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Nach dem Scheitern des Welthungergipfels von Rom

Artikel-Nr.: DE20091120-Art.53-2009

Nach dem Scheitern des Welthungergipfels von Rom

Beschäftigungstherapie für NGOs

Nur im Web – Die Erwartungen an den Weltgipfel für Ernährungssicherheit in Rom waren nicht hoch. Die Abschlusserklärung lag bereits vorher fix und fertig vor. Trotzdem ist es gelungen, noch dahinter zurück zu fallen. Kein frisches Geld, keine besseren Konzepte, keine ehrgeizigen Ziele – kurzum: keine neue Substanz, wo doch zu hoffen gewesen wäre, dass angesichts der Krise jetzt ein Aufbruch erfolgen würde, kommentiert Uwe Hoering aus Rom.

Wenn der Gipfel der Versuch war, die FAO und die anderen in Rom ansässigen UN-Organisationen für Landwirtschaft und Ernährung aus dem politischen und finanziellen Abseits zurück ins Spiel zu bringen (Vorbericht: Weltgipfel für Ernährungssicherheit), war er ein Flop. Alle G8-Chefs mit Ausnahme des Gastgebers Berlusconi blieben fern. Und auch die meisten ihrer Kollegen aus der G20 folgten diesem Beispiel. Zu den ganz wenigen Ausnahmen gehörte Brasiliens Präsident Lula da Silva, dessen Programm „Fome Zero“ („Null Hunger“) erfolgreich das Ausmaß des akuten Hungers verringert hat und der als ein möglicher Nachfolger des gegenwärtigen FAO-Generaldirektors Jacques Diouf gehandelt wird.

* Das neue Komitee für Ernährungssicherheit

Wenn der Gipfel zudem der Versuch war, eine dem Ernst der Lage angemessene Kooperation zwischen den verschiedenen internationalen Organisationen und Akteuren, die sich im Agrar- und Ernährungsbereich tummeln, zu demonstrieren, dann war er ein Schlag in das Gesicht all jener, die auf ein neues Governance-System auf globaler Ebene hoffen. Beispielhaft dafür das FAO-Komitee für Ernährungssicherheit (CFS), das im Vorfeld des Gipfels reformiert und aufgewertet wurde und eine neue globale Zusammenarbeit beim Kampf gegen Hunger bringen soll. Begrüßt wurde dies nicht nur von zivilgesellschaftlichen Organisationen und vom UN-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung, De Schutter, sondern auch von zahlreichen Regierungen, darunter China, Brasilien und die meisten Entwicklungsländer.

Deklarationen von Rom

Die meisten internationalen Organisationen denken aber gar nicht daran, ihren Anspruch auf eine eigenständige Politik einzuschränken oder sich gar einem derartigen Komitee unterzuordnen. „Weiter so!“ im Nebeneinander lautet die Parole. Die Weltbank etwa, der wichtigste Konkurrent der FAO im Kampf um die Führungsrolle, nahm in ihrer Erklärung vor dem Plenum keinerlei Bezug auf das Komitee. Und alle waren sich einig, dass noch viele Verhandlungen und Diskussionen notwendig sind, bis es einmal arbeitsfähig sein wird, geschweige denn Wirkung zeigen kann.

* Ernährungssouveränität oder Ernährungssicherheit?

Die eigentlichen Gewinner dieses Gipfels, so scheint es, sind die zivilgesellschaftlichen Organisationen. Zwar war ihr „People's Forum on Food Sovereignty“ schier unauffindbar in den einstigen Schlachthof von Rom gelegt worden, der jetzt – immerhin ganz passend - ein „Zentrum für alternative Wirtschaft“ beherbergt. Und auch bei der Konferenz selbst wurden sie, Versprechungen von Partizipation hin oder her, weitgehend ausgegrenzt und ausgesperrt. Aber sie wurden hofiert wie selten zuvor, während die Agrarindustrie nahezu ganz abgetaucht war und mit einem eigenen „Private Sector Forum“ in Mailand von der FAO quasi aus der Schusslinie genommen worden war.

Der FAO-Generaldirektor persönlich eröffnete das People’s Forum mit einer leidenschaftlichen Rede, hochrangige Vertreter von Weltbank und UN kamen aus der FAO-Festung ins zugige Forums-Zelt. In der Abschlusserklärung des Gipfels finden sich wichtige Forderungen wie das Recht auf Nahrung und die Anerkennung der Bedeutung von Kleinbauern als Rückgrat für die Sicherung der zukünftigen Welternährung. Kaum ein Politiker oder Spitzenvertreter internationaler Institutionen, der nicht auf die zentrale Rolle der Zivilgesellschaft bei der Lösung der anstehenden Probleme hinweist. Bis sich die unterschiedlichen Lösungskonzepte, zugespitzt in den Begriffen „Ernährungssicherheit“ einerseits, „Ernährungssouveränität“ andererseits, angenähert haben, ist es allerdings noch ein weiter Weg. So fristete auch auf dem Gipfel der sog. Weltagrarbericht, die neue Magna-Charta der bauernbewegten Zivilgesellschaft für eine grundlegende Wende in der Entwicklung der Landwirtschaft, ein Outcast-Dasein.

Die Reform des Komitees für Ernährungssicherheit, das dereinst einmal als zentrale Steuerungsinstitution die globale Landwirtschaft- und Ernährungspolitik koordinieren und Regierungen Ratschläge geben soll, wie sie das Recht auf Nahrung verwirklichen könnten, war das wichtigste Signal dieser Annäherung zwischen globalen Institutionen und der Zivilgesellschaft. Sie baute der Zivilgesellschaft ein Treppchen nach ganz weit oben im UN-System, indem es ihnen und den Vertretern von Bauern-, Hirten- und Fischerorganisationen, von Frauen, Jugendlichen und indigenen Völkern weitgehende Mitsprachemöglichkeiten einräumt. Wenn auch unter Vorbehalt, so sind doch viele zivilgesellschaftliche Organisationen auf dieses Angebot voll abgefahren.

* Spielfeld internationale Gremienarbeit?

Die Aussichten auf größere und eventuell einflussreichere Beteiligungsmöglichkeiten in UN-System und Global Governance-Institutionen sind verlockend, besonders für die internationalen NGOs, die glauben, damit einen Fuß in die Tür der internationalen Macht zu stellen. Wenn es denn dazu kommen sollte, dann wird das ein veritabler Spagat werden zwischen einem intensiven, zeit- und arbeitsaufwändigen Engagement in internationalen Prozessen, und den Erwartungen und drängenden Forderungen ihrer Basis, den Bauern, Pastoralisten, Frauenorganisationen, die schnelle Verbesserungen angesichts einer voranstürmenden Agroindustrie und großflächiger Landnahme brauchen und nicht warten können auf die fernen Ergebnisse eines langsamen und komplexen Verhandlungsprozesses. Und die Frage sei erlaubt, ob die Stärke und die Bestimmung der zivilgesellschaftlichen Organisationen und der sozialen Bewegungen wirklich auf dem Feld der internationalen Gremienarbeit liegen?

Schließlich hat es bereits mehrere Erfahrungen mit „Participation Overkill“ gegeben. Erinnert sei an die UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD), die nach der UN-Konferenz Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro bei den UN in New York eingerichtet wurde als ein Mechanismus, der alle sog. Stakeholder, also auch die Zivilgesellschaft, einbezog. Heute siecht die CSD dahin, weitgehend ignoriert von den meisten Regierungen, ihr Einfluss tendiert gegen Null.

Ähnlich ging es mit den Armutsreduzierungsstrategien, die die Weltbank als Antwort auf die breite Kritik an der Strukturanpassungspolitik erfand und die zivilgesellschaftliche Organisationen einband, gemeinsam mit Regierungen „eigene“ nationale Armutsminderungsstrategien zu entwickelten – auch die meisten dieser Prozesse blieben weitgehend folgenlos.

Es gibt bislang wenig Anzeichen, dass es mit dem Komitee für Ernährungssicherheit wesentlich anders laufen wird. Es könnte sich rasch als ein weiterer Köder oder eine zusätzliche Beschäftigungstherapie für die Zivilgesellschaft erweisen, während die wirklichen Entscheidungen ganz woanders fallen und die Entwicklungen von ganz anderen Akteuren bestimmt werden.

Veröffentlicht: 13.11.2009

Empfohlene Zitierweise: Uwe Hoering, Nach dem Scheitern des Welthungergipfels von Rom: Beschäftigungstherapie für NGOs, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 20.11.2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).