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Nach dem Finanzdebakel in Glasgow

Artikel-Nr.: DE20211202-Art.13.11-2021

Nach dem Finanzdebakel in Glasgow

Ein regelbasierter Neuansatz statt Freiwilligkeit!

Die Ergebnisse der UN-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) bleiben weit hinter dem zurück, was für einen sicheren Planeten als notwendig erachtet wird. Und das liegt vor allem an demselben Mangel an Vertrauen, der die globalen Klimaverhandlungen seit fast drei Jahrzehnten belastet. Die Entwicklungsländer betrachten den Klimawandel als eine Krise, die größtenteils von den reichen Ländern verursacht wird, die sich ihrer Ansicht nach auch vor ihrer historischen und aktuellen Verantwortung für die Krise drücken. Von Jeffrey D. Sachs.

Aus Sorge, am Ende allein die Zeche zahlen zu müssen, haben viele wichtige Entwicklungsländer, wie z. B. Indien, wenig Lust zu verhandeln oder Strategien zu entwickeln. Sie haben nicht ganz Unrecht – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Das schlampige Verhalten der Vereinigten Staaten über drei Jahrzehnte hinweg ist ihnen nicht entgangen. Trotz der gelobten Appelle von Präsident Joe Biden und seines Klimabeauftragten John Kerry, etwas zu unternehmen, ist es Biden nicht gelungen, den US-Kongress zur Verabschiedung eines Standards für saubere Energie zu bewegen.

● Unter der Knute von Big Oil und Big Coal

Biden kann sich über China beschweren, so viel er will, aber nach 29 Jahren Untätigkeit des Kongresses, seit der Senat 1992 die UN-Klimarahmenkonvention ratifiziert hat, sieht der Rest der Welt die Wahrheit: Amerikas entzweiter und korrupter Kongress befindet sich nach wie vor unter der Knute von Big Oil und Big Coal.

Die Finanzierung steht im Mittelpunkt der geopolitischen Uneinigkeit über den Klimawandel. Die Entwicklungsländer stehen bereits unter zahllosen Belastungen: die Covid-19-Pandemie, die schwache Binnenwirtschaft, die immer häufigeren und schwereren klimabedingten Katastrophen, die vielfältigen Störungen des digitalen Zeitalters, die Spannungen zwischen den USA und China und die hohen Kosten für internationale Kredite. Sie sehen, wie sich die reichen Länder auf den Kapitalmärkten Billionen von Dollar zu Zinssätzen nahe Null leihen, während sie 5 - 10 % zahlen müssen, wenn sie überhaupt Kredite aufnehmen können. Kurzum, sie müssen mit ansehen, wie ihre Gesellschaften noch weiter hinter einige wenige Länder mit hohem Einkommen zurückfallen.

Vor diesem Hintergrund großer wirtschaftlicher Ängste erleben die Entwicklungsländer, dass die reichen Länder sich weigern, offen über die Finanzierungskrise zu sprechen, in der sich die Entwicklungsländer befinden, wenn es um die Eindämmung des Klimawandels und die Anpassung an den Klimawandel oder andere dringende Bedürfnisse geht. Sie sehen, dass die reichen Länder als Reaktion auf Covid-19 etwa 20 Billionen Dollar zusätzlich für ihre eigene Wirtschaft ausgeben, aber ihr Versprechen von der COP15 im Jahr 2009, magere 100 Mrd. Dollar pro Jahr für Klimaschutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern bereitzustellen, dann nicht einhalten.

● Chronische Unterfinanzierung globaler öffentlicher Güter

Bidens Zurückhaltung bei der Klimafinanzierung für Entwicklungsländer ist durchaus verständlich. Er würde in den nationalistischen US-Medien verunglimpft werden, wenn er mehr US-Hilfe für die Entwicklungsländer fordern würde, und er würde im Kongress nichts dafür bekommen. Mit dem schwindenden globalen Einfluss der USA haben sich Amerikas Nationalisten noch aggressiver gegen den Rest der Welt gewandt. Die Vertreter von „America First“ im Kongress würden jede neue Mittelzuweisung blockieren.

Viele Regierungen in Europa befinden sich in einer vergleichbaren Lage, in der sie zwischen nationalistischen und internationalistischen Parteien sitzen. Und da die Haushaltsdefizite in den europäischen Ländern im Zuge von Covid-19 generell hoch sind, sind viele Parlamente wenig geneigt, mehr zu tun – zumal die Europäische Union bereits einen weitaus höheren Anteil des Bruttonationaleinkommens (etwa 0,5 %) für die öffentliche Entwicklungshilfe aufwendet als die USA (nur 0,17 %).

Das lässt uns zwischen der Realität einer verheerenden globalen Klimakrise und der nationalistischen Politik der reichen Länder feststecken, wobei die Klimafinanzierung auf freiwilligen Beiträgen der Reichen beruht. Das Ergebnis ist die chronische Unterfinanzierung globaler öffentlicher Güter wie ein sicheres Klima, die Ziele für nachhaltige Entwicklung und Covid-19-Impfstoffe.

Führende Politiker wie Biden appellieren zwar an ihre Gesetzgeber, Verantwortung zu übernehmen, diese jedoch finden es politisch zweckmäßiger, gegen Ausländer zu wettern, die der Hilfe nicht würdig sind. Das finanzielle Versagen auf der COP26 ist sowohl tragisch als auch absurd und geht über das allgemeine Versagen, die zugesicherten 100 Mrd. Dollar pro Jahr zu mobilisieren, hinaus.

Man bedenke, dass der vielgepriesene Klimaanpassungsfonds, der eingerichtet wurde, um den Entwicklungsländern bei der Deckung ihres Anpassungsbedarfs zu helfen, auf der COP26 lediglich 356 Mio. Dollar an Zusagen erhalten hat (das entspricht ungefähr fünf Cent pro Person in den Entwicklungsländern der Welt).

Die Finanzierung von „Verlusten und Schäden“, d. h. der Wiederherstellung und des Wiederaufbaus nach Klimakatastrophen, schnitt sogar noch schlechter ab, da sich die reichen Länder lediglich auf einen „Dialog“ zu diesem Thema einigten. Dieser finanzielle Voluntarismus muss ein Ende haben.

Eine globale Formel für eine faire Lastenteilung

Wir brauchen eine globale Formel, die jedem reichen Land die Verantwortung zuweist. In diesem Fall hätte die Weltgemeinschaft zumindest einen Maßstab, um von Nachzüglern wie den USA Maßnahmen zu verlangen. Hier ist ein unkomplizierter und praktikabler Ansatz. Zur Finanzierung der Umstellung auf saubere Energie (Abschwächung) und der Widerstandsfähigkeit (Anpassung) in den Entwicklungsländern würde jedes Land mit hohem Einkommen eine Abgabe von 5 Dollar pro Tonne emittiertem Kohlendioxid erheben. Länder mit mittlerem Einkommen würden mit 2,50 Dollar pro Tonne belastet. Diese CO2-Abgaben würden so bald wie möglich beginnen und schrittweise ansteigen und sich in fünf Jahren verdoppeln.

Die Länder könnten solche bescheidenen Summen problemlos aus den Erlösen von Kohlenstoffsteuern und Versteigerungen von Emissionszertifikaten zahlen, die beide einen viel höheren Preis pro Tonne CO2 haben werden als die Abgabe. Länder mit hohem Einkommen stoßen derzeit etwa 12 Mrd. Tonnen CO2 pro Jahr aus, und Länder mit mittlerem Einkommen stoßen jährlich etwa 16 Mrd. Tonnen aus, so dass sich die CO2-Zahlungen zu Beginn auf etwa 100 Mrd. Dollar summieren und nach fünf Jahren verdoppeln würden. Die Mittel würden an Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sowie an Länder mit besonderer Anfälligkeit für Klimafolgen (z. B. kleine Inselstaaten, die mit dem Anstieg des Meeresspiegels und stärkeren tropischen Wirbelstürmen konfrontiert sind) gehen.

Nehmen wir an, dass die Hälfte der Mittel (zunächst 50 Mrd. Dollar) als reine Zuschüsse verteilt wird und der Rest den multilateralen Entwicklungsbanken (MDB) wie der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank als neues Kapital zur Unterstützung der Klimafinanzierung zugeführt wird. Die multilateralen Entwicklungsbanken würden das neue Kapital nutzen, um auf den Kapitalmärkten Mittel zu beschaffen und die neuen 50 Mrd. Dollar in grüne Anleihen im Wert von vielleicht 200 Mrd. Dollar umzuwandeln, die sie an die Entwicklungsländer für Klimaprojekte weiterverleihen würden.

Auf diese Weise würde die bescheidene Kohlenstoffabgabe rund 250 Mrd. Dollar an neuen jährlichen Klimafinanzierungsmitteln einbringen, die sich nach fünf Jahren auf rund 500 Milliarden Dollar verdoppeln würden. Zur Finanzierung von Verlusten und Schäden würde eine zusätzliche Abgabe erhoben, die nicht auf die aktuellen Emissionen, sondern auf die Summe der vergangenen Emissionen erhoben würde, um die heutigen Verluste und Schäden mit der historischen Verantwortung für den heutigen Klimawandel in Einklang zu bringen. Die USA zum Beispiel sind für rund 20 % aller CO2-Emissionen seit 1850 verantwortlich. Wenn ein neuer globaler Fonds für Verluste und Schäden z. B. 50 Mrd. Dollar pro Jahr aufbringen soll, würde der jährliche Anteil der USA 10 Mrd. Dollar betragen.

● Versagen der Freiwilligkeit

Es wird gewiss nicht einfach sein, sich auf solche Einnahmeprinzipien zu einigen, aber es ist weitaus besser, sich für ein neues, auf Regeln basierendes System einzusetzen, als die Zukunftssicherung des Planeten von der Freiwilligkeit einzelner abhängig zu machen. Die COP26 hat eindeutig gezeigt, dass es in eine Sackgasse führt, von nationalen Politikern zu verlangen, dass sie freiwillig Mittel für globale öffentliche Güter bereitstellen.

Die Politiker der reichen Länder hatten ein Dutzend Jahre Zeit, um die versprochene Klimafinanzierung auf den Weg zu bringen, aber sie haben versagt. Ein regelbasiertes System mit einer fairen und transparenten Lastenteilung ist der Weg, um die Finanzierung zu sichern, die wir für die Sicherheit und Fairness des Planeten brauchen.

Jeffrey D. Sachs, Professor an der Columbia University und Präsident des UN Sustainable Development Solutions Network. Er diente als Berater drei UN-Generalsekretären, derzeit António Guterres (dt. Übers. und c Project Syndicate).