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Eine Strategie des Südens für Glasgow

Artikel-Nr.: DE20211039-Art.30.10-2021

Eine Strategie des Südens für Glasgow

Entwicklungsorientierung und Anpassung an den Klimawandel


Vor allem die Anpassungsfinanzierung der Entwicklungsländer an den Klimawandel muss drastisch erhöht werden, wenn die Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention vom 1. bis 12.11.2021 zur COP 26 in Glasgow zusammenkommen. Zugleich muss die Anpassung an den Klimawandel im Süden aus einer Entwicklungsperspektive angegangen werden. Dazu gehören Reformen des internationalen Finanzsystems, um mehr Anpassungsfonds in die Entwicklungsländer zu lenken. Von Rainer Falk.

Zentrale Reformen, die nötig sind, um den Süden vor einer „Öko-Entwicklungsfalle“ zu bewahren, sind nach Ansicht der Autoren des gerade veröffentlichten zweiten Teils des Trade & Development-Reports 2021 (s. Hinweis):

* die Abschaffung der Austerität als überkommener Rahmen zum Management aggregierter Nachfrage und ihre Ersetzung durch investitionsfreundliche Politiken;

* großangelegte öffentliche Investitionen in den Aufbau einer diversifizierten Niedrig-Karbon-Wirtschaft, die durch erneuerbare Energien und grüne Technologien ausgestattet und in der die wirtschaftlichen Aktivitäten innerhalb und zwischen Sektoren durch ressourceneffiziente Linkages miteinander verbunden sind;

* der Übergang zu einer grünen Industriepolitik, die proaktiv die Bereiche mit den bezeichnendsten Engpässen bei der Klimaanpassung identifiziert, öffentliche und private Investitionen in diese Bereiche lenkt und darauf achtet, dass diese Investitionen in einer Weise gemanagt werden, die gute Beschäftigung sichert und langfristig die Klimasicherheit und die Produktivität erhöht;

* Übergang zu einer grünen Agrarpolitik, die die Kleinproduzent*innen schützt, für eine grüne Industrialisierung Backward- und Forward-Linkages bereit stellt, die Umwelt schützt und Nahrungsmittelsicherheit durch höhere Agrarproduktivität und Einkommenssicherheit fördert;

* Nutzung erneuerbarer Energieproduktion und der Kreislaufwirtschaft, um die Abhängigkeit von unverarbeiteten Rohstoffen zu diversifizieren und zu verringern. Erneuerbare Energieproduktion kann wirtschaftlich in kleinem Rahmen stattfinden und so auch wirtschaftliche Chancen für kleine Unternehmen und ländliche Regionen eröffnen.

● Die Schuldenkrise gehört auf die Klimaagenda

Kurz vor COP 26 ruft UNCTAD zu einem transformativen Ansatz der Klimaanpassung auf, wobei die fortgeschrittenen Länder sicherstellen sollen, dass die multilateralen Institutionen die Entwicklungsländer dabei unterstützen können, den Druck des Klimawandels zu managen, ohne ihre Entwicklungsziele zu kompromittieren.

Schätzungen zeigen, dass die jährlichen Kosten der Klimaanpassung in den Entwicklungsländern im Jahre 2030 300 Mrd. Dollar betragen können, und wenn die Minderungsziele gebrochen werden, bis 2050 bereits 500 Mrd. Dollar. Doch die derzeitige Finanzierung liegt unter einem Viertel der Zahl von 2030. Der Report warnt, dass die Nutzung privater Finanzierung dem Bedarf oder den am meisten bedürftigen Ländern nicht gerecht wird. Das Mindeste, was Glasgow bringen muss, ist die Erfüllung des 100-Mrd.-Dollar-Ziels pro Jahr für den Grünen Klimafonds, meint UNCTAD-Generalsekretären Rebeca Grynspan.

Dabei sollten auch Reformen in die Klimaagenda aufgenommen werden, die sonst eher im entwicklungspolitischen Kontext diskutiert werden:

* Die Verpflichtungen zur Öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) müssen erfüllt und überschritten werden, um den Anteil der zusätzlichen Finanzierung für die Anpassung an den Klimawandel und die Ausbildung von Resilienz zu erhöhen. Hätten die G7-Länder das 0,7%-Ziel im Jahre 2020 erfüllt, wären zusätzlich 155 Mrd. Dollar verfügbar gewesen, um die Entwicklungsziele umzusetzen.

* Schuldenerleichterung und –Restrukturierung für Entwicklungsländer sollten förmlich auf die Klimaagenda gesetzt werden. Ein offensichtlicher Startpunkt wären die Schulden der am meisten klimaverwundbaren Gruppe von Ländern (V20), doch die Verbindungen zwischen Klima- und Schuldenkrise unterstreicht die Notwendigkeit einer systematischeren Reform der internationalen Schuldenarchitektur.

* Die multilateralen Entwicklungsbanken brauchen zusätzliches Kapital, um Klimaanpassung durch Zuschüsse und extrem konzessionäre Kredite zu finanzieren. Dazu könnte eine grüne Anleihe und eine Steuer à la Tobin oder auch die Abschaffung der Subventionierung fossiler Brennstoffe dienen.

* Auch grüne Bondmärkte könnten der langfristigen Finanzierung dienen. Allerdings hinkt die Regulierung hinter dem Wachstum dieser Märkte hinterher, und allenthalben grassiert das ‚Greenwashing‘. Angesichts des Ausmaßes der Herausforderung muss ein Regulierungssystem für die grünen Bondmärkte durch ein korrespondierendes Niveau der Finanzierung und personellen Ausstattung auf nationaler und internationaler Ebene unterstützt werden.

● Nutzung des Handels für Klimaanpassung?

UNCTAD befürchtet, dass viele Reforminitiativen, wie sie derzeit für das internationale Handelssystem diskutiert werden, die tiefen Spaltungen und Asymmetrien herunterspielen, die die derzeitige globale Ökonomie strukturieren. Ihr neuer Report vermutet, dass nationale Handelspolitik bestenfalls eine ergänzende Rolle bei der Erreichung der Klimaziele spielen kann, während schwach gestaltete internationale Handelsregeln die grüne Transformation behindern werden.

Eine Erweiterung des politischen Spielraums mit rechtlichen Instrumenten wie Aussetzungsregeln und Friedensklauseln in der Welthandelsorganisation (WTO) kann Entwicklungsländer besser dabei unterstützen, Kapazitäten für die Realisierung von Klimazielen zu entwickeln. UNCTAD warnt davor, dass der Druck zur Handelsliberalisierung bei Umweltgütern und –dienstleistungen vor allem den Exporteuren in den Industrieländern nützen und die fiskalischen Spielräume in den Entwicklungsländern weiter beschneiden wird.

● Arme Länder müssen mit jährlichen Verlusten von 15 Mrd. Dollar rechnen

Die UNCTAD-Autoren schätzen, dass Entwicklungs- und am wenigsten entwickelte Länder pro Jahr 15 Mrd. Dollar an Zolleinkünften verlieren werden, wenn dieser Ansatz verfolgt wird. Sie sind skeptisch gegenüber dem Carbon Border Adjustment Mechanism (CDAM; einer Art Importrestriktion gegenüber Kohlenstoffintensiven Einfuhren), der in vielen Entwicklungsländern nur den Schaden des Klimawandels verstärken würde, indem er ihre Exportkapazitäten unterminiert und eine strukturelle Transformation schwieriger macht.

Ginge es nach den UNCTAD-Vertreter*innen, sollten kritische grüne Technologien als öffentliche Güter klassifiziert werden und der Zugang dazu erschwinglich für alle sein. Die internationale Gemeinschaft könnte Initiativen zur Reform der geistigen Eigentumsrechte unterstützen, etwa durch die Erweiterung der Flexibilitäten im Abkommen für handelsbezogene Aspekte der Internationalen Eigentumsrechte (TRIPS) für Entwicklungsländer bei klimarelevanten Gütern und Dienstleistungen, wie es in der Ministerdeklaration der WTO zu TRIPS und Klimawandel festgehalten wird. Dies könnte eine innovative Grundlage für die Förderung des Zugangs zu patentierten kritischen grünen Technologien bilden, um Anpassungs- und Minderungsbestrebungen zu unterstützen.

● Mehr als ein Risikogeschäft

Meistens hat sich das Agenda-Setting der Klimadebatte auf die Minderung konzentriert, während die Anpassung der kleinere Bruder blieb. Das erweist sich als kurzsichtig und zunehmend kostspielig, vor allem für die Entwicklungswelt, wo Klimaschocks besonders schädlich sind für das Wachstum und die Regierungen zwingen, knappe Ressourcen von produktiven Investitionen abzuzweigen.

Auf allen Ebenen der Entwicklung lautete der Ratschlag, die Resilienz gegenüber Schocks zu stärken durch bessere Datenerhebung und Risikoabschätzung, um die vorhandenen Anlagen zu schützen und zeitweise Unterstützung im Falle von auftretenden Schocks zur Verfügung zu stellen. Doch der Report argumentiert, dass Anpassung weniger eine Frage des Risikomanagements ist, sondern eine Frage der Entwicklungsplanung. Risikomanagement kann teilweise Erleichterung bei Klimaunbilden bieten, aber bewahrt auch Strukturen, die die Entwicklungsländer in einem Zustand der andauernden Verwundbarkeit belassen und zukunftsweisendere Optionen verunmöglichen.

Nach Richard Kozul-Wright, dem Direktor der UNCTAD-Abteilung für Globalisierung und Entwicklungsstrategien und Hauptautor des Reports, „sind Klimaanpassung und Entwicklung unauflöslich miteinander verknüpft, und politische Anpassungsbestrebungen müssen dies anerkennen, um nachhaltige und durchschlagende Auswirkungen zu haben.“ Die einzige dauerhafte Lösung ist für ihn die „Errichtung widerstandsfähiger Ökonomien in einem Prozess der strukturellen Transformation und die Reduzierung der Abhängigkeit der Entwicklungsländer von klimasensiblen Produkten.“

● Umbau des Entwicklungsstaats

Die UNCTAD-Autoren schlagen als besten Weg nach vorne einen ‘umgebauten’ Entwicklungsstaat vor, der zur Umsetzung grüner Industriepolitiken in der Lage und mit den lokalen wirtschaftlichen Umständen vertraut ist. Erneuerbare Energieproduktion und Kreislaufwirtschaft könne auch im kleinen Rahmen stattfinden. Dies könnte im Gegenzug die Steuerbasis erweitern und die heimische Mobilisierung von Entwicklungsfinanzierung fördern. Gleichwohl müsse dies unterstützt werden durch aktivere Zentralbanken, engagierte öffentliche Banken und strategische Fiskalpolitiken.

Angesichts der systemischen Natur der Anpassungsherausforderung und der Notwendigkeit, gerechtere Ergebnisse zu sichern, muss der Entwicklungsstaat ein Regulierer und Koordinator privater grüner Finanzen und weit mehr sein als ein einfaches Risikoinstrument. Da die Zentralbanken überall auf der Welt in der Lage waren, den Regierungen in der Covid-19-Pandemie zu helfen, bietet nun die Erholung nach der Pandemie die Chance, den gleichen Weg bei der Unterstützung von klimarelevanten Investitionen zu verfolgen.

Hinweis:
* UNCTAD: Trade and Development Report 2021: From Recovery to Resilience: The Development Dimension, 40th Anniversary Edition, Report by the secretariat of the United Nations Conference on Trade and Development, Chapter III-V, 83 pp, Geneva-New York 2021. Bezug: über unctag.org