Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Bedrohte MDGs: Klaffende Lücken

Artikel-Nr.: DE20120924-Art.47-2012

Bedrohte MDGs: Klaffende Lücken

Von der Rhetorik zur Realität und zurück?

Nur im Web - Rechtzeitig zum Beginn des Regierungschef- und Ministersegments der diesjährigen Vollversammlung hat die entwicklungspolitische Abteilung der UN ihren neuen GAP-Report zur Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) vorgelegt. Darin wird darauf hingewiesen, dass die rückläufigen Entwicklungshilfezahlungen, die derzeit verzeichnet werden, eine akute Gefährdung der Fortschritte bei der MDG-Umsetzung darstellen. Eine W&E-Zusammenfassung.

Der diesjährige Report mit dem Titel „The Global Partnership for Development: Making Rhetoric a Reality“ (s. Hinweis) beklagt, dass es keine klaren Verpflichtungen der Geberländer gibt, um den rückläufigen Trend in der Öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) umzukehren. Überhaupt hatten die UN-Exporten Schwierigkeiten, Fortschritte im Bereich der „globalen Partnerschaft“ – so werden die Nord-Süd-Beziehungen im MDB-Kontext euphorisch genannt – zu identifizieren, im Gegenteil.

* Deutliche Rückschritte

Zum ersten Mal gibt es deutliche Anzeichen von Rückschritten. Nach einem Höhepunkt 2010 ist der ODA-Betrag 2011 um drei Prozentpunkte gesunken. Hin kommt, dass die Schwierigkeiten der armen Länder auch beim Marktzugang in andere, vor allem nördliche Länder gewachsen sind. Zwar wird festgestellt, dass die Ziele der Armutsreduzierung (Halbierung der in absoluter Armut lebenden Menschen), der Wasserversorgung und der Verbesserung der sanitären Verhältnisse global erreicht wurden. Auch bei der Grundbildung und der Behandlung von HIV/AIDS gibt es deutliche Fortschritte, so dass die Autoren schlussfolgern, es bleibe möglich, die MDGs bis zum Jahre 2015 zu erreichen. Dieses optimistische Szenario setzt jedoch voraus, die Regierungen nicht von ihren vor zehn Jahren gemachten Zusagen abweichen und die internationale Unterstützung angemessen bleibt. Geschieht dies nicht, werden die MDGs in einer wachsenden Zahl von Ländern bis zum Jahr 2015 nicht mehr erreicht werden können.

* Die ODA-Lücke

Der Bericht konstatiert für die ODA eine Lücke von 167 Mrd. US-Dollar zwischen tatsächlicher Auszahlung und den zugesagten Beträgen. Die GAP-Task Force warnt, dass sich die Wirtschaftskrise verzögert auf die Haushalte der Geberländer auswirkt und diese Lücke zwischen 2013 und 2015 weiter wachsen wird. Beim G8-Gipfel 2005 in Glenaegles hatten die Geberländer sich dazu verpflichtet, bis 2010 die Hilfe für Afrika um 25 Mrd. US-Dollar pro Jahr zu steigern. Dieses Ziel ist nicht erreicht worden. Die Afrikahilfe der Länder im OECD-Ausschuss für Entwicklungshilfe ist um 18,2 Mrd. US-Dollar verfehlt worden, während die Auszahlungen an Länder im südlichen Afrika um fast 1 Prozentpunkt im Jahr 2011 gesunken sind.

Im Vorwort des Berichtes schreibt UN-Generalsekretär Ban Ki-moon: „Bei der vor kurzem beendeten Rio+20-Konferenz sind Verpflichtungen zu einer ambitionierten Agenda für nachhaltige Entwicklung eingegangen worden. Aber damit diese Versprechen glaubhaft bleiben, müssen wir vorangegangene Verpflichtungen einlösen. Als Weltgemeinschaft müssen wir Rhetorik zur Realität werden lassen und unsere Versprechen zu den Millenniumszielen einlösen.“
Der Bericht unterstreicht, dass von den 23 Geberländern im OECD-Ausschuss für Entwicklungshilfe 16 ihre Hilfsleistungen 2011 gesenkt haben, vor allem wegen finanzieller Probleme in der Wirtschaftskrise. Die größten Rückgänge sind in direkter Folge der Krise in Griechenland und Spanien zu verzeichnen, gefolgt von Österreich und Belgien auslaufender Schuldenerlasse. Starke Rückgänge bei den Geldern für Entwicklungszusammenarbeit gibt es - nach einer starken Steigerung 2010 – 2011 auch in Japan. Nur Schweden, Norwegen, Luxemburg, Dänemark und die Niederlande haben das UNO-Ziel erreicht, 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen.

Dem Bericht zufolge müsste die öffentliche Entwicklungshilfe auf 300 Mrd. US-Dollar mehr als verdoppelt werden. Die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) müssten ein Viertel dieses Betrages erhalten. In dem Bericht wird darüber hinaus beklagt, dass die Hilfsströme aus Perspektive der Empfängerländer sehr unbeständig fließen. Die Geber unternehmen keine Anstrengungen, um die Auszahlung verlässlicher zu gestalten. Diese Unbeständigkeit beeinflusst die Umsetzung von Entwicklungsprogrammen. In dem Bericht werden Geber und mulitlaterale Organisationen aufgefordert, mehrjährige Ausgabenpläne zu veröffentlichen und so für mehr Transparenz zu sorgen.

* Schuldenerlass und Handel
In dem Bericht wird die internationale Gemeinschaft für ihre Schuldenerleichterungen gegenüber den hochverschuldeten armen Entwicklungsländern (HIPCs) gelobt. Die Auslandsschulden einiger Staaten mit mittleren Einkommen sind ebenfalls gesenkt worden. Dies ist durch internationale Schulden-Restrukturierungen geschehen. Trotzdem gibt es dem Bericht zufolge 20 Länder mit niedrigem Einkommen, die sich in oder am Rande einer Schuldenkrise befinden. Da die bestehende Initiativen zum Schuldenerlass jetzt auslaufen, wird im Bericht betont, dass neue Initiativen nötig seien.

Der Task-Force-Bericht verdeutlicht auch, dass die schwierige wirtschaftliche Situation die Regierungen der Geberländer eher wieder dazu veranlasst, protektionistische Elemente in die Handelspolitik einzuführen. Trotz der Zusagen der G20-Mitglieder, diesen Versuchungen im Gefolge der globalen Finanzkrise zu widerstehen, sind nur 18% der ab 2008 eingeführten Handelsbeschränkungen wieder abgeschafft worden. Während die Lücke in diesem Bereich also 82% beträgt, betrafen die seit Beginn der Krise eingeführten protektionistischen Maßnahmen aber nur 3% des globalen Handelsvolumens.

Die Verhandlungen für ein gerechteres multilaterales Handelssystem stecken auch elf Jahre nach Beginn der Doha-Runde in einer Sackgasse. Ziel der Runde sollten bessere Chancen für Entwicklungsländer sein, im Welthandel Vorteile zu realisieren. Der Bericht empfiehlt daher, die Runde mit einem Teilergebnis abzuschließen und auf dem Prinzip des single undertaking zu bestehen, nach dem nichts beschlossen werden kann, bevor in allen Bereichen ein Konsens erzielt wurde.

* Erschwingliche Preise für wichtige Medikamente

2011 ist mehr Geld für lebenswichtige Medikamente durch globale Gesundheitsfonds bereitgestellt worden – trotz der weltweiten Wirtschaftskrise. Neue Mittel sind für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria zugesagt worden und auch für die Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung. Diese weltweiten Initiativen zur Prävention und Kontrolle bestimmter Krankheiten waren recht effektiv. Trotzdem sind größere Anstrengungen nötig, damit bereits bestehende offizielle Entwicklungsgelder nicht einfach in solche Fonds umgeleitet werden. Stattdessen müssen die Fonds selbst zu Instrumenten werden, die mehr Ressourcen generieren.

Im weiteren Sinne verdeutlicht der UN-Bericht, dass es in den letzten Jahren wenig Verbesserungen in Bezug auf Zugang und Erschwinglichkeit lebenswichtiger Medikamente in den Entwicklungsländern gegeben hat. Wichtige Medikamente sind in nur 51,8% der öffentlichen und in 68,5% der privaten Gesundheitseinrichtungen erhältlich. Medikamente in Entwicklungsländern kosten im Vergleich zum internationalen Standard fünfmal so viel. Daher haben viele Familien mit niedrigem Einkommen keinen Zugang zu einer wirksamen Behandlung, vor allem gegen chronische Erkrankungen.

* Die technologische Lücke

Im Rahmen der MDGs war auch ein besserer Zugang der Entwicklungsländer zu neuen Technologien vorgesehen. Dennoch haben dort erst 78,8% der Bevölkerung Zugang zu Mobiltelefonen (Industrieländer: 100%); es bleibt also eine Lücke von 21%. Beim Zugang zum Internet beträgt diese Lücke sogar 65%

* Empfehlungen

Der Bericht warnt eindringlich davor, die Austeritätspolitik, die die meisten Industrieländer nach einer kurzen Phase der Konjunkturstimulierung eingeschlagen haben, auf dem Rücken der Entwicklungsländer auszutragen. Während viele Steuerzahler dieser Länder immer skeptischer der zugesicherten Entwicklungshilfe gegenüber stehen, weist der UN-Bericht darauf hin, dass die ODA zum globalen Ausgleich beitrage und daher in ihrem eigenen politischen sowie wirtschaftlichem Interesse ist: „Sicherheit und Wohlergehen eines Volkes hängen letztendlich von seiner Erwartung in einen befriedigenden Lebensstandard ab“, heißt es in dem Bericht. Und: „Reiche Menschen mögen sich hinter Festungen innerhalb ihre Landes zurückziehen, reiche Länder mögen Schutzwälle gegen die unbekannte Armut errichten, letztendlich werden diese Mittel sie aber in einer hochglobalisierten nicht Welt schützen, sondern sich am Ende gegen sie richten, da sie voneinander abhängig sind“.

Haben die Märkte der Entwicklungsländer einmal eine gewisse Stärke und ein stabiles Wachstum erreicht, werden sie zu dynamischen Welthandels- und Investmentmärkten; folglich können reiche Länder nur gewinnen, wenn sich die Situation armer Länder durch ihre Hilfe verbessert. Auch wird sich der Migrationsfluss verringern, wenn in diesen Ländern Möglichkeiten für gute Jobs und angenehme Lebensbedingungen geschaffen werden.

Hinweis:
* UN-DESA: MDG Gap Task Force Report 2012. The Global Partnership for Development: Making Rhetoric a Reality, 107 pp, United Nations: New York 2012. Bezug: über www.un.org/desa

Veröffentlicht: 24.9.2012

Empfohlene Zitierweise:
W&E-Zusammenfassung, Bedrohte MDGs: Klaffende Lücken, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 24. September 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.