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Klimawandel: Alarmstufe Rot für die Menschheit

Artikel-Nr.: DE20210815-Art.22.07-2021

Klimawandel: Alarmstufe Rot für die Menschheit

IPCC-Bericht warnt vor globaler Katastrophe

Ein Meilenstein-Report über die Gefahren des Klimawandels sagt eine verheerende Zukunft für die gesamte Welt voraus. Die vom Internationalen Panel zum Klimawandel (IPCC) verfasste und am 9. August 2021 veröffentlichte Studie warnt u.a. davor, dass die Erderwärmung noch im 21. Jahrhundert 1,5 und 2° C überschreiten wird, wenn keine radikalen Reduktionen des CO2-Ausstosses vorgenommen werden. Viele Veränderungen werden irreversibel sein. Ein W&E-Feature.

Die Erkenntnisse werden präsentiert im Politischen Summary der IPCC-Arbeitsgruppe I (WG I), das nach elftägigen Detailverhandlungen angenommen wurde. Der WG I-Bericht ist der erste von drei Arbeitsgruppenberichten, die zum 6. Assessment-Report (AR6) des IPCC beitragen sollen. WG II schätzt die Bedeutung, Anpassung und Verwundbarkeit ein, WG III die Optionen zur Minderung des Klimawandels. Rund 300 Delegierte, Wissenschaftler und Politiker waren an der Erarbeitung beteiligt.

● Irreversibler Wandel

Der neue IPCC-Bericht lenkt die Aufmerksamkeit lenkt die Aufmerksamkeit auf die Warnung, dass „die Temperatur an der Erdoberfläche bis mindestens 2050 weiter ansteigen werde und viele der auf die vergangenen oder künftigen Treibhausgas-Emissionen (GHG) zurückgehenden Veränderungen für Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende unumkehrbar sein werden, vor allem Veränderungen in den Ozeanen, an den Eisschilden und am globalen Meeresspiegel. Aus einer physisch-wissenschaftlichen Perspektive erfordert die Begrenzung der menschengemachten globalen Erwärmung auf ein bestimmtes Niveau mindestens eine Rückführung der Netto-Emissionen von CO2 auf Null und starke Reduktionen bei anderen GHG-Emissionen.

Der WG-I-Bericht zeigt ebenfalls auf, dass

* menschlicher Einfluss das Klimasystem aufgeheizt hat;

* weitreichende und schnelle Veränderungen des Klimas stattgefunden haben;

* die Reichweite dieser jüngsten Veränderungen seit vielen Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden präzedenzlos ist;

* mit weiterer globaler Erwärmung neue Veränderungen einher gehen, mit Extremen wie schwerem Niederschlag, der häufiger wird und an Intensität zunimmt;

* die globale Oberflächentemperatur nach allen berücksichtigten Emissionsszenarien bis mindestens zur Mitte des Jahrhunderts steigen wird;

* in den kommenden Jahrzehnten 1,5 und 2° C überschritten werden, wenn keine radikalen Reduktionen bei CO2 und anderen GHG-Emissionen stattfinden und

* die Effekte starker, schneller und nachhaltiger Emissionsreduktionen auf die Trends der globalen Oberflächentemperatur erst nach rund 20 Jahren spürbar sein werden.

● UN-Generalsekretär Antonio Guterres: Vor einem globalen Desaster

Für UN-Generalsekretär Antonio Guterres markieren die Ergebnisse des Berichts eine „rote Linie für die Menschheit“ – einen Weckruf angesichts eines bevorstehenden Desasters. „Die Alarmglocken werden ohrenbetäubend und die Belege sind unbestreitbar: Treibhausgas-Emissionen durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und Waldvernichtung schockieren unseren Planeten und setzen Milliarden Menschen einem unmittelbaren Risiko aus. Die globale Aufheizung betrifft jede Region der Erde, wobei viele Veränderungen irreversibel werden“, warnte Guterres.

Das international vereinbarte Oberziel von 1,5° C ist gefährlich nahe. „Wir sind unmittelbar vor dem Risiko, die 1,5° C in naher Zukunft zu erreichen. Der einzige Weg, der Überschreitung dieser Schwelle zuvor zu kommen, besteht darin, unsere Anstrengungen zu verstärken und den ambitioniertesten Weg zu verfolgen. Wir müssen jetzt entschieden handeln, um das 1,5-Ziel am Leben zu erhalten.“

Unterdessen, so Guterres, muss 2021 „das Jahr des Handels sein“, und so ruft er zu einer Anzahl „konkreter Fortschritte“ auf, bevor die Länder zu COP26 zusammenkommen – der 26. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC). „Die Länder müssen ehrgeizige, neue national vereinbarte Beiträge (NDCs) vorlegen, wie im Pariser Abkommen beschlossen. Ihre Klimapläne für die nächsten zehn Jahre müssen viel effizienter werden.

Wir haben bereits 1,2° C, und die Tendenz steigt. Die Erwärmung hat sich in den  letzten Dekaden beschleunigt. Jeder Bruchteil eines Grades zählt. Die Konzentration des Treibhausgases ist auf einem Rekordniveau. Extreme Wetter- und Klimakatastrophen nehmen an Häufigkeit und Intensität zu. Deshalb ist die diesjährige Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Glasgow so wichtig.“

Guterres wies auch darauf hin, dass „die Überlebensfähigkeit unserer Gesellschaften von den führenden Persönlichkeiten in Regierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft abhängt und von deren Vereinigung hinter Politiken, Handlungen und Aktionen, die den Temperaturanstieg auf 1,5° C begrenzen. Wir sind dies der gesamten Menschenfamilie schuldig, insbesondere den ärmsten und verwundbarsten Gemeinschaften und Nationen, die am härtesten getroffen werden, obwohl sie am wenigsten verantwortlich sind für den heutigen Klimanotstand.“

Die Lösungen sind klar, argumentierte er. „Inklusive und grüne Volkswirtschaften, Wohlstand, sauberere Luft und bessere Gesundheit sind für alle möglich, wenn wir auf diese Krise mit Solidarität und Mut antworten.“ Alle Nationen, besonders die G20 und andere Hauptemittenten müssen sich der Netto-Null-Emissionskoalition anschließen und ihre Verpflichtungen mit glaubwürdigen, konkreten und stärkeren National bestimmten Beiträgen und Politiken noch vor COP26 in Glasgow verstärken.

● Oxfam International: Es gibt keinen Plan B

In Reaktion auf den neuen IPCC-Bericht erklärte die Oxfam-Verantwortliche für Klimapolitik, Nafkote Dabi: „Inmitten einer Welt, die in Teilen brennt, in Teilen ertrinkt und in Teilen hungert, ist das der dringlichste Weckruf an die globale  Industrie, von Öl, Gas und Kohle auf Erneuerbare umzustellen. Die Regierungen müssen per Gesetz diesen dringenden Wandel erzwingen. Die Bürger müssen ihre eigene politische Macht und ihr Verhalten nutzen, um große umweltverschmutzende Konzerne und Regierungen in die richtige Richtung zu drücken. Es gibt keinen Plan B.

Die höchste Ebene des politischen und wissenschaftlichen Konsenses der Welt, das IPCC, beschreibt die kleinste Chance, die globale Erwärmung bei 1,5° C zu halten und den Ruin des Planeten abzuwenden. Es gibt die Agenda für einen Leben-oder-Tod-Gipfel in Glasgow gegen Ende dieses Jahres vor. Dieser Bericht ist ein noch unanfechtbarerer Beweis dafür, dass der Klimawandel jetzt stattfindet und dass die globale Erwärmung bereits heute einer der schädlichsten Treiber von Hunger und Not, Migration, Armut und Ungleichheit überall auf der Welt ist.

In den letzten Jahren hat es bereits mit 1° C globaler Erwärmung tödliche Zyklone in Asien und Zentralamerika, Fluten in Europa und Großbritannien, riesige Heuschreckenschwärme in Afrika und präzedenzlose Hitzewellen und wilde Brände in den USA und Australien gegeben – alles beschleunigt durch den Klimawandel. In den letzten zehn Jahren wurden mehr Menschen durch wetterbedingte Katastrophen zum Verlassen ihrer Häuser gezwungen, als durch irgendeinen anderen Grund – 20 Millionen pro Jahr oder eine Person alle zwei Sekunden. Die Zahl der klimabedingten Katastrophen hat sich in 30 Jahren verdreifacht. Seit 2000, schätzt die UN, sind 1,23 Millionen Menschen gestorben und 4,2 Milliarden wurden von Dürren, Überschwemmungen und wilden Bränden betroffen.

● Klimaungleichheit

Das reichste 1% der Weltbevölkerung, nahezu 63 Millionen Menschen, ist verantwortlich für mehr als doppelt so viel Karbonverschmutzung wie die 3,1 Milliarden Menschen, die die ärmste Hälfte der Menschheit ausmachen. Die Menschen mit Geld und Macht werden in der Lage sein, sich einen gewissen Schutz gegen die Effekte der globalen Erwärmung zu kaufen, jedenfalls länger als Menschen ohne diese Privilegien und Ressourcen – doch nicht für immer. Niemand ist sicher. Dieser Report macht klar, dass wir jetzt in einem Stadium sind, in dem Selbstverteidigung entweder kollektiv funktioniert oder scheitert.

Die globale Erwärmung ist heute ein Grundfaktor hinter allen großen Regressionen der menschlichen Entwicklung. Die Haupttreiber der globalen Erwärmung – d.h. reiche Länder, die massiven Wohlstand durch die Verbrennung fossiler Stoffe angehäuft haben – müssen ihre Emissionen als erste, am schnellsten und weitgehendsten kürzen. Sie müssen darüber hinaus ihre Klimaschulden bei den Entwicklungsländern durch die Aufstockung ihrer Finanzen für deren Anpassung an die Effekte des Klimawandels und den Übergang zu sauberer Energie bezahlen. Andere Hauptverschmutzer erhalten keinen Freifahrschein und müssen ihre Emissionen ebenfalls drastisch kürzen. Die Welt hat viel zu gewinnen in Bezug auf menschlicher Sicherheit, Entwicklung, Chancen und Jobs, wenn eine globale Ökonomie mit Erneuerbaren läuft und, ebenso viel zu verlieren, wenn sie das schmutzige Business-as-usual fortsetzt.

Sehr wenige Nationen – und keine der wohlhabenden – haben Klimapläne vorgelegt, die konsistent sind mit einer Erwärmung von unter 2° C, geschweige denn von 1,5° C. Wenn die globalen Emissionen weiterhin wachsen, könnte die 1,5-Schwelle schon am Beginn der nächsten Dekade überschritten werden. Der IPCC-Report muss deshalb die Regierungen dazu anspornen, zusammenzuarbeiten und eine fairere und grünere Weltwirtschaft aufzubauen, um sicherzustellen, dass die Welt unterhalb von 1,5° C Erwärmung bleibt. Sie müssen das in Glasgow festzurren. Die Regierungen der reichen Länder müssen ihr 100 Mrd. Dollar-pro-Jahr-Versprechen umsetzen, um den ärmsten Ländern im Kampf gegen die Klimakrise zu helfen. Für Oxfam sind sie nicht nur mit ihren Versprechungen gescheitert, sondern auch mit ihren aufgeblasenen Berichten, die ihre Beiträge dreifach aufgebläht haben.“

Hinweis:
* IPCC: Climate Change 2021. The Physical Science Basis, 3949 pp, Working Group I contribution to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, Geneva 2021. Bezug: ipcc.ch/report/. Desweiteren wurden zusätzliche Dokumente der Vereinten Nationen und von Oxfam International verwendet.