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Für eine faire Besteuerung internationaler Konzerne

Artikel-Nr.: DE20210302-Art.01-01-2021

Für eine faire Besteuerung internationaler Konzerne

Ein Offener Brief an Joe Biden

Zu lange haben es internationale Institutionen nicht vermocht, eine der schädlichsten Aspekte der Globalisierung zu bearbeiten: Steuervermeidung und Steuerflucht von multinationalen Konzernen. Faire Besteuerung der Multinationalen muss eine zentrales Element jeden Steuersstems sein, das das ökonomische Wachstum antreiben und hohe Lebemsstandards für alle schaffen will, schreiben José Antonio Ocampo, Joseph E. Stiglitz und Jayati Gosh.

Lieber Präsident Biden,

die Welt hat Ihre Wahl und Ihr Bekenntnis dazu, ein diplomatisches Engagement mit der internationalen Gemeinschaft wieder ins Zentrum der US-Außenpolitik zu stellen, begrüßt. Durch Mobilisierung von Regierungen zur Schaffung der Voraussetzungen für eine gerechte und ökologisch nachhaltige globale Wirtschaftserholung unter Ihrer Führung können Sie zu transformativen Veränderungen ermutigen.

Die internationalen Institutionen haben es zu lange versäumt, sich mit einem der schädlichsten Aspekte der Globalisierung zu befassen: der Steuervermeidung und -hinterziehung durch multinationale Konzerne. Eine faire Besteuerung der Multis ist nötig, um die Art von Gesellschaften hervorzubringen, die wir erstreben; sie muss ein zentraler Bestandteil jedes progressiven Steuersystems sein, das darauf zielt, das Wirtschaftswachstum zu steigern und hohe Lebensstandards für alle hervorzubringen. Die Beendigung der Steuervermeidung durch die Konzerne ist zudem eine der besten Methoden, um den Wildwuchs der Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen zu bekämpfen.

Verlagerung der Gewinne in Steueroasen

Durch Verlagerung ihrer Gewinne in Steueroasen entziehen große Unternehmen den Regierungen weltweit mindestens 240 Milliarden Dollar jährlich an Haushaltseinnahmen. Dieser Ausfall betrifft nicht nur die Vereinigten Staaten, wo jedes Jahr rund 50 % der von US-Multis erwirtschafteten Auslandsgewinne in Steueroasen überwiesen werden, sondern auch den globalen Süden, dessen Einnahmequellen begrenzter sind und dessen Abhängigkeit von Einnahmen aus der Unternehmensbesteuerung zur Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen daher größer ist.

Als Mitglieder der Unabhängigen Kommission zur Reform der Besteuerung internationaler Unternehmen (ICRICT) drängen wir Sie, Ihr Versprechen zu erfüllen, „die internationalen Bemühungen anzuführen, das globale Finanzsystem transparenter zu machen, illegale Steueroasen zu bekämpfen, gestohlene Vermögenswerte zu beschlagnahmen und es Politikern, die ihre Bevölkerungen bestehlen, zu erschweren, sich hinter anonymen Scheinfirmen zu verstecken“. Hierzu sollte sich Ihre Regierung aktiv an den laufenden Bemühungen zur Überarbeitung des internationalen Steuersystems beteiligen, um eine faire Besteuerung multinationaler Unternehmen sicherzustellen. Dies wird derzeit innerhalb des von der G20 verfügten OECD-Prozesses diskutiert.

Stockende OECD-Verhandlungen

Leider laufen diese Verhandlungen bisher nicht gut. Die Regierungen führender Mitgliedstaaten (darunter die vorherige US-Regierung) haben ihre Verhandlungen unter der fehlgeleiteten Annahme geführt, dass ihrem nationalen Interesse am besten durch Schutz der innerhalb ihrer Grenzen ansässigen multinationalen Unternehmen gedient ist. Die Gespräche über die Reform der internationalen Besteuerung haben daher das gemeinsame Ziel dem kleinsten gemeinsamen Nenner geopfert.

Die multinationalen Unternehmen vermeiden derweil weiterhin Steuern, die zur Finanzierung der öffentlichen Aufwendungen zur Unterstützung einer Erholung im Gefolge der Pandemie beitragen könnten. Die Welt kann sich dies nicht leisten.

Es wurde im Rahmen des Verhandlungsprozesses nichtsdestotrotz eine Einigung erzielt, wonach multinationale Konzerne als einheitliche Unternehmen zu betrachten sind. Dies bedeutet, dass ihre weltweiten Gewinne im Einklang mit ihren realen Aktivitäten in jedem Land besteuert werden sollten. In den USA, wo Konzerngewinne den unterschiedlichen Staaten nach einer bestehenden Formel gemäß den zentralen gewinnerzeugenden Faktoren – Beschäftigung, Umsatz und Aktiva – zugeordnet werden, ist dies ein vertrautes Konzept. Doch wendet der aktuelle Vorschlag dieses Zuordnungskriterium nur auf einen kleinen Teil der globalen Gewinne eines Unternehmens an – insbesondere jener hochgradig digitalisierten multinationalen Unternehmen, die überwiegend in den USA ansässig sind.

Der elektronische Handel ist während der Pandemie um fast ein Drittel gewachsen, und es ist wichtig, dass nicht nur digitale multinationale Unternehmen, sondern die digitalen Geschäftsbereiche aller multinationalen Unternehmen ihren fairen Anteil an Steuern bezahlen. Es sollte daher eine ehrgeizige und umfassende Reform verabschiedet werden, um das US-System auf internationaler Ebene nachzubilden, ohne dass dabei zwischen digitalen und nicht digitalen Unternehmen unterschieden wird. Eine derartige Regel würde dazu beitragen, fairere Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, Verzerrungen abbauen, die Möglichkeiten zur Steuervermeidung begrenzen und multinationalen Unternehmen und Anlegern Sicherheit bieten.

Globale Mindeststeuer gegen schädlichen Steuerwettbewerb

Dieses System sollte durch eine globale Mindeststeuer für multinationale Unternehmen gestützt werden, die dem schädlichen Steuerwettbewerb zwischen Ländern ein Ende macht und den Anreiz für multinationale Unternehmen, Gewinne in Steueroasen zu verschieben, verringert. Doch könnte sich der derzeit bei der OECD und anderswo diskutierte Mindestsatz von 12,5 % zur globalen Obergrenze entwickeln; in diesem Fall würde die lobenswerte Initiative, die multinationalen Unternehmen zur Zahlung ihres fairen Anteils an Steuern zu verpflichten, letztlich das Gegenteil bewirken.

Ihre Wahlkampagne umfasste das Versprechen, den US-Mindeststeuersatz auf Auslandserträge von US-Unternehmen (auch als „GILTI“ bezeichnet) auf 21 % zu erhöhen. Diese Maßnahme hätte nicht nur den Vorteil, die Haushaltsmittel Ihres Landes zu erhöhen; sie würde zudem den Politikern in anderen Ländern die politische Unterstützung bieten, dies ebenfalls zu tun.

Eine ehrgeizige globale Mindestbesteuerung könnte eine Wende im Kampf gegen die Steuervermeidung bringen. Wenn sich die G20-Länder auf die Einführung einer Mindest-Körperschaftsteuer von 25 % (wie die ICRICT sie vorschlägt) auf die weltweiten Einnahmen ihrer multinationalen Unternehmen einigen würden, würden mehr als 90 % der weltweiten Gewinne automatisch mit 25 % oder mehr besteuert. Natürlich ist es zugleich unverzichtbar, dass eine derartige Steuer so konzipiert ist, dass sie die Besteuerungsrechte zwischen den Heimat- und Gastgeberländern der Unternehmen fair zuteilt.

US-Finanzministerin Janet Yellen hat bei ihrer Bestätigungsanhörung erklärt, Ihre Regierung freue sich darauf, „aktiv mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten“, um zu „versuchen, den bisherigen zerstörerischen weltweiten Unterbietungswettbewerb bei der Unternehmensbesteuerung zu beenden“. Es gibt keine Hinweise darauf, dass der jüngste Trend hin zu niedrigeren Körperschaftsteuersätzen zu produktiven Investitionen und Wachstum angeregt hätte. Die Steuersenkung des Jahres 2017 in den USA finanzierte hautsächlich Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe.

Einkommenssteuer gegenüber den Reichen

Die Unternehmensbesteuerung besteuert faktisch den Reingewinn der Unternehmen; daher hat eine Senkung des Steuersatzes kaum Auswirkungen auf die Wirtschaftsaktivität. Anders ausgedrückt: Unternehmenssteuern sind im Wesentlichen eine Quellensteuer auf Dividenden und daher eine Einkommensteuer gegenüber den Reichen, weil Aktienbesitz (direkt oder indirekt, etwa im Rahmen von Pensionsfonds) noch ungleicher verteilt ist als Einkommen.

Wir bitten Sie, sicherzustellen, dass die USA einmal mehr durch die Kraft ihres Beispiels führen und mit anderen Ländern zusammenarbeiten, die bereit sind, eine umfassende Reform umzusetzen, die fair für die USA und die übrige Welt ist. Bis zur Verabschiedung einer derartigen fairen Reform sind Handelssanktionen gegen Länder, die sich bereits entschieden haben, digitale Unternehmen zu besteuern – darunter viele Entwicklungsländer, die zusätzliche Einnahmen verzweifelt benötigen –, kontraproduktiv.

Ein neuerliches Engagement im multilateralen System bei gleichzeitiger Akzeptanz eines schwachen internationalen Kompromisses zur Besteuerung multinationaler Unternehmen wird das Vertrauen in das System weiter aushöhlen, statt es wiederherzustellen. Es liegt komplett in unserer Macht, eine postpandemische Welt aufzubauen, die nachhaltiger, stärker von Zusammenarbeit geprägt und fairer ist und in der multinationale Unternehmen die Steuern zahlen, die sie zahlen sollten. Die ICRICT wäre geehrt, Ihre Regierung bei der Erreichung dieses wichtigen Ziels zu unterstützen.

José Antonio Ocampo war Finanzminister in Kolumbien und UN-Untergeneralsekretär; er lehrt an der Columbia-Universität und ist Vorsitzender der Independent Commission for the Reform of International Corporate Taxation. Joseph E. Stiglitz ist Nobelpreisträger für Ökonomie und Professer an der Columbia-Universitär; er war Chefökonom der Weltbank und Vorsitzender des US President’s Council of Economic Advisers. Jayati Ghosh ist Exekutivsekretärin von International Development Economics Associates und Professorin an der University of Massachusetts Amherst sowie Mitglied der Independent Commission for the Reform of International Corporate Taxation.

Dieser Kommentar wurde außerdem von Edmund Valpy Fitzgerald, Kim Jacinto-Henares, Eva Joly, Ricardo Martner, Suzanne Matale, Léonce Ndikumana, Irene Ovonji-Odida, Thomas Piketty, Magdalena Sepúlveda Carmona, Wayne Swan und Gabriel Zucman unterzeichnet.