweise wäre die jetzige Summe nicht genug, um die Reserven der von Kredit-Ranking-Agenturen als nicht ausreichend kreditwürdig angesehenen Länder auf ein adäquates Niveau anzuheben oder um die Länder mit niedrigem Einkommen (LICs) mit den 450 Mrd. Dollar auszustatten, die sie nach IWF-Schätzungen in den nächsten fünf Jahren brauchen werden, um ihre Pandemie-bedingten Kosten zu begleichen. Für die meisten verschuldeten Länder wird sich die Summe der SDR, die sie bekommen, auf weniger als ihre Kosten für den Schuldendienst in 2021 belaufen.

● Mechanismen zur SDR-Kanalisierung: Gerangel hinter den Kulissen

Während die Höhe der neuen SDR-Zuteilung inzwischen feststeht, bleibt eine Menge an Unsicherheit darüber, welche Mechanismen vorgeschlagen werden, um die ungenutzten SDR der reichen Länder an die Entwicklungsländer umzuverteilen. Im April baten die G20 den IWF, ein Optionsmenü für die Kanalisierung ungenutzter SDR zu entwickeln. Im Mai rief der der französische Präsident Emmanuel Macron auf dem Gipfel über die Finanzierung afrikanischer Ökonomien dazu auf, 100 Mrd. SDR für den ‚Global New Deal‘ für Afrika auszugeben. Dann im Juni erklärten die G7, dass sie Optionen für eine globale Hebelung von 100 Mrd. Dollar für die ärmsten und verwundbarsten Ländern ‚erwägen‘.

Bislang ist das vom IWF vorgeschlagene ‚Menü‘ auf zwei Optionen begrenzt. Die erste ist ‚alter Käse‘ und besteht darin, SDR als Kredit an den ‚Poverty Reduction and Growth Trust‘ des IWF (PRGT) zu geben – eine Praxis, die einige Länder bereits nutzen, die jedoch wichtige Grenzen hat. Der PRGT stellt Kredite an LICs zur Verfügung, die hoch konzessionär sind, aber oft mit Konditionalitäten verbunden sind und letztlich neue Schulden schaffen. Dies wäre in einem Kontext, in dem sich die Entwicklungsländer allein in den nächsten fünf Jahren kollektiv mit Schuldenzahlungen von 330 Mrd. Dollar gegenüber sehen. Auch sind die PRGT-Mittel nur für eine kleine Gruppe von Ländern mit niedrigem Einkommen verfügbar und nicht für Mitteleinkommensländer und Schwellenländer, in denen Millionen armer Menschen leben. Schließlich würde dieser Weg nur einen kleinen Anteil ungenutzter SDR absorbieren; der Rest blieb für andere Zwecke.

Die zweite Option sieht die längerfristige Schaffung eines neuen ‚Resilience and Sustainability Trusts‘ beim IWF vor, der sowohl für Niedrig- als auch für Mitteleinkommensländer zugänglich wäre und ihren helfen würde, den Klimawandel zu bekämpfen oder ihr Gesundheitssystem zu verbessern. Spezifischere und grundlegende Details sind noch unbekannt, darunter die Frage ob der Trust ein laufendes IWF-Programm zur Bedingung hätte, und ob andere multilaterale Institutionen in das Management des Trusts einbezogen werden sollen, einschließlich durch die Auszahlung von Zuschüssen.

Die Geschäftsführende Direktorin des IWF, Kristalina Georgieva, hat sich am 2. August nur in sehr allgemeiner Form für die Umverteilung von SDR-Mitteln an die Entwicklungsländer ausgesprochen. Die Definition dieser Details wird jedoch kritisch sein für die Effektivität des Trusts bei der Unterstützung einer gerechten und nachhaltigen Erholung, ebenso wie bei der Beseitigung der Unzulänglichkeiten der globalen Finanzarchitektur.

Gleichwohl wurde zivilgesellschaften Organisationen bislang keine Gelegenheit gegeben, ihre Ideen zum Design eines SDR-Kanalisierungsmechanismus‘ vorzutragen. Dieser Mangel an Transparenz und Offenheit ist eine weitere verpasste Gelegenheit für offene und ehrliche Diskussionen über die Grenzen der globalen Finanzarchitektur und die notwendigen Reformen.

● Schlüsselprinzipien für eine faire und transparente Umverteilung von SDR

Bis heute haben die reichen Länder Milliarden von Dollars in Reaktion auf die Krise in ihren Ländern mobilisiert, aber versäumt, international Solidarität gegenüber den armen Ländern zu zeigen, wie etwa durch die mageren Zuwächse für Öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) und durch die knausrige Umverteilung von Impfstoffen demonstriert wird. Ihre ungenutzten SDR an die armen Länder weiterzuleiten, wäre der Beginn einer Wiedergutmachung für diese windelweiche Show internationaler Solidarität.

Weiterführend wäre es indes, wenn sie statt der Ausleihung ihrer ungenutzten SDR durch den IWF (derzeit fallen dort 0,05% Zinsen an) diese weiterreichen oder in Form von harter Währung als Zuschüsse zur Verfügung stellen würden. Diese Optionen wären etwas kostspieliger für die Geberländer, aber sie würden helfen, die durch die Pandemie verschärften Ungleichheiten zu mildern.

Wie auch von Chiara Mariotti vertreten, würde die Umwandlung der SDR-Weiterleitung in einen ‚Game changer‘ der Covid-19-Erholung Mechanismen erfordern, die fünf Schlüsselprinzipien beachten:

* Kosten- und schuldenfrei: Die Mittel sollten die nichtnachhaltige Schuldenlast der Länder nicht noch verschärfen;

* Ohne Konditionalität: die Länder sollten in der Lage sein, sie nach ihren Wünschen zu nutzen, ohne im Austausch politische Bedingungen dafür akzeptieren zu müssen;

* Transparenz und Rechenschaftspflicht sollten nicht die demokratische Ownership der Länder übergehen, sondern vielmehr die Überprüfung durch die Zivilgesellschaft stärken;

* Die Mittel sollten zusätzlich zur ODA und zu Finanzierungszusagen für den Klimaschutz fließen;

* Zugang für Mitteleinkommensländer (MICs): sie sollten auch für Länder mit mittlerem Einkommen verfügbar sein.

Schließlich kann weder die SDR-Allokation noch die Kanalisierung nichtgenutzter SDR von Industrie- an Entwicklungsländer ein Ersatz für die dringende Umsetzung von Schuldenerleichterungsmaßnahmen sein, nicht zuletzt um zu sichern, dass die zusätzlichen Ressourcen nicht an externe private Gläubiger umgeleitet werden. Entscheidende Schritte sind ebenfalls notwendig, um die globale Finanzarchitektur und das Quotensystem der Bretton-Woods-Institutionen in Richtung eines demokratischeren, gerechteren und gleicheren Systems zu reformieren.

Chiara Mariotti ist Mitarbeiterin bei Eurodad, Brüssel. Der Beitrag greift stark auf ihren Blog ‚Talking straight on SDRs‘ (eurodad.org/blog) zurück.